Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Antifaschistischer Kampf in den Zeiten der Green Card:
Mit rechtverstandenem gegen rechtsradikalen Nationalismus

Regierung wie Öffentlichkeit basteln an einem demokratischen Umerziehungsprogramm gegen den „dumpfen“ und für einen rundum sympathischen und funktionellen demokratischen Rassismus – schließlich können auch Ausländer ganz schön nützlich für Staat und Gesellschaft sein!

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Antifaschistischer Kampf in den Zeiten der Green Card:
Mit rechtverstandenem gegen rechtsradikalen Nationalismus

Bis vor kurzem gehörte es zu den alltäglichen Gewohnheiten zeitungslesender und fernsehender Bürger, sich in unregelmäßigen, aber kurzen Abständen über neueste Überfälle von „Neonazis“ auf Ausländer, Linke, Obdachlose oder jüdische Friedhöfe informieren zu lassen. Das war nach dem Abschalten der „Lichterketten“, mit denen Anfang der Neunziger Jahre Ausländerfreunde ihre ganz persönliche Betroffenheit durch brennende Asylantenheime so stimmungsvoll beleuchtet hatten, kein Anlass mehr für besondere Aufregung im „öffentlichen Raum“. 746 rechtsradikale Gewaltdelikte soll der Bundesverfassungsschutz allein in 1999 in aller Stille aufaddiert haben, etliche davon – allein im Osten seit der Wende über 100 – mit Todesfolge (SZ, 1./2.8.00); die vielen nicht angezeigten Fälle oder von der Polizei in der Rubrik derer abgelegten, die „keinen fremdenfeindlichen politischen Hintergrund erkennen lassen“, nicht mitgezählt.

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Nach einem noch ungeklärten Bombenanschlag auf jüdische Russlandauswanderer in Düsseldorf und der Tötung eines Obdachlosen durch Skins in Ostdeutschland, beginnt die Nation auf einmal laut mitzuzählen. Dabei kommt sie leicht auf fünf bis zehn rechtsradikale Attacken pro Tag, mit denen die Aktivisten der rechten deutschen Jugend vor allem Ausländern, aber auch Linken und anderen „asozialen Zecken“ tätige Hinweise auf ihre Unbeliebtheit in deutschen Landen geben. Diese Jugend soll Umfragen zufolge insbesondere im deutschen Osten zu etwa 30 Prozent mit ausländerfeindlichem Gedankengut sympathisieren und sich in kaum geringerem Umfang zu ihrer „Gewaltbereitschaft“ bekennen. Dieser ziemlich bekannte Zustand und seine alltäglichen Folgen in der ganzen Republik werden nun unter Beteiligung aller demokratischen Parteien und mit einer regelrechten Medienkampagne noch einmal offiziell und öffentlich „entdeckt“. Der großspurigen Deklaration national befreiter, ausländerfreier Gebiete in den neuen Ländern, der zunehmenden Dominanz einer rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Jugendkultur, der ständigen Herausforderung der demokratischen Staatsmacht durch Demonstrationen, Anschläge auf beliebige fremdländisch aussehende „Mitbürger“ und der dafür werbenden „gewaltverherrlichenden“ Agitation auf der Straße und im Internet: Dem allem entnimmt die Staatsgewalt nicht zu unrecht eine feindselige Insubordination unter ihre politische Linie, die sie nicht länger hinnehmen will.

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Ausgegangen ist die aktuelle Entzweiung nicht von den Rechten im Lande. Sie haben ihren Standpunkt in der Ausländerfrage nicht geändert. Bei ihren Aktivitäten gegen eine Überfremdung des Volkskörpers konnten sie sich bisher immerhin durch die Menschen in ihrem Umfeld bestätigt fühlen und für ihr Tätigwerden viel klammheimliche Zustimmung (SZ, 31.7.00) ernten. Was die Innen- und Justizminister, Ministerpräsidenten und sonstigen politischen Führungsfiguren aus ihrem Umfeld betrifft, so war in den letzten Jahren klammheimliche Bestätigung ihre Sache nicht. Sie gaben mit ihrem gesetzgeberischen und polizeilich exekutierten Kampf gegen eine Begrenzung der unerwünschten Zuwanderung, gegen Asylmissbrauch und Wirtschaftsflüchtlinge, bis hin zur Organisierung ihrer gesamten Nachbarländer zu dem Schengenland, das Deutschland vor der Asylantenflut schützen und das volle Boot Deutschland vor dem Umkippen bewahren sollte, den allgemeingültigen Standpunkt vor. Dass man sich als Deutscher von den aus allen Weltgegenden herbeiströmenden Ausländern zu Recht fast unerträglich belastet fühlen durfte, dass die Fremden ein kaum lösbares finanzielles und ein Ordnungsproblem darstellten, noch dazu bei grassierender Arbeitslosigkeit, dass es die Völkerschaften der ganzen Welt offenbar darauf abgesehen hatten, Deutschland auszunützen, und Deutschland sich insofern gegen den großen Rest der Menschheit, der hierher will, aber kraft Geburt gar nicht hierher gehört, in einer prekären Abwehrhaltung befand: das alles war für jedermann der Ausländerpolitik der BRD und der zugehörigen parteiübergreifenden Agitation in den letzten Jahren unschwer zu entnehmen. Wenn Teile der nationalistisch bewegten Jugend den offiziellen Standpunkt auf eigene Faust betätigten, wenn sie sich von der mangelnden Härte und Konsequenz seiner rechtsstaatlichen Exekution enttäuscht und verraten fühlten, wurde mit den staatlichen Gegenmaßnahmen nicht dieser Standpunkt, sondern nur seine kriminelle Konsequenz ins Unrecht gesetzt. Dies zeigte sich regelmäßig so, dass noch jeder ausländerfeindliche Exzess neben der Abwicklung allfälliger Betroffenheit und des Strafverfahrens zumindest insoweit auf Verständnis rechnen konnte, als solchen Ereignissen von Politik und Öffentlichkeit stets auch der Auftrag zu einer verbesserten Regelung des Ausländerproblems in dem Sinne entnommen wurde, dass man durch weitere Verschärfung von Asyl- und sonstigen Zuwanderungsvorschriften die Bevölkerung vor weiterer Belastung schützen müsse, um künftige fremdenfeindliche Reaktionen zu vermeiden – ein Auftrag, der ausgiebig erfüllt worden ist und der nach wie vor auf der nationalen Tagesordnung steht.

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Es ist ja auch gar nicht so, dass diese Sorte Verständnis mit den letzten erschlagenen Ausländern schlagartig erstorben ist. Dennoch, die Vertreter der rechtsstaatlich abgewickelten Ausländerfeindlichkeit der offiziellen Politik haben jetzt die unzufriedenen, enttäuschten und kritisch radikalisierten Ausländerfeinde in der rechten Szene als nationales Problem entdeckt und ihnen hochoffiziell den Kampf angesagt. Die bundesdeutsche Politik hat nämlich inzwischen ihrem Standort Bedürfnisse abgelauscht, die zu einer gewissen Neuorientierung bei der Betrachtung des lebenden Inventars der globalisierten Welt geführt haben. Dass der sachliche Reichtum der ganzen Welt eine einzige deutsche Geschäftsgelegenheit ist, auf die die Nation ihrer weitgespannten Interessen wegen einen Anspruch hat, und umgekehrt die Investoren der ganzen Welt eingeladen sind, mit ihrem Kapital den deutschen Standort zu stärken, ist schon lange keine Neuigkeit mehr. Die aus dem zurückliegenden Erfolg erwachsende „Entdeckung“, dass seine künftige Fortsetzung auch den Zugriff auf die weltweiten menschlichen Ressourcen verlangt und ein gewisses internationales Kontingent brauchbaren Menschenmaterials vor Ort unverzichtbar ist, ist jüngeren Datums. Der deutsche Imperialismus ist gerade dabei, sich sein Recht am Ausland unter Einschluss des Rechts am Ausländer, sofern er zu den besten Köpfen gehört, die uns nützen, neu zurecht zu legen und mit bunten „Cards“ und neuem Zuwanderungsrecht die Verfügbarkeit des gewünschten internationalen human capital für die Nation in „innovativen Rechtsformen“ zu organisieren. Mit dem politischen Beschluss, dass Deutschland in der Konkurrenz der Standorte nur bestehen kann, wenn es sich die Nutzung des weltweiten Arbeitsmarktes und der dort greifbaren Qualifikationen sichert, ist eine neue Linie in der Frage der political correctness des deutschen Nationalismus in Kraft: Weil wir heute Ausländer brauchen, jedenfalls einige von ihnen, die richtigen eben, gilt nicht mehr die uneingeschränkte Maxime: ‚Das Boot ist voll‘. Jetzt geht es darum, Ausländer berechnend, nach ihrer Brauchbarkeit für die deutsche Reichtumsproduktion auf Weltniveau, zu sortieren und den Import der erwünschten Nichtdeutschen möglichst „unbürokratisch“ zu regeln. So sieht heute korrekte Ausländerpolitik neuen Typs im wohlverstandenen deutschen Interesse aus.

Wenn heute Rechte, die sich Stoibers, Becksteins, Kochs oder Schilys Ausländerhetze von gestern haben einleuchten lassen, sich bei Demonstrationen die Ausländer nach draußen und deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche wünschen und bei Gelegenheit gleich ein paar Fremden heimleuchten, zeigen sie nicht nur, dass sie den Wandel der Definition dessen, was heute deutschnational heißt und was ein aufgeklärter, korrekter Nationalismus erfordert, nicht verstanden haben; sie schädigen ein deutsches Interesse, dessen Befriedigung die Verwaltung des Standorts als Bedingung künftigen Konkurrenzerfolges ausgemacht hat, und können demgemäß ab sofort nicht mehr mit dem Verständnis der regierenden Nationalisten rechnen, eher schon mit dem Einsatz der Bürgerkriegsarmee des Bundes, des Bundesgrenzschutzes.

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So kommt es zu einer Wende im Umgang mit denen im Lande, die an ihrer konkurrierenden Definition eines korrekten nationalen Standpunkts festhalten. Seine Schärfe bekommt der Zwist daher, dass diese Typen auf die neue Festlegung des deutschen Interesses an den Ausländern von oben mit der Anmaßung von unten antworten, ihr vom neuen nationalen Mainstream abweichendes und deshalb falsches und schädliches Verständnis von Nationalismus auch künftig praktizieren zu wollen, sich dabei provokativ auf Traditionen der Nationalsozialisten berufen und zu allem Überfluss auch noch schwere Straftaten begehen. Damit wird die alternative Sortierung der Bevölkerung durch den Rassismus der Rechtsradikalen, die sich den nationalistischen Berechnungen der neuen Zuwanderungs-Strategen verweigern, endgültig zu einer Frage der Staatssicherheit: In den Aktivitäten der Rechten sieht die Staatsmacht nunmehr einen unerträglichen Mangel an Respekt vor ihrem, wenn nicht schon die Eröffnung einer ernstzunehmenden Konkurrenz um ihr Gewaltmonopol, das nun gegen die Neonazis konsequent durchgesetzt werden soll (Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, SZ, 2.8.00). Sie gibt dem Thema deshalb ab sofort die Bedeutung eines erstrangigen Problems der deutschen Politik und kündigt an, vertreten durch eine kaum überschaubare Truppe entschlossen verlautbarender Politiker, künftig unnachgiebig den Rechtsradikalen entgegentreten zu wollen. Anfang August erklärt der demokratische Rechtsstaat ein paar Wochen lang jeden Tag mehrmals zur besten Sendezeit und auf allen Titelseiten seine Absicht, sich seine Definitionsgewalt darüber, wann und in welchem Maße die von ihm beschlossene Tagesordnung zur Maßnahme wird, keinesfalls streitig machen zu lassen. Da will er für die Asyl- und Ausländerpolitik nichts anderes gelten lassen als für alle anderen Felder des Regierens: Er behält sich vor festzustellen, wo staatsnützliche, also erwünschte Migration anfängt und wo die schädliche. Und nur Sache der Politik ist es zu bestimmen, welche und wieviele Ausländer wir wo und wofür brauchen und wann das Boot wirklich voll ist. Und genauso ist es im übrigen Sache des Staates, die von ihm geschaffenen Obdachlosen zu verwalten und staatsfeindliche linke Umtriebe zu bekämpfen. Dafür sorgt er mit dem Einsatz der gesetzlich vorgesehenen gewaltbereiten Organe, und niemand sonst.

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Was die Regierung wegen der Uneinsichtigkeit und Anmaßung der Rechten zum Problem für die innere Ordnung der Republik erklärt, stört sie im übrigen auch in anderer Hinsicht: Die rechten Schläger drohen sich als gravierender Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu etablieren, erst recht für den immer noch schwächelnden Osten. Politiker warnen täglich vor negativen Folgen für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Klima in Deutschland (SZ, 1.8.00), und die Sprecher von BDI und Handwerkern, IHK und DIHT fürchten das Ausbleiben ausländischer Investoren. Zwar habe man noch keine Erkenntnisse darüber, dass wegen der zunehmenden Gewalt Investoren ausblieben, wohl aber gebe es Anzeichen, dass internationale Forscher und Experten Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg meiden würden. (SZ, 2.8.00) Was immer es mit den Sorgen der weltoffenen deutschen Kapitalisten auf sich haben mag, deutsche Politiker sehen jedenfalls Grund zu „Befürchtungen um das Ansehen Deutschlands“ (SZ, 1.8.00). Sie halten es für ausgesprochen misslich und darüber hinaus für ihrem Rang nicht angemessen, sich unerwünschten politischen Fragen, Misstrauen und Häme auf internationaler Ebene ausgesetzt zu sehen. Deutschland hat sich schließlich selbst als Verteiler von Zensuren vorgesehen und als supranationale Instanz, die die Kriterien der Statuszuweisung in der Union festlegt und – wie im Fall Österreich – Strafen auch für interne gemeinschaftsgefährdende nationalistische Umtriebe zumisst, und nicht als ein Land, das von anderen für seine inneren Zustände schlechte Noten bekommt. Deshalb legt die deutsche EU-Führungsmacht größten Wert auf ihren international einwandfreien Leumund. Deutsche Politiker verkennen aber auch nicht das praktische Störpotential im Hinblick auf das europäische Einigungs- und Weltmachtprojekt, das einem Aufschwung des europafeindlichen Rechtsradikalismus in der deutschen EU-Hauptmacht und seiner exemplarischen Ausstrahlung auf andere Länder innewohnt. Das muss mit allen Mitteln verhindert werden.

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Mit dem Problem ist auch die Frage nach Diagnose und Anamnese des grassierenden gesellschaftlichen Übels aufgeworfen, denn: Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist bekanntlich eine klare Diagnose (Schily, Der Spiegel, 32/2000). Auf diesem Feld ist allerdings einiges im Angebot. „Klar“ an der Diagnose scheinen aber, bei aller Pluralität des politischen und sozialpsychologischen Diskurses, den Ursachenforschern zwei Erklärungsansätze zu sein: Dass aus Arbeitslosigkeit, Armut und hoffnungsloser sozialer Lage Rechtsradikalismus und der Hang zum Totschlag gegenüber ausländischen, linken oder noch stärker pauperisierten Mitbürgern erwachsen, leuchtet jedem Vulgärmaterialisten ohne weiteres Argument ein, auch wenn weder vulgäre noch materialistische Argumente im Spiel sind, wenn sich die Wut der Zukurzgekommenen ausgerechnet gegen Leute richtet, die garantiert nichts mit den Gründen ihrer Armut zu tun haben: gegen Ausländer, durch Pass und Hautfarbe ausgewiesene Nicht-Mitglieder der Volksgemeinschaft. Dass die Hälfte der einschlägigen Delikte in den „neuen Ländern“ passiert, obwohl dort nur 21 Prozent der Bevölkerung leben, erklärt sich demnach aus der dort noch schlechteren sozialen Lage. Andererseits – das merkt inzwischen jeder zweite Feuilletonist – enthält diese Erklärung viel zu viel Verständnis im Vergleich zur jetzt gebotenen Verurteilung des Rechtsradikalismus, so dass jetzt auch mal die tiefschürfende Erinnerung angebracht ist, dass schließlich nicht jeder Arbeitslose automatisch rechtsradikal ist und umgekehrt nicht jeder Rechtsradikale arbeitslos. Berücksichtigung des ‚subjektiven Faktors‘ ist also geboten. Und da gibt unendlich viele, aber einige besonders schöne Angebote für das intellektuelle Bedürfnis, die rechtsradikale Haltung aus dem Umkreis verständlicher nationaler Regungen auszugrenzen und als durch und durch verwerflich zu ächten; so vor allem die besonders ungünstigen Bedingungen in den neuen Ländern. Die bevorzugte Erklärung Nummer zwei lautet, dass dort Faschisterei und Fremdenfeindlichkeit als mentales Erbe der untergegangenen DDR ihr Unwesen in den Köpfen der Ossis treiben, also aus den verflossenen und nie und nimmer aus den jetzigen Staatsverhältnissen stammen. Die Arbeiter- und Bauernmacht hatte ja bekanntlich bei sich „bloß“ den Kapitalismus abgeschafft und damit leichtfertig und ideologisch die Wurzel allen Übels für ausgerottet erklärt und mit ihrem zur Staatsideologie erhobenen Antifaschismus … die Ostdeutschen von jeder persönlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust entbunden – wohingegen ‚wir‘ im Westen uns ganz ohne Antifaschismus mit tiefer persönlicher Betroffenheit „Schindlers Liste“ reingezogen haben. Dass diese Unterlassung ursächlich für den jetzt besonders im Osten eingehausten Rechtsradikalismus ist, ergibt sich für die Analytiker daraus, dass es ihn jetzt dort gibt: Dann müssen wohl Antisemitismus und Rassismus… in Ostdeutschland seit dem Zweiten Weltkrieg überwintert (haben) und… nach der Wende wieder virulent geworden (sein) – wohingegen bei ‚uns‘ gewisse patriotische Grundüberzeugungen nie in die innere Emigration gegangen sind. Daran, dass die rechte Volkswut sich im Osten vornehmlich an Ausländern austobt, ist 10 Jahre nach seinem Ende der untergegangene Arbeiter- und Bauernstaat schuld: Einerseits hat die DDR ihre Bürger durch einen zu geringen Ausländeranteil an der Bevölkerung schlecht auf das viele „Fremde“, das ihnen heute in der Freiheit begegnet, vorbereitet; andererseits, was aber irgendwie dasselbe ist, war die alte DDR-Gesellschaft von einer sozialen Homogenität, die ihren alten Bürgern aus unerfindlichen Gründen so gut gefallen hat, dass sie sie jetzt durch die Abwehr alles Fremden verteidigen – wohingegen ‚wir‘ an soviel soziale Unannehmlichkeiten gewöhnt sind, dass wir uns mehrheitlich sogar mit Ausländern abgefunden haben. Zu alledem kommt wiederum umgekehrt erschwerend hinzu, dass die DDR ein Ort autoritärer Sozialisation war, dem, was für kommunistische Sozialisationsorte typisch ist, die demokratischen Traditionen fehlten (alle Zitate dieses Abschnitts aus SZ, zwischen 29.7. und 4.8.00): Schon wieder ein – wie sich heute herausstellt – folgenschweres Defizit bei der Vorbereitung der DDR-Bürger auf die Wiedervereinigung. Nach Belieben ist dem Kreis der zusammenwirkenden Faktoren hinzuzufügen: das Versagen von Elternhaus, Schule, Justiz und Staat überhaupt, das Gefühl ein Staatsbürger zweiter Klasse zu sein, die kindliche Erfahrung häuslicher Gewalt und das Internet. So viele Faktoren und Bedingungen für rechte Gewalt; nur ihren Grund mag niemand benennen, obwohl er immer dann implizit zur Sprache kommt, wenn die Schläger von oben mit dem Argument zurechtgewiesen werden, dass ihr Tun doch ihrer ureigensten Sache, der nationalen, Schaden zufüge: Wie ein Tabu, dessen Inhalt jeder kennt, an das aber niemand rühren mag, wird der schlichte Grund der ganzen Aufregung behandelt, dass da radikal enttäuschte Nationalisten am Werk sind, die, jahrelang von der Ausländerhetze der offiziellen Politik angeleitet, ihr „Deutschsein“ für ein Privileg halten, wovon sie aber leider immer nichts merken. Für die fehlende Würdigung ihres Deutschtums im eigenen Lande wissen sie deswegen auch die Schuldigen: Schwache oder pflichtvergessene Politiker, die das Land und seine Bürger undeutschen Elementen ausliefern. Gegen die muss man sich wehren, im eigenen wie im Namen der Nation.

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So einfältig die Diagnose des Übels ausfällt, so einfach ist die Therapie: Der erste Einfall heißt quer durch alle Parteien „Draufhauen“. Bundesgrenzschutz und Polizei sind gefordert, schärfere Gesetze, härtere Anwendung der bestehenden, schnellere Gerichtsurteile, Sondergerichte für rechtsradikale Gewalttaten, Zurückdrängung des milderen Jugendstrafrechts, Existenzvernichtung durch Kündigungen, verstärkte Überwachung, Internet-Kontrolle, Beschränkung des Demonstrationsrechtes, Verbot der NPD. Das geht vom notorischen Beckstein, der damit gleich eine Konkurrenz rechts von der CSU, wo eigentlich keine mehr sein sollte, abräumen will, bis zu dem feingeistigen Lichterketten-Lorenzo: Ich glaube sehr stark an Repression. (im Presseclub der ARD)

Die zweite Idee ist – gegen Rechtsradikalismus fallen Demokraten eben immer nur rechtsradikale Mittel ein –, den Nationalismus, den man im Zuge der Ursachenforschung gar nicht benennen, geschweige denn kritisieren wollte, agitatorisch zu benutzen: Einsichtige Deutsche sollen sich in der Ausländerfrage auf die Politik der Regierung, und damit auf den Nutzen der Nation einerseits und ihre Ehre andererseits einschwören lassen, um die Rechten, die dem Vorteil wie dem Ansehen des Landes schaden, auszugrenzen; nach dem Motto Stolpes: ‚Man muss den Kerlen in die Köpfe bleuen, dass sie keine Patrioten sind!‘

Dabei soll eine Kampagne der Vorbilder helfen. In ihr sollen Führungsfiguren der Gesellschaft wie Günther Jauch und Veronika Ferres, Zlatko und die Kanzlergattin Gesicht zeigen, so das Motto der Veranstaltung, und damit um Sympathie und Vertrauen für die Regierungslinie in allen Fragen eines politisch korrekten Nationalismus werben: Wer für deutsche Interessen steht, das dürfen nicht die hergelaufenen Skins und Faschisten aus dem Bodensatz der Gesellschaft mit ihrem egalitären Glauben an die Gleichheit aller Volksgenossen definieren. Das soll man lieber vertrauensvoll kompetenten Leuten aus der dazu berufenen Elite des Landes überlassen, nach der Devise: Wer am meisten Geld verdient und zu den Prominenten in Deutschland gehört, hat auch am meisten recht. Die basteln an einem richtigen demokratischen Umerziehungs- und Agitationsprogramm gegen den dumpfen und für einen rundum sympathischen, funktionellen und irgendwie coolen demokratischen Rassismus, von dem alle etwas haben, besonders „wir“. Das lassen sie von den „Vorbildern“ aus Film, Funk und Fernsehen promoten und repräsentieren, mit der moralisch einwandfreien Werbebotschaft, dass auch Ausländer ganz schön nützlich für Staat und Gesellschaft sein können, wenn es sich um die Richtigen handelt. Den letzten Beweis dafür treten die in allen Fragen der Ausnutzung verschiedenartigsten Menschenmaterials kompetentesten und glaubwürdigsten der nationalen Führungsfiguren an, die deutschen Kapitalisten: Würden die vielleicht einem Ausländer 100.000 DM p.a. in den Rachen werfen, wenn er nichts nützte? Na eben!

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Die Anwendung der schärfsten Waffe der freiheitlich demokratischen Grundordnung zur Ausgrenzung einer missliebigen politischen Konkurrenz, ein Parteienverbot, ist hinsichtlich seiner Notwendigkeit und Erwünschtheit in bezug auf die NPD, als die derzeit größte Organisation der Rechtsradikalen, in demokratischen Kreisen unstrittig. Die Vorstellung, es zulassen zu müssen, dass sich eine nationalistische Partei als „politischer Arm“ der rechtsradikalen Schlägerbewegung erfolgreich in ihrer Parteienkonkurrenz etablieren könnte, schmeckt diesen Kreisen gar nicht. Das führt zu einem umfänglichen öffentlichen und nichtöffentlichen Raisonnement über die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrages einerseits und seinen Nutzen, im Falle seines Erfolges, andererseits.

Die demokratischen Konkurrenten, die in einem gerichtlichen Verbot der NPD endlich das schlagende Argument gegen diese Partei gefunden haben – ein besseres ist ihnen nie eingefallen –, trauen nämlich der Rechtslage und ihrem obersten Gericht nicht ohne weiteres zu, den erwünschten Erfolg auch wirklich zu liefern: Immerhin hat man es hier mit einer Partei zu tun, deren Programm es nicht verbietet, sie jährlich mit ca. 1,2 Mio DM aus öffentlichen Mitteln zu fördern. So könnte es passieren, dass das Bundesverfassungsgericht bei Prüfung der Verbotsgründe im Programm auf nichts als den wohlbekannten Nationalismus stößt, wie er in allen anderen Parteiprogrammen so liebe- und verantwortungsvoll ausgemalt wird, daran nichts auszusetzen findet und eine für ein Verbot ausreichende Zuordnung krimineller Taten im Sinne einer kämpferischen Gegnerschaft zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu dem überhaupt nicht kriminellen Parteiprogramm nicht vornimmt. Diese Vorstellung ist den etablierten Parteien ein Graus, würde eine solche Pleite doch einer rechtsstaatlichen „Heiligsprechung“ der NPD gleichkommen, die man unter allen Umständen vermeiden will. Deshalb hebt ein großes Abwägen und vor allem Recherchieren an, wieviel Gerichtsverwertbares man dem ungeliebten Konkurrenten ans Bein binden könnte.

Das macht die diskreten Herren von den Verfassungsschutzämtern derzeit zu beliebten Interviewpartnern und deren berufsspezifische Schnüfflerdummheit zum Gegenstand interessanter Debatten: Die Agenten des demokratischen Überwachungsstaates gelten nämlich als die Experten für den Nutzen des ins Auge gefassten Parteiverbotes. Sie halten dafür, dass, einmal verboten, die NPD erheblich schwerer zu beobachten wäre, und melden deswegen Bedenken an. In ihrer Berufsblindheit halten es die Verfassungsschützer für den wesentlichen Zweck eines vom Staat angefeindeten politischen Vereins, seiner Observation Schwierigkeiten zu machen, und übersehen dabei glatt, was für ein Schlag das Verbot für eine Partei ist, die auf nationale Öffentlichkeit aus ist und am liebsten möglichst massenhaft demonstrierend unter dem Brandenburger Tor wahrgenommen werden möchte. Aus Verfassungsschutz-Sicht wird die – derzeit noch legale – Öffentlichkeit der Partei zu einer einzigen guten Bedingung der geheimdienstlichen Überwachung und daraus ein Argument gegen einen Verbotsantrag. Auch nicht schlecht. So ähnlich haben wir uns das Verhältnis von Legalität und Kontrolle in der wehrhaften Demokratie schon immer vorgestellt.