Lichterketten für Deutschland
Die Politik sorgt für ein asylantenfreies Deutschland – das Volk demonstriert für den guten Ruf der Nation

Mit dem „Asylkompromiss“ wird das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft und qua Ernennung der Nachbarschaft zu „sicheren Drittstaaten“ ganz Europa dafür verantwortlich gemacht, dass kein Flüchtling legal nach Deutschland kommt. Ausländerfeindliche Bürgeraktionen werden damit durch die rechtsstaatliche Praxis der Regierung überholt. Das hindert gute Menschen aber nicht, gegen rechtsextreme Ausschreitungen und damit für den guten Ruf Deutschlands zu demonstrieren.

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Lichterketten für Deutschland
Die Politik sorgt für ein asylantenfreies Deutschland – das Volk demonstriert für den guten Ruf der Nation

Ausländerfreundliches Engagement – auf den Straßen…

In der Vorweihnachtszeit des Jahres 92 wurde die politische Kultur der Nation immens bereichert. Der saisonbedingten Sentimentalität, die sonst ins adventliche Hunger-Spendenwesen fließt, wurde in diesem Jahr ein brandaktuelles Betätigungsfeld geboten: „Mein Freund, der Ausländer!“ war angesagt. Und alle deutschen Menschen, die guten Willens sind, kamen. Nach den bekannten „entsetzlichen Vorkommnissen der letzten Monate“ wurde landesweit „Flagge gezeigt“ und „Nein zu Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus“ gesagt. Das Ergebnis war ein wirklich stimmungsvoller Advent:

Keine deutsche Großstadt ohne ausländerfreundliche Lichterkette; Teilnehmerzahlen unter 100 000 gelten im nationalen Städtewettbewerb um tatkräftige Ausländerfreundschaft schon fast als Blamage; das unvermeidliche „Rockkonzert gegen Rechts“ wird in der „schon immer multikulturellen Mainmetropole Frankfurt“ zelebriert; die „härteste Fußball-Liga der Welt“ stellt einen ganzen Spieltag unter das Motto: „Schon wieder hat ein ausländischer Mitbürger ein entscheidendes Tor geschossen“; im deutschen Fernsehen warnen Berühmtheiten des öffentlichen Lebens zu den besten Sendezeiten nicht mehr vor Aids, sondern vor Ausländerhaß; die Kirchen bringen die erschütternde Nachricht unters Volk: „Jesus Christus wäre Ausländer“; in deutschen Großkantinen werden „Wochen der Gastfreundschaft mit ausschließlich internationaler Speisekarte“ gestartet; die deutsche Bierindustrie läßt ausländerfreundliche Sprüche auf Bierdeckel drucken; usw. usf… Der ausländerfreundlichen Phantasie sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt, und es ist dafür gesorgt, daß noch der hinterletzte deutsche Stammtischbruder auch im Suff nicht vergißt, was Sache ist: „Deutschland ist und bleibt ein ausländerfreundliches Land.“

…und in Bonn

Während das deutsche Volk sich heftig um die Demonstration seiner tiefen Ausländerfreundschaft bemüht, hat auch seine Obrigkeit Engagement in der Ausländerfrage gezeigt. Am selben Wochenende, an dem in München mit der „größten Kundgebung der Nachkriegszeit“ die nationale Lichterketten-Show eröffnet wird, einigen sich Regierung und SPD in Bonn auf ihre künftige Asylpolitik.

„Asylkompromiß“ heißt das Ganze, obwohl jeder weiß, daß die SPD gemessen an den Idealen der Menschenfreundlichkeit, mit denen sie so gerne hausieren geht, der Regierung auch nicht den kleinsten Kompromiß in der Sache abgehandelt hat. Alle bürgerlichen Kommentatoren wissen längst, daß sämtliche von den Sozis neulich noch empört zurückgewiesenen Anträge der CSU erfüllt werden.

„Da liegt es nun, das Grundrecht auf Schutz vor politischer Verfolgung, ausgehöhlt und eingedrückt, in 50 Stunden Schacher zwischen CDU, CSU, FDP und SPD. Wird der sogenannte Kompromiß Gesetz, verliert der Verfassungsartikel 16 seinen Kern… „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, aber nicht in Deutschland“ – wäre die große deutsche Asyl-Koalition ehrlich und mutig, hätte sie ihren Vorschlag für einen neuen Artikel 16 so formuliert.“ (Ferdos Forudastan, FR 8.12.92)
„Ein Kompromiß liegt vor. Er war herbeigesehnt worden… Dieser Preis für das Ende der Debatte ist zu hoch… Der völlige Wegfall des Asylgrundsatzes wäre ehrlicher.“ (Heribert Prantl, SZ 8.12.92)

Der typisch sozialdemokratische Kompromißcharakter der vereinbarten Grundgesetzänderung liegt denn auch – wie immer, wenn eine politische Gemeinheit „mit der SPD nicht zu machen ist“ – darin, daß die SPD alles mitmacht, allerdings nur unter heftigen innerparteilichen Debatten. Zur Abrundung gab es zum neuen Jahr noch einen Brief von Gerhard Schröder an den Fraktionschef Klose mit Einwänden gegen den Gesetzentwurf des Innenministers, deren Inhalt nur als lächerlich zu bezeichnen ist. Ihre Bedeutung liegt darin, daß die Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt: Der SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen warnt den SPD-Fraktionsvorsitzenden davor, daß die Regierung den wunderbaren „Asylkompromiß“ aushöhlen könnte. Damit ist ein demokratisches Zeichen gesetzt: Die SPD ist und bleibt Opposition, auch und gerade dann, wenn sich ihre Politik in nichts von der der CSU unterscheidet und sie die Rolle des Erfüllungsgehilfen spielt. Ihre aktuelle oppositionelle Aufgabe besteht eben jetzt darin, auf die strikte Einhaltung der im Dezember zur allgemeinen Zufriedenheit der großen Parteien ausgehandelten Asylpolitik zu achten.

Damit steht jetzt folgendes fest:

Deutschland ist von sogenannten „sicheren Drittstaaten“ umgeben, und jeder, der aus einem solchen „sicheren Staat“ einreist, genießt hierzulande von vornherein kein Asyl, weil er ja schon in Sicherheit war. Der Witz dieser Regelung ist offensichtlich:

„Schäuble will per Rechtsverordnung Deutschland flüchtlingsfrei machen. Flüchtlinge sollen künftig an den deutschen Grenzen abprallen wie an einer Gummiwand. Sie werden in den Nachbarstaat zurückgeschickt, über den sie einreisen wollen – sei es Frankreich, Österreich oder die CSFR. Alle Nachbarn werden nämlich zu „sicheren Drittstaaten“ erklärt. Deutschland umgibt sich mit einer selbstgezogenen Sicherheitszone.“ (Heribert Prantl, SZ 30.11.92)
„Flüchtlinge, die über den Landweg in die Bundesrepublik kommen (und das sind mehr als 90 Prozent), haben nach der angestrebten Grundgesetzänderung praktisch keine Chance, Gehör zu finden.“ (Ferdos Forudastan, FR 8.12.92)

Jeder, der sich Deutschland auf dem Landweg nähert, gilt per definitionem nicht als politisch Verfolgter, denn er kommt ja aus einem „sicheren Drittstaat“. Für die Durchsetzung dieser Rechtslage sorgt ein verstärkter Bundesgrenzschutz. Alle anderen Einreisewege sind bereits ziemlich dicht: Fluggesellschaften haben die Visa ihrer Passagiere aus verdächtigen „Herkunftsländern“ zu kontrollieren; und die werden an fluchtverdächtige Ausländer gar nicht erst ausgestellt. Reedereien, deren Schiffe „blinde Passagiere“ aus der 3. Welt anlanden, haben mit Strafen zu rechnen; das hat mittlerweile zu dem Seemannsbrauch geführt, solche Gestalten auf offener See über Bord zu werfen. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß es trotz dieser eleganten Regelungen immer noch ein paar Gestalten schaffen, sich ins deutsche Landesinnere vorzukämpfen, ist ebenfalls vorgesorgt. Wer aus einem Land kommt, das in der Liste der „verfolgungsfreien Herkunftsländern“ geführt wird – Staaten, in denen nach in Bonn festgelegten Erkenntnissen sowieso nicht politisch verfolgt wird, also unmöglich ein Asylgrund vorliegt –, bekommen erst gar kein „langwieriges Asylverfahren“ mehr, weil ihr Asylantrag unter die Rubrik „offensichtlich unbegründet“ fällt. Wer sein Herkunftsland verschweigt, um diesen Ausschlußgrund zu umgehen, wird genauso behandelt. Und überhaupt kann ein Mensch, der es tatsächlich schafft, auf deutschem Boden um Asyl zu bitten, eigentlich nur illegal ins Land gekommen sein, weshalb sein Asylantrag leider nur noch negativ beschieden werden kann.

Daneben bleibt natürlich unser hervorragendes Recht auf individuelle Prüfung eines Asylantrags erhalten – ein unverwechselbarer sozialdemokratischer Erfolg. Dieses Recht sieht bei „offensichtlich unbegründeten“, also so ziemlich allen noch möglichen Asylanträgen in Zukunft so aus, daß der Antragsteller sofort alle Beweise auf den Tisch zu legen hat, die glaubhaft machen, daß ausgerechnet er eine Ausnahme von der in Bonn festgelegten Regel ist – „Tatsachen und Beweismittel, die die Beteiligten nicht angegeben haben,“ sondern erst im Verfahren nachreichen, „können unberücksichtigt bleiben“. Im günstigsten Fall entscheiden dann „Verwaltungsrichter, die überwiegend mit Asylverfahren befaßt sind“, ob da einer tatsächlich „entgegen der gesetzlichen Vermutung politisch verfolgt“ ist…

Die „Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen“ wird also zunehmend überflüssig, weil ein Aufenthalt auf deutschem Boden erst gar nicht zustande kommt. In den anderen Fällen läßt sie nicht mehr lange auf sich warten, weil die Ablehnungsverfahren flott über die Bühne gehen. Bis zum Vollzug wird selbstverständlich „der Mindestunterhalt … gesetzlich geregelt mit dem Ziel, daß eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen erfolgt“. Davon versprechen sich die Parteien der großen Asyl-Koalition einen zusätzlichen spürbaren Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtursachen: Sie setzen erklärtermaßen darauf, daß eine noch schlechtere Behandlung von Asylbewerbern als bisher sich in den Herkunftsländern der Elendsflüchtlinge herumspricht und alle „Nachahmungstäter“ abschreckt. Als Botschafter in dieser Frage fungieren die hunderttausende „Altfälle, die grundsätzlich nach dem neuen Recht weitergeführt werden“ – also ohne große Umständlichkeit in ihre Heimat abgeschoben werden. (Zitate aus den Ergebnissen der Bonner Asylvereinbarung)

Die Führer Deutschlands melden mit ihrem „Asylkompromiß“ Vollzug. Sie haben ein „Problem“ im Griff, das sie seit zwei Jahren mit ihrem Gerede vom „zu vollen deutschen Boot“ ausgerufen haben: Zu viele Ausländer tummeln sich auf deutschem Boden, die staatlicherseits nicht bestellt waren. Fremdländische Gestalten bewegen sich auf deutschem Gelände ohne jeden Nutzen für die Nation, ohne jeden Staatsauftrag, der den deutschen Staat sonst schon mal dazu bewegt, die prinzipielle Unterscheidung zwischen eigenen Bürgern und Ausländern zu relativieren und Türken ein gewisses Maß an „Integration“ zu gestatten. Mit der seit zwei Jahren andauernden Ausrufung des „Asylnotstandes“ ist der deutsche Staat in der Ausländerfrage wieder sehr prinzipiell geworden. Er hat es für nötig befunden, grundsätzlich klarzustellen, daß Ausländer hierzulande kein Recht haben – es sei denn, er bestellt sie her und definiert ihren Status. Genauso prinzipiell wird das Ärgernis der hereinströmenden Ausländer durch die neue Asylrechtregelung jetzt bereinigt.[1]

In diesem Sinne werden „Fragen der Einbürgerung und der Zuwanderung“, kurz: alle Alibi-Argumente, mit denen die SPD monatelang ihre Asyl-Debatten geschmückt hatte, im ausgehandelten „Asylkompromiß“ gebührend erwähnt, ihre Regelung auf einen späteren Zeitpunkt „auf europäischer Ebene“ vertagt. Über Ausländer, die „wir“ loswerden wollen, entscheiden „wir“ nämlich ganz souverän „auf nationaler Ebene“. In der Frage, ob und wen „wir“ reinlassen, entscheiden „wir“ genauso souverän: erst mal niemanden. Aber das drücken „wir“ als Weltbürger auf „europäisch“ aus.

Monatelang wurde in Bonn die Notwendigkeit einer Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes mit dem Verweis auf eine einheitliche europäische Asyl-Regelung begründet. Dieses Geschwätz von gestern kann man jetzt endgültig vergessen. Es ist offensichtlich, daß die europäische Führungsnation mit ihrem neuen nationalen Asylrecht ihre sämtlichen europäischen Nachbarn vor vollendete Tatsachen stellt. Zum „sichere Drittstaat“ erklärt zu werden, ist alles andere als eine Ehre:

„Die Politiker der Union wissen sehr gut, welche Folge die beabsichtigten gigantischen Zurückweisungsmanöver an den deutschen Grenzen haben werden: Die Nachbarstaaten, vor allem Polen und die Tschechoslowakei, werden (unvorbereitet) mit Flüchtlingen vollgepumpt. Dies ist auch Sinn der Sache. Auf diese Weise nämlich will man Druck auf die Nachbarstaaten ausüben. Zum einen sollen sie zur scharfen militärischen Bewachung ihrer Außengrenzen veranlaßt werden. Das heißt: Die Drecksarbeit sollen die Nachbarländer machen. Zum andern will man sie zur Aufnahme von Verhandlungen über europaweite Verteilung der Flüchtlinge nach bestimmten Quoten zwingen. Diese Vorgehensweise ist ein Akt politischen Abenteurertums. Sie zeigt den Nachbarstaaten, wie Deutschland europäische Partnerschaft künftig definieren will: als Recht des Stärkeren.“ (Heribert Prantl, SZ 30.11.92)

Ja, so ungefähr hat man sich das in Bonn wohl gedacht. Ein Akt des politischen Abenteurertums ist das allerdings nicht. Solange man es sich als „stärkerer Partner“ nämlich herausnehmen kann, dem Rest der Welt seine Bedingungen zu diktieren, haben die „Partner“ eben zu sehen, wie sie mit den Folgen der deutschen Abschiebepolitik fertigwerden. Die Nachbarstaaten haben auch prompt reagiert. Ein „EG-Europa ohne Grenzkontrollen“, wie ursprünglich im Schengener Abkommen vorgesehen, wird es erst einmal nicht geben; dafür gibt es bereits ein Abkommen mit dem die EG-Partner den deutschen „Asylkompromiß“ übernehmen, zuzüglich einem umfassenden Austausch von Fingerabdrücken, um „Doppelbewerbungen“ und dem „Mißbrauch von Sozialleistungen“ vorzubeugen. Aber das ist noch das Wenigste. Eine Zumutung ist das neue deutsche Asylrecht in erster Linie für die frisch vom Kommunismus befreiten östlichen Nachbarstaaten. Wenn schon durch diese Länder die meisten Flüchtlinge anreisen, dann sollen diese Staaten eben das Auffangbecken spielen, das Deutschland vor Elendsgestalten bewahrt, oder ihre Grenzen genauso dichtmachen wie der deutsche Musterstaat.

„Eine mögliche Quelle riesiger Probleme für sein Land sieht der Tscheche Petr Cermak, Innenminister der noch bis Ende des Jahres bestehenden CSFR, in dem Bonner Vorhaben, Flüchtlinge ins Durchreiseland zurückzuschicken. Die Bundesrepublik löse ihre Schwierigkeiten ohne Rücksicht auf die östlichen Nachbarländer. „Wir werden wohl eine ähnliche Lösung finden müssen“, meinte der Innenminister der CSFR, die erst vor zwei Jahren ein liberales Asylrecht eingeführt hat.“ (FR 17.12.92)
„In der Zeitung Rude Pravo erläuterte der (tschechische) Innenminister weiter, man werde wohl sogar eine „richtige physische“ Grenze zur Slowakei errichten müssen, um mit allfälligen Strömen Asylsuchender oder illegaler Einreisender zu Rande zu kommen. Dies könnte zu einer schärferen Grenzziehung führen, als dies die beiden Neu-Republiken bisher vorgesehen hatten. Demnach sollte ihr Verlauf nur weiträumig markiert werden. Nun aber könnten nach Rumls Ansicht eine relativ dichte Absicherung und ein regelrechter Personenkontrollbetrieb erforderlich werden.“ (SZ 16.12.92)
„Vor dem Hintergrund der Bonner Bemühungen, weniger Asylbewerber nach Deutschland zu lassen, will Warschau die Einreise für Rumänen, Bulgaren sowie Bürger der ehemaligen Sowjetunion erschweren… Wie der stellvertretende polnische Innenminister Wlodzimierz Blajerski in Breslau sagte, ist geplant, daß Bürger dieser Länder in Zukunft zur Einreise nach Polen von den Regionalbehörden bestätigte Einladungen vorweisen müssen. Dabei muß sich der einladende Pole verpflichten, gegebenenfalls die Kosten für die zwangsweise Rückführung oder medizinische Behandlung seines Gastes zu tragen. Außerdem muß er Gebühren von bis zu einer Million Zloty (100 Mark) entrichten… Bürger der früheren Sowjetunion brauchen bereits jetzt Einladungen. Solche Einladungen sind bereits Gegenstand eines schwunghaften Handels.“ (SZ 17.12.92)

Doch selbstverständlich läßt Deutschland seine Nachbarn nicht allein mit den Problemen, die es ihnen bereitet. Bereits mit dem Bonner „Asylkompromiß“ wurde der CSFR und Polen das großzügige Angebot gemacht, „administrative und finanzielle Hilfe zur Bewältigung der Flüchtlingsprobleme“ zu leisten. Deutsches Geld und Know-how für Flüchtlingslager, Abschiebekommandos und die Ausbildung von Grenzsoldaten dürfen die „jungen Demokratien im Osten“ also erwarten. Sie sollen schließlich keine Schwierigkeiten machen und problemlos den menschlichen Abfall entsorgen, vor dem Deutschland in Zukunft verschont werden will. Häßliche Szenen im Niemandsland hinter den Grenzen, wie sie zur Weihnachtszeit aus dem Gelände zwischen Israel und dem Libanon weltweit gesendet wurden, will sich das saubere, humane Deutschland nicht antun.

Ganz im Sinne dieser Humanität ist der SPD noch eine grandiose oppositionelle Idee gekommen: Wenn es nämlich sowieso deutsche Abkommen über „Hilfeleistungen bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems“ geben wird, kann man den Zeitpunkt, zu dem diese Abkommen zustande kommen, zum Prüfstein der Menschlichkeit erklären. Hier gilt die gute sozialdemokratische Regel: „Je schneller, um so menschlicher“, selbstverständlich ohne ein „Junktim zwischen dem Abschluß dieser Hilfsabkommen und dem Inkrafttreten des neuen Asylrechts“ aufmachen zu wollen. Einen noch so vagen Anschein, sie könnte mit ihrem Getue den erzielten „Asylkompromiß“ gefährden, will sich die SPD nämlich nicht leisten – jetzt, wo alle führenden Demokraten sich darauf geeinigt haben, wie das von ihnen monatelang beklagte Asylantenproblem zu bewältigen ist:

„Von Deutschland nach Polen, von Polen nach Rumänien, von Rumänien nach… Nun deutet sich an, welche großen Kreise der Brocken zieht, den die große Bonner Asylkoalition ins Wasser geworfen hat… Auch andere europäische Staaten werden nun ihre Mauern noch höher bauen. Die Grenzen um sichere und relativ sichere Regionen werden immer weiter gezogen. Irgendwann werden die betroffenen Menschen gezwungen sein, da zu bleiben, wo man sie verfolgt und bekriegt.“ (FR 17.12.92)

Wenn das die Folgen der neuen deutschen Asylpolitik sind, dann werden die wohl auch haargenau beabsichtigt gewesen sein: Der menschliche Überschuß der von störenden sozialistischen Enklaven endlich befreiten Weltwirtschaft soll dort bleiben und verrecken, wo er die regierenden Politiker der Weltwirtschaftsmächte nicht weiter stört.

Konsequenterweise ergibt sich damit für die Bundeswehr eine gewisse Erweiterung ihres Verteidigungsauftrags. „Zum wirksamen Schutz des Asylrechts“ hat der bayerische Innenminister Stoiber eine Aufstockung der Grenzschutzsoldaten gefordert. Der Bonner Innenminister Seiters beantragt beim Verteidigungsminister, 5000 Bundeswehrsoldaten zur Grenzsicherung abzustellen. Mit einem „menschenverachtenden Schießbefehl“ an deutschen Grenzen sind solche Aktionen natürlich nicht zu verwechseln. Unsere wehrhafte Demokratie sorgt lediglich für eine möglichst sinnvolle „Rüstungskonversion“ in Friedenszeiten:

„Illegale Einwanderer und Schlepperorganisationen an den Grenzen zu Polen und zur Tschechischen Republik sollen künftig auch mit moderner Radar- und Infrarot-Elektronik aufgespürt werden. Bundesinnenminister Seiters will diese Möglichkeit mit Geräten der Bundeswehr erproben lassen… Die Geräte, die eingesetzt werden sollen, sind für den Kriegsfall entwickelt worden, um die Hitzeentwicklung bei Panzern und Truppenansammlungen militärisch zu nutzen.“ (FR 4.1.93)

Jetzt ist jedenfalls klar, wie die Beteuerung der führenden deutschen Demokraten zu verstehen ist, daß das Flüchtlingsproblem nur durch eine Bekämpfung der Fluchtursachen zu bewältigen ist. Die Fluchtursache steht fest: Sie wurden nicht daran gehindert zu kommen. Diese Ursache wird ab jetzt mit aller Macht bekämpft. Deutschland wird asylantenfrei, darauf haben Regierung und SPD sich geeinigt.

Ausländerfeindlichkeit von oben erledigt

Mit ihrem „Asylkompromiß“ haben die Bonner Parteien das politische Programm der Rechtsradikalen zur „Bekämpfung der Asylantenflut“ bei weitem erfüllt. Sie haben der Ausländerfeindschaft recht gegeben; der Ausländerfeindschaft, die sie mit ihrer Ausrufung des „Asylnotstandes“ und ihrer Sorge vor „Durchmischung und Durchrassung“ oder vornehmer: „vor dem Verlust der kulturellen Identität“ provoziert haben. Denn das kann bei einem guten Staatsvolk nicht ohne Folgen bleiben, wenn seine Politiker ihm unablässig erklären, es gebe da ein „Staatsproblem“, mit dem sie nicht fertig werden. Ein gutes Volk wird dann kritisch und fordert mindestens seine Obrigkeit vehement zur Beseitigung der „staatlichen Notlage“ auf. Ganz kritische Volksteile sehen sich berufen, die „Problemlösung“ selber in die Hand zu nehmen, und zünden den nächsten Ausländer an, ersatzweise einen deutschen Volksgenossen, den sie aus Versehen für einen „dahergelaufenen Ausländer“ halten.

Diese aufmüpfige Volksmoral hat sich jetzt mit dem neuen Asylrecht zufriedenzugeben. Der Fanatismus der Unterscheidung zwischen „uns Deutschen“ und „den andern“ wird bekräftigt und in einer entscheidenden Hinsicht zurückgewiesen: Die gewaltsame Praxis dieser Unterscheidung ist Teil des staatlichen Gewaltmonopols und gehört nicht in private Hände. Das Volk, das sich die Botschaft seiner Herren zu Herzen genommen und sich über anwesende Ausländer so sehr empört hat, daß es sogar teilweise sein Vertrauen in die Handlungsfähigkeit seiner Herrschaft verloren hat, soll sich jetzt wieder vertrauensvoll abregen.

So bekennen sich die offiziellen Vertreter dieser Nation ein letztes Mal zu dem Verständnis, das sie den rechtsradikalen Taten entgegengebracht haben, als sie die Übergriffe gegen Ausländer als untrügliches Zeichen dafür werteten, daß es der Führung des Landes an Entscheidungskraft in Sachen Asylrechtsreform mangele. Jetzt wurde „entschlossen gehandelt“; und das macht in den Augen von Leuten, die mit neuen Asylgesetzen den Standpunkt „Ausländer raus!“ rigoros verwirklichen, das „Ausländer-Anzünden“ dann wirklich überflüssig. Ungeschmälert in Kraft ist wieder der humane und christliche Grundsatz, daß Ausländer – drinnen wie draußen, die abgeschobenen wie die in Containern aufbewahrten – in erster Linie doch „auch Menschen“ sind.

Ob sich die rechtsradikalen Schlägerbanden das einleuchten lassen, ist schwer die Frage. Die Staatsmänner selber scheinen da gewisse Zweifel zu haben; jedenfalls setzen sie zur Beruhigung der aufgehetzten Gemüter lieber auf verschärfte Strafen. Die allgemeine Volksmoral der Säuberung Deutschlands von unerwünschten Elementen hat aber jedenfalls eine neue Richtlinie: Nach der Ausländerhetze – oder vornehmer: dem „Problembewußtsein“, daß man ein Volk nicht mit zuviel Fremden „überfordern“ darf – ist jetzt eine Selbstkorrektur durch kollektive Ausländerfreundschaft angesagt. Und es gibt schon wieder genügend gute Deutsche, die sich das gesagt sein lassen. Wenn jemand sie ruft, dann sind sie massenhaft zur Stelle.

Und immer wieder: Ausländerfreundliche Demonstrationen „von unten“

Bekannt sind die Schönheiten des neuen Asylrechts durchaus. In seitenlangen Kommentaren beklagen Vertreter der liberalen deutschen Öffentlichkeit den „Verlust des deutschen Asylrechts“, wenn nicht gar „der Rechtsstaatlichkeit überhaupt“. – Und dann?

Dann nehmen sie sich eine Fackel und stellen sich auf den nächsten Marktplatz zur x-ten Demonstration der deutschen Ausländerfreundschaft.

Bei dieser Sorte „massenhafter Demonstration der Mitmenschlichkeit“ ist jede Erinnerung an die offizielle deutsche Asylpolitik fehl am Platze, ja geradezu eine Störung. Da ist man ganz Mensch und Mitmensch, der mit Tausenden von Gleichgesinnten seinen ganz persönlichen Abscheu vor rechtsradikalen Gewalttaten gegen Ausländer demonstriert. Die Kerzenhalter wollen explizit in der Ausländerfrage keinen politischen Inhalt erkennen. Die Politik wird zur Sache eines politischen Meinungsstreits erklärt, aus dem man sich bei der Demonstration von Mitmenschlichkeit heraushält. Als Mitmensch kennt man nämlich nur einen Gegensatz: Gute Menschen plädieren auf „Nicht-Anzünden von Ausländern“ und beziehen damit Front gegen gewisse häßliche Volksteile, die durch das massenhafte Lichtermeer als hoffnungslos isolierte „ewiggestrige“ Minderheit kenntlich werden. Irgendeine Andeutung eines Gegensatzes innerhalb des Lagers der versammelten guten Massen ist ausdrücklich nicht erwünscht. Kritik an den aktuellen Asylbeschlüssen der Nation ist nicht vorgesehen und wird, wenn sie dennoch – wie beim Rockkonzert in Frankfurt – zaghaft geäußert wird, von den zuständigen Moderatoren der Veranstaltung als unangebracht zurückgewiesen – nach dem Motto: „Freunde, bloß keine häßlichen Töne, dafür ist unser Anliegen zu wichtig!“ Deshalb halten es sich die Veranstalter auch unablässig zugute, daß bei diesen „Demonstrationen von unten“ die politische Prominenz in den Hintergrund tritt und keine politischen Reden gehalten werden: Das würde nur Unfrieden stiften. Am allerbesten ist es, alle halten die Schnauze und bloß ihre Kerzen.

Wo solche Zeichen parteiübergreifender Menschlichkeit gegen die Unmenschlichkeit von rechts gesetzt werden, findet sich dann auch ein entsprechend gemischtes Publikum auf den Marktplätzen der Nation ein. Leute, die den Asylbewerbern die Erhaltung des alten Paragraphen 16 wünschen, nehmen – solange sie eine Fackel hochhalten – nicht zur Kenntnis, daß der gerade abgeschafft wird. Gutwillige Ausländerfreunde, die jederzeit bereit sind, Negerbabies zu adoptieren, treffen sich mit Republikaner-Wählern, die sich ihre ehrenwerten Einwände gegen „Scheinasylanten“ nicht von rechtsradikalen Wohnheim-Anzündern kaputtmachen lassen wollen.

Und alle, alle sind sich einig in ihrem tiefen Abscheu gegen rechtsradikale Gewalt, denn „Ausländer-Anzünden, das ist nicht gut“. Die Botschaft ist rübergekommen und ist auch der ganze Inhalt des „beeindruckenden Widerstands gegen rechts“. Es geht um die nationale Moral: der gute deutsche Volkscharakter gegen böse Abweichler.

Damit verbietet sich jede Frage, was den politischen Standpunkt von deutschen Jugendlichen ausmacht, die Brandsätze gegen Asylanten werfen. Mit der Klassifizierung der Rechtsradikalen als „Unmenschen“, ersatzweise als „Jugendliche mit psychischen Defekten“, ist der Tatbestand erschöpfend erklärt. Mit dieser Frontstellung ist ebenfalls klar, daß jeder Vergleich zwischen rechtsradikalen Taten und der offiziellen Asylpolitik von den Lichterträgern als Zynismus zurückgewiesen werden muß. Wenn Ausländer verbrennen, müssen tätige Moralisten „hier und jetzt was tun“ und können sich nicht mit den „Niederungen der Parteipolitik“ beschäftigen. Und das bleibt so, solange nicht Kohl, Engholm und Weizsäcker zusammen ein Asylanten-Wohnheim anzünden. Aber das steht ja nicht zu befürchten, die lösen das „Asylantenproblem“ schließlich ganz sachlich mit neuen Gesetzen und dem Bundesgrenzschutz.

Die Leistungen der Ausländerfreunde – freie Hand für Ausländerpolitik

Mit ihrer ach so menschlichen, parteiübergreifenden Polemik gegen Rechtsradikalismus haben die versammelten Ausländerfreunde eine bemerkenswerte politische Demonstration zustande gebracht. Im Namen der Menschlichkeit ist Nichteinmischung in die aktuelle Bonner Asylpolitik angesagt. Die Kehrseite der oft betonten Beteuerung, daß beim friedlichen ausländerfreundlichen Zeichen-Setzen die allzu aufdringliche Anwesenheit von Bonner Polit-Prominenz eher stören könnte, besteht schlicht darin, daß man mit seinem massenhaften Gemenschel auch die offizielle Politik nicht stören will. Das gute Volk demonstriert gleichzeitig mit seinem Abscheu vor Rechtsradikalismus sein tiefes Vertrauen in die (Ausländer-)Politik seiner Regierung: Die soll in ihrem Bereich für Ordnung sorgen!

Eines steht dabei jedenfalls fest: Eine Bilanz der Opfer, die die offizielle Bonner Asylpolitik schafft, im Vergleich zu den von Rechtsradikalen ermordeten Ausländern kann unmöglich das Kriterium sein für diese humane Unterscheidung zwischen politischen „Problemlösungsversuchen“, über die man durchaus geteilter demokratischer Meinung sein kann, und den grauenhaften Taten rechter Brandstifter, die einstimmiges Grauen hervorrufen. Solche verfassungswidrigen Vergleiche fallen einem guten Staatsbürger erst gar nicht ein. Er hat ja sein fragloses Kriterium für Humanismus: Der nötige gewaltsame, ordnungsstiftende Umgang mit Ausländern ist Sache der Regierung und nicht von dahergelaufenen Skin-Heads; Das Volk hat mit den Ausländern, die die Regierung hereinläßt, höflich umzugehen.

… und für ein gutes Image für Deutschland

Gute deutsche Staatsbürger wurden in den letzten Monaten – nicht nur vom Bonner Außenministerium und von deutschen Unternehmerverbänden – immer wieder darüber aufgeklärt, daß es um den Ruf ihrer Nation wegen der bekannten „rechtsradikalen Auswüchse“ im Lande weltweit nicht zum Besten bestellt sei. Es scheint, sie haben die Botschaft verstanden. Denn wenn sie sich in Hunderttausender-Mannschaften aufstellen, um ganz persönliche Bekenntnisse gegen das Ausländer-Anzünden abzulegen, dann haben sie die beachtliche Leistung hinter sich: ganz Mensch und trotzdem ganz deutscher Staatsbürger zu sein. Ganz privat demonstrieren sie aller Welt ihre einheitliche politische Gesinnung jenseits aller Kontroversen, die den stillschweigenden Mehrheitsdeutschen auszeichnet. Sie beherrschen die Unterscheidung zwischen „uns Deutschen“ und „den anderen“, finden sie ganz selbstverständlich und kämen nie und nimmer auf den Gedanken, daß die tödliche Unterscheidungskunst zwischen Deutschen und Ausländern ein politischer Gesichtspunkt ist, und zwar derjenige, der den amtlichen Vertreibungsprogrammen gegen elende Zuzügler genauso zugrunde liegt wie der illegalen Privatgewalt gegen Ausländer. Nein, sie halten es für den Inbegriff der Menschlichkeit, daß man sich „als Deutscher“ mentalmäßig positiv zu „den anderen“ stellt. „Als Deutscher“ ist man sich und der ganzen Welt die Demonstration schuldig, daß man aus der Vergangenheit gelernt hat: Die Welt darf aufatmen, die überwiegende Mehrheit des deutschen Volks ist nicht so, wie es nach den brennenden Asylantenwohnheimen befürchtet werden mußte. Drangsalierten Ausländern wird so die zweifelhafte Ehre zuteil, zum Gegenstand erklärt zu werden, an dem sich die wahre Identität eines Deutschen mit seiner Nation beweist. Denn alle guten Deutschen haben ganz persönlich ganz und gar nichts gegen Ausländer. Je Lichterkette, um so nachdrücklicher der Beweis: guter Mensch und Deutscher sein, das ist so ziemlich dasselbe.

Kein Wunder, daß Massendemonstrationen in Deutschland seit neuestem eine durch und durch positive Presse haben, meistens sogar von den lokalen Pressefritzen selbst organisiert werden. Die Demonstrationsparole: „Deutschland ist besser als sein in den letzten Monaten lädierter Ruf!“ kann ja auch schwerlich mißverstanden werden. Die Leitartikelschreiber könnten das gute deutsche Volk küssen. Sie lieben die „schweigende Mehrheit der Deutschen“, die gezeigt hat, daß sie keine Gegensätze kennt, wenn es ums große Ganze geht:

„Asylstreit hin oder her, was seit Rostock zur Routine wird, ist ein Anschlag gegen die gesamte Republik… Das Volk aber hat sich schneller aufgerappelt als der Staat – das zeigt eine schier endlose Kette von Appellen, Anzeigen und Aufmärschen quer durch die Republik… Doch wäre nicht die Rekordzahl das Entscheidende. Entscheidend ist, daß hier nicht die üblichen Unterschriften-Kartelle oder gar Parteien- und Staatsorgane zum Aufmarsch aufgerufen haben. Aufgerufen hat sich das Volk selbst.“ (Josef Joffe, SZ 5.12.92)

Wenn man einmal davon absieht, daß der erste Aufruf zur geballten Demonstration deutscher Ausländerfreundschaft aus dem Kanzleramt kam – die Aufführung selbst in Berlin ließ dann bekanntlich zu wünschen übrig; wenn man weiter davon absieht, daß die berüchtigten „Unterschriften-Kartelle“, deren Kartell-Charakter Joffe offensichtlich angesichts anderer Gegenstände ihres Unterschriften-Protestes aufgefallen sein muß, natürlich in jeder großen deutschen Tageszeitung ihre Unterschriften unter flammende Appelle gegen Ausländerhaß gesetzt haben; wenn man dann noch von den halbstündlich wiederholten Informationen im Rundfunk absieht, wo sich die Bevölkerung mit oder ohne Kerze zur gerade anstehenden Lichterkette einzufinden habe – Kranke oder sonstwie Verhinderte stellen ihre Kerze ins Fenster!; wenn man schließlich richtig einzuordnen weiß, daß in sämtlichen Gewerkschafts-Untergruppen, Lehrerzimmern und sonstigen Büros der Nation der gemeinsame Abmarsch zur Lichterkette geplant wurde und jede Teilnahmeverweigerung als Übergang zum Pogrom gewertet wurde: dann hat sich das Volk in der Tat „selber aufgerufen“ zu seinen ausländerfreundlichen Großtaten. Da lacht der Demokrat: Nichts schöner als ein Volk, das die Zeichen seiner Obrigkeit und der freien Öffentlichkeit so perfekt versteht, daß es sich ganz ohne polizeiliche Vorladung zu Staatsaufmärschen einfindet.

Es geht um die Ehre der Nation. Deshalb muß, nach dem durchschlagenden Erfolg der Demonstrationsserie, darauf aufgemerkt werden, daß sie nicht ins Lächerliche abgleitet. Die Inszenierung muß klappen, damit die Führer der Nation etwas Schönes haben, worauf sie sich gegen jedes ausländische Bedenken, Deutschlands großmächtiges Auftreten und den Nationalismus seiner Bewohner betreffend, berufen können. Dafür haben Journalisten ein feines Gespür:

„Es sind nun genau drei Wochen, daß die Münchner Lichterkette von der staunenden Welt als etwas nachgerade Triumphales wahrgenommen wurde, als ein Sieg der sonst Stillen im Lande über die Krakeeler und Dumpfbeutel. Das Feuer hat, seinem Wesen getreu, auf Abertausenden von Kerzen um sich gegriffen und sich dabei als wohltätige Macht bewährt. Spricht dagegen …, daß, wenn tags darauf in der U-Bahn ein „Kanake“ angeflegelt wird, der durchschnittliche Teilnehmer seinen Mund nach wie vor nicht aufkriegt, obwohl er den Kerzenstummel noch mit sich herumträgt? Nein, durch Mißerfolge wird der gute Wille keineswegs desavouiert, daß die Welt, aufs Ganze gesehen, schlecht und unverbesserlich ist, gilt ihm nicht als Argument. Indessen trägt er einen seiner schlimmsten Feinde in sich selber, nämlich die durch Übereifer bewirkte Lächerlichkeit.“ (Streiflicht, SZ 28.12.92)
„Mißtrauen ist spätestens dann angebracht, wenn auf jedem Plastikbecher neben dem Grünen Punkt auch ein Halbmond prangt: umwelt- und ausländerfreundlich.“ (SZ 14.12.92)

Der Vergleich mit dem grünen Punkt haut hin. So wie sich der grüne Punkt zum kapitalistisch produzierten Müll und Gift verhält, so verhalten sich die Lichterketten zum ausländerfeindlichen Deutschtum der Nation: Man sortiert sein Gewissen, überläßt die Müllabfuhr dem gesetzlich geschützten dualen System und entsorgt nichts privat.

[1] Vgl. GegenStandpunkt 2-92, S.3: Ausländerhaß, Asylrecht und Überbevölkerung. Klarstellungen zu den Ideologien und zum imperialistischen Gehalt der sogenannten Ausländerfrage