Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Tour de France und schon wieder Doping-Krise:
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ringt im Verein mit unserem T-Mobile-Team um die Glaubwürdigkeit des deutschen Radsports

Nachdem im Radsport schon seit Jahren ein Doping-Skandal den nächsten jagt, ein Spitzenfahrer bei der Tour de France nach dem anderen positiv getestet wird und ganze Mannschaften des systematischen Gebrauchs unlauterer Mittel überführt worden sind; nachdem sich in der letzten Saison die Gerüchte verdichtet haben, dass auch „unser“ Telekom-Team gewisse Doping-Probleme haben soll, und die Staatsanwaltschaft gegen Jan Ullrich ermittelt; nachdem dann auch noch der „saubere Neuanfang“, den die sportliche Leitung des deutschen Teams für die diesjährige Tour versprochen hat, durch eine Serie von Geständnissen bereits im Vorfeld arg ramponiert worden ist und nachdem sich dann nach der abermaligen Beschwörung eines Neuanfangs mit neuerlichen Ehrenerklärungen, strafbewehrten Selbstverpflichtungen und der heiligen Beteuerung, damit sei nun endgültig „alles auf dem Tisch“, doch noch ein paar Leichen im Keller finden – da beschließen die Programmdirektoren von ARD und ZDF den Ausstieg aus der Tour-Berichterstattung.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Tour de France und schon wieder Doping-Krise:
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ringt im Verein mit unserem T-Mobile-Team um die Glaubwürdigkeit des deutschen Radsports

Nachdem im Radsport schon seit Jahren ein Doping-Skandal den nächsten jagt, ein Spitzenfahrer bei der Tour de France nach dem anderen positiv getestet wird und ganze Mannschaften des systematischen Gebrauchs unlauterer Mittel überführt worden sind; nachdem sich in der letzten Saison die Gerüchte verdichtet haben, dass auch „unser“ Telekom-Team gewisse Doping-Probleme haben soll, und die Staatsanwaltschaft gegen Jan Ullrich ermittelt; nachdem dann auch noch der saubere Neuanfang, den die sportliche Leitung des deutschen Teams für die diesjährige Tour versprochen hat, durch eine Serie von Geständnissen bereits im Vorfeld arg ramponiert worden ist und nachdem sich dann nach der abermaligen Beschwörung eines Neuanfangs mit neuerlichen Ehrenerklärungen, strafbewehrten Selbstverpflichtungen und der heiligen Beteuerung, damit sei nun endgültig alles auf dem Tisch, doch noch ein paar Leichen im Keller finden – da beschließen die Programmdirektoren von ARD und ZDF den Ausstieg aus der Tour-Berichterstattung:

„Wir haben immer klargemacht, dass wir einen Vertrag haben über eine Rad-Tour, einen Radsport, der mit sauberen Mitteln laufen muss.“ (ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender)

Die Verantwortlichen vom deutschen Fernsehen stellen klar: Das ist nicht die Veranstaltung, die wir bestellt haben. Und, was für eine Veranstaltung haben sie bestellt? Ein Radrennen, in dem der Bessere gewinnen möge und nichts als die sportliche Fairness zählt? War da nicht noch was? Ein bisschen geht es beim Sport im Fernsehen doch schon immer noch darum, wie die Deutschen abschneiden.

Das jedenfalls ist der Gesichtspunkt von dem die ganze Sportberichterstattung lebt. Sie besteht ja überhaupt in nichts anderem als darin, dass ein ganzes Heer von Reportern und Kommentatoren vermeldet und für interessant befindet, was unter diesem Gesichtspunkt von Interesse ist. Das fängt bei der Sportart an: Sendezeit und die Aufmerksamkeit des Publikums werden konsequent auf die Sportarten gelenkt, in denen aus nationaler Sicht Erfolge zu verbuchen sind. Das breite Publikumsinteresse an einem Sport wächst, entsteht überhaupt erst und wandelt sich dementsprechend mit den Siegen, die vermeldet werden können; und es wird auch nicht anders bedient als mit Informationen darüber, mit wem man gerade mitfiebern darf, welche Chancen wir uns ausrechnen dürfen, wer unsere Hoffnungen enttäuscht hat. Ziemlich gleichgültig ist dabei, ob das Deutsche, dem man die Daumen drücken soll, eine Nationalmannschaft wie im Fußball ist, oder eine Mannschaft, die von einer deutschen Telefongesellschaft gesponsert wird, oder ein deutscher Fahrer, der im kasachischen Astana-Team mitfährt – wenn der seinem tags zuvor gestürzten Teamchef davonfahren und auf diese Weise für uns einen Etappensieg herausfahren könnte, wünscht ihm unser Reporter stellvertretend für uns schon mal viel Erfolg dabei und will gar nicht verstehen, warum sich der nicht davonmacht. Überhaupt darf man nicht allzu wählerisch sein, was den Gegenstand der Anteilnahme betrifft. Wenn gerade nichts Besseres greifbar ist, wird man mit dem Hinweis unterhalten, dass der Trainer der Schweizer Mannschaft ein Deutscher ist, es tut aber auch die Mitteilung, dass der Architekt der Sportstätte, aus der man gerade berichtet, einen deutschen Vater hat. Am schönsten ist es natürlich, es steht ein Weltstar wie Boris Becker im Tennis oder Jan Ullrich im Radsport zur Verfügung. Dann kennen die professionellen Organisatoren der Öffentlichkeit endgültig kein Halten mehr. Auf allen Sendern wird das Publikum dann dazu animiert, sich wie ein Mann hinter unsere Jungs zu stellen, auf dass sie mit ihren Siegen Ruhm und Ehre für Deutschland einlegen. Die Stimmung, in die es sich versetzen lassen soll, wird ihm in Gestalt hysterisierender ModeratorInnen in penetrantester Weise vorexerziert. Es wird auf den Standpunkt eingeschworen, dass alles, was unsere Athleten dafür tun, um an der Weltspitze mitmischen zu können, unser aller Anerkennung verdient. Der ganze Wahnsinn des modernen Hochleistungssports, den sie sich antun, um mit 40 Sachen über die steilsten Bergpässe brettern und andere außergewöhnliche Körperleistungen vollbringen zu können, wird besprochen als etwas, was ihnen unbedingt zur Ehre gereicht. Dafür sind sie der Nation umgekehrt aber auch entsprechende Leistungen schuldig, und wenn sie die schuldig bleiben, sind die professionellen Vertreter der Öffentlichkeit die Ersten, die unsere Helden gnadenlos zur Schnecke machen. Im Namen des sportbegeisterten Publikums, das ein Recht darauf hat, sportliche Erfolge zu sehen, treten sie fordernd der sportlichen Elite entgegen. So als hätten die genauso verbissen trainierenden Konkurrenten aus den anderen Nationen nicht ein Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht, wer gewinnt, verlangt man von den eigenen Sportskanonen Siege in der Leistungskonkurrenz und entblödet sich nicht, Hochleistungssportler, die sowieso nichts anderes im Kopf haben, als mit Hilfe von Trainer, Sportbund, Hochleistungszentrum, Sportmedizin, moderner Wissenschaft, Höhen- und Motivationstraining alles aus sich rauszuholen, zu bezichtigen, sie ließen es am nötigen Leistungswillen fehlen. Siehe z. B. Jan Ullrich, der sich neulich noch im Interview mit Fernsehmann Beckmann die Frage gefallen lassen musste, warum er im Winter nicht härter trainiert, wenn er im Sommer immer bloß Zweiter wird, und sich anschließend auch noch dafür zu rechtfertigen hatte, dass er mit einem Weißbier gesehen worden ist. So einer ist nach dem Urteil unseres Journalisten natürlich fehl am Platze!

Bevor sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen in seiner Eigenschaft als moralische Anstalt, der der saubere und faire Wettkampf über alles geht, mit Grausen von einer Sportveranstaltung abwendet, in der leistungssteigernde Drogen eingenommen werden, ist es also erst einmal auch im Sport als Anwalt der nationalen Sache unterwegs. Es sind die öffentlich-rechtlich bestellten Profis der Öffentlichkeit genauso wie ihre Kollegen vom Privatfernsehen, die an vorderster Front und mit der größten Unerbittlichkeit das Recht der Nation auf sportliche Erfolge vertreten. Dies tun sie selbstverständlich stets im Namen ihres sportbegeisterten Publikums. Dabei tun sie alles, um ihr Publikum entsprechend zu fanatisieren und in einen Grad an nationalistischer Verblödung reinzuquatschen, der ziemlich beeindruckend ist. Mit all den Mitteln, die die moderne Kommunikationstechnik ihnen zur Verfügung stellt und mit dem unverhohlenen Willen zur erfolgreichen Manipulation tragen sie den nationalen Erfolgsstandpunkt gnadenlos in das sportliche Geschehen hinein, bis der alles durchdringt; nichts lassen sie unversucht, um ihr Publikum in die nationale Hysterie zu versetzen, die sie rund um ein internationales Fahrradrennen verbreiten; in dem Maße, in dem ihnen das erfolgreich gelingt, wird so ein Rennen zu einem Massenereignis und Quotenrenner, auf den sich dann auch noch das große Geschäft pflanzen kann: Fernsehrechte werden teuer gehandelt, Firmen steigen als Sponsoren ein, so dass Geld beim Aufblasen des Zirkus keine Rolle spielt; sie leisten sich eigene Mannschaften, die mit großem Aufwand und allen verfügbaren Mitteln erfolgstüchtig gemacht werden; schließlich sollen sie als Werbeträger für Mineralwasser oder Speisequark ganz vorne mitfahren. Damit ist dann alles beieinander für eines jener nationalen Events, die in aller Munde sind und denen sich niemand mehr so recht entziehen kann. Wie sehr so ein event wie die Tour de France tatsächlich das Produkt einer von den Medien inszenierten Öffentlichkeit ist, sieht man nicht zuletzt daran, dass mit dem Einstellen der Fernsehübertragung, sofort die ganze Veranstaltung in Frage gestellt ist. Und die Mediengewaltigen handeln durchaus auch im Bewusstsein ihrer so gearteten Macht:

„‚Für die Veranstalter ist das eine wirkliche Bedrohung‘, sagt Brender. Ohne das Fernsehen steigen auch die Sponsoren aus. Ein solcher Boykott hätte auch Auswirkungen auf ausländische Rennställe. Die Macht des Markts Deutschland dürfe nicht unterschätzt werden, sagt Struve.“ (SZ, 19.7.07)

Im Lichte dieser ihrer Verantwortung, also auch im Bewusstsein des Gewichts ihrer Entscheidung haben sich die Spitzen der deutschen Fernsehanstalten für eine Einstellung der Übertragung entschieden. Und sie bestehen auch nach der Seite darauf, dass die Veranstaltung ihre Inszenierung ist. Sie haben eine klare Vorstellung davon, wo der faire Wettkampf aufhört und die unfaire Manipulation von sportlichen Leistungen anfängt: leistungssteigernde Veränderungen des Blutbildes durch Höhentraining gehören heute zur Vorbereitung auf den sportlichen Wettkampf, der Gebrauch von unerlaubten Dopingpräparaten aber ist grob unsportlich. Und wo letzterer überhandnimmt, nachweislich, und insbesondere das eigene Team in unsaubere Praktiken verstrickt ist, die mit ihrer Vorstellung von einem fairen Wettkampf, in dem nur die eigene Leistung zählt, nicht mehr zu vereinbaren sind, da sind sie es sich, dem Ansehen ihrer Anstalt, ihrem Publikum und dem Sport überhaupt schuldig, auf Distanz zu gehen. Sie sehen sich aufgerufen, die Glaubwürdigkeit dieser Vorstellung zu retten. Denn was für ein Eindruck entsteht da! Man könnte ja glauben, dass uns für einen Sieg jedes Mittel recht ist! Mit sportlichen Erfolgen, die unter so einem Stern stehen, kann die Nation ja nicht mehr ungetrübt Ruhm und Ehre ernten.

Weil die Frage, was für ein Bild die Nation abliefert, in der sportlichen Konkurrenz – anders als in der Konkurrenz um Geld und Macht – tatsächlich die Sache ist, auf die es aus nationaler Sicht ankommt, ergeht an diejenigen, die in dieser Konkurrenz die Nation repräsentieren der eigentümlich doppelte und in sich widersprüchliche Anspruch: Sie sollen unbedingt Konkurrenzerfolge erzielen – aber fair. Dieser Nachsatz wird immerhin so ernst genommen, dass man sich aus der Veranstaltung auch einmal zurückzieht, wenn sich der Schein ehrlichen Einsatzes nicht mehr wahren lässt. Vormachen tut sich dennoch niemand etwas über ihn. Mit der Beherzigung der Tugenden der Konkurrenz alleine, mit sportlich fairem, ansonsten aber erfolglosem Verhalten ist kein Blumentopf zu gewinnen. Umgekehrt sind Siege in der sportlichen Konkurrenz schon immer noch klar erkennbar die Hauptsache, und wenn besagter Schein einmal aufgeflogen ist, kommt die Sache mit der Ankündigung ehrlicher Bemühungen um die Wiederherstellung seiner Glaubwürdigkeit dann auch schon wieder ins Lot.