„Kanzlerdämmerung“: Eine Nation hadert mit ihrem Führer
Vom Kanzler der Einheit zum Kanzler des Niedergangs?

Die deutsche Nation stellt die Erfolgsfrage, macht daraus ein Führungsproblem und wird darüber ob ihres Kanzlers verdrossen.

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Gliederung

„Kanzlerdämmerung“: Eine Nation hadert mit ihrem Führer
Vom Kanzler der Einheit zum Kanzler des Niedergangs?

1. Wie sich die Zeiten ändern

In den Jahren 1990 ff. war der Kanzler auf dem „Höhepunkt seiner Macht“ und seines Ansehens. Die DDR war einverleibt, die Deutschmark kräftig, der soziale Friede sicher, die Stimmung super, das Ausland begegnete uns mit Respekt. All das galt als Verdienst Kohls: Er hatte den „Atem der Geschichte“ beim Schopf gepackt, die Währung hart gemacht, seinen Laden im Griff, war von Paris bis Moskau willkommen. Man nannte ihn „Vater der Einheit“, unseren „Bismarck in Strickweste“, „Kanzler für Generationen“ oder einfach „Helmut! Helmut!“. Frühere Nörgeleien bezüglich Regierungsstil („Aussitzen“) und Intellekt („Birne“) wichen Bewunderung für „die Machtmaschine“ Dr. Kohl. Logische Konsequenz: Null Chancen für innerparteiliche Kritiker und parlamentarische Opposition, deutscher Rekord im Dauerregieren. Der Spiegel, 1995:

„Deutschland ist wieder da. Kohl verkörpert es, mit der Wucht seiner zweieinhalb Zentner.“

Jetzt ist Deutschland immer noch da und Kohl nicht dünner geworden. Dennoch: Der Zenit ist überschritten, das System Kohl und mit ihm gleich das ganze Modell Deutschland am Ende (SZ, 1997). Die Einverleibung der DDR hat einen Berg Schulden hinterlassen, DM und Wirtschaft sind auf Talfahrt, die Stimmung auch, das Ausland begegnet uns mit Mißtrauen. An all dem kann nur eines schuld sein: Der Kanzler schwächelt. Man hört, Kohl ruhe sich auf den „Lorbeeren der Einheit“ aus, „sonnt sich in vergangenem Ruhm“, ist womöglich krank, jedenfalls sind ihm „die Zügel längst entglitten“, und es wird wieder mächtig „ausgesessen“ in Bonn. Erstmals kratzen CDU/CSU-Leute am „Denkmal“ Kohl, sinnieren über den Nachfolger, und die bis dato beeindruckte Opposition wird keck: Danke, Helmut, es reicht!

2. Wie sich die Bilder doch ähneln

Lustigerweise hat sich an der Optik, die den Chef der Regierung erst gut und dann schlecht aussehen läßt, gar nichts geändert. Daß sich einer nämlich auf dem „Höhepunkt seiner Macht“ und deshalb seines Ansehens befindet, ist die Grundrechnungsart demokratischen Personenkults: Der Lack, der von Kohl abblättert, ist der, den er, seine Partei und die mitdenkende Öffentlichkeit aufgetragen haben. Die Kriterien, an denen der Kanzler sich heute diskreditiert, sind exakt dieselben, die bis vor kurzem seinen legendären Ruf begründeten. So gesehen ist der aktuelle und manifeste Zweifel an der Führungskraft des Kanzlers Produkt seiner eigenen Lebenslüge vom personifizierten Staatserfolg[1] – und Kohl ihr prominentes „Opfer“.

Wenn demokratische Politiker von ihrer Verantwortung reden, die sie für die Zustände im Land haben, dann tun sie dies nie in dem banalen Sinne, daß sie eben über die Gewalt verfügen und ihre Macht dafür einsetzen, die Lebensbedingungen der Bürger ihren nationalen Zwecken zu unterwerfen. Die „Verantwortung“, an der sie immerzu schwer „tragen“, spricht von keiner Staatsräson, die sie über die Leute errichten und gegen diese durchsetzen, sondern ist eine liebgewonnene Manier der Selbstdarstellung. Ihr politisches Programm pflegen sie in Handlungen zu übersetzen, die sie ihrem Volk, der Nation, manchmal noch unbestechlicheren Auftraggebern wie der Geschichte oder der Vorsehung, einfach schuldig sind. Nach dieser Logik hat sich und wurde Helmut Kohl, der „Vater der Wiedervereinigung“, zum Auftragnehmer einer unabweisbaren, höheren Notwendigkeit stilisiert; und dieselbe Logik wird jetzt gegen ihn verwendet. Was nur gerecht ist, denn der Zerlegung eines Denkmals geht die Denkmals-Pflege voraus und der De-montage die Montage einer Leistung, an der nicht nur die Bilder nicht stimmen: Wer sich der Vaterschaft gleich fünf neuer Länder und seines historischen Gespürs rühmt, ein Ei zu befruchten, das der wundersame „Mantel der Geschichte“ in den „Zug der Einheit“ legte, muß sich nicht wundern, daß die patriotisch erregte Gemeinde irgendwann sauer wird, wenn das Kind nicht so blühend gedeiht wie versprochen. Das Rütteln am Denkmal erfolgt nach eben diesem Muster. Die Reminiszenz an den Kohl von 1990 lebt von der heimatverliebten und nicht gerade selbstgenügsamen Legende, das „zupackende Machtbewußtsein“ seines Anführers und die Achtung, die er im Ausland genießt, werde dem vergrößerten Deutschland schon jenen „Platz in der Welt und der Geschichte“ verschaffen, von dem der Kanzler gerne sagt, daß er der Nation schlicht und ergreifend „gebührt“. Sachlich betrachtet gilt die nationale Enttäuschung dem Umstand, daß dieser bescheidene Anspruch so flott und so reibungslos nicht an Gültigkeit gewinnen will; zur subjektiven Bewältigung hält sie sich lieber an die Parole: „Auf den Kanzler kommt es an!“ Von den wirklichen Absichten und Kalkulationen des DDR-Anschlusses braucht dieser politische Verstand gar nichts zu wissen: Genau so, wie er Kohl gestern als Glücksbringer von Freiheit, D-Mark und Privateigentum willkommen hieß, macht er ihn heute für den Mißerfolg des „Aufbaus Ost“ haftbar. Dingfest gemacht an einem sichtbaren Verfall seiner Führungspersönlichkeit:

„Der Kanzler, kein Zweifel, zeigt Schwäche statt Führung.“ (WAZ)

Mit der nicht ganz geglückten Einheit hat diese Klage, wie sie derzeit landauf landab kursiert, allerdings nur noch vermittelt etwas zu tun. Der bemühte Vergleich mit dem „entschlußstarken, auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft stehenden“ Kanzler der glorreichen Wiedervereinigungstage ist elementarer und rührt aus einem akuten Zweifel, den Stand und den Weg Deutschlands betreffend. Die Nation bilanziert ihre Lage als einigermaßen verkorkst und seufzt – nach guter Führung.

3. Wie aus der Erfolgsfrage ein Führungsproblem wird

So übertrieben die Nation den Zugewinn an sachlichem und menschlichem Inventar, die Expansion des Kapitalstandortes und die internationale Spitzenstellung ihres Geldes wie eine Sicherheitsgarantie ökonomischen Wachstums und politischer Macht zu feiern pflegte, so dramatisch registriert sie jetzt, daß die Rechnung nicht aufgeht. Wo die imaginierte Berechtigung der harten Mark und des Exportweltmeisters, Erfolge ohne Ende einzufahren, deutsche Herzen und Hirne bislang notorisch zuversichtlich stimmte, da herrscht nun das blanke Leiden: Die harte DM ist zur Flauwährung geworden, muß sich mit Flauwährungen wie Lira und Drachme vergleichen lassen (Bild). Selbst die 4,7 Millionen Ausgemusterten zählen nicht mehr als vielleicht bedauerlicher, aber unabdingbarer Preis deutscher Konkurrenzfähigkeit, sondern erinnern uns an die Zeiten einer Republik, bei deren Namen jeder gebildete Bundesdeutsche sofort an Fäulnis und Untergang denkt: „Die Arbeitslosigkeit hat mit 12,2% den höchsten Stand der Vor-Nazi-Zeit erreicht“ (SZ). Kurzum: Deutschland steckt bis zur Halskrause in der Krise (kontraste, ARD).

Eine höchst nationalistische Diagnose. Dem Notruf ist unschwer zu entnehmen, daß die Betonung auf Deutschland in der Krise liegt. Anderswo, bei den bekannten Schwachmanen wie Italienern und Griechen mit ihren verrufenen Flauwährungen, wundert uns ja nichts; aber Krise hier bei uns? Die D-Mark, der einstige „Musterknabe“ unter den Geldern, „um die uns alle Welt beneidete“, am Absacken? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Soll es jedenfalls nicht. Einfach zu verzeichnen, daß der Musterknabe dann eben kein Musterknabe mehr ist; nüchtern festzustellen, daß die Entwertung der Nationalkredite sich nicht auf die auswärtigen Konkurrenten eingrenzen läßt; die patriotische Hybris ad acta zu legen, desolate Bilanzen, notleidende Märkte und faule Währungen wären ein natürliches Vorrecht des Auslandes und gehörten ausschließlich dort bereinigt – all das kommt selbstredend nicht in die Tüte. Aus dem betrüblichen Befund der Vergleichbarkeit mit verachteten Nachbarn folgt eine Erkenntnis ganz anderer Art. Wenn die Krise uns jetzt auch, sprich: doch erwischt hat, dann fällt Patrioten dazu nur eines ein: Da ist eingetreten, was eigentlich nicht eintreten darf. Wenn das, was Deutschland zusteht, nicht mehr erreicht wird, dann muß hier etwas vergeigt worden sein. So kommt die Schuldfrage auf den Tisch der Nation.

Mit „Krise“ ist deshalb nicht nur ein zu kleines Plus vor den Wachstumsziffern gemeint, auch keine bloß vorübergehende „Konjunkturdelle“; der fundamentalistische Befund belegt die gesamte Nation mit dem Verdacht eines ziemlich verrotteten Gemeinwesens. Die Selbstkritik wird nicht nur ganz unten fündig – daß die Unbrauchbaren, Kranken und Alten „uns“ zu teuer kommen, ist schon länger bekannt –, sondern landet letztlich ganz oben. Per schöpferischer Umkehrung der Formel, daß Deutschland alles Glück seinem Kanzler verdankt, verdankt es ihm eben auch alles Unglück. Die Schuldfrage lebt von dem Wahn, der „Verantwortung“ der politischen Führer eine Wirkung einzuschreiben, die sie niemals haben kann: Die Machtmittel der Nation sollen sie nicht nur gebrauchen, sondern dadurch auch deren Erfolg herbeiführen; über diese Machtmittel sollen sie nicht nur gebieten, sondern deren national gewinnbringenden Einsatz gleich mit garantieren. Die Übertreibung der Macht in die Allmacht der Herrschaft und deren gekonnte Ausübung stellt das wirkliche Verhältnis auf den Kopf: Keine Nation ist so „stark“ wie ihr Präsident, keine Währung so „hart“ wie ihr Zentralbankrat, sondern jeder Machthaber so „gut“ oder so „schlecht“ wie die Potenzen, die der Landstrich hergibt, den er regieren darf.[2]

Mit dieser Wahrheit gibt sich die öffentlich-rechtliche Kontrollkommission für gutes Regieren in Deutschland allerdings nie zufrieden: Sie ermittelt einen gewaltigen Mangel an Führung. Die Stichworte, die pathetische Apostrophierung „der großen Aufgaben, die vor uns liegen“ – unter „Lösungen, die bis ins nächste Jahrtausend halten“, soll die Politik nicht mehr davonkommen! –, bezeugen die enorm hohe Anspruchshaltung, von der die Krisenszenarien inspiriert sind. Steuerreform 2000, „Abenteuer Euro“, der Wettbewerb auf den „globalisierten Märkten“, neue Weltordnung: Da tut straffe Führung not. Die auffällige und zunehmende Bitternis, mit der sich die Bonner Zeichendeuter heute in die Gemütslage des Kabinetts hineinfühlen, zeigt, wie sehr und woran die kritisch-konstruktiven Begleiter der Politik leiden. Sie wähnen sich von ihren eigenen Führern betrogen: um das Recht der Nation auf Erfolg, der Deutschland immer noch und nun umso mehr gebührt.

Ein solcher Zweifel nagt mittlerweile bis in die Regierungsparteien selbst. Woher sonst als von den Blüms, Wulffs und Westerwelles schließlich wüßte die bekümmerte Presse, daß der Kanzler „angeschlagen“ ist, wenn die es wagen, öffentlich „mangelnde Rückendeckung“ zu beklagen oder das „Ende des Systems Kohl“ zu verkünden, und damit dessen unwidersprechliche Autorität in Frage stellen?

4. Der Kanzler hat’s vergeigt, der Kanzler soll’s richten

Abgeschrieben ist ein Kanzler aber noch lange nicht, wenn solcherlei Reklamationen sein Schaffen begleiten. Die allenthalben ventilierte Vermutung, der Meister könne die schwierige Lage durch Schleifenlassen der Zügel selbst herbeigeführt haben, kennt das Rezept der Abhilfe ja schon: die harte Hand. Und die hat zuallererst er zu beweisen. So ein richtiges Machtwort müßte Kohl jetzt sprechen. Dem Volk die anstehenden Opfer verklickern; ungeschminkt, wie die Opposition verlangt; ihm dadurch Mut zusprechen; es orientieren, wie sich der Nachwuchspolitiker im Propaganda-Seminar auszudrücken lernt. Wo bleibt die geistig-moralische Führung, die uns an Ihnen so gefiel, Herr Kanzler? Danach sucht die deutsche Öffentlichkeit und findet es nicht. Also wird sie maulig und fordert Kohl auf, sich seiner „Führungskompetenz“ zu entsinnen:

„Schließlich werden Kanzler in Deutschland kaum wegen Unfähigkeit abgesetzt so wie in Ecuador der verrückte Präsident. Wie die Dinge liegen, hat es Kohl immer noch selbst in der Hand, ob er bleiben, ob er es im nächsten Jahr gar noch einmal wagen will.“ (WAZ)

Die Unzufriedenheit muß schon ziemlich grundsätzlich beschaffen sein, wenn der Vorsitzende Großdeutschlands in höflichen Andeutungen mit dem Häuptling eines Bananenstaates verglichen wird. Das verweist auf ihre Herkunft:

Hier führt die Ungewißheit die Feder, ob die Potenzen der Nation den Status einer schlagkräftigen europäischen Führungsmacht wirklich hergeben. Ihr sachliches Material bezieht die vielzitierte Ratlosigkeit des Kanzlers aus der Frage, ob die Nation sich mit der Einschwörung auf „Sparen für Europa“ nicht tatsächlich der Freiheit des Regierens und des machtvollen Korrigierens unerwünschter Lagen begeben hat. Ausgetragen wird dieses Bedenken freilich auf einem ganz anderen Feld: Regierungskunst und Tatkraft des Kanzlers stehen auf dem Prüfstand und deshalb – Ironie der Geschichte! – kann der es momentan kaum einem Nationalisten recht machen. Ob Gesundheits-, Steuer- und Rentenreform oder die Kollisionen mit den europäischen Partnern, überall die gleiche Skepsis: „Bringt’s“ der Kanzler noch? Indizien der Sorge sind die immer gleichen Bilder: Zur Rekordarbeitslosigkeit findet er kein anderes Wort als das von der „schwärzesten Zahl meiner Amtszeit“; überhaupt läßt sich Kohl lieber im Ausland hofieren als zuhause dazwischenzuhauen. Das wirft Fragen auf: Besitzt der Kanzler die nötige Spannkraft, die fälligen sozialen Entbehrungen zu verordnen? Wird ein innenpolitisch lädierter Kohl im Ausland noch ernstgenommen, oder ist die demonstrierte Stärke nur Fassade und wenig dahinter? Versteht der Mann womöglich viel von Einheit, aber nichts von der Wirtschaft? Geht der Kanzler der Wiedervereinigung am Ende als Kanzler der vergeigten Mark in die Geschichtsbücher ein?

Endgültig offenbar wurde das Prinzipienreiterische der Führerschelte ausgerechnet an dem Bild-Interview vom Aschermittwoch, in dem Kohl „dieses schäbige Krebs-Gerücht“ mit einem kraftvollen „Maßhalte-Appell“ an die Lohnabhängigen der Nation widerlegte:

„Ich halte es für absolut zumutbar, daß diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, einmal für einige Jahre kürzer treten oder ganz auf einen Reallohnanstieg verzichten.“

Gut gebrüllt, Kanzler, sollte man meinen. Mutlos, unbeholfen und ohne Visionen nannte die Öffentlichkeit jedoch diese Ankündigung weiterer Verarmung und legte den Aschermittwoch einmütig als „historisches Datum des Beginns der Kanzlerdämmerung“ fest. Was ist verkehrt, wenn Kohl Lohnkürzungen zur „Sicherung des Standorts Deutschland“ empfiehlt? Die Lohnkürzung selber sicher nicht, für die er auch in seiner nächsten Amtszeit geradestehen will. Was an den einigen Jahren stört, ist vielmehr dies: Eine Regierung, die „die Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zur Jahrtausendwende“ ankündigt, die den Euro dogmatisch als Heilsweg Deutschlands in eine bessere nationale Zukunft preist und dafür einen „Katalog der Grausamkeiten“ nach dem anderen verordnet, die muß sich an ihrer eigenen Erfolgsbestimmung messen lassen. Grausamkeiten? Aber immer. Nur: Wo bleibt deren versprochener Ertrag? Der ist fragwürdig geworden; darum und nur darum gelten die Opfer, die der Kanzler in Aussicht stellt, als fragwürdig. Es ist nämlich nicht abzusehen, daß sich durch sie etwas ändert. Was haben wir eigentlich von Sparpolitik und permanent steigender Arbeitslosigkeit? Wofür lohnen sich verwahrloste Rentner und billiger gemachte Kranke? Auf einmal sind Entlassungen und Kurzarbeit nicht mehr das, als was sie bisher gegolten haben – erfolgversprechende Rationalisierungsmaßnahmen für die Durchsetzung deutscher Kapitalisten auf den „Zukunftsmärkten“ – sondern Indiz für eine Notlage: Nunmehr gilt die dramatische Beschäftigungs-Lage als Zeugnis schwerwiegender Versäumnisse der Vergangenheit und Beweis für eine alarmierende Vernachlässigung der Aufsichtspflicht der Führung, unseren schönen „Standort“ betreffend. Der Verdacht die Nation sei nicht mehr imstande, ihre Leute lohnend zu verwenden, die Befürchtung, der Sparhaushalt mache unsere Mark kaputt, addieren sich zu der grassierenden Beschwerde, der Kanzler sei zu schwach, um seiner heiligsten Pflicht nachzukommen: den „Standort Deutschland“ aufzumöbeln.

*

Die Nation nimmt ihren Kanzler ideell in die Erfolgspflicht und wird darüber verdrossen. Welche „Qualitäten“ sie von seinem möglichen Nachfolger erwartet, ist damit auch schon klar.

[1] Die Logik dieses geistigen Bedürfnisses ist erklärt in GegenStandpunkt 1/2-96, S.161: „Politik und Persönlichkeit in der Demokratie. Der Beitrag der Charaktermaske zur Freiheit der Staatsmacht“

[2] Kleines Gedankenexperiment: Das „Modell Deutschland“ schickt Tietmeyer nach Rußland, Rubel sanieren, und Kohl nach Albanien, Marktwirtschaft aufbauen. Das gibt eine „Kanzlerdämmerung“!