Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Im Namen „der Menschen“, im Dienst an wichtigen eigenen Interessen:
Die EU ist sich eine Intervention im Kongo schuldig

Europas „Verpflichtung“ für „das Herz Afrikas“ ist der Anspruch auf seine Rohstoffe, deren weiterhin geregelter Abtransport mit europäischer Ordnungspolitik gewaltsam sichergestellt wird. Dies auch ein Beitrag zur Stärkung Europas Stellung im Anti-Terror-Krieg: UNO-Mandat segnet EU-Interessen ab, freilich nur mit Zustimmung der Weltmacht Nr.1.

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Gliederung

Im Namen „der Menschen“, im Dienst an wichtigen eigenen Interessen:
Die EU ist sich eine Intervention im Kongo schuldig

Seit fünf Jahren tobt in der Demokratischen Republik Kongo, einem Land von der Größe Westeuropas, ein, wie es heißt, vergessener Krieg. Ihm und seinen weiteren Folgen sind inzwischen mehr als 3 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, unter ihnen auch zwei UN-Beobachter, und nachdem in der ostkongolesischen Region Ituri auch noch ein Völkermord droht, befindet das Generalsekretariat der Völkergemeinschaft die Zustände endgültig für nicht mehr tragbar. Kofi Annan lotet bei den für Krieg und Frieden zuständigen Mächten die Bereitschaft zu einer militärischen Intervention aus, und während die USA ablehnen, wollen die Staaten der EU der systematischen Verachtung und grausamen Verletzung der Menschenrechte nicht länger zusehen können. In ungewohnter Eintracht erklären sie sich zu Auftragnehmern eines ‚robusten‘ Mandats des UN-Sicherheitsrates und beschließen ihre erste ganz eigene militärische Mission außerhalb Europas.

1. Europas „Verpflichtung“ für „das Herz Afrikas“

In der Öffentlichkeit wird das Engagement für grundsätzlich in Ordnung befunden: Grundsätzlich begrüßen wir den Einsatz – mit aller Vorsicht. (Dörken, Dt. Welthungerhilfe, taz, 12.6.) Humanisten der Hungerhilfe und Armutspflege bringen allenfalls Bedenken vor, die den Militäreinsatz an dem Ideal messen, das sie sich von ihm machen, und hiernach haben wir, die zivilisierten Nationen Europas, in diesem Chaos von Bandenkriegen und Plünderungen die Ordnung wieder herzustellen, die ihnen das Verrichten ihrer Hilfsdienste erlaubt. Andere gehen gleichfalls davon aus, dass Europa selbstverständlich dafür zuständig ist, in diesem Sumpf von Gewalt nach dem Rechten zu sehen und für Ordnung zu sorgen, bringen dabei allerdings zur Sprache, was es alles bei diesem humanitären Engagement auch noch zu berücksichtigen gilt: Behindert wird eine entschlossene Einflussnahme der großen Industriestaaten durch die Abhängigkeit von seltenen Mineralien im Osten Kongos, die für Raketen ebenso unerlässlich sind wie für die Computerindustrie. (FAZ, 12.6.) Nachvollziehbar ist es zwar nicht unbedingt, weswegen ausgerechnet das heiße Interesse an im Kongo verbuddelten Rohstoffen und deren Abtransport ein Hindernis für eine entschlossene Einflussnahme sein soll, die ansonsten für den Autor der FAZ doch wohl außer Frage steht. Aber immerhin erfährt man so, dass sich die politische Ökonomie des Kongo für die Freunde des Exports europäischer Zivilisation offenbar doch nicht ohne Rest in Mord und Totschlag von vor sich hin plündernden Banden auflöst. Auch der Redakteur der ‚Süddeutschen‘ belässt es nicht beim verletzten Menschenrecht und beim Sittenbild von marodierenden Horden, die sich Kongos Reichtümer an Land ziehen. Er zitiert dieses erst ausgiebig – heute ist Kongo in weiten Teilen ein Flickenteppich, auf dem ungezählte Milizen zusammen mit ihren ausländischen Unterstützern versuchen, so viel Land und Bodenschätze wie möglich zu erobern. Die Massaker rund um Bunia werden dadurch angeheizt, dass es dort Coltan, Gold, Edelhölzer und vermutlich auch jede Menge Erdöl gibt… Kongo ist als Staat tot, doch für die Plünderer gibt es noch unermessliche Reichtümer aus dem Kadaver zu schneiden(SZ 17.6.03) –, um dann die folgende Entdeckung der Völkergemeinschaft hinzuzusetzen: Die UN fanden zudem heraus, dass Dutzende westlicher Firmen von der Plünderung profitieren. Daschauher. Sensationell ist das zwar nicht gerade, denn wer sonst außer eben westlichen Firmen sollte von der Plünderung des Kongos überhaupt profitieren können? Etwa irgendeine schwarzafrikanische Telekommunikationsgesellschaft? Die Luft- und Raumfahrtindustrie eines kongolesischen „Flickenteppichs“? Ein allein Profit versprechendes, weil kapitalistisch verwertbares Interesse an den Rohstoffen dort gibt es eben nur in den Zentren der Marktwirtschaft, und die liegen bekanntlich nicht in Afrika. Umgekehrt ist der Dienst an diesem – externen – Interesse die einzige imperialistische Geschäftsgrundlage, auf der man auch in Afrika etwas verdienen kann, und genau das versuchen die diversen Banden im Kongo in ihrer blutigen Konkurrenz um die Aneignung der anderswo so begehrten, daher gut zu versilbernden Rohstoffe. Und im selben Maße, in dem sie dabei konsequent zur Sache gehen, profitieren schon wieder nicht sie, sondern die westlichen Firmen, mit deren höchst zivilisierten Geschäftsartikeln sie sich und ihre Kindersoldaten ausrüsten. Europa, die Wiege der Zivilisation, scheint also weniger wegen seiner humanitären Grundveranlagung, sondern schon eher wegen seiner sonstigen, materiellen Interessen an diesem verheerendsten Gemetzel der Gegenwart gar nicht vorbeisehen zu können und zum Eingreifen wie selbstverständlich verpflichtet zu sein, und das geht auch aus noch einer ‚Entdeckung‘ der Schlaumänner von der UN hervor. Nicht nur westliche Firmen profitieren vom Krieg, auch die Nachbarstaaten Ruanda und Uganda, durch deren Eroberungsfeldzüge der Zerfall des Kongo maßgeblich vorangetrieben wurde, gehören zu den Profiteuren. Laut einer UN-Expertenstudie haben sich deren Führer Kagame und Museveni zu Paten der illegalen Ausplünderung natürlicher Ressourcen entwickelt und beide Staatschefs es kriminellen Netzwerken möglich gemacht, im Nachbarland zu operieren – und auch diese Paten der Plünderer haben ihrerseits ihre Paten: Dennoch zählen Ruanda und Uganda noch immer zum erlesenen Club der so genannten Schwerpunktpartner in der deutschen Entwicklungshilfe… Die dunklen Machenschaften in Kongo haben dem Mythos von den afrikanischen Lichtgestalten nur wenig anhaben können. (SZ 6.6.) Und was folgt aus der Erkenntnis, dass die eigenen Partner und Beförderer der eigenen Interessen vor Ort in ziemlich ‚dunkle Machenschaften‘ verstrickt sind? Abstandnahme von Interessen, die – offenbar – auch mit ‚kriminellen Netzwerken‘ gut bedient werden? Finger weg von politischen ‚Lichtgestalten‘, die Verbrecher sind? Von wegen! Das sind ja unsere europäischen Partner, und wenn die es Europa nicht so Recht machen, wie sie es sollen, dann muss Europa eben selbst hin und nach dem Rechten sehen!

2. Europäische Ordnungspolitik für Afrika

Wenn Europa einen drohenden Völkermord in und um Bunia zum Grund und Anlass einer eigenen militärischen Intervention vor Ort erklärt, so liegt dem eine politische Würdigung des fünfjährigen Gemetzels im Kongo, des erreichten Status Quo wie seiner zukünftigen Perspektive zugrunde. Die europäischen Imperialisten beziehen sich auf die Gewaltorgien des Kampfs der Milizen um die Reichtümer des Landes, und sehen die Fortführung ihrer Interessen durch einen Zustand gefährdet, der in einer ökonomischen Zerstörung ganzer Regionen und in die Zersetzung auch noch von Restbeständen einer herrschaftlich garantierten Ordnung auszuarten droht: Das ist die ‚Lage‘, die in Europas Mächten die Erkenntnis heranreifen lässt, dass sie den Kongo einfach nicht mehr sich selbst überlassen können. Wenn sie das, was im Boden dieses Staates verbuddelt ist, weiterhin nutzen wollen, müssen sie dessen endgültigem politischen Zerfall Einhalt gebieten, wobei ihnen schon auch klar ist, wie die praktische Wahrnehmung dieses Ordnungsgesichtspunktes allein vonstatten zu gehen hat: Wenn in Bürger- und Bandenkriegen, mit und ohne Unterstützung aus dem benachbarten Ausland, ein Staat zerlegt wird und man das nicht will, dann muss man von den Parteien vor Ort den Frieden gewaltsam erzwingen, den sie geben sollen. Diesen Grundsatz der modernen imperialistischen Weltordnungs- und Friedenspolitik beherzigt Europa dann auch und schickt sein Militär zu Befriedungszwecken ins Kriegsgebiet. Kaum aber ist der europäisch-gemeinschaftliche Beschluss zur ‚Operation Artemis‘ ergangen, steigen dieselben Nationen, die wegen ihrer imperialistischen Interessen ihr militärisches Engagement vor Ort für unabweisbar notwendig erachten, in eine für ihren Gemeinschaftsverband gleichfalls kennzeichnende Aufwands- und Ertragsrechnung ein. Unter der nicht weiter diskutierten Prämisse, dass, wer in den Kongo einzieht und militärisch für Ordnung sorgt, gar nicht exklusiver Nutznießer der Verhältnisse ist, die er dort stiftet, wird jeder Nation das Engagement, das sie einerseits für unentbehrlich hält, andererseits auch wieder ein wenig fragwürdig. Daher streiten sie sich darum, wie die Lasten ihres Engagements unter ihnen zu verteilen sind, wie weit es reichen und wie lange es dauern soll. Mit dem Ideal im Hinterkopf, sich keinesfalls in unabsehbare Konsequenzen verstricken zu lassen, definieren Europas Strategen schließlich ein dementsprechend eng begrenztes Aufgabenfeld: Sie entsenden 1000 Mann, die für die Wochen bis zum 1. September Bunia und den dortigen Flughafen sichern sollen. Auch wenn dies manchen militärstrategischen Fachleuten und Journalisten allzu unentschlossen vorkommt, auch wenn Friedensfreunde, die sich auf ihre Art ein konsequenteres Durchgreifen gewünscht hätten, dies irgendwie halbherzig finden: Mit diesem bewusst dosierten Einsatz betreiben die Europäer das politische Projekt, die Kriegsparteien im Kongo auf ihre ordnungspolitischen Machtworte zu beziehen, um nach Ablauf ihres Mandats anderen die Aufgabe zu übertragen, für die sie die ordnungspolitischen Maßstäbe gesetzt haben.

  • Mit der Stationierung ihrer Interventionstruppe in Bunia zwingen die Staaten Europas die vor Ort kämpfenden Parteien dazu, ihre Kämpfe in und um Bunia einzustellen. Sie verpflichten die sich bekriegenden Milizen, Warlords und deren auswärtige Sponsoren so auf die Kalkulation mit europäischen Ordnungsinteressen, auf nicht mehr, aber eben auch auf nicht weniger. Das Attribut humanitär verdient sich der Militäreinsatz darüber, dass im unmittelbaren Umkreis der europäischen Soldaten tatsächlich keine Massaker stattfinden. Daher haben nun alle Menschen- und Friedensfreunde damit zu tun, dass trotz der Präsenz der humanitärsten Soldaten, die die Welt kennt, der von ihnen im Kongo gestiftete Frieden auch beim besten Willen nicht mit der Stiftung von Verhältnissen zu verwechseln ist, in denen Neger auch nur die Perspektive eines halbwegs gesicherten Überlebens hätten.
  • Gegenüber dem Präsidenten des Landes, dessen Zerfall man mit den eigenen Truppen gerade einzudämmen sucht, stellt man klar, dass er als gewählter politischer Häuptling seiner Völkerschaften und Stämme dazu da ist, seines präsidialen Amtes zu walten und die kämpfenden Parteien unter sein Kommando zu zwingen. Das will ihm zwar ersichtlich nicht so recht gelingen. Aber vielleicht tut er es ja endlich, wenn man ihm zu verstehen gibt, dass europäisches Militär sich genau genommen nur zu diesem Zweck in seinem Land aufhält: Ein UN-Botschafter sagte, es gehe vor allem um mehr Druck auf Präsident Joseph Kabila. Er wurde in einem komplizierten Verfahren zum Präsidenten bestimmt, und er sollte jetzt anfangen, sich wie ein Präsident zu benehmen. (SZ, 29./30.5.) Je komplizierter der Wahlgang, desto einfacher wird dann ja wohl die Ordnung hinzubekommen sein, für die der Chef vor Ort gewählt wurde.
  • Der Regierung wie den Rebellen, die sich den Osten des Landes faktisch angeeignet haben, trägt man an, eine gemeinsame Übergangsregierung für ganz Kongo zu organisieren. Ohne Zurückweisung auch nur einer der Berechnungen, mit denen sich die Kombattatanten in ihre blutigen Machtkämpfe verstricken, genau in der Unversöhnlichkeit, in der sie sich gegenüberstehen, sollen die Parteien ihren Gegensatz am übergeordneten europäischen Ordnungsinteresse relativieren und bei ihren Machtkämpfen die Vorgaben respektieren, die Europa in seinem Interesse an einer funktionellen politischen Ordnung im Land erlässt.
  • Die staatlichen Hauptbetreiber und -nutznießer des Zerfalls des Kongo, von Ruanda und Uganda, lässt man wissen, dass sich der Respekt vor europäischen Ordnungsinteressen auch für sie ziemlich von selbst zu verstehen habe. Sie sollen die Ordnungskompetenz Europas anerkennen, der Militärmission zustimmen, für deren Gelingen auch ihr Territorium zur Verfügung stellen – und im Übrigen bei allen Formen und Methoden, in denen sie in Hinkunft ihren Zugriff auf die Reichtümer Kongos abzuwickeln gedenken, nur nie aus den Augen verlieren, welche funktionellen Ordnungsdienste Europa für sie vorgesehen hat – das wäre er dann schon, der positive Einfluss auf den Kongo, für den sie vorgesehen sind und um dessen Ausübung willen man sie auch für keine ihrer bisherigen Machenschaften belangen möchte: Die von Kabila geforderten Sanktionen gegen Ruanda wegen seiner Unterstützung von Kongos Rebellen lehnte der Franzose … ab: Man müsse Kongos Nachbarländer dazu bringen, einen ‚positiven Einfluss‘ im Kongo auszuüben. (UN-Botschafter, SZ 29./30.5.)
  • Nützlich machen für die Umsetzung von Europas Ordnungsinteressen in Ostafrika können sich aber nicht nur die unmittelbaren Nachbarn des Kongo. Im Sinne seiner Aufwands- und Ertragskalkulation betreibt der Euro-Imperialismus in Afrika auch Franchising, und der lukrative Dienst eines europäischen Hilfssheriffs, der gegen Entgelt sein Personal für UN-Truppenkontingente zur Verfügung stellt, steht den ganzen Dritt-Welt-Staaten der Völkergemeinschaft offen, sogar Bangladesh. Auch wenn viele von den Angesprochenen bei sich daheim in Sachen produktiver Ordnungsstiftung nicht gerade glänzen können: Das Personal, im Kongo Milizen zu beaufsichtigen, haben sie durchaus – und können über dessen vorübergehenden Verleih an die Stiftungsgemeinde einer ‚neuen Ostafrika-Ordnung‘ an ihm sogar noch etwas verdienen.

Mit dieser interessanten Mischung aus extremer Zurückhaltung beim eigenen Aufwand einer praktischen Einflussnahme auf die ‚Kräfte‘ vor Ort einerseits, maximalen Erwartungen im Hinblick auf den angepeilten politischen Ertrag andererseits, steigt Europa militärisch in Afrika ein. Die Intervention ist ein praktischer Test darauf, wie viel der Euro-Imperialismus aufbieten muss, um den gebührenden Respekt vor europäischen Aufsichts- und Kontrollinteressen einzufordern und gegen die im Kongo bzw. Ostafrika engagierten staatlichen wie nichtstaatlichen Akteure durchzusetzen. Mit ihrem militärischen Engagement loten Europas Mächte aus, wie weit ihr Einfluss auf die UN im Allgemeinen und die übrigen afrikanischen Staaten im Besonderen reicht, wenn die sich gemäß europäischen Vorstellungen als Lieferanten von UN-Friedenstruppen – jetzt im Kongo, demnächst anderswo in Afrika – funktionalisieren lassen sollen. Und womöglich wird ihre Intervention bald auch zu einem Test darauf, ob sich auch noch eine größere Macht einmal in den Dienst an der Umsetzung europäisch-imperialistischer Ordnungsinteressen einspannen lässt. Der deutsche Kriegsminister jedenfalls hat da so seine Ideen: Sollten nach dem Ablauf der bisher bis zum 1. September vorgesehenen Mission noch weitere Fähigkeiten gebraucht werden, wird man sicherlich auch die Möglichkeiten der Nato prüfen und vielleicht in Anspruch nehmen. (Struck, 11.6.)

3. Die Stellung Europas im Zeitalter des von Amerika ausgerufenen Anti-Terror-Krieges

Selbstverständlich denkt Europa nicht erst für die Zeit nach Ablauf des Mandats an die große Nato-Führungs- und weltbeherrschende Supermacht: Frankreichs Präsident verhehlt überhaupt nicht, bei wem er schon bei der Begründung der europäischen Mission in Afrika Anleihen nimmt: Zudem seien friedensstiftende Einsätze im sicherheitspolitischen Interesse der vermögenden Industrienationen: Krisengebiete ohne staatliche Autorität seien ideale Rückzugsgebiete für terroristische Vereinigungen. (Chirac, in FAZ, 14.6.) ‚Kampf dem Terror‘ heißt das Projekt, in dessen Namen man in Ostafrika unterwegs sein will, was sachlich besehen eine einzige Irreführung ist. Ein ‚Krisengebiet ohne staatliche Autorität‘ mag der Kongo ja sein – ob der Urwald gleich links der Großen Seen das ideale Rückzugsgebiet von Tieffliegern gegen die Hochhäuser der Zivilisation ist, ist eher nicht wahrscheinlich. Europas Grund für den „friedensstiftenden Einsatz“ liegt dort jedenfalls erstens in den vielen ökonomischen Interessen, die ‚vermögende Industrienationen‘ an afrikanischen Rohstoffen haben, und zweitens daran, dass für genau diese Interessen ein ganzer Kontinent peu à peu unbrauchbar zu werden droht. Politisch besehen macht die Umbenennung der europäischen Militärmission in einen Beitrag zum allgemeinen Anti-Terror-Krieg allerdings schon Sinn: Auf diese Weise relativiert der Euro-Imperialismus Amerikas Monopol, bei der gewaltsamen Bereinigung von ordnungs- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten allein zuständig zu sein. Der weltpolitischen Maxime ‚Kampf gegen den Terror‘ schließt sich Europa an, um diesem ‚Kampf‘ einen eigenen, selbst definierten politischen Inhalt zu verleihen und sich mit eigenen Aufsichts- und Kontrollrechten ins Geschäft des gewaltsamen Weltordnungsstiftens einzuklinken. Dass die Europäer mit ihrem Kongo-Einsatz das US-Monopol in Weltaufsichtsfragen zu relativieren versuchen, entgeht auch einem Kommentator der ‚Süddeutschen‘ nicht, seine Entdeckung bewegt ihn allerdings dazu, den Kongo gleich zum bloßen Vorwand zu degradieren, zum nur gesuchten und gefundenen Anlass, an dem die Europäer endlich ihre Potenz demonstrieren, es in Sachen ‚globaler Akteur‘ Amerika gleich tun zu können: Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac haben am Dienstag über den Kongo-Einsatz beraten. Anschließend hätten sie ehrlicherweise folgende Sätze sagen müssen: Wir schicken Soldaten nach Kongo, weil wir keine in den Irak-Krieg geschickt haben. Wir intervenieren in Afrika, weil das Frankreichs (und mit deutscher Hilfe auch ein bisschen Europas) Anspruch als global agierende Macht unterstreicht. Wir gehen nach Afrika, weil dies Europas Wille und Weg in Abgrenzung zu Amerika unterstreicht. (Stefan Kornelius, SZ 11.6.) Das offene Bekenntnis, das er gerne ganz deutlich von Europas Führern vernommen hätte, könnte er dem imperialistischen ‚Kalkül‘ jedoch durchaus entnehmen, das Frankreichs Präsident mit der europäischen Mission verfolgt: Politisch verbindet sich mit dem Bunia-Einsatz jedoch für Chirac noch ein anderes Kalkül. So bietet der Einsatz … die Gelegenheit, Europa in einer gemeinsamen Aktion – ohne Nato-Mithilfe – zusammenzuführen. Besonderen Wert legt man in Paris deshalb auf die britische Beteiligung von hohem politischen Symbolgehalt. (FAZ, 14.6.) Als EU, als eigenständiges imperialistisches Subjekt eigene weltpolitische Kompetenz und einen eigenen ordnungspolitischen Handlungsbedarf geltend zu machen; sich dabei nicht nur im Zuge einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gemeinschaftlich auf eine Lagebeurteilung zu einigen, sondern die aus ihr resultierenden Konsequenzen auch als militärisches Gemeinschaftswerk praktisch in die Tat umzusetzen; dabei auch noch denselben höheren Rechtfertigungstitel zu bemühen wie die Macht, gegen deren Monopolaufsicht über die Welt man sich als weltpolitische Größe in Stellung bringt, sich also erfolgreich gegen Amerika aufzustellen, sich dabei aber nicht mit Amerika anzulegen: Das ist das weltpolitische ‚Kalkül‘, das die Europäer bei ihrem Afrika-Engagement im Auge haben.

Auf die politische Heuchelei, sich bei der Wahrnehmung ihrer ordnungspolitischen Interessen auf auch höheren Ortes anerkannte Rechte zu berufen, verstehen sich die Europäer freilich nicht nur gegenüber Amerika. Nicht nur gegen den ‚Terror‘ wollen sie in Afrika mit-kämpfen, nein, sie wollen damit auch endlich wieder der UNO zu dem Recht verhelfen, das ihr gebührt. Wiederum Frankreichs Präsident: Für Chirac stand kurz nach dem Zerwürfnis über den Irak-Krieg damit abermals die Glaubwürdigkeit der UN auf dem Spiel: In Kongo wurde vorgeführt, was die Regierung Bush den Vereinten Nationen gern vorhält, die Unfähigkeit der Weltorganisation, ihr Mandat effizient zu erfüllen. (FAZ, 14.6.) Wie die Weltmacht, so versucht sich auch Europa daran, die diplomatische Instanz der Weltgemeinschaft für die eigenen Anliegen zu instrumentalisieren, grenzt sich dabei aber deutlich von der Tour ab, in der sich die USA bei ihrem Irak-Krieg an der Stiftung eines weltgemeinschaftlichen Konsenses versucht hatten: Wo ein Bush der Völkergemeinschaft die US-amerikanische Definition zu Lage und Auftrag des Völkerrechts zum Abnicken vorlegte, legen die Europäer ausgesprochen Wert darauf, als ganz und gar in die Weltgemeinschaft integrierte politische Subjekte nur deren ureigene Sache voranbringen zu wollen. Aus ihrer Schwäche, nicht die Macht zu haben und zu sein, die – wie Amerika – die Reststaaten der Welt zum Dienst an ihrem Anliegen kommandieren könnte, machen sie eine Tugend ihrer Diplomatie: Sie bemühen sich, sich nach allen geltenden Regeln des weltgemeinschaftlich-diplomatischen Geschäftsverkehrs zu den imperialistischen Missionen, die sie wegen ihrer Interessen für angebracht halten, von den Völkern der Welt mandatieren zu lassen, und treiben so ihr Projekt, bei der Konkurrenz gegen Amerika jeden Anschein zu vermeiden, gegen Amerika zu konkurrieren, voran.

Dass die Anerkennung ihres Mit-Zuständigkeitsanspruchs in Weltordnungs- und Aufsichtsfragen, die die Europäer auf diese Tour erlangen wollen, vom diplomatischen ‚Goodwill‘ der Welt- und UN-Sicherheitsrats-Macht abhängt, dokumentiert freilich nur wieder die Schwäche der euro-diplomatischen Tugend im imperialistischen Kräftemessen.