Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Eine Stadt feiert sich: das Nürnberger „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“
Vom offenkundigen Nutzen einer historischen Altlast für das moderne demokratische Leben

Die Nürnberger Kommunalpolitik will sich der Auseinandersetzung mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit positiv und offensiv stellen (Oberbürgermeister Ulrich Maly u. a., „Diskussionsbeitrag über den Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg“, 2003) und sich ihrer besonderen Verantwortung im Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften der NS-Zeit bewusst zeigen. Die Zeit, in der die Stadt Nürnberg und ihre Bürger […] die baulichen Relikte des NS-Größenwahns […] fast ausschließlich als Belastung empfunden haben (ebd.), hat sie für beendet erklärt und sich – unter anderem – ein „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ in der Kongresshalle am Nürnberger Dutzendteich eingerichtet. Das Museumsprojekt „Faszination und Gewalt“ hat internationale Preise erhalten und wird als gelungene Positionierung in der deutschen Gedenkstättenlandschaft gepriesen (Presseinformation). Als meistbesuchtes Nürnberger Museum wird es zu einem Publikumserfolg: Mehr als 200 000 Besucher aus aller Welt pro Jahr, jubelt die Lokalpresse 2014. Die Idee eines Erweiterungsbaus wird ins Spiel gebracht.

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Eine Stadt feiert sich: das Nürnberger „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“
Vom offenkundigen Nutzen einer historischen Altlast für das moderne demokratische Leben

Die Nürnberger Kommunalpolitik will sich der Auseinandersetzung mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit positiv und offensiv stellen (Oberbürgermeister Ulrich Maly u. a., „Diskussionsbeitrag über den Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg“, 2003) und sich ihrer besonderen Verantwortung im Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften der NS-Zeit bewusst zeigen. Die Zeit, in der die Stadt Nürnberg und ihre Bürger […] die baulichen Relikte des NS-Größenwahns […] fast ausschließlich als Belastung empfunden haben (ebd.), hat sie für beendet erklärt und sich – unter anderem – ein „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ in der Kongresshalle am Nürnberger Dutzendteich eingerichtet. Das Museumsprojekt „Faszination und Gewalt“ hat internationale Preise erhalten und wird als gelungene Positionierung in der deutschen Gedenkstättenlandschaft gepriesen (Presseinformation). Als meistbesuchtes Nürnberger Museum wird es zu einem Publikumserfolg: Mehr als 200 000 Besucher aus aller Welt pro Jahr, jubelt die Lokalpresse 2014. Die Idee eines Erweiterungsbaus wird ins Spiel gebracht.

Allgemeine Einigkeit besteht darüber, dass Kulturpolitiker, Architekt und Ausstellungsmacher eine ungeheure „Herausforderung“ bravourös gemeistert haben. Aber worin besteht die eigentlich? Warum identifizieren sich die Stadtoberen in Nürnberg und anderswo immer aufs Neue hochoffiziell und feierlich mit ihrem „braunen Erbe“ von Vernichtungskrieg und Völkermord, nur um sich ebenso feierlich wieder davon zu distanzieren? Was ist, mit anderen Worten, Verantwortung im Umgang mit baulichen Hinterlassenschaften?

Geschichtspflege …

Wie noch alle Regierenden sehen sich auch Nürnbergs Stadtväter in einer historischen Tradition, deren Kontinuität sie durch Denkmalschutz und -pflege, Gedenkstunden und die Förderung von Geschichtsvereinen bekräftigen. Diese Tradition weist Höhepunkte auf, die man unschwer an ihrer überregionalen Berühmtheit erkennt und auf die „die Stadt“ stolz sein kann. Dass Albrecht Dürer hier vor 500 Jahren Bilder gemalt hat, macht ihn zu „unserem“ Künstler, was dadurch sinnfällig wird, dass man sein Haus in der Altstadt heute noch besichtigen kann. Die Kulisse der Burg gemahnt daran, dass die Leute schon in früheren Zeiten, wenn auch irgendwie anders als heutzutage, regiert worden sind. Auch die düsteren Seiten der Geschichte (Lochgefängnisse!) werden mit wohligem Gruseln zur Kenntnis genommen. Unter dem Obertitel „unsere Geschichte“ wird das Disparatestes zur Einheit, und in jedem Fall sind die Relikte der Vergangenheit – mindestens – interessant. Was jeweils wie des Gedenkens für wert befunden und zum Gegenstand von Ausstellungen und Festreden gemacht wird, ist Sache der aktuellen Ausgestaltung, die die Heimatpfleger ihrer „Erinnerungskultur“ angedeihen lassen wollen. Die besteht im Ausmalen der Bedeutung, die „die Vergangenheit“ für „uns“ haben soll, und ringt um Deutungen der „Identität“ eines fiktiven, Zeiten übergreifenden Kollektives, die dem realen kommunalen oder nationalen Standort seinen höheren Sinn gibt. Traditionen werden zurechtgeschnitzt, auf die man sich dann beruft, und bringt sie an den hierfür hergerichteten „Erinnerungsorten“ zur Anschauung. Wer sich so mit seinem Bürgermeister auf die Suche nach den „genetischen Fingerabdrücken unserer Stadt“ (Maly beim Neujahrsempfang 2013) begibt und „sich“ an 900 Jahre Nürnberger Geschichte „erinnert“, schließt sich mit der Verwaltungseinheit, in der sein Finanzamt steht, in der er arbeitet und sich mit seinem Vermieter herumärgert, auf sehr prinzipielle Weise geistig zusammen. Er lässt sich ein auf die prüfungslose Parteinahme für die Ortschaft, in die es einen verschlagen hat, in der man eben „zu Hause“ ist: „Heimatverbundenheit“, das bedeutet, Parteilichkeit als Standpunkt zu praktizieren, ohne jede Prüfung, ohne jedes Argument, ob die Sache, für die man da Partei ergreift, das denn auch verdient. Heimat – diese Kategorie des prinzipiellen, unbegriffenen Dafürseins – ist dann umgekehrt der Standpunkt an dem Gott und Welt überprüft werden – und das so sehr, dass sich diese Gewohnheit ins Gefühlsleben einprägt. Dann empfinden vernunftbegabte Menschen tatsächlich als Nürnberger, Franke, Deutscher...

Die Pflege dieser schlechten geistigen Gewohnheit wird (auch) mit kommunalen Mitteln propagiert und gefördert und erhält durch Stadtjubiläen und Ausstellungen immer neues Futter. Mit dem Stadttourismus wird sie zum gutgehenden Geschäft, das seine Angebote Zugereisten aus dem In- und Ausland unterbreitet, die genauso denken und sich weltoffen gerne auch andere „Kulturen und Mentalitäten“ zu Gemüte führen.

… nach/trotz/wegen Geschichtsbruch

Auf der Suche nach Nürnbergs „genetischen Fingerabdrücken“ stößt OB Maly auf drei Kandidaten: Da wären zunächst „das spätmittelalterliche Nürnberg und das der Renaissance“. Daran „erinnern wir „uns“ auf jeden Fall immer wieder gerne. Wurscht, was die Nürnberger in ihren spätmittelalterlichen Verhältnissen sonst noch alles getrieben haben, irgendwie haben sie es – zumindest im „kollektiven Erinnern“ ihres derzeitigen Oberbürgermeisters – zu „weltweiten Handelsaktivitäten“ gebracht – die ihm heute noch als lobenswerte fränkisch-genetische Eigenschaft einleuchten. Und dann erst die Renaissance, künstlerisch-politisches und intellektuelles Zentrum Europas – Allmächd! Was „wir Nürnberger“ alles geleistet haben – ist eindeutig „mehr als nur Nürnberger Stadtgeschichte“.

Das gilt allerdings auch für den Kandidaten Nr. 3 – „der Zeit ...zwischen Nürnberger Gesetzen und Nürnberger Prozessen“: „Auch das gehört zum kolletiven Gedächtnis.“ Und hier lässt sich das übliche Verfahren, mit dem sonst alles, was – durchaus mit Licht- und Schattenseiten – als Vorläufer der heutigen Heimat ausgemacht wird, als „unsere Vergangenheit“ hochgehalten und geschätzt wird, nicht so reibungslos anwenden. Denn hier darf Vergangenheit nicht gefeiert, hier muss sie „bewältigt“ werden – und das verlangt die Bewältigung des Widerspruchs, in den begriffslosen Standpunkt der Heimatpflege und -liebe, der eigentlich keine reflektierte Distanz zulässt, ein Stück Distanzierung von „unserer Geschichte“ einzubauen.

In diesem Sinne haben sich die Nürnberger Heimatpfleger dem „Erinnerungsort“ Reichsparteitagsgebäude gewidmet und die Sache in bester bundesdeutscher Nachkriegs-Vergangenheitsbewältigungs-Kultur endlich ins „kollektive Stadtgedächtnis“ eingemeindet. Statt die architektonische Nazihinterlassenschaft, auf die sie nicht stolz sein können, links liegen zu lassen und die Kongresshalle für die triviale Nutzung (Katalog, S. 13), für Trachtenschauen und andere Veranstaltungen freizugeben, wie es die Stadtpolitik lange getan hat, sagen die modernen Lokalpatrioten dem weißen Flecken auf der Landkarte geschichtsbewusster Selbstbeweihräucherung entschlossen den Kampf an. Sie bekennen sich zum Nationalsozialismus als ihrem Erbe, erklären es zugleich zur ganz und gar un-deutschen, in keinerlei Kontinuität stehenden Un-Politik und retten so den „schwierigen Erinnerungsort“ für die kommunale Selbstfeier.

„Das ehemalige Reichsparteitagsgelände ist im Gegensatz zu zahlreichen Gedenkstätten […] ein historischer Ort der begeisterten Zuschauer, Mitläufer und – im weitesten Sinne – Täter. Mit ihm kann man deshalb nicht nur pragmatisch umgehen.“ (Maly-Vorwort zum Ausstellungskatalog) – „Nürnberg gab aber (!) auch den Prozessen seinen Namen, in denen nach Kriegsende die Taten der schlimmsten Kriegsverbrechen während der NS-Zeit geahndet wurden“ (ebd.) – „Das ehemalige Reichsparteitagsgelände ist heute als Chance zu begreifen […], sich am Beispiel von einzigartigem, authentischem Anschauungsmaterial mit der Zeit des ‚Dritten Reichs‘ auseinandersetzen zu können. Und als Chance, der Welt zu zeigen, dass das Nürnberg von heute mit dem Nürnberg unterm Hakenkreuz nicht das Geringste mehr zu tun hat, sondern vielmehr vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte aktiv die Auseinandersetzung sucht.“ (Diskussionsbeitrag 2003)

Aus der Sicht moderner demokratischer Heimatpflege stellt sich Nürnbergs faschistische Vergangenheit als eine Art Alleinstellungsmerkmal dar, aus dem die Stadt eine besondere historische Verantwortung ableiten kann. Dass die Weltkriegssieger symbolträchtig in der Stadt der Reichsparteitage über die unterlegenen Machthaber zu Gericht saßen, kann man Nürnberg zugute halten – was die Kommunalpolitik schlicht und einfach dadurch beweist, dass sie es tut. Auf die Nürnberger Prozesse ist sie stolz und macht sie dadurch zu ihren. So, als Geläuterte, können die Nürnberger sich ganz zur Heimat bekennen und auch und gerade die „finsteren Seiten“ ihrer Vergangenheit in den Geschichtskult einbauen. Sie müssen nur die Feier „großer Söhne der Stadt“, die andernorts betrieben wird, um den sensiblen Umgang mit ihrem „schwierigen Erbe“ ergänzen und die nicht-triviale Nutzung nationalsozialistischer Wirkungsstätten mit viel demonstrativem Ringen um antifaschistische Verantwortung verbinden. In diesem Sinne sind die Nürnberger Kulturpolitiker in die „Offensive“ gegangen und haben sich einen Drahtseilakt der Erinnerungsarbeit verordnet. Auf dem Reichstagsgelände, wo die Nazis demokratische Willensbildung durch rein emotionale Faszination ersetzt haben sollen, wird mit einem Museumsbau, der der Distanz der Stadt zu den Nazis stimmungsvoll Ausdruck verleiht, entschlossen zurückfasziniert.

Von den Schwierigkeiten, Distanz erlebbar zu machen

Nun mag das Anschauungsmaterial des Reichsparteitagsgeländes einzigartig und ungemein authentisch sein – die gewünschte Richtung der Auseinandersetzung gibt es dem Betrachter nicht vor. Die Heimatpfleger selbst beschwören ja seine Faszination und trauen der Architektur im Dienst von Propaganda und Machtdemonstration (Katalog, S. 42) im Verein mit bühnendramatischen Inszenierungen der Macht (Vorwort Oscar Schneider) einiges an vereinnahmender Wirkung zu. Die Auffassung, dass der „Erinnerungsort“ Auswuchs eines unbegreiflichen Fehltritts deutscher Geschichte ist, dessen Verurteilung das gute, neue, demokratische Nürnberg adelt, ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Anstarren der alten Steine. Ausgerechnet dieses polit-moralische Urteil wollen die Denkmalpfleger aber der Empfindung der Museumsbesucher nahebringen und den Unwert des „braunen Erbes“ zum Gegenstand unmittelbaren Erlebens machen.

Also tun sie etwas dafür, dass hier sight seeing auch im richtigen Sinne stattfindet, und verbinden das Vorzeigen der historischen Gemäuer mit einer historischen Bewertung und der eindeutigen Stellungnahme unseres demokratischen Gemeinwesens (Maly-Vorwort). Eine Ausstellung dokumentiert bild- und beispielreich Propaganda, Terror, Kriegs- und Rassenpolitik der Nazis, wirft die Frage auf, wie „es dazu kommen konnte“, und hat damit auch schon die eindeutige Antwort gegeben, auf die es ihr ankommt: Mit den guten Traditionen unserer deutschen Geschichte hat dieser „Zivilisationsbruch“ jedenfalls nichts zu tun.

Um diese Botschaft sinfällig rüber zu bringen, kann es dann gar nicht genug von der rein emotionalen Gemeinschaftsbildung durch erhebende Erlebnisse und Gefühle (Katalog, S. 35) geben, die die Ausstellungsmacher den Nazis ankreiden.

„Ein 110 Meter langer Gang aus Glas und Stahl durchschneidet die nationalsozialistische Herrschaftsarchitektur der Kongresshalle. Dieser dekonstruktivistische Schnitt des Grazer Architekten Günther Domenig durchbricht die Monumentalität und die strenge Geometrie des Nazibaus. Mit dem Einbruch in das rechtwinklige System setzt Domenig ein Zeichen zeitgenössischer Architektur und bezieht eine überzeugende Gegenposition.“ (Presseinformation)

Das Nazimonument wird um ein (möglichst schlecht) dazu passendes Zweitmonument ergänzt, das dem Gefühl des Betrachters durch ästhetischen Nachhilfeunterricht – schräge Monumentalarchitektur, wenn das kein Konter auf faschistische Gradlinigkeit ist – auf die Sprünge hilft. Die postmoderne Verfremdung des Protzbaus unterstreicht dessen Charakter als Dokument von Unkultur und holt ihn so heim ins Reich der demokratischen Traditionspflege. Dunkle Räume, die mit düsteren minimalistischen Klängen beschallt werden, unverputzte Ziegelwände und überhaupt der gigantische Torso der Kongresshalle, deren Innenhof sich wie ein gewaltiger Ziegelsteinbruch (Katalog, S. 19) ausnimmt, weisen der Faszination des Publikums den Weg. Dass das rohe, unverputzte Backsteinmauerwerk […] jenseits aller Mythen und Verklärungen die Banalität des Größenwahns zum Ausdruck bringt (Katalog, S. 20), hätte man zwar bei allem arichtektonischem Aufwand ohne die Bedienungsanleitung des Architekten, die hier zitiert wird, auch wieder nicht gemerkt – aber wie dem auch sei. Der dekonstruktivistische Schnitt rettet die baulichen Relikte des Terrorregimes für den nationalen Selbstgenuss, und wir können mit leisem fränkischem Stolz sagen, dass unser Nürnberger Weg der Erinnerungskultur beispielgebend für andere ist. (Neujahrsempfang 2013) Dafür ist er ja schließlich auch da.