Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Europas Diplomatie mit Iran:
Deutsch-europäische Weltfriedenspolitik mit einem erklärten Feind Amerikas

Der Iran plant eine eigene Kernenergie-Infrastruktur mit Wiederaufbereitung und allen Optionen, die auch militärisch dazu gehören. Die EU macht ihm „Angebote“, dieses Vorhaben dranzugeben und sich von den EU-Mächten in nuklear-strategischen Fragen beaufsichtigen zu lassen. Wenn sich der Iran außerdem als langfristiger Öllieferant für die EU bereit hält, dann gibt es die Option, Technologie für Leichtwasserreaktoren und anderes in der EU ordern zu dürfen, eventuell noch obendrauf… Mit ihrer Diplomatie arbeitet sich die EU an den Aufsichtsansprüchen ab, die die USA schon lange beim Iran angemeldet haben.

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Europas Diplomatie mit Iran:
Deutsch-europäische Weltfriedenspolitik mit einem erklärten Feind Amerikas[1]

Der Beschluss des Iran, den Arbeitsbetrieb in der Atomanlage in Isfahan unabhängig von einem Ergebnis in den „Atomverhandlungen“ mit Europa wieder aufzunehmen, erfährt hierzulande eine bezeichnende Würdigung. Erst hat dieser Staat die Stirn, Europas führenden Mächten bei den Verhandlungen über sein Atomprogramm eine Frist zu setzen; dann wollen die Mullahs sich selbst nicht an ihre Zeitvorgabe halten und lehnen weitreichende Vorschläge zur politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie Sicherheitsgarantien (SZ, 2.8.05), die ihnen für demnächst angekündigt werden, schon vorab als für sie inakzeptabel ab; dann überreicht man ihnen ein ehrgeiziges und großzügiges (Douste-Blazy, frz. Außenminister) Angebot, und sie finden es glatt beleidigend und demütigend – da braucht ein politisch Sachverständiger der ‚Süddeutschen Zeitung‘ von besagten Vorschlägen nicht einen einzigen zu nennen, um den Vorgang doch erfolgreich auf seinen politischen Begriff zu bringen: Iran brüskiert die Europäische Union (ebd.). Wenn Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Namen Europas gemeinsame Sache machen und im „Atomkonflikt“ mit dem Iran diplomatisch verhandeln, steht die unbedingte Lauterkeit ihrer Absichten offenbar unverrückbar fest: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass diese Mächte überhaupt nur im Auftrag von Friedensförderung und Konfliktlösung weltpolitisch unterwegs sind, in ihrer Diplomatie mit dem Iran, die da an einer besonders heiklen Stelle den Weltfrieden sichert, schon gleich. Wenn also dieser Staat Europas grundguten Vermittlungsbemühungen abschlägig Bescheid erteilt, muss man sich nur eines fragen: Warum empfinden seine Repräsentanten sogar Vermittlungsangebote von Wohlmeinenden, wie es die Europäer sind, als ‚Demütigung‘, wie zuletzt aus Teheran zu hören war? (FAZ, 10.8.) Und: Will dieser Staat denn überhaupt eine verhandelte Vereinbarung über sein Nuklearprogramm? Oder wählt Teheran bewusst die internationale Isolation mit all ihren Risiken? (SZ, 2.8.) Groß zu erklären gibt es da weder etwas am Inhalt der diplomatischen Initiative Europas noch am Grund ihres vorläufigen Scheiterns – vielmehr wird Iran erklären müssen, warum es die ausgestreckte Hand ausschlägt. (ebd.) Das haben die Mullahs zwar getan, in derselben Ausgabe der Zeitung zitiert man an anderer Stelle ja auch ihre Gründe, weswegen das europäische Angebot für sie keines ist; aber was heißt das schon. Die Gründe dieses Staates auch nur ein wenig unbefangen zur Kenntnis zu nehmen: Das verbietet sich wohl für Leute, denen so viel am Erfolg der deutsch-europäischen Außenpolitik liegt, dass sie noch in härtesten Erpressungsmanövern einfach nur gutwillige Handreichungen sehen können.

Das europäische Angebot an den Iran: Nachgeben! Unterordnen! Benutzen lassen!

Mit dem Ziel, Iran zum freiwilligen Verzicht auf ein eigenes Atomprogramm mit einem geschlossenen nuklearen Brennstoffkreislauf und überhaupt auf eine Anreicherung von Uran zu bewegen, unterbreiten die verhandlungsführenden Mächte der EU den Regierenden in Teheran ein Angebot, das vor allem in einer Hinsicht beeindruckend ist: Die Kombination von Selbst- und Rechtsbewusstsein und Kaltschnäuzigkeit, mit der sich da eine werdende imperialistische Macht anheischig macht, einem anderen Staat, immerhin „Regionalmacht in der Golfregion“, seine Politik zu diktieren, ist atemberaubend. Sicher geht es in der außenpolitischen Beziehungspflege allemal um die wechselseitige An- und Aberkennung von Interessen und Rechten, zu der sich beide Seiten mit den Macht- und Einflussmitteln, über die sie verfügen, zu erpressen suchen. Dazu gehört auch, dass in diesem Geschäft der stärkere Vertragspartner die Rechte des anderen, die er gerade noch zu akzeptieren bereit ist, praktischerweise gleich selbst für seinen Kontrahenten definiert und ihm dies als Angebot unterbreitet, das zu akzeptieren sich für ihn nur lohnen kann. Was die EU-3 dem Iran anbieten, geht allerdings so weit, dass schon fraglich wird, ob und inwieweit ihr Angebot überhaupt noch auf Annahme durch die iranische Seite berechnet – oder nicht eher als Vorlage für eine provozierte Ablehnung gedacht ist. So steigt der Vorschlag der EU-3 für den Iran mit einer

„Präambel“ [2]

ein, die – nach den üblichen Respektbezeugungen und der Widmung des angepeilten Vertragswerkes an zukünftige Beziehungen des Vertrauens und Kooperation zwischen beiden Seiten – der islamischen Republik das Recht zusichert, Atomenergie friedlich zu nutzen. Das steht voll und ganz auf dem Boden des Völkerrechts und gibt den Buchstaben des Non-Proliferations-Vertrags wieder, das Folgende entspricht dann mehr dem imperialistischen Geist des Vertragswerks: Der Gebrauch dieses Rechts durch den Iran hat nach europäischem Willen an die Voraussetzung objektiver Garantien dafür gebunden zu sein, den Bau von Kernwaffen auf Dauer zu unterlassen, was soviel heißt, dass der Iran Anlagen zur Urananreicherung, aber auch sonstige sensible Fabriken und Technologien, die dual-use-fähig sind, nicht besitzen darf und sie in den Fällen, in denen er schon über sie verfügt, ‚objektiv‘ deinstallieren muss. Europa erklärt sich damit zum Anwalt internationaler Rechtsvereinbarungen, allerdings mit einer gegenüber dem Iran eindeutigen Lesart: Wo der NPT allen Staaten ein Recht auf umfassende zivile Nutzung der Kernenergie zugesteht und die Verwendung der entsprechenden Kapazitäten für die Herstellung von Nuklearwaffen durch ein strenges Kontrollregime verhindern will, da wollen die Europäer dem Iran gleich alle Bestandteile einer zivilen Atomenergie-Industrie, die sich allenfalls auch militärisch nutzen lassen, vorenthalten und erklären sich in ihrem Vertragsentwurf großzügig bereit, sich vom Iran mit der Überwachung seines Verzichts betrauen zu lassen. Entsprechend moderat dimensioniert und von Europa auf Dauer auf seinen objektiv garantiert ‚friedlichen‘ Betrieb hin kontrolliert: so könnte man sich eine iranische Atomwirtschaft vielleicht denken. Komplette Unterordnung unter Europas Aufsichtsrecht – das also wäre das allererste Prinzip, das dem Iran einen Zugang zu Kernenergie und dann auch zur Zusammenarbeit auf vielen Feldern eröffnen würde, und in genau diesem Sinne macht man dem Staat dann weitere Angebote. Unter der Überschrift

„Kooperation in Fragen von Politik und Sicherheit“

unterbreitet man dem Iran den weitergehenden Antrag, nicht nur über sein Atomprogramm, sondern über so gut wie alle seine wesentlichen inneren und äußeren Belange Europa als Aufsichtsmacht über sich zu bestellen. Das Regime in Teheran soll sich am Respekt vor Menschenrechten und dem vor grundlegenden Freiheiten für alle messen lassen, also die ideologischen Rechtstitel auch noch selbst anerkennen, unter denen den Führern des ‚Gottesstaats‘ schon seit geraumer Zeit – von Amerika seit jeher in aller Grundsätzlichkeit, von Europa dosiert und berechnend, im Prinzip aber jederzeit beliebig eskalierbar – die Legitimität ihrer Herrschaftsausübung bestritten wird. Das wäre in diesem Kapitel die Prämisse für die Zusagen in Sachen Sicherheit, die man den Iranern im Weiteren verspricht – und deren sicherlich schönste in der einseitigen Versicherung Frankreichs und Großbritanniens („unilateral security assurance“) besteht, im Sinne des NPT den Iran nicht mit Atomwaffen zu bekriegen. So können sich die Mullahs bei der Pflege ihrer Sicherheit also ganz auf Amerika und Israel konzentrieren, allerdings hat diese große Erleichterung auch ihren Preis. Gleichsam als Dankeschön für Europa hat der Iran sich bei der Wahrnehmung seiner Sicherheitsinteressen wie in seinen übrigen Außenbeziehungen mit dem Sachverhalt anzufreunden, dass seine politischen Ambitionen, die er als Regionalmacht von einigem Gewicht verfolgt, an den Interessen Maß zu nehmen haben, die Europa als ordnungspolitische Macht in die Region einbringt, weil es die zu seinem südöstlichen strategischen Vorfeld rechnet. ‚Non-Proliferation‘, ‚vertrauensbildende Maßnahmen‘, ‚regionale Sicherheit‘, ‚atomwaffenfreie Zone mittlerer Osten‘, ‚Terrorismus‘ und ‚Drogen‘ heißen die diplomatischen Obertitel, zu denen dem Iran ganz viel Dialog angeboten wird – diese diskursive Kooperationsform ist für Europa der Einstieg in das Projekt, sich in so gut wie allen politischen Angelegenheiten, in die dieser Staat involviert ist, als eine von ihm nicht zu übergehende ordnungspolitische Machtgröße zu verankern, ihn zusammen mit allen Staaten der Region in ein politisches Ordnungs- und Sicherheitskonzept einzubauen, für dessen Federführung man sich maßgeblich für zuständig erklärt. Ein von Europa ‚objektiv garantiert‘ atomwaffenfrei gehaltener Iran, der in eine gleichfalls von Europa gestiftete ‚Sicherheitsarchitektur‘ des Mittleren Ostens und der Golfregion eingebunden wird, freilich ohne dass die EU für ein Stillhalten der USA und Israels irgendeine Haftung übernehmen könnte oder wollte: Das wäre es, was dem Staat zur Wahrung seiner Sicherheitsinteressen vom europäischen Verhandlungspartner angeboten wird. Unter dem Titel

„langfristige Unterstützung von Irans zivilem Atomprogramm“

kommt dann die Hauptsache des politischen Geschäfts zur Sprache, das man dem Iran anbietet: Von ihm wird eine bindende Verpflichtung („a binding commitment“) verlangt, alle technologischen Bemühungen um einen geschlossenen Kreislauf von Nuklearbrennstoff und die Anreicherung von Uran zu unterlassen; er hat ferner getätigte Vereinbarungen für den Import von atomarem Brennstoff zu kündigen, abgebrannten Brennstoff auszuliefern und sein Reaktorprogramm in Arak zu stornieren; IAEA und Europa definieren gemeinsam vertrauensbildende Maßnahmen zur Verankerung und langfristigen Kontrolle des erklärten Verzichts auf die inkriminierten bzw. der freiwilligen Selbstbeschränkung auf die genehmigten Bestandteile eines iranischen ‚Atomprogramms‘. Im Gegenzug erhalten die Mullahs von ihren europäischen Verhandlungspartnern eine Bereitschaftserklärung ohne jede Bindung und Verpflichtung auf irgendetwas und haufenweise Versprechen, etwas nicht zu tun, was durchaus in ihrer Macht läge: Europa erklärt, den Aufbau eines zivilen Atomprogramms ausschließlich mit – in Hinblick auf eine atomare Waffenproduktion als unbedenklich geltenden – Leichtwasser-Reaktoren zu unterstützen, ansonsten verspricht Europa, Irans nukleare Zusammenarbeit mit Russland nicht zu torpedieren, des weiteren, den Zugang des Landes zum internationalen Markt für Nuklear-Technologie nicht zu versperren und es beim eigenen Kontrollregime über den Export brisanter dual-use-Güter nicht zu diskriminieren. Abgerundet wird dieses äußerst ausgewogene Angebot für eine langfristige europäisch-iranische Zusammenarbeit dann in dem Kapitel

„ökonomische und technologische Zusammenarbeit“

Da wird – die iranische Zustimmung zu allen vorher aufgelisteten Beschränkungen vorausgesetzt – versprochen, Handel, Investitionen und Technologie-Transfer zu befördern, ferner die Entwicklung technologischer und wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Und überall, wo dem Iran die Möglichkeit eines lukrativen Geschäftsverkehrs – demnächst dann – in Aussicht gestellt wird, besteht kein Zweifel über die Nutzenverteilung in den ‚terms-of-trade‘, die da von Europa aus angepeilt werden. Vom Transportwesen zu Land und in der Luft bis zu Technologien für Umweltpflege, Kommunikation und Information, kurz: für einfach alles, wonach das Land Bedarf hat, finden sich in Europa die passenden Artikel der Bedarfsdeckung – und im Iran ja praktischerweise auch die Ölgelder für ihren Erwerb. Und auch noch dafür, dass diese nicht versiegen, haben die EU-3 einen prima Vorschlag: Die EU wäre bereit zu einer politischen Erklärung, dass sie den Iran als eine langfristige Quelle von Öl und Gas für Europa betrachtet. Von Europa hochoffiziell als langfristig auszunutzender Rohstofflieferant anerkannt zu werden: Was gibt es in dieser unsicheren Welt Schöneres für einen Staat wie den Iran!

Die solide Basis der europäischen „Friedenspolitik“

Das also ist sie, die von Europa in Richtung Teheran ausgestreckte Hand. Auf ihre nuklearen Ambitionen haben die dort regierenden Mullahs zu verzichten; zu akzeptieren, dass ihr staatliches Innenleben in Sachen Freiheit & Menschenrecht von Europa kontrolliert wird; zu respektieren, dass ihre regionalpolitischen Absichten und Sicherheitsinteressen nicht nur an denen Amerikas und Israels, sondern auch an denen einer ordnungspolitischen Macht ‚Europa‘ ihre Grenzen finden; hinzunehmen, dass sie in allen wesentlichen Belangen ihres Kernenergieprogramms europäischer Aufsicht unterstehen; und sich darüber zu freuen, bei auf Dauer erwiesener Botmäßigkeit gegenüber den Anträgen ihrer Aufsichtsmächte von denen eventuell auch noch in den Rang einer wichtigen Ölquelle befördert zu werden: Dass man in Teheran dieses ‚Angebot‘ rundum ablehnt, erstaunt nicht. Gleichwohl kommt der Umstand, dass sich hierzulande über diese Ablehnung manche erstaunt geben, nicht von ungefähr. Wenn der eingangs zitierte Schreiber der SZ die rhetorische Frage aufwirft, ob denn der Iran bewusst seine internationale Isolation mit all ihren Risiken gewählt habe – dass die Welt, von Teheran aus betrachtet, vielleicht noch aus ein paar mehr Mitgliedern als Europa und den USA besteht, kommt ihm gar nicht in den Sinn –, dann bringt er auf seine etwas dämliche Art dasselbe zur Sprache, was der deutsche Außenminister mit seiner wiederholten ernsten Warnung vor einer Fehlkalkulation des Iran meint: Die Mullahs sollen Fischer zufolge gar nicht erst glauben, ihnen würde von Europa etwas anderes als Stoff für diplomatisches Verhandeln angeboten als das, was die Weltmacht Amerika von ihnen verlangt – weswegen US-Präsident Bush ja auch voll und ganz hinter Europas Diplomatie steht! Das ‚Angebot‘ der deutsch-europäischen Diplomatie ist nicht mehr als die Übermittlung des kompromisslosen Ultimatums, das von der Weltmacht an die Adresse Irans ergangen ist – nur eben beschränkt auf die ‚Atomfrage‘ und ohne alle Weiterungen in Bezug auf einen im Iran fälligen ‚regime change‘, also ohne die tiefere Bedeutung eines Hebels zur Beseitigung der Mullah-Herrschaft, die diese ‚Frage‘ für Washington bekanntlich besitzt. Deshalb würden die Mullahs nach Meinung der Überbringer der deutsch-europäischen Vermittlungsposition – und daher auch nach Auffassung ihrer demokratischen Interpreten – in ihrem eigenen Interesse nur gut daran tun, sich anderweitige Berechnungen aus dem Kopf zu schlagen. Vor allem natürlich die, der Europa selbst vor dem Verhandlungsprozess und zwischendurch immer mal wieder heftig Nahrung gegeben hat, nämlich: Europa könnte sich vom Iran in irgendeiner Weise als anti-amerikanische Gegenmacht instrumentalisieren lassen und in dessen Interesse mäßigend auf den Militarismus der Weltmacht einwirken. Dass genau das Gegenteil der Fall ist, Europa alles tut, um Amerikas Militarismus für sich zu instrumentalisieren, das stellt der Verhandlungsvorschlag der EU-3 unmissverständlich klar: Wenn Europas diplomatische Gesandte mit der Aufforderung an den Iran, sich europäischen Aufsichtsbefugnissen unterzuordnen, so bemerkenswert unverschämt daherkommen, dann schmarotzen sie schlicht und ergreifend von der längst über den Iran verhängten Kriegsdrohung, deren Subjekt sie nicht sind. Sie präsentieren dem Iran die Annahme ihres ‚Angebots‘ ganz sachlich, ohne in ihrer Vorlage irgendein ‚Druckmittel‘ zu erwähnen, als die einzig mögliche Alternative zu seiner ‚internationalen Isolation‘, als seine so ziemlich letzte Gelegenheit, die Beförderung zum Fall erst für den Weltsicherheitsrat und gleich darauf für eine legitime präventive Befriedungsaktion durch die Weltmacht noch verhindern zu können. Genau diese Karriere ist dem Iran von den USA in Aussicht gestellt worden, und dieser angedrohte Fortschritt vom Störfall des amerikanischen Weltfriedens zum praktisch zu erledigenden Welt-Sicherheitsproblem begründet die erpresserische Wucht, die hinter Europas diplomatischer Initiative steckt und die den EU-3 überhaupt erst die Freiheiten eröffnet, die sie sich in ihren Verhandlungen mit dem Iran dann herausnehmen. Unter Inanspruchnahme des Rechtstitels, den die USA zur Legitimierung ihres Kriegskurses gegen den Iran bemühen, also auch mit der Gewalt im Rücken, die die Weltmacht ihrem erklärten Feind androht, sucht sich Europa gegenüber dem Iran und damit im ‚Mittleren Osten‘ überhaupt als Macht mit eigener ordnungspolitischer Kompetenz zu etablieren: Das sind die überaus friedvollen Grundlagen, von denen aus die deutsch-europäische Friedensmacht (Müntefering) Weltpolitik treibt und in die Konkurrenz um ordnungspolitische Zuständigkeit für den Iran und für die weitere Region um ihn herum einsteigt.

Die Iran-Diplomatie der EU: Wieder mal ein Stück europäisch-amerikanischer Beziehungspflege

Ganz besonders originell ist nach der Seite hin die Wortmeldung des deutschen Kanzlers, keinesfalls läge nun, nach der Zurückweisung der wohlmeinenden europäischen Erpressungsversuche durch den Iran, wieder eine militärische Option auf dem Tisch (US-Präsident Bush): Nur weil die schon längst dort liegt, kann der Mann sich zusammen mit seinen europäischen Kollegen überhaupt so großartig als friedensbewahrender Vermittler zwischen den USA und dem Iran in Szene setzen! Andererseits geht des Kanzlers wahlkampflaunige Bemerkung über die absolute Verfehltheit eines amerikanischen Waffengangs gegen den Iran – die sich ja auch schon im Irak erwiesen habe – keineswegs in bloßer taktischer Berechnung auf die Stimmen deutscher Friedensfreunde auf. Wenn sich Deutschland zusammen mit Frankreich und Großbritannien zur Macht erklärt, die sich in diesem Fall ganz hinter den militant vorgebrachten Weltverbesserungswunsch der USA stellt und die Angelegenheit eines garantiert atomwaffenfreien Iran so hoch hängt, dass Bush seine wahre Freude an den europäischen Partnern hat, so heißt das tatsächlich nicht, dass Europa sich damit geschlossen auch hinter einen Krieg gegen den Iran stellen würde, wenn die Weltmacht ihn für erforderlich hält. Untereinander wie in ihrem Verhältnis zur Weltmacht loten Europas führende Mächte vielmehr die Grenzlinie zwischen Unterstützung und friedlicher Ausnutzung der amerikanischen Kampfansage gegen den zum ‚Hort des Terrorismus‘ definierten Iran aus – und haben dabei selbstverständlich in beiderlei Hinsicht das im Auge, was sie sich von einer Zuarbeit zu Amerikas Weltordnungsinteressen einerseits, von einer Abgrenzung von denselben andererseits für sich und die Mehrung ihres imperialistischen Gewichts versprechen. Gerade dann, wenn Europas Führungsmächte sich anschicken, den Iran aus ganz eigener Macht und noch vor den USA offiziell zur Causa des Völkerrechts in Gestalt des Weltsicherheitsrats zu erklären, wollen sie ihr demonstratives Engagement an der Seite der Weltführungsmacht keineswegs als Freibrief für Amerika verstanden wissen, diese Causa nach eigenem Belieben und gemäß dem am Irak durchexerzierten Exempel bis hin zum Krieg zu eskalieren: Sie wollen diesmal Herr der Eskalation bleiben, die sie in ihrer Diplomatie mit Iran anzetteln, und keinesfalls zu Statisten degradiert werden, die unter der Regie Washingtons das für die Fragen von Krieg und Frieden einschlägige weltdiplomatische Drehbuch zu inszenieren helfen. Die laut verkündete Verweigerung eines demnächst womöglich von den USA beantragten Mitmachens im Feldzug gegen den Iran, die der deutsche Kanzler seinem transatlantischen Partner schon mal vorweg in Aussicht stellt, soll die deutsche – und idealerweise: gesamteuropäische – Distanzierung von dem Weltbefriedungsprogramm unterstreichen, das man in Washington als Option für die Erledigung des iranischen ‚Schurkenstaats‘ mit Sicherheit schon bis hin zu den letzten Details der Gefechtsführung durchkalkuliert hat.

Dieser ‚Option‘ ist damit freilich auch keine definitive Absage erteilt. Es ist kein Bluff, wenn die EU-3 der iranischen Regierung die Kriegsdrohung der USA als guten Grund verdolmetschen, auf ihr erpresserisches Vertragsangebot einzugehen, und vorab die iranische Seite für alle Weiterungen haftbar machen, die sich aus einem Scheitern der Verhandlungen ergeben. Sie sind sich vielmehr sicher, dass, wenn überhaupt jemand, dann nur sie gemeinsam den Kurs Amerikas zu beeinflussen vermögen, und das auch nur dann, wenn sie einen Verhandlungserfolg präsentieren können, den man in Washington als Auftakt zu einem hinreichenden Maß an Kapitulation des unwiderruflich geächteten Mullah-Regimes anzuerkennen bereit ist. Einen solchen Erfolg streben sie mit aller Macht an, um sich als imperialistische Weltordnungsmacht Geltung zu verschaffen. Deswegen vermeiden sie den Abbruch der Gespräche mit ihrem „Partner“ in Teheran, richten aber ihre Forderungen an dessen Adresse sorgfältig so ein, dass auf alle Fälle keine Abmachung zustande kommt, die dann von den USA als ungenügend verworfen und als weltordnungspolitisch irrelevant übergangen wird. Europas Iran-Politiker erklären ihren Vorbehalt gegen Amerikas Kriegswillen, leisten dem Führungsanspruch der Weltmacht in Fragen von Krieg und Frieden so Folge, dass er dadurch nach Möglichkeit relativiert und in seiner militanten Konsequenz ausgebremst wird, suchen deswegen den Iran zu Zugeständnissen zu erpressen, die dann, wenn man sie von ihm erfolgreich abgepresst hat, nach allen geltenden völkerrechtlichen Regeln einen Krieg Amerikas gegen diesen Staat überflüssig machen würden und von Washinton auch als Kriegsersatz anerkannt werden könnten. Eine Garantie gegen Amerikas letzte „Option“ können sie dem Iran damit aber nicht bieten; vielmehr riskieren sie mit jedem Verhandlungsergebnis die Blamage, dass es in Washington nicht überzeugt und für nichtig befunden wird, und halten sich daher konsequent die andere Variante offen, für den Fall, dass Amerika die gewaltsame Erledigung der Mullahs doch nicht für überflüssig erachtet, die Verhandlungen mit Teheran scheitern zu lassen – dann handelt es sich wenigstens nicht wieder um einen fatalen ‚Alleingang‘ der Weltmacht, wenn am Golf aufgeräumt wird, sondern um eine Gemeinschaftsaktion, weil ja Europa das Szenario mit hergestellt hat und selber die Rolle definiert, die es darin zu spielen gedenkt. So viel Dialektik muss schon sein in den politischen Berechnungen einer ehrgeizigen Weltfriedensmacht vom Kaliber Deutschlands und seiner EU-Verbündeten.

Die Dialektik hingegen, die den in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ beheimateten Fans deutscher Friedenspolitik aus den Federn fließt, ist auf einem etwas anderen Mist gewachsen – da färbt die parteiliche Beurteilung der imperialistischen Konkurrenz- und Kräfteverhältnisse den Blick auf die Realität. Wenn Amerikas Präsident zum gebotenen Anlass die Welt an seine Kriegsdrohung gegen den Iran erinnert, fragen sie sogleich: Was steckt hinter dieser Drohung? (SZ, 17.8.), und was sie dann hinter der Drohung entdecken, ist die ohnmächtige Gebärde eines Impotenten, der dem Siegeszug der deutschen Friedenspolitik einfach nichts mehr entgegensetzen kann: Die Weltmacht USA kann sich einen weiteren Krieg militärisch nicht leisten: Ihr fehlen die Soldaten, ihr fehlt es an Material, ihr fehlt es an Ressourcen. Sie findet, vielleicht abgesehen von Israel, international kein Unterstützung. … Mit einem Wort: Das Gerede von einer militärischen Option ist nichts als Bluff. (ebd.) Wie ungeschickt vom Präsidenten einer Weltmacht: Wird weltpolitisch wegen der Drohung mit einem Krieg isoliert, den er mangels Masse sowieso nicht führen kann! Und wie genial von Europa: Lässt Amerika mit Soldaten und Ressourcen drohen, die es nicht gibt, sichert darüber den Frieden auf der Welt und ist bei allen, vielleicht abgesehen von Iran, total beliebt! Und wenn dann doch alle Warnungen vor einer ‚Überdehnung‘ der eigenen Potenzen von der Weltmacht in den Wind geschlagen werden, dann liegt die Hauptschuld auf alle Fälle bei der Regierung in Teheran, die auf die Europäer nicht hat hören wollen; dann ist es ein Verdienst der europäischen Friedenspolitik, wenn aus Amerikas „Optionen“ mehr wird als ein bloßer „Bluff“; und auf gar keinen Fall wären Deutschland und Frankreich so blamabel ausgemischt und imperialistisch abgemeldet, wie es ihnen neulich im Irak widerfahren ist.

[1] Der folgende Artikel schreibt am zwischenzeitlich erreichten Stand der Dinge die Argumente fort, die in der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift in dem Aufsatz Nato heute – unvereinbare Interessen am Fortbestand einer Militärallianz, die den gemeinsamen Feind überlebt hat, dargelegt sind (GegenStandpunkt 2-05, S.45). Über Grund und Zweck der deutsch-europäischen Diplomatie mit Iran steht dort S.57ff. alles Wissenswerte.

[2] Die Zitate im Folgenden entstammen dem englischsprachigen Text des EU-Vorschlags lt. Tehran Times, 6.8.05