Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Vom Staatsbankrott zur „2. Republik“:
Erste konstruktive Einfälle zur Erneuerung Argentiniens

Der Staat ist pleite, das Land hat keinen Kredit mehr, selbst dem nationalen „Mittelstand“ werden seine Dollars nicht mehr ausgezahlt, der größere Teil der Bevölkerung krebst ohnehin ohne Geld unter dem Existenzminimum herum – und der neue Präsident Duhalde plant einen Umbau der Verfassung, eine „2. Republik“ mit einem durch Verkleinerung verbilligten Parlament und einem gestärkten Ministerpräsidenten, um so der in Misskredit geratenen Politikermannschaft das Vertrauen ihres Volkes wiederzubeschaffen!

Aus der Zeitschrift

Vom Staatsbankrott zur „2. Republik“:
Erste konstruktive Einfälle zur Erneuerung Argentiniens

Das hat den Argentiniern gerade noch gefehlt: Der Staat ist pleite, das Land hat keinen Kredit mehr, selbst dem nationalen „Mittelstand“ werden seine Dollars nicht mehr ausgezahlt, der größere Teil der Bevölkerung krebst ohnehin ohne Geld unter dem Existenzminimum herum – und der neue Präsident Duhalde plant einen Umbau der Verfassung, eine „2. Republik“ mit einem durch Verkleinerung verbilligten Parlament und einem gestärkten Ministerpräsidenten, um so der in Misskredit geratenen Politikermannschaft das Vertrauen ihres Volkes wiederzubeschaffen! Der Mann hat Nerven!

Oder genauer gesagt: Er verfügt über den Zynismus, auf den es bei Staatslenkern gerade in „schweren Zeiten“ ankommt. Gerade dann, wenn die bürgerliche Herrschaft sich mit einer zutiefst marktwirtschaftskonformen Politik, nämlich mit deren verheerenden Folgen, bei ihrem Volk total unbeliebt gemacht hat, muss absolut klar sein und bleiben: Alternativen zur bürgerlichen Herrschaft kommen nicht in Frage – und um das absolut klarzustellen, gibt es kein besseres Mittel, als jede Unzufriedenheit und Empörung im Land mit Alternativen der bürgerlichen Herrschaft zufrieden zu stellen; notfalls mit Alternativen ihrer Verfassung, wenn die des Personals nicht mehr ausreichend erscheinen, um die prinzipielle Zustimmung der regierten Massen einzukaufen. Gerade wenn ganz innerkapitalistisch das Elend explodiert, weil der nationale Kapitalismus von einer Krise größeren Ausmaßes erwischt wird und der Regierung alle Mittel fehlen, um ihr Volk wenigstens im Großen und Ganzen wieder einer gedeihlichen kapitalistischen Benutzung zuzuführen, muss umso unerschütterlicher als Selbstverständlichkeit gelten, dass für Land und Leute eine andere Sorte Wirtschaften und ein anderes Überleben als der allseitige Dienst am Wachstum des Kapitals schlechterdings nicht in Frage kommt – dafür müssen Änderungen her oder wenigstens in Aussicht gestellt werden, die daran nichts ändern. Und wenn die zuständigen Machthaber weder Mittel haben noch Wege wissen, um die kapitalistische Indienstnahme ihres Volkes wieder in Schwung zu bringen und die Lage wieder in den Griff zu bekommen, gerade dann darf auf das Ziel nicht der Schatten eines Zweifels fallen. Genau passend daher der Zynismus einer Regierung, die, während sie dem Volk weiterhin und jetzt erst recht die härtesten Lebensverhältnisse aufnötigt, der volkstümlichen Beschwerde über die ‚Korruptheit‘ der politischen Klasse, welche es an der Staatsverantwortung hätte fehlen lassen und nur sich bedient, statt dem Gemeinwesen gedient hätte, berechnend Recht gibt und sich mitten in ihrem nationalökonomischen Notstand der Frage widmet, wie dessen Verwaltung effektiver und billiger, mit einer effektiveren und billigeren Volksvertretung z.B., zu regeln wäre. Und das ganz im Sinne des IWF, der aus völlig anderen Gründen, wegen der Unzufriedenheit der internationalen Kreditgeber nämlich, den Standpunkt vertritt, dass die politische Verwaltung Argentiniens zu viel nutzlose Kosten verursacht und deswegen außer am Volk auch am politischen Betrieb mit seinen ‚überzogenen Ansprüchen‘ gespart werden muss.

So etwas funktioniert heutzutage in Argentinien – begleitet vom Lärm einer um ihre Dollarkonten betrogenen Minderheit und ein paar Supermarkt-Plünderungen, aber tatsächlich ohne Alternative. So zahlt sich aus, dass in diesem Land – und nicht bloß in diesem – mit größter Gründlichkeit alles unterdrückt und ausgerottet worden ist, was sich dort je an sozialistischen Alternativen, an Ansätzen zu ein wenig kommunistischer Vernunft in der Ökonomie, an linkem Widerstand und revolutionären Umtrieben gerührt hat. Deswegen meldet sich auch die andere „Alternative“, die gründlichste innerhalb des Systems bürgerlicher Herrschaft, nicht: Unter all den zweifellos noch vorhandenen Faschisten im Generals- und Obristenrang findet sich offensichtlich gegenwärtig keiner herausgefordert, „das Vaterland zu retten“. Vor einem „Linksruck“, einem Aufbruch in Richtung einer kommunistischen Revolution, brauchen sie es wahrhaftig nicht zu retten – und auf etwas anderes verstehen sich Argentiniens patriotische Militärs weder, noch bekommen sie von ihren mächtigen Freunden aus den Kapitalen der Freien Welt dazu einen Auftrag. Stattdessen bekommen sie Glückwünsche aus den Zentralen zur Überwachung der Menschenrechte – dazu, dass sie angesichts der ökonomischen Katastrophe, die die marktwirtschaftlichen Konjunkturen dem so systemtreu regierten Land eingebrockt haben, in den Kasernen bleiben und versprechen, nur zu schießen, wenn die gewählten zivilen Befehlshaber es befehlen.

Die kriegen unterdessen wichtigen Besuch, z.B. vom Kanzler aus Berlin, und von dem jede Menge Ermunterung, nicht locker zu lassen und vor allem den Mittelstand zu fördern. Dafür könnte es eventuell sogar den einen oder anderen neuen Kredit geben. Auf jeden Fall gibt es das Versprechen des wichtigen Kollegen, sich an der entsprechenden Stelle, beim IWF, für die wohl wollende Prüfung neuer Kreditmöglichkeiten einzusetzen, mit denen ein verarmtes Argentinien von neuem nützlich gemacht werden könnte. Auch das funktioniert also weiterhin ungebrochen: die Solidarität der demokratischen Machthaber, die zynische Internationale der bürgerlichen Herrschaft.