Amerikas ‚Krieg gegen den Terrorismus‘, Zivilabteilung:
Umsturz von oben beim saudi-arabischen Vasallen
Die Herrscher über die wichtigsten Energiequellen der islamischen Weltreligion und des globalen Kapitalismus sollen ‚mehr Demokratie wagen‘

Das Großunternehmen der US-Regierung zur Demokratisierung des ‚weiteren Mittleren Ostens‘ zielt auch auf Saudi-Arabien: Das fromme Königshaus mit seinem jederzeit massenhaft und billig verfügbaren Petroleum und seinen fetten Geldanlagen in den kapitalistischen Metropolen sieht sich harter Kritik aus Washington ausgesetzt, die nicht bloß die eine oder andere seiner Methoden, sondern das ganze System seiner Herrschaft betrifft.

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Amerikas ‚Krieg gegen den Terrorismus‘, Zivilabteilung:
Umsturz von oben beim saudi-arabischen Vasallen
Die Herrscher über die wichtigsten Energiequellen der islamischen Weltreligion und des globalen Kapitalismus sollen ‚mehr Demokratie wagen‘

Das Großunternehmen der US-Regierung zur Demokratisierung des ‚weiteren Mittleren Ostens‘ zielt auch auf Saudi-Arabien: ein Produkt der Zerstörung des Osmanischen Reiches durch die britische Weltmacht, seit Jahrzehnten zuverlässigster Erdöl-Lieferant des Weltkapitalismus, strategischer Partner der USA und Zweigniederlassung ihres Militärs seit dem 2. Weltkrieg, treuer Verbündeter des ‚Westens‘ durch alle Phasen des ‚Kalten Kriegs‘ und der anschließenden ‚Neuen Weltordnung‘ hindurch. Das fromme Königshaus mit seinem jederzeit massenhaft und billig verfügbaren Petroleum und seinen fetten Geldanlagen in den kapitalistischen Metropolen sieht sich harter Kritik aus Washington ausgesetzt, die nicht bloß die eine oder andere seiner Methoden, sondern das ganze System seiner Herrschaft betrifft: Seit „9/11“ wird die gesamte politische, rechtliche und sittliche Verfassung von Staat und Volk für nicht mehr tragbar befunden, weil die meisten Attentäter des 11. September 2001 von dort stammen. Ein ähnlicher „Rückschluss“ von der Herkunft jener Terroristen, deren Tat von der Bush-Regierung unverzüglich zum Eröffnungszug in einem neuen Weltkrieg hinauf-definiert worden ist, auf die Unerträglichkeit des Regimes, in dessen Land sie ihre Zentrale unterhielten und sich frei bewegen konnten, hat Afghanistan immerhin einen Überfall durch die Weltmacht, eine gewaltsame Befreiung von der Taliban-Herrschaft sowie die Installierung von Demokratie in Gestalt eines von Washington ausgesuchten, in Bonn von der Völkerfamilie bestätigten, schließlich auch noch frei gewählten neuen Präsidenten eingetragen. Eine gleichartige Behandlung sieht die Bush-Regierung für Saudi-Arabien nicht vor; zum Feind Amerikas, also der Freiheit, ist das Herrscherhaus, unter dem ein Bin Laden groß werden konnte, nicht erklärt worden. Dafür wird es von der US-Regierung für die Aufgabe in die Pflicht genommen, mit den in seinem Land vorhandenen Bedingungen der Möglichkeit eines militanten Anti-Amerikanismus selber so gründlich aufzuräumen, wie die USA es mit ihrem Feldzug in Afghanistan getan haben und im Irak noch immer tun. Dieser Auftrag betrifft letztlich alles, worin die saudische Monarchie und die durch sie geschaffenen gesellschaftlichen Verhältnisse vom demokratischen Idealbild ‚westlicher‘ Zustände derart abweichen, dass Amerika darin eine Absage an seinen vorbildlichen und verbindlichen politischen „way of life“ erkennt und insofern mindestens den Keim einer militanten Feindschaft gegen sich ausmacht.

Dass den Herrschern des großen Wüstenlandes damit nichts Geringeres aufgegeben ist, als die gesamte Herrschafts-„Räson“ zu liquidieren, nach der ihr Laden funktioniert – immerhin jahrzehntelang zur vollen Zufriedenheit der USA –, irritiert die Auftraggeber aus Washington nicht. Warum auch: Die „Staatsräson“ des Hauses Saud hat sie ja auch nie irritiert. Ihr Anspruch auf „demokratische Reformen“ von oben ist nicht mehr und nicht weniger zynisch als ihr früheres Wohlgefallen an der frommen Monarchie, deren Staatswesen ihnen nun so verdächtig vorkommt. Die generelle politische Messlatte, unter die sie das ganze Land samt Öl und ‚Heiligen Stätten‘, Volk und Prinzen usw. nach Strich und Faden subsumieren, bleibt die gleiche: Die zuständigen Regenten haben die Ordnungsleistungen zu erbringen, auf die die Weltmacht ein Recht hat, weil sie die Weltordnungsmacht ist und bleiben will; und zwar exakt die Leistungen, die die aktuelle Führung der Weltmacht aktuell für notwendig befindet. Für die absurden Konsequenzen haften die Regionalbeauftragten mit ihrer Souveränität.

I. „Staat“ und „Gesellschaft“ in Amerikas arabischer Erdölquelle Nr. 1

Das saudische Herrscherhaus gebietet über das Land mit den reichsten Erdölquellen der Welt. Es nimmt aus dem Export dieses Artikels enorm viel Geld ein, partizipiert so am eigentlichen, abstrakten Reichtum, den die kapitalistische Weltwirtschaft hervorbringt. Damit betätigt es sich als großer Kunde auf den internationalen Warenmärkten; außerdem mischt es im globalen Finanzgeschäft aktiv mit, in der Schuldenwirtschaft des amerikanischen Fiskus ebenso wie im europäischen Aktienhandel.

Seine Macht über das alles verdankt das Haus Saud seiner – mit viel Gewalt und britischer Hilfe errungenen und mit amerikanischer Unterstützung behaupteten – Position an der Spitze einer Hierarchie von Stammesführern, die auf Grund von persönlichen, in einem weiten Sinn verwandtschaftlichen Autoritäts-Beziehungen über ihre jeweiligen Teile der Landesbevölkerung das Sagen haben, sowie seiner ebenfalls gewaltsam eroberten Stellung als Garant der wichtigsten heiligen Stätten und daran geknüpften Rituale einer Religion, die im eigenen Land als unbedingtes Kontrollregime über die Sitten des Volkes in dessen Alltag allgegenwärtig ist und in den Ländern zwischen Marokko und Indonesien eine ähnliche praktische Bedeutung besitzt; das begründet eine spezielle Wichtigkeit in der islamischen Welt.

Die Herrschaft über seine religiös bornierte Stammesgesellschaft übt das Königshaus mit den Mitteln des abstrakten Reichtums aus, den ihm seine Teilhabe am globalen Kapitalismus einbringt. Wie eine bürgerliche Staatsgewalt regiert es vermittels eines ordentlichen Staatshaushalts, mit dem es neben etlichen der allgemein üblichen modernen Staatsnotwendigkeiten auch einige im bürgerlich-demokratischen Normalfall unübliche Dinge finanziert: Es unterhält einen militärischen und polizeilichen Gewaltapparat, der sich neben den entsprechenden Einrichtungen freiheitlicher ‚westlicher‘ Gemeinwesen durchaus sehen lassen kann – Ausstattung und Ausbildung stammen ohnehin aus deren Arsenalen; es leistet sich eine äußerst repräsentative Darstellung von Macht und Reichtum nach innen wie für die Außenwelt – in Form von Hotel- und anderen Palästen ebenso wie von Sakralbauten und einer Infrastruktur zur Abwicklung der periodischen Massenwallfahrten; es treibt Wirtschaftspolitik, was in dem Fall bedeutet: es organisiert die Beschaffung der Mittel für Förderung und Transport des Erdöls sowie den Aufbau von Elementen eines nationalen Kapitalkreislaufs um die Öl- und Gasgewinnung herum und bewirtschaftet seine auswärtigen Kapitalanlagen; und es betreibt eine Art von Sozialpolitik, die eine Hierarchie weltlicher Würdenträger und religiöser Funktionsträger alimentiert, außerdem großen Teilen des Volkes eine gewisse Grundversorgung mit Kaufkraft und öffentlichen Dienstleistungen gewährt und für die beträchtliche Zahl der Armen ein an religiösen Normen orientiertes Almosenwesen aufrecht erhält.

Das Herrscherhaus benutzt also seine Erdöl-Einnahmen für den Erhalt und eine den modernen Lebensverhältnissen angepasste Fortführung der überkommenen ‚gesellschaftlichen‘ und Herrschaftsverhältnisse; es lässt sein Volk am internationalen Kapitalismus teilhaben, ohne ihm die Sachzwänge eines Erwerbslebens nach den harten Erfolgsmaßstäben dieses Weltsystems aufzunötigen; es erspart ihm mit dem Einsatz von viel Geld die Umwälzung seiner gewohnten Lebensführung und heilig gehaltenen Sitten. Untergraben werden die allerdings schon: Die eigentümliche „politische Ökonomie“ der abgestuften Beteiligung des Volkes an den Geldeinnahmen des Königshauses hat die materielle Basis, den ökonomischen Inhalt der überkommenen Stammesgesellschaft – die Großfamilie bzw. den Stamm als produktive Subsistenzgemeinschaft – längst marginalisiert, zum größten Teil ersetzt und ruiniert; zugleich werden die Selbstverständlichkeiten der religiös begründeten traditionellen Lebensführung und Moral durch das kapitalistische Warenangebot und die dadurch erzeugten Bedürfnisse zersetzt. Stammesloyalität und religiöse Disziplin, nach wie vor Grundlage der etablierten Autoritäts- und Gehorsamsverhältnisse, werden zum Preis für das Privileg, am Energie-bedürftigen Welt-Kapitalismus und dessen auf alles andere als eine fromme Bedürfnisnatur zugeschnittenen Reichtum mit zu schmarotzen.

Die Außenbeziehungen Saudi-Arabiens sind durch denselben Widerspruch bestimmt. Die Anerkennung seiner Hoheit über das Land durch die Nachbarn und seines bedeutenden Ranges in der arabischen und islamischen Staatenwelt verdient sich das Herrscherhaus als ‚Wächter der beiden Heiligen Moscheen‘, als Mäzen islamischer Diaspora-Gemeinden und islamischer Mission sowie als Unterstützer der ‚arabischen Sache‘ dort, wo sie am heftigsten unter die Räder kommt, nämlich in Palästina. Die Mittel dafür, die finanziellen wie die unerlässliche Lizenz seitens der imperialistischen Aufsichtsmächte, bezieht es aus seinen Diensten am globalen Kapitalismus, den es mit billiger Energie versorgt, sowie für Amerikas Ordnungsmacht in der Region; diese Dienstleistung ist die materielle Grundlage seiner islamisch-arabischen Herrschafts-„Räson“. Beides irgendwie zur Deckung zu bringen, ist die Daueraufgabe saudischer Außenpolitik; ob und wie das gelingt, hängt dabei von ihr gar nicht ab.

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1. Zur politischen Ökonomie: Teilhabe und Dienst an der weltweiten Kapitalakkumulation als Erdöl-Exporteur, Großkunde und Geldanleger

Was für die potenten kapitalistischen Nationen generell und für die amerikanische Führungsmacht im Besonderen das Schmiermittel ihrer kapitalistischen Akkumulation ist, nämlich wichtiger Posten in jeder kapitalistischen Kostenrechnung und jeder nationalen Außenhandelsbilanz: der unschlagbar billige Energieträger Erdöl, das ist für Saudi-Arabien seine entscheidende Reichtumsquelle. Das Öl garantiert dem Staat einen Anteil an der auswärts stattfindenden Produktion und Vermehrung des Reichtums in seiner weltweit gültigen und schlagfertigen Geldform, dank der riesigen Nachfrage nach diesem Stoff und dank der Launen der Geologie sogar in besonders stattlichem Umfang. Ein Glücksfall für eine Herrschaft, die von Haus aus über keine nationale Ökonomie verfügt, die Vermögen in nennenswertem Umfang oder gar in der global brauchbaren Geldform hervorbringt: Das Ölgeschäft beschert dem Königshaus Saud genügend Einnahmen, um damit eine funktionierende Herrschaft über ein riesiges Wüstengebiet mit einer anfänglich geringen Bevölkerung aufzurichten. Dafür haben die Landesherren sich den ökonomischen Bedürfnissen der maßgeblichen Weltwirtschaftsmächte und im Weiteren auch den strategischen Ansprüchen der Weltordnungsmacht USA dienstbar gemacht.

Die saudischen Herrscher legen sich mit ihren Öldollars allen Luxus zu, den insbesondere amerikanische Geschäftstüchtigkeit zu bieten hat; alles, was eine zeitgemäß ausgestattete Staatsgewalt so braucht und was das Ölgeschäft an Erfordernissen und Staatsprojekten mit sich bringt – Ölförderanlagen etwa und die notwendige Infrastruktur im Land. Mit Hilfe amerikanischer Experten und unter Anleitung einer Gemeinsamen Kommission für Wirtschaftskooperation gestalten sie ihr Land so aus, dass, wenn ein amerikanischer Geschäftsmann nach Saudi-Arabien kommt, er sich gleich wie zu Hause fühlt. ‚Wenn man durch den Zoll geht, ist das so, als ob man in Amerika ankäme.‘ (Washington Post, 11.2.02). Bis Mitte der 80er Jahre belaufen sich die Gesamteinkäufe im Rahmen dieser segensreichen Kooperation schon auf runde 500 Mrd. Dollar.

Riad tritt nicht nur als potenter Käufer auf dem Weltmarkt auf und bereichert als wichtiger Kunde speziell den „militärisch-industriellen Komplex“ Amerikas. Es beschränkt sich nicht darauf, seine Ölrente zu konsumieren, sondern macht sich mit seinen Dollarmilliarden zur bedeutenden Quelle von Finanzengagements in der Kapitalakkumulation auswärts. „Die Scheichs“ kaufen sich in die Ausbeutung in den Zentren des Kapitalismus ein, traditionell zu drei Vierteln in den USA. Sie fungieren dort als Finanzkapitalisten, die Unternehmen und Staat kreditieren. Inzwischen sind ca. 750 Mrd. Dollar saudischen Ursprungs in den USA engagiert.

Alle Formen der saudischen Beteiligung am globalen kapitalistischen Wachstum ‚recyceln‘ die kassierten Öldollars verlässlich in die Zentren des Kapitalismus, bevorzugt in die USA, und beflügeln dort die nationale Kapitalakkumulation. Darüber hinaus werden US-Kriege maßgeblich mit saudischen Dollars mitfinanziert; schon die Bürde des durch den Vietnamkrieg verursachten Haushaltsdefizits wird dem amerikanischen Steuerzahler durch die Zeichnung von US-Staatsanleihen erleichtert; den ersten Irak-Krieg unterstützt Riad mit circa 50 Milliarden. Was die Verwendung der vielen Öldollars angeht, bleiben die Saudis den USA also nichts schuldig und ebenso beflissen bedienen sie deren Interesse an gesicherter Verfügung über das Öl und Kontrolle der nahöstlichen Ölstaaten – alles in allem wahrlich eine „special relationship“ zwischen dem Königshaus und der Supermacht.

2. Zum staatlichen Innenleben: Stammesherrschaft im Namen Allahs

Die mindere Rechtsstellung „der Frau“ – die vor allem –, daneben die Erblichkeit von Herrschaftsfunktionen sowie manche drakonische Brutalität des ortsüblichen Strafrechts: So etwas beweist dem aufgeklärten christlich-abendländischen Gemüt zur Genüge die menschenrechtswidrige Rückständigkeit traditionell muslimischer Gesellschaften im Allgemeinen, des saudischen Gemeinwesens – sofern dessen Innenleben einmal einer tiefer schürfenden Aufmerksamkeit gewürdigt wird – im Besonderen. Da werden bürgerliche Machos zu Verfechtern der political correctness in der Frauenfrage; Friedensfreunde finden Gefallen an Amerikas tapferer Intervention gegen Schleierzwang und den Ausschluss von Mädchen aus der Koranschule. Vor lauter – gespielter, geheuchelter oder sogar ehrlicher – bürgerlich (selbst-)gerechter Empörung wird dabei gar nicht zur Kenntnis genommen, wie entscheidend die inkriminierten und skandalisierten Einrichtungen und Gepflogenheiten für den Zusammenhalt jener so gar nicht bürgerlichen Gesellschaft tatsächlich sind.

a) Ein Rechtssystem aus naturwüchsig-familiären Gewalt- und Dienstverhältnissen und göttlichem Segen

Autoritäts- und Unterordnungsverhältnisse, unter denen das weibliche Geschlecht besonders schlecht abschneidet; eine elitäre, sich selbst reproduzierende „politische Klasse“, an deren Spitze ein ausgesuchter „Klüngel“ von einigen Familien die Macht unter sich aushandelt; ein Strafsystem, das den Übeltäter seelisch und körperlich ruiniert bis hin zur Todesstrafe – das alles gibt es anderswo auch und mehr oder weniger ausgeprägt sogar im Reich der westlichen Freiheit. Fundamental anders sind weniger die unschönen Zustände als die bei den Saudis befolgten Rechtsprinzipien, die diese Zustände sanktionieren. Für rechtens gilt dort die Zuweisung spezieller Pflichten und Befugnisse ans einzelne Familienmitglied, die Definition seiner Rechtspersönlichkeit gemäß seiner Stellung in einer ausgedehnten festen Hierarchie, die auf Abstammungsverhältnissen – der Nähe zu einem maßgeblichen „Stammvater“, der Position in der Reihe der Nachkommen sowie dem Geschlecht – beruht. Diese Sorte Recht gewährleistet also eine an natürliche Bestimmungen angelehnte positive wie negative Diskriminierung der einzelnen – und nicht die Abstraktion der Gleichheit und allgemeinen Handlungsfreiheit von bürgerlichen Rechtssubjekten. Wenn die sich mit den durchaus unterschiedlichen Mitteln, die sie unterschiedslos ihr eigen nennen dürfen, in staatlich geregelter und überwachter Konkurrenz ihren führenden oder subalternen Status in der Gesellschaft erkämpfen, dann gelten alle gesellschaftlich gültigen und wichtigen „Diskriminierungen“ rechtlich und im Übrigen auch moralisch als das Resultat individuellen Bemühens und individuell zurechenbaren Ge- oder Misslingens unter der Herrschaft allgemein gültiger Gesetze und sind deshalb mit der großen Errungenschaft der bürgerlichen Égalité bestens verträglich.

Natürlich sind auch in derart unbürgerlichen Rechtsverhältnissen naturwüchsige Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb einer Sippschaft nicht der Grund der daran geknüpften unterschiedlichen Rechtsstellung der verschiedenen Mitglieder. Die Hierarchie der Befugnisse und Gehorsamspflichten spiegelt Herrschafts- und Dienstverhältnisse wider, die ihren Grund in der Verfügungsgewalt des „geborenen“ Oberhaupts, des Patriarchen, über die Subsistenzmittel seiner Sippe, über das arbeitsteilige Zusammenwirken „der Seinen“ sowie, wichtiger Bestandteil dieser Kooperation, über gemeinschaftlichen Gewaltgebrauch gegen andere in der Auseinandersetzung um Subsistenzmittel und ein bisschen Überfluss haben; das Ergebnis solcher Konflikte begründet dann eine Rangfolge der Familien innerhalb von Stammesverbänden sowie der rivalisierenden Stämme innerhalb eines größeren Gemeinwesens, also eine Hierarchie der Familienoberhäupter bis hinauf zum väterlichen Chef der stärksten, von den anderen anerkannten Sippschaft – des Hauses Saud mit seinen Tausenden von Prinzen im Fall der nach ihm benannten arabischen Nation. Einmal etabliert, gelten diese Gewalt- und Dienstverhältnisse, vom Familienverband bis hinauf zur Gesamtheit der mit Gewalt und Heiratspolitik vereinten Stämme, dann allerdings als natürliche, von jedem einzelnen anzuerkennende „Ordnung der Dinge“ – nochmals: nicht, wie im bürgerlichen Rechtssystem, deswegen, weil die Abstraktion der Gleichheit aller sowie ein Gesamtkunstwerk von Vorschriften zum rechten Gebrauch der Freiheit, die ohne Ansehen der Person gelten, das Resultat der Konkurrenzkämpfe heiligt: Nicht die Methode der Durchsetzung, die durchgesetzte Hierarchie selbst, die jeder Person ihr besonderes Ansehen zuschreibt, gilt mit der Selbstverständlichkeit der Abstammungsverhältnisse, an denen entlang sie entwickelt ist.

Was dieser „natürlichen“ Ordnung – der man ihre Herkunft aus Stammes-Kämpfen noch ansieht, ja die gar nichts anderes ist als deren erreichter Stand – den Status einer legitimen Ordnung und eines verbindlichen Rechtszustands gibt, ist die Religion: Sie rechtfertigt alle Diskriminierungen positiver wie negativer Art, die verbindliche Statuszuweisung an Mann und Frau und jedes Familienmitglied entsprechend seiner Nähe zum jeweiligen Patriarchen der Sippe, des Stammes, schließlich des Stammesverbandes. Sie legitimiert diese Rechtsstellung – um auch in diesem Punkt den Vergleich mit den „aufgeklärten“ bürgerlichen Verhältnissen explizit zu machen – nicht im Sinne einer erbaulichen Erzählung von der höheren göttlichen Gerechtigkeit, die das von den Ergebnissen des bürgerlichen Konkurrenzkampfs erregte, selten triumphierende, meistens beleidigte Gerechtigkeitsempfinden des selbstbewussten Einzelnen bedient, nämlich je nach dem bestätigt oder tröstet, die Verbindlichkeit des geltenden Rechts aber weder in Frage stellt noch begründet, allenfalls bekräftigt: In der Gesellschaft derer vom Stamme Saud rangiert die Religion mit ihren Verlautbarungen über die wahre göttliche „Ordnung der Dinge“, der sozialen nämlich, als Quelle des Rechts selber – eines Rechts, das eben nicht Verfahrensweisen des Konkurrierens kodifiziert, sondern einem jeden als gottgewollte Tatsache seinen gesellschaftlichen Status und die mit diesem verbundenen Aufgaben, Ansprüche und Maximen seiner alltäglichen Lebensführung mitteilt und das keinen Raum lässt für das bekannte und geschätzte bürgerliche Paradox eines vom staatlich gesetzten Recht womöglich himmelweit abweichenden Gerechtigkeitsgefühls. Was die Gewalt in und zwischen den Sippen und Stämmen an Unterwerfung und Dienstbarkeit erzwungen und geregelt hat, das heiligt die Religion ganz unmittelbar als Recht; und dieses Recht besitzt eben deswegen unmittelbar moralische Verbindlichkeit; was nur zu folgerichtig eine Verpflichtung der Machthaber einschließt, bei der Durchsetzung rechtlichen Verhaltens und bei der Ahndung von Gesetzesbrüchen als Sachwalter einer gottgewollten Ordnung tätig zu werden und einem religiös geschulten, entsprechend rigorosen Gerechtigkeitsempfinden Geltung zu verschaffen.[1] Dem Oberhaupt des Hauses Saud erwächst dementsprechend aus der Eroberung der Heiligen Stätten des Islam eine ganz spezielle Legitimation[2] und die besondere Pflicht, sein nach Stämmen geordnetes Gesamtvolk nicht bloß nach weltlichen Maßstäben erfolgreich zu regieren, sondern zu einer Glaubensgemeinschaft zu formen, die in ihrem Lebenswandel den Ordnungswillen des großen Jenseitigen zur Anschauung bringt.[3]

b) Reproduktion und Zerstörung der frommen Stammesgesellschaft durch das neue Subsistenzmittel Petrodollars

Mit den Milliarden-Einnahmen aus dem Ölgeschäft hat das siegreiche Herrscherhaus sich materiell vom Zugriff auf die spärlichen Mittel der autochthonen Subsistenzwirtschaft, der Basaris und des Pilgerwesens als Reichtumsquelle emanzipiert; mit der Verfügung über moderne Gewaltmittel und seiner Herrichtung zum Statthalter imperialistischer Ordnungsinteressen hat es den Dauerfehden zwischen Sippen und Stämmen um Subsistenzmittel und um eine bessere Position in der Hierarchie der Familienoberhäupter und Stammesältesten ein Ende gemacht. Die überkommenen Rechtsgrundsätze, deren religiöse Begründung und die daraus abgeleitete Herrschafts- und Lebensordnung haben die Chefs des Hauses Saud jedoch nicht außer Kraft gesetzt. Um dieses „System“ zu erhalten, haben sie es im Gegenteil mit Gewalt und mit den Erträgen aus dem internationalen Ölgeschäft auf den Kopf gestellt: Sie lassen die Oberhäupter ihrer Stammesgesellschaft an dem Geldüberfluss, den sie von ihrer weltweiten Kundschaft einkassieren, sowie an der Macht über das ganze große Land und seine Einwohner teilhaben, die sie nach dem bürgerlichem Vorbild einem staatlichen Gewaltmonopol mit Polizei, Armee und Geheimdiensten unterwerfen. Damit zersetzen sie freilich die überkommene Wirtschaftsweise ihrer Gesellschaft,[4] zerstören so den materiellen Ursprung und Inhalt der herrschenden Autoritäts- und Unterordnungsverhältnisse, untergraben damit ihre Rechtsgrundsätze mitsamt der Religion, aus der diese abgeleitet sind, und die Verbindlichkeit der maßgeblichen frommen Sitten. Dass sie an der traditionellen Einrichtung ihres Reiches gleichwohl strikt festhalten und im Prinzip nichts geändert wissen wollen, zieht logischerweise Friktionen nach sich.

Umstellen musste sich die Elite des Landes, die Vielzahl von Prinzen, Scheichs, Sippenchefs und geistlichen Würdenträgern; doch die kommt mit dem Umsturz ihrer alten, allemal recht armseligen und prekären Reproduktionsweise insgesamt ganz gut zurecht. Statt sich, gestützt auf ihren „natürlichen“ Anhang und dessen Leistungen als Produktions- und Gewaltapparat, mit ihresgleichen zu messen, herumzuschlagen, zu verbünden und wieder zu entzweien, konkurrieren diese Figuren jetzt gegeneinander, nach wie vor gestützt auf ihre Stellung als „geborene“ Oberhäupter ihrer mehr oder weniger kopfstarken und bedeutsamen Clans, eher zivil um Positionen im gehobenen Familienklüngel der Sauds, in deren Beratergremien, im immer weiter ausgebauten Macht- und Verwaltungsapparat, sowie um die damit verbundenen Pfründen, Gehälter, Apanagen, Bereicherungschancen und Zugriffsrechte: eine umfängliche Vettern- und Intrigenwirtschaft, der freilich die überlegene Vernunft des marktwirtschaftlichen Konkurrierens und Korrumpierens abgeht.[5] An den ergatterten Geldmitteln lassen die Scheichs wiederum ihren Anhang teilhaben; so erhalten sie sich dessen Abhängigkeit.

Die Unteren müssen auch nicht mehr von dem dürftigen „Reichtum“ leben, den sie einst in ihrer dienenden Funktion herbeizuschaffen hatten: Teile der staatlichen Ölrente werden dafür verwandt, den saudischen Massen sei es per ‚Anstellung beim Staat‘, sei es vermittelt über ihren Clan oder sei es über kostenlose bzw. billige ‚Sozialleistungen‘ ein Dasein als finanziell betreute, ökonomisch nutzlose Mannschaft zu spendieren. Das Geld, das ihnen ihre Obrigkeit zukommen lässt, ist auch für die einfachen Stammesbrüder und -schwestern meist wohl das bessere Subsistenzmittel; dass sie dafür nicht mehr alle ihre traditionellen Dienste erbringen müssen, werden sie leicht verkraften. Mit dem materiellen Inhalt ihrer untergeordneten Stellung im naturwüchsigen Kollektiv entfällt allerdings auch deren handfester Grund; ihrer Rechtsstellung kommt die praktische Rechtfertigung durch nützliche niedere Dienste und einen entsprechend beschränkten Anspruch auf Fürsorge des Dienstherrn abhanden. Stattdessen eröffnet das neue Lebensmittel Zugang zu einer Warenwelt weit jenseits der Produkte ihrer früheren Wirtschaftsweise – allerdings erst recht ganz weit jenseits der Reichweite der beschränkten Geldsumme, die durch die abgeleitete Teilhabe an den Öleinkünften des Souveräns bei ihnen ankommt. Sie lernen neben dem Luxus ihrer Herren Armut in ihrer modernen marktwirtschaftlichen Form kennen: statt naturwüchsigem Mangel, der sie gemäß ihrer untergeordneten Funktion besonders trifft, den mit der Höhe der Zuwendung festgelegten Ausschluss von vorhandenem Überfluss. Statt sich an der Dialektik von Herr und Knecht, von untergeordneter Dienstleistung und gerecht beschränkter Gegenleistung des Chefs sowie an dem frommen Imperativ genügsamer Unterordnung abzuarbeiten, dürfen sie darüber nachsinnen, ob beschränkte Geldzuwendungen ein gerechter, Allah wohlgefälliger Grund für Verzicht sind. Soweit sie sich immerhin – und ihre bessergestellten Stammesgenossen sowieso – am zugänglichen Warenangebot bedienen können, machen sie außerdem die Erfahrung, dass ihre überkommenen Lebensbedürfnisse zu der Sorte Reichtum gar nicht passen, die der Weltmarkt zu bieten hat: Dessen Angebot reflektiert die Bedarfslage eines kapitalistischen Erwerbslebens und erweckt oder schafft im Reich der frommen Wahhabiten Wünsche und Begierden, für die der Kanon der Religion teils gar keine Normen, teils entschiedenen Abscheu vorgesehen hat. Zu einem muslimisch-gottesfürchtigen ‚way of life‘ passen die Errungenschaften des globalen bürgerlichen Vulgär- wie Luxus-Materialismus in jedem Falle ziemlich schlecht.

c) Der Kampf des Staates um die Bewahrung des sittlichen und rechtlichen Überbaus vor seiner neuen materiellen Basis

Den zersetzenden Wirkungen der modernen Geld- und Warenwirtschaft auf die religiösen und stammesgesellschaftlichen Sitten stellt sich die Regierung. Selbstverständlich nimmt sie von der Herrschaft des Geldes nichts zurück – dafür kämpft sie umso entschiedener auf dem Feld der guten Sitten um den gar nicht mehr selbstverständlichen Fortbestand ihres frommen Gemeinwesens.[6] In diesem Sinne versucht sie vor allem, das eigentliche kapitalistische Getriebe im Land um das Öl herum und alles, was daran hängt, vom einheimischen Treiben mit seinen Sitten und Gebräuchen abzutrennen, so gut es eben geht. Die notwendigen Arbeiten organisiert sie als eine vom eigentlichen Volk abgegrenzte Sphäre: Die niederen Dienstleistungen erledigen Billigarbeiter, bessere Lohnsklaven, vornehmlich aus Asien, die technischen Leitungsfunktionen in der Ölindustrie vorwiegend ‚Experten‘ aus dem ‚Westen‘, die ‚unreine‘ Drecksarbeit auf den Ölfeldern und in den Raffinerien hauptsächlich Angehörige des dort ansässigen als minderwertig eingeordneten schiitischen Bevölkerungsteils; ein bürgerliches Erwerbsleben bleibt dem frommen Volk erst einmal erspart – oder verwehrt, wenn man es mit den Augen westlicher Experten betrachtet, für die Freiheit im freien Konkurrenzkampf besteht und die Menschenwürde mit dem „Geldmachen“ anfängt. Westliche „Einflüsse“ werden verboten, Ausländer rigoros von den Inländern separiert.[7]

Aus der Welt geschafft ist der Gegensatz der althergebrachten Sitten zu den Folgen der Einbindung in den Weltmarkt damit freilich nicht. Die Trennung der beiden Seiten durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, ist und bleibt ein ständiger Kampf, der mit Geboten und Verboten, mit staatlicher Aufsicht und Gewalt geführt wird. Und wo das Geld mit seinen Anforderungen und Verlockungen gleichwohl seine unaufhaltsamen Wirkungen tut, quasi naturwüchsig alte Sitten und Notwendigkeiten zersetzt oder neue schafft, die sich nicht unterdrücken lassen, da ringen islamische Sittenwächter und Anwälte der Sachnotwendigkeiten des Fortschritts miteinander erbittert um Kompromisse.

3. Zum außenpolitischen Programm: Islamische Führungsmacht – ein Konglomerat aus Öldollars, strategischen Interessen der USA und Besitz der „Heiligen Stätten“

Ausgerechnet dieses angeblich gegen außen so abgeschottete Land hat gar keinen Bestand als selbständiges Staatswesen, das mit eigenmächtig definierten nationalen Interessen auf die Staatenwelt losgeht. Es ist das Produkt auswärtiger Interessen an ihm: am Öl, das in seinem Boden liegt, an einer hoheitlichen Gewalt, die reibungslos dessen Förderung und Abtransport sichert, an einer staatlichen Adresse, die die einschlägigen Ansprüche zur Kenntnis nimmt, ihnen nachkommt und sich generell den Aufsichtsinteressen der zuständigen Oberimperialisten gemäß als Ordnungsmacht nach innen und strategischer Besitzstand nach außen bewährt. An diesen Interessen orientieren sich die saudischen Herrscher seit je, allerdings durchaus mit weitreichenden Ambitionen und nationalen Zielen. Deren erstes und oberstes heißt auch für diesen Staat: Er will mit den ihm gegebenen Mitteln machtvoll vorankommen – das heißt: durch Ausnutzung der Interessen an dem Land seine Geld- und Machtmittel mehren, darüber zum Herrn seiner eigenen Existenzbedingungen werden und Einfluss auf die Umgebung und darüber hinaus gewinnen.

Materielle Grundlage und deswegen erste Räson der saudischen Herrschaft, die allen ihren politischen Berechnungen und Ambitionen vorausgesetzt ist, ist der Stellenwert des Landes im internationalen Ölgeschäft, das die USA beherrschen, sowie im Kalkül Amerikas mit der arabischen Welt. Im Programm der USA – zum einen eine jederzeit ausreichende Bereitstellung des strategischen Guts zu gewährleisten, die Verfügung über die Ölressourcen zu sichern und die Ölregion verlässlich unter ihrer strategischen Kontrolle zu halten;[8] deswegen zum andern alle störenden panarabisch-nationalistischen Ambitionen durch Spaltung zu bekämpfen, Israel als militärisch überlegene proamerikanische Regionalmacht zu implantieren und zu erhalten und auf der Grundlage die arabischen Anrainer mit Sicherheitszusagen an sich zu binden – ist Saudi-Arabien als gewichtiger Amerika-dienlicher Posten im arabischen Lager eingeplant:

„Tatsache ist, dass Saudi-Arabien ein wichtiger Verbündeter ist. Es ist ein wichtiger Akteur sowohl auf der ökonomischen als auch auf der strategischen Weltbühne. Es gibt keinen Weg, Amerikas Abhängigkeit von Kohlenwasserstoffen im Augenblick zu verringern. Das meiste davon existiert in Saudi-Arabien. Strategisch befinden sie sich in einem wichtigen Teil der Welt.“ (Jordan, amerikanischer Botschafter in Saudi-Arabien – Saudi-US-Relations-Information-Service (SUSRIS) – 7.9.04)

Aus diesen Vorgaben versucht Saudi-Arabien seit jeher für sein nationales Vorankommen das Beste zu machen. Denn die Herrscher über die weltgrößten Ölreserven kalkulieren ihrerseits strategisch. Was für die USA wegen seiner Weltmarktbedeutung ein bevorzugt zu sicherndes strategisches Gut darstellt, das ist für sie das Mittel, um in die Rolle einer gewichtigen Regionalmacht hineinzuwachsen. Sie sind ihrerseits an einem möglichst reibungslosen Gang der Ölgeschäfte, an einer von der Hauptmacht anerkannten und geförderten, durch die OPEC abgesicherten Vorzugsstellung unter den Ölländern interessiert, setzen in Konkurrenz zu anderen arabischen Staaten überhaupt auf Sonderbeziehungen zur Weltmacht als Mittel ihres eigenen nationalen Aufstiegs im Nahen Osten. Das islamische Königreich bewährt sich jahrzehntelang als Gegner und Saboteur aller gegen Amerika gerichteten nationalistischen Bestrebungen im Sinne eines „arabischen Sozialismus“, die mehr oder weniger ausdrücklich auf Kooperation mit der Sowjetunion setzen. Als Öllieferant und OPEC-Führungskraft bedient das Land das von einem amerikanischen Finanzminister in den 70er Jahren prägnant gefasste US-Begehren Ständiger Zugriff auf saudisches Öl in genügender Menge und zu einem sowohl politisch als auch ökonomisch akzeptablen Preis! zuverlässig und konjunkturgerecht. Freilich hat sich Riad bemerkenswerte Ausnahmen geleistet: Im 6-Tage-Krieg sowie im Jom-Kippur-Krieg beteiligt sich die saudische Führung an einem Ölboykott gegen ihre westliche Kundschaft, stellt im ersten Fall neben Geld sogar formell ein Truppenkontingent für den Kampf gegen Israel bereit. Denn neben ihrer ‚Partnerschaft‘ mit den USA pflegt und unterstützt sie zugleich die Gegnerschaft gegen Israel, finanziert vor allem die PLO, um sich im Namen der gemeinsamen islamisch-arabischen Sache – schon wieder in Konkurrenz zu ihrem Staatenumfeld – als Regionalmacht Geltung zu verschaffen.

Dass eine solche Beteiligung am Programm der „Befreiung der heiligen Stätte Jerusalem“ mit einer „partnerschaftlichen Beziehung zu den USA“ nicht zur Deckung zu bringen ist, haben die Machthaber in Riad allerdings zur Kenntnis nehmen müssen und daraus ihre Lehren gezogen. Die USA haben keinen Zweifel daran gelassen, dass sie solche Unbotmäßigkeiten von diesem für sie wichtigen Land nicht hinzunehmen gewillt sind.[9] So endet dieser Akt berechnender arabischer ‚Solidarität‘ gegen Israel ironischerweise mit einer verstärkten ökonomischen und militärischen Anbindung der Saudis an Washington, damit sie künftig ihre wachsende Macht in Öl- und Geldangelegenheiten mit Mäßigung und in Übereinstimmung mit unseren eigenen Zielen verfolgen (Jordan). Seitdem hat sich Riad enger an den strategischen Berechnungen der USA ausgerichtet und das mit seinen arabisch-islamischen Konkurrenzgesichtspunkten zu vereinbaren gewusst. Im irakisch-iranischen Krieg hat es ganz im Sinne der USA Saddam gegen das Khomeini-Regime unterstützt; es hat dann den Übergang zur Gegnerschaft gegen Saddam mitgemacht und die USA im ersten Irak-Krieg mit Geld und durch die Erlaubnis unterstützt, das Land als Hauptbasis der amerikanischen Kriegführung zu benutzen; es fungiert als Helfershelfer der USA in Afghanistan. Und es macht sich vor allem gegenüber Israel zum Vorreiter einer Politik, die von der nicht mehr zu bestreitenden ‚Existenz‘ Israels ausgeht. Die Unterstützung der ‚arabischen Sache‘, d.h. der Versuch der Einflussnahme auf diesen ‚Konfliktherd‘ und die Schwächung der israelischen Regionalmacht beschränkt sich seitdem auf die Finanzierung des palästinensischen Widerstands gegen Israel; zugleich verweigert sich Riad allen Bemühungen, die auf Zusammenschluss der arabischen Nationen gegen amerikanisch-israelische Vorherrschaft gerichtet sind, plädiert auf den einschlägigen arabischen Treffen gegen den Abbruch und für eine durchgreifende Verbesserung der Beziehungen zu Washington, stellt 1981 die Anerkennung des Staates Israel in Aussicht und wirkt auf die Palästinenser eher im Sinne einer Mäßigung ein. Zwar leidet die saudische Führung immer wieder darunter, dass ihre diesbezüglichen Angebote an die USA, sich für eine – natürlich nicht bedingungslose – ‚Aussöhnung‘ mit Israel stark zu machen, sich am eindeutigen Vorrang Israels im amerikanischen Ordnungsprogramm für den Nahen Osten brechen und die erhofften Gegenleistungen der USA ausbleiben. Gleichwohl halten sie an dieser Generallinie ihrer Außenpolitik fest und bilden insgesamt in den Augen Washingtons unter den so problematischen arabischen Staaten eine rühmliche Ausnahme. Damit haben sie sich bei den westlichen Begutachtern der imperialistischen Verhältnisse das lobende Etikett „gemäßigt“ verdient.

Diese funktionelle Kennzeichnung des Landes als ein – vielleicht der einzig verlässliche – Partner unter den arabischen Großstaaten unterschlägt, dass Saudi-Arabien in dieser Rolle keineswegs aufgeht. Die andere Seite seiner Machtbasis und Herrschaftsräson, mit der es seine besondere Rolle in der Staatenwelt beansprucht und ausübt, gründet auf dem Respekt, den die arabisch-islamische Staatenwelt für den „Hüter der Heiligen Stätten“ übrig hat; und der beschränkt sich eben nicht wie beim Papst in Rom auf die Anerkennung seiner moralischen Autorität gegenüber der Christenheit und ihren Staaten. Anders als der Katholizismus hat der Islam nicht einen spirituellen Mittelpunkt, sondern einen realen Ort der Offenbarung, ein dingliches Kraftzentrum des Glaubens, die Kabbala in der großen Moschee von Mekka. Diesen Stein einmal umkreist und berührt zu haben, ist der religiöse Höhepunkt im Leben eines Moslem; die große oder kleine Hadsch ein Muss für jeden besseren Gläubigen, weil daran sein Rang als Moslem und seine Anerkennung im Heimatland hängen. Die politischen Herren von Mekka und Medina sind daher auch nicht bloß ‚Wächter der beiden Moscheen‘ und Organisatoren der Pilgerfahrten, sondern mit ihrer Macht die weltlichen Schutzherren des Zentrums des Islam und seiner entscheidenden religiösen Praxis, und damit der Religion selbst. Das saudische Königshaus ist die islamische Macht schlechthin.

In dieser Rolle steht ihm ein besonderer Rang im Kreis der islamischen Staaten zu – und der wird in der Regel auch anerkannt; selbst wenn, wie von Seiten der konkurrierenden islamischen Glaubensrichtungen insbesondere des Iran, Verurteilungen der unwürdigen ‚Hüter der Heiligen Stätten‘ laut werden und die Pilgerfahrt zu Demonstrationen genutzt wird, unterstreicht dies den besonderen Maßstab islamischer Rechtgläubigkeit und Sittenstrenge, der an die weltliche Macht mit ihrer religiösen Mission angelegt wird. In jedem Fall haben die Saudis mit ihrer Hoheit über die Wallfahrtsstätten nicht nur Anspruch auf den herausgehobenen Rang unter den islamischen Staaten, sondern auch ein handfestes Argument, ihn gegen Widerstreben durchzusetzen: Sie organisieren die Hadsch und teilen den Nationen die in ihrem Ermessen liegenden nach Millionen zählenden Pilger-Kontingente zu. Die islamischen Staaten, die den Saudis ähnlich, ihre Rechtsordnung und ihren Herrschaftsauftrag aus dem Islam ableiten, und die Pilgerfahrt ihrer Bürger als Glaubenspflicht respektieren und wünschen, müssen sich mit den Hausherren ihrer Religion ins gute Benehmen setzen und konzedieren ihnen, wenn nicht aus Überzeugung, so doch aus praktischen Gründen ihre besondere Mission.

Als prädestinierte geistliche Macht konkurrieren die Saudis in der Region insbesondere mit der schiitischen Mullah-Herrschaft des Iran um die Führungsrolle unter den islamischen Staaten, sie sind dann aber auch in der ganzen weiten Welt für die Sache des wahren Islam unterwegs. Sie unterstützen bedürftige arabische Partner, so dass sie Israels Feindschaft aushalten und ihren Anti-Amerikanismus mäßigen; sie greifen in Afghanistan in den Kampf der Frommen gegen die gottlosen Kommunisten auf der zweifach richtigen Seite ins Gemetzel ein; sie betreiben ‚islamische Entwicklungshilfe‘, fördern passende Kräfte oder Regime in Afrika mit Armutsbetreuung und religiösen Aufbauwerken; sie betätigen sich in diesem Sinne auf dem post-sozialistischen Balkan und in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit islamischer Bevölkerung; sie initiieren auch im Westen islamische Bewegungen und Kultusgemeinden oder helfen ihnen mit Moscheen, Geldmitteln und Glaubenslehrern aus. So setzen sie neben ihrer offiziellen Finanzmacht vor allem massenhaft ‚private Spenden‘, dann aber auch vom religiösen Auftrag beseelte Glaubenskämpfer dafür ein, „den Islam“ in aller Welt zu pflegen, konstruktiv wie destruktiv in andere Staaten hineinzuwirken und „5. Kolonnen“ ihrer islamischen Sache zu bilden, wo immer es möglich ist. Das alles ist ersichtlich mehr als ein Kulturkampf, der die praktischen Konkurrenzveranstaltungen zwischen Nationen ideologisch begleitet: Im Sinne ihres islamischen Führungsanspruchs nehmen die Saudis auswärts Einfluss und sorgen, soweit sie können, dort nicht nur für den rechten Glauben, sondern auch für die Sorte politischer Herrschaft, die Muslime schützt und ihren Glauben bewacht. Was die USA mit ihrem großen Kreuzzug für die Freiheit – vormals gegen den Sowjetkommunismus, jetzt zur Bekämpfung antiamerikanischer Bestrebungen in aller Welt – vormachen, darauf verstehen sich auch die saudischen Herrscher: Im Namen ihrer eigenen höheren Werte versuchen sie, die Machtverhältnisse anderswo zu ändern, und tun das Ihre dafür, dass sich das Regieren dort an ihrem gottgefälligen Vorbild orientiert. Als Hort, Vorkämpfer und Schutzmacht des Islam in aller Welt praktizieren sie einen „islamischen Imperialismus“ – freilich ohne die Mittel und Möglichkeiten einer Weltmacht, in ziemlich realistischer Einschätzung der eigenen Grenzen, deshalb auch immer mit Rücksicht auf die machtvollen Vorgaben der USA, aus denen sie für sich das Beste zu machen suchen.

II. Notwendigkeit und Zielsetzung saudischer Reformpolitik

Mit seiner Art, Staat zu machen, und erst recht mit seinem Ehrgeiz, vermittels seiner Verfügungsmacht über die ‚Heiligen Stätten‘ des Islam und über die größten Petroleumquellen der Welt zum wichtigen eigenständigen Subjekt in der Konkurrenz der Nationen und im Mittleren Osten zur Regionalmacht aufzusteigen, stößt das saudische Königshaus an äußere und innere Grenzen.

Die kriegerischen Unternehmungen des irakischen Nachbarn führen ihm drastisch vor, dass es im Ernstfall zu autonomer Selbstbehauptung nicht in der Lage, sondern vollständig auf die USA angewiesen ist. Der offensiven Antwort auf Saddam Husseins Expansionspolitik wiederum müssen sie entnehmen, dass sie von der Weltmacht für deren strategische Belange rücksichtslos mit Beschlag belegt werden und dagegen nur über sehr wenig Verhandlungsmacht verfügen.

Beides hat gravierende Folgen für die Finanzmacht des Landes: Der Aufwand für eigene Rüstung sowie der Preis, den Amerika für seine militärische Präsenz im Allgemeinen und für seinen ersten Irak-Krieg im Besonderen in Rechnung stellt, sind gewaltig. Die Einnahmen aus dem Erdöl-Geschäft sind das zwar auch; sie schwanken aber heftig – wie alle Rohstoff-Preise an den kapitalistischen Waren-Börsen – und zeigen eine insgesamt eher fallende Tendenz. Was sie immer wieder einmal nach oben treibt, sind neben einem zeitweiligen außerordentlichem Anstieg der Nachfrage – ausgerechnet – besonders unsichere, und zwar auch und gerade für die Sicherheit Saudi-Arabiens prekäre weltpolitische Umstände; gerade in solchen Fällen wird das Land überdies von seinem amerikanischen Schutzpatron als Preisbremser in Anspruch genommen. Den ‚volatilen‘ Einnahmen stehen unablässig wachsende Ausgabeposten gegenüber: Jedes Stück ‚Industrialisierung‘, jedes Unternehmen zur Landes-„Entwicklung“, das dem Staatswesen eine Chance auf ökonomische Haltbarkeit über seine Abhängigkeit vom Petroleum-Export hinaus sichern soll, kostet – zumindest erst einmal – weit mehr, als es bringt. Und die unproduktiven Unkosten der staatlichen Alimentierung der frommen Stammesgesellschaft „explodieren“ mit der rasanten Zunahme der einheimischen Bevölkerung.

Um ihre Herrschaft zukunftsfest zu machen, die Position ihres Landes in der modernen Staatenkonkurrenz zu verbessern und ihre herausgehobene Stellung als Schutzmacht der Rechtgläubigkeit zu sichern, bemühen die Regenten des Landes sich ganz aus eigenem Antrieb schon seit Jahren um eine gründliche Optimierung ihrer Herrschaft.

In ihrer Außenpolitik unternehmen sie Versuche, getrennt von den USA als Verfechter arabischer Interessen aufzutreten, Bündnisse zu schmieden und Verhandlungsmacht zu gewinnen, ohne das besondere Verhältnis zu Washington, die Anerkennung der USA als bestimmende Ordnungsmacht in der Region aufzukündigen; mehr Autonomie soll im Gegenteil auch den „wohlverstandenen“ Ordnungsinteressen Amerikas nützen – was die US-Regierung freilich anders sieht, und Israels Staatsführung sowieso.

Fürs eigene Land hat das Herrscherhaus ‚Reformen‘ beschlossen und in die Wege geleitet, die den verfügbaren Reichtum wie das eingeborene Volk in ganz neuer Weise für die Nation nützlich machen sollen, ohne jedoch das bislang praktizierte Versorgungswesen einfach einzustellen. Der Anteil an den Ölexporterlösen, der in die Hände wichtiger Würdenträger gelangt, soll nicht mehr in bisherigem Ausmaß verzehrt, sondern vermehrt produktiv investiert werden, neue Geschäftstätigkeit im Land und darüber neue Geldquellen generieren, schließlich den Durchbruch beim Aufbau eines rundum funktionstüchtigen nationalen Kapitalismus bringen; dafür werden ‚Anreize‘ geschaffen, Staatsbetriebe ‚privatisiert‘, auch das Rechtssystem wird ‚angepasst‘. Auf der anderen Seite soll die einheimische Bevölkerung vom Status des „Versorgungsempfängers“ auf Staatskosten weg- und dazu gebracht werden, sich über den Anteil der bisher schon im Staatsdienst Tätigen hinaus mit Lohnarbeit nützlich zu machen und ein eigenes Einkommen zu verdienen; zu diesem Zweck werden offizielle Überlebenshilfen reduziert, ausländische Billigarbeiter in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt; und mit einer Kampagne unter dem Titel „Saudisierung“ der Wirtschaft wird die Vorstellung propagiert, es ginge dabei um die Wiederaneignung des Privilegs, gutes saudisches Geld zu verdienen und dafür einer geregelten Beschäftigung nachzugehen, durch die bedürftigen Landeskinder.

So weit ist die saudische Gesellschaft allerdings noch lange nicht, dass eine geschäftstüchtige Bourgeoisie und ein nationaler Arbeiterstand sich miteinander herumschlagen würden; geschweige denn, dass freie Unternehmer und auf die Nation eingeschworene Gewerkschaften ihre Interessenkonflikte als Tarifpartner in kapitaldienlicher und staatsnützlicher Weise austragen und sich unter fürsorglicher Anleitung durch ihre politische Standort-Verwaltung über „Arbeitsplätze“ als höchstes Lebensziel und Anrecht der Minderbemittelten und Ehrentitel für die knallharte Profitmacherei der Besserverdienenden einig werden könnten. Die Reformpolitiker selbst und erst recht die Wortführer der frommen, patriarchalisch durchsortierten ‚Zivilgesellschaft‘ des Landes sorgen sich jedenfalls weniger darum, die politökonomischen Interessengegensätze, die die Reformpolitik im Erfolgsfall irgendwann hervorbringen würde, unter Kontrolle zu bringen: Ihre praktische Hauptsorge gilt der sittlichen „Verarbeitung“ der neuen ‚bürgerlichen‘ Lebensführung, die mit der Inszenierung einer Arbeitswelt nach kapitalistischem Vorbild – absehbar inklusive Arbeitslosenheer –, mit den Sachzwängen eines Erwerbslebens und mit den Reizen der dazu gehörigen kompensatorischen Bedürfnisbefriedigung unweigerlich einreißt, im Sinne der bisherigen gesellschaftlichen Gepflogenheiten und im Geist frommer Autoritätshörigkeit. Dabei bekommen die „reformfreudigen“ Machthaber es gar nicht groß mit materialistischen Entgleisungen ihrer Massen zu tun und auch nicht so sehr mit Anhängerinnen und Anhängern einer ‚westlichen‘ Lebensart, denen die erhoffte „Liberalisierung“ noch längst nicht weit genug geht. In Konflikt geraten sie mit frommen Moralisten vom eigenen Schlag, die einen für die islamische Gemeinde bedrohlichen allgemeinen Sittenverfall befürchten, den Herrschenden Verrat am Glauben vorwerfen, auch gleich die Verbindungslinie zur außenpolitischen Abhängigkeit des Regimes ziehen und aus der Präsenz und dem Einfluss ‚Ungläubiger‘ im eigenen heiligen Land auf eine imperialistische Verschwörung gegen die Gemeinschaft der Rechtgläubigen und zur Enteignung deren ‚natürlicher Reichtümer‘ schließen. Der Konflikt ist fundamental: Er konfrontiert den frommen Ölstaat mit seinem eigenen Widerspruch.

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1. Zu den neuen Bemühungen um eine autonomere Außenpolitik

Die Erwartung Riads, dass Saudi-Arabien sich mit seinen Hilfsdiensten gegen die Sowjetunion in Afghanistan und dann nach dem Ende des Ostblocks mit seiner Unterstützung im ersten Irak-Krieg eine ‚Friedensdividende‘, eine von den USA geförderte Vorrangstellung in der nun auch im Nahen Osten neu eröffneten Konkurrenz erobern könnte, ist nicht aufgegangen. Die USA denken gar nicht daran, auf saudische Vorstellungen einer ‚Neuen Arabischen Ordnung‘ Rücksicht zu nehmen; sie erwarten von Saudi-Arabien, sich als Basis und Aufmarschgebiet gegen alte und neu ins Visier genommene Feinde der USA zur Verfügung zu stellen und dafür steigende Kosten zu übernehmen, setzen aber zugleich mehr denn je auf Israel als ihren entscheidenden Bündnispartner in der ‚Krisenregion‘ und fördern es. Die saudischen Regenten ziehen daraus die strategische Lehre, sich verstärkt als eigenständige Macht in der Region zur Geltung bringen zu müssen.

Das betrifft erstens die Ausstattung als möglichst selbständige Militärmacht, die sie entschieden – jetzt nicht mehr nur durch Waffenkäufe in Amerika – vorantreiben. Das betrifft zweitens neue Anstrengungen, im Sinne einer eigenen arabischen und islamischen Macht tätig zu werden – nicht so sehr gegen amerikanische Ordnungsanliegen, sondern durch eine möglichst machtvolle Mitwirkung an der amerikanischen Agenda, dann aber auch durch eigene Initiativen. Riad macht sich zum Fürsprecher einer israelisch-palästinensischen Aussöhnung, um sich in Sachen Israel als Vorreiter der arabischen Staaten zu profilieren; 1994 beschließen die GCC-Staaten[10] auf seine Initiative, einen Teil der Boykottmaßnahmen gegen Israel aufzuheben. Zugleich ist Saudi-Arabien bestrebt, den Golf-Kooperationsrat von einem besseren diplomatischen Debattierklub zu einem Instrument einer von amerikanischen Vorgaben unabhängigen echten Kooperation auszubauen. Mit Abkommen, die auf den Aufbau eines gemeinsamen Marktes, einer gemeinsamen Währung und einer gemeinsamen Sicherheitspolitik zielen, versucht es die betreffenden Staaten fester an sich zu binden; unter seiner Führung beschließen diese mit der EU eine engere Zusammenarbeit und führen Gespräche über ein Freihandelsabkommen. Darüber hinaus – und das entspricht nun überhaupt nicht mehr amerikanischem Interesse – wird die strikte Gegnerschaft zum Erzfeind Iran abgebaut, nachdem dieser seine feindselige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Saudi-Arabiens eingestellt hat. Im Sinne gemeinsamer Überlegungen, ob nicht zur Sicherung des Friedens in der Golfregion auch andere Wege als die Abhängigkeit von den USA möglich wären (Die Welt 28.5.98), geht Saudi-Arabien dazu über, in der OPEC seine Ölpolitik mit dem Iran abzustimmen, und bricht mit seinem bislang gültigen Grundsatz, Hauptlieferant der USA zu sein und sich mit einer passenden Preispolitik politisches Wohlwollen der USA zu erkaufen.[11] Die asiatischen Staaten, mittlerweile Hauptabnehmer des Öls, kommen verstärkt in den Blick. Und unter dem Vorzeichen einer gemeinsamen islamischen Sache werden Verbindungen zu den einschlägigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion geknüpft, ohne sich dabei an der amerikanischen Lesart von Freund und Feind zu orientieren. 1997 erkennt Saudi-Arabien sogar die Taliban-Regierung an, zu einem Zeitpunkt also, als Amerika die vormals gemeinsam geförderten Taliban bereits auf ihre schwarze Liste gesetzt hat; die Verantwortlichen in Riad sehen eben gar keine Veranlassung, sich im Schlepptau Amerikas von einer islamischen Mannschaft zu distanzieren, die sie im „Heiligen Krieg“ gegen das sowjetische „Reich des Bösen“ mit Zehntausenden saudischen, aus den Koranschulen rekrutierten und von der Regierung mit Geld und Waffen versorgten Mujaheddin tatkräftig unterstützt haben – zumal sie für diese Kooperation mit den USA die rückhaltlose Zustimmung ihrer ganzen islamischen Gesellschaft nur deswegen erhalten haben, weil damit der strenggläubige Islam vorankommen sollte.

Freilich, alle diese Anstrengungen sollen das Sonderverhältnis zu den USA nicht in Frage stellen, sondern für Saudi-Arabien ertragreicher machen. Dabei ist beides immer schwerer, im Grunde gar nicht vereinbar zu machen: die Stärkung saudischer Macht in der arabisch-islamischen Welt, Fortschritte des Bestrebens, sich von einer puren Unterordnung unter die amerikanische Nahost-Regie zu emanzipieren, die Funktionalisierung ihrer Stellung als Ölland für mehr eigenen Einfluss in diesem Sinne, und das alles im Einvernehmen mit den USA, sozusagen als Beitrag zu amerikanischen Ordnungsinteressen, in denen Saudi-Arabien keine wachsende, sondern eine beschränktere, aber zugleich nicht weniger verpflichtende Rolle zugedacht ist. Zudem bekommen sie es im eigenen Land zunehmend mit einer inneren Opposition zu tun, die an den zwiespältigen außenpolitischen Anstrengungen die gebotene islamische Ausrichtung vermisst.

2. Zu den Gründen und Motiven der saudischen Reformbemühungen im Innern

a) Von wegen ‚unermesslicher Reichtum‘!

Wenn sonst nichts, eines weiß man über die ‚Ölscheichs‘: Sie verfügen über Geld, viel Geld, so dass sie sich – nach hiesigem Dafürhalten geradezu unverschämt – viel Luxus leisten können. Einmal abgesehen davon, wie es um die Repräsentationskosten hiesiger Herrschaften bestellt ist; bei dieser kritischen Begutachtung des ‚verschwenderischen Luxus‘ der dortigen Staatselite kommt die ökonomische Eigenart dieses herrschaftlichen Aufwands wie des gesamten Reichtums des Landes wenig angemessen zur Sprache. Erstens stammen die Milliarden, die da für die Repräsentations- und gehobenen Komfortbedürfnisse der Herrschaftsagenten ausgegeben werden, dort genauso wie anderswo aus dem gesellschaftlichen Reichtum, den andere vermehren. Zweitens ist diese staatliche Partizipation an kapitalistischer Akkumulation in diesem Fall allerdings das Abfallprodukt eines Geldwachstums, das nicht im eigenen Land, sondern anderswo produziert wird. Insofern kennzeichnet dieser herrschaftliche Luxus einen kapitalistischen Mangel: Die königlichen Ausgaben sind weder Resultat von nationalem Kapitalwachstum noch funktioneller Beitrag zu dessen Beförderung; die Ölmilliarden werden ausgegeben, statt sich zu vermehren, ohne dass nämlich das auswärts akquirierte Geld sich durch produktive Kapitalanlagen im eigenen Land in eine einheimische Geldquelle verwandelt. Und die massenhaften Finanzengagements im Ausland sind ein weiteres Indiz für den Mangel einer Volkswirtschaft, die für diese Milliarden im Land keine lohnenden Anlagen bietet: ein Eingeständnis der kapitalistischen Fadenscheinigkeit der nationalen Reichtumsquelle Öl, die nur deshalb Geld einbringt, weil anderswo Geld vermehrt, also profitabel produziert wird.

Den saudischen Herrschern ist es denn auch nicht verborgen geblieben, dass die ökonomische Macht ihres Staates beschränkt ist. Denn dass das Land nur am kapitalistischen Reichtum, der anderswo geschaffen wird, partizipiert, selber aber keine nationale Akkumulation zustande bringt, die den Staat seinen Ansprüchen gemäß bereichert, wird durch die Menge des Geldes nicht hinfällig, die diese Teilhabe in ihrem Fall abwirft. Bei all ihren Bemühungen, den Staatsreichtum und damit ihre Macht zu stärken, macht sich die Eigenart ihrer Reichtumsquelle als Schranke bemerkbar. Zwar haben sie, wie andere Ölstaaten auch, die Ölförderung schrittweise und im Einvernehmen mit den USA in saudisches Eigentum verwandelt, um die Erlöse zu mehren und das Gut im eigenen Interesse besser zu vermarkten; sie haben sich zudem darangemacht, die Abhängigkeit vom Ölgeschäft mit seinen Risiken und Schranken für die Lieferländer[12] zu reduzieren und sich eine eigene nationale Wirtschaftsbasis unter Ausnutzung des Rohstoffs Öl aufzubauen – Raffinerieanlagen, Petrochemie-, Dünger- und Stahlproduktion; mit viel Geld wurden Bewässerungsanlagen errichtet und eine eigene Landwirtschaft aufgezogen. Diese mit dem Dollarsegen unternommenen Anstrengungen haben auch manche Fortschritte gebracht; gleichwohl lebt das meiste, was an nationaler Produktion zustande gekommen ist, nach wie vor vom staatlichen Beschluss, ist in großem Umfang von staatlichen Subventionen abhängig, also ein bloßes Anhängsel der Öldollars, vermindert zudem die beklagte Importabhängigkeit von Industriegütern und Lebensmitteln per saldo kaum und ist insgesamt ein vergleichsweise geringer Posten in der ökonomischen Gesamtrechnung – also alles in allem unter kapitalistischen Gesichtspunkten eher eine Belastung der staatlichen Bilanzen als ein wirklicher Zugewinn. Auch für dieses mit Milliardeneinnahmen aus dem Weltmarkt gesegnete Land macht sich bemerkbar, dass der Aufbau einer Nationalökonomie in Konkurrenz zum überlegenen kapitalistischen Ausland eine defizitäre Angelegenheit ist. Zwar haben die Kosten erst einmal keine Rolle gespielt, weil das alles mit staatlicher Hilfe ja erst in die Welt kommen sollte, und Geld genügend vorhanden war. Aber auf Dauer kommen die Fortschrittsplaner um das Nachrechnen nicht herum, was sie ihre Kraftanstrengung kostet und was sie ihnen einbringt. Zumal, wenn sich statt der erhofften größeren Unabhängigkeit vom Öl mit seinen ökonomischen und politischen Konjunkturen etwas anderes einstellt: Der Dollarüberfluss reicht immer wieder einmal nicht und insgesamt immer weniger aus, alle konkurrierenden Bedürfnisse und Ansprüche seiner staatlichen Besitzer – Ausstattung der wachsenden Herrscherclique, Ausbau ihres Macht- und Staatsapparats, Finanzierung aller eigenen und amerikanischen Anforderungen an den Staat, steigende Aufwendungen für die Betreuung der ständig zunehmenden Volksmassen – zufrieden zu stellen. In Zeiten sinkender Öleinnahmen sieht der Staat sich sogar genötigt, sich bei seinen reichen Prinzen in großem Stil zu verschulden. Weil und sobald die Staatsmacher sich auf den haushälterischen Standpunkt stellen und den wachsenden nationalen Finanzaufwand ins Verhältnis zu ihrer keineswegs im selben Maße wachsenden nationalen Finanzmacht stellen, kann also die selbstkritische Diagnose nicht ausbleiben, dass grundsätzliche Reformen fällig sind.[13]

Auch und gerade, was den Umgang mit dem Volk angeht.

b) Von wegen ‚Wohlfahrtsstaat‘!

In den ökonomischen Rechnungen und Berechnungen des Staates hat die eigene Bevölkerung zunächst keine Rolle gespielt. Sie war mehrheitlich weder notwendig für die staatliche Bereicherung, die am Öl hängt, noch tauglich für eine andere, weder geeignet, die ökonomische Basis einer ordentlichen Staatlichkeit zu spielen, noch von ihren Herren dafür vorgesehen; statt dessen in verschiedenen Formen alimentiert. Alle Welt hält das für staatliche Verschwendung: Da spendiert eine Herrschaft ihrem Volk kostenlos einen kompletten ‚Wohlfahrtsstaat‘ und damit ein unverdientes Lebensniveau, statt es seinen Lebensunterhalt ordentlich verdienen zu lassen. So verständnislos nehmen hiesige Begutachter zur Kenntnis, was die saudischen Herren nach ihrem eigenen Verständnis als verwirklichte islamische Herrschaftsgerechtigkeit ansehen: die Tatsache nämlich, dass hier die Massen mit Leistungen bedacht werden, auch wenn denen keine Leistungen ihrerseits für die Mehrung des Staatsreichtums gegenüberstehen. Dabei ist die staatliche Alimentierung nur die andere Seite davon, dass auch in diesem Land die Massen erst einmal – und zwar gleich von Staats wegen – vom Reichtum ausgeschlossen sind. Der gehört prinzipiell und quasi naturgegeben der Herrschaft selber, den in ihr Privilegierten und von ihr konzessionierten Nutznießern. Der Staat hat mit seinem staatlichen Zuteilungs- und Verteilungswesen also zugleich eine Masse gar nicht überkommener Armut, nämlich lauter geld- und eigentumslose Bevölkerungsmitglieder produziert.

Insofern kennt auch diese Herrschaft eine ‚soziale Frage‘. Allerdings sind die einschlägigen ‚sozialen Leistungen‘ nicht zu verwechseln mit den Errungenschaften eines Sozialstaats, der ein kapitalistisch nützliches Proletariat in seinen Armutsumständen betreut. Denn was in Saudi Arabien mit den frommen Zuwendungen bedacht wird, ist kein funktioneller Teil eines ausbeuterisch genutzten Arbeitsvolks. Was in kapitalistischen Nationen ‚tote Last‘, den gar nicht mehr als Reservearmee fungierenden Teil der Arbeiterbevölkerung darstellt, macht hier mehr oder weniger das ganze Volk aus: Es ist nach allen kapitalistischen Maßstäben eine nutzlose Überbevölkerung. Die Herren über den saudischen Reichtum haben ihre ökonomisch überflüssigen Untertanen gleichwohl nicht einfach verkommen lassen wollen, sondern als ihr Staatsvolk behandelt, dessen ökonomischen Mangel in ein staatlich anerkanntes Vorrecht auf Befreiung von unreiner Arbeit verwandelt und auf diese Weise dessen Loyalität gepflegt. Die ‚Lösung‘ der ‚sozialen Frage‘ durch den Staat hat daher den Charakter der finanziellen Alimentierung und der Ersatzbeschäftigung ‚seiner‘ Saudis – und stellt so gesehen wirklich eine gewisse Privilegierung dar. Dem von auswärts hereingeholten Proletariat gegenüber, das dieser Staat für die niederen Lohnarbeiten will und braucht, kennt er jedenfalls keine solchen Rücksichten und Verpflichtungen.

Doch auch unter den saudischen Staatsmachern hat der Standpunkt zunehmend an Bedeutung gewonnen, dass sie sich hier Kosten leisten, die der angestrebten nationalen Wirtschaftsentwicklung im Wege stehen; erstens, weil sie den Staatshaushalt immer ausgreifender in Anspruch nehmen; zweitens, weil sie dem Volk damit das Arbeiten ersparen. Auch ihnen erscheint der politische Umgang mit der ökonomischen Nutzlosigkeit des Volks zunehmend genau andersherum als Grund dafür, dass sich die Massen nicht nützlich machen: der Staat verhindert ihre Beschäftigung, indem er ihnen das Nichtstun ermöglicht. Auch nach dieser Seite haben sie daher grundlegende Reformen ins Auge gefasst.

3. Zu den Widersprüchen und Konsequenzen des saudischen Reformprogramms

a) Warum das ökonomische Reformprojekt auf ein nationales Umerziehungsprogramm hinausläuft

Was unter dem Titel ‚Saudisierung‘ an Reformen in die Wege geleitet wird, ist kein Modernisierungsprogramm, das ‚die Gesellschaft‘ beim Staat beantragt hat, sondern allein dessen Bedürfnis. Weder die saudischen Geldbesitzer, die als Anleger ins Auge gefasst sind, noch die Massen, die als Arbeitskräfte eingeplant werden, verspüren das Verlangen, den vorhandenen Geldreichtum und das massenhafte Arbeitskräftereservoir neu oder überhaupt erstmals so zu kombinieren, dass daraus eine nationale Reichtumsproduktion entsteht. Auf beiden Seiten existiert überhaupt kein Bedürfnis nach kapitalistischen Verhältnissen im Land. Für die Prinzen und anderen Reichen, die ihren Reichtum verkonsumieren, auswärts vermehren oder von Staatsprotektion profitieren, rechnet es sich nicht, sich als staatlicher Aufbauhelfer in Sachen Kapitalismus zu engagieren; und für die Massen bedeutet es den Umsturz ihrer bisherigen staatlich organisierten Existenzweise. Die Reformer haben also mehr zu tun, als einer aufstrebenden Bourgeoisie, die auf die Betätigung ihres privaten Bereicherungsbedürfnisses aus ist, mit einer entsprechenden Eigentumsordnung und der Bereitstellung von eigentumslosen Paupers endlich den Weg frei zu machen. Abgesehen davon, dass sie die staatlichen Instanzen selber, Recht, Finanzwesen und Verwaltung, dem Gesichtspunkt eines vom Staat getrennten privaten Wirtschaftslebens, das der Staat zu initiieren, zu fördern und zu beaufsichtigen hat, gemäß machen müssen, haben sie in ihrer Gesellschaft oben wie unten den Sachzwang kapitalistischer Geldvermehrung überhaupt erst einzuführen und zu verankern.

Den Reichen, also den Nutznießern des staatlichen Reichtums gilt es den Standpunkt nahe zu bringen, dass Eigentum verpflichtet – nicht mehr zu den religiös vorgeschriebenen Wohlfahrtsabgaben, die ja nur die andere Seite der Nutznießerschaft an den staatlichen Ölmilliarden sind, sondern zu einer weiter reichenden nationalen Aufgabe, nämlich zum produktiven Ausbeuten. Prinzen und andere Staatsprofiteure, gewohnheitsmäßige Apanagen-Empfänger also, sollen zu Geschäftsleuten mutieren, die – so die Absicht – das ‚Risiko‘ auf sich nehmen, ihren Reichtum durch erfolgreiches privates Wirtschaften in Konkurrenz gegeneinander zu vermehren. Und dabei sollen sich die neuen saudischen Unternehmerfiguren auch noch bereit finden, ausländischen Billigarbeitern den Laufpass zu geben und saudische Bürger anzustellen.

Den Armen, also den saudischen Massen, gilt es den Willen zum Arbeiten und Geldverdienen beizubringen. Sie müssen ihre bisherige Lebensweise aufgeben, überhaupt erst einsehen, dass Arbeit nicht schändet, sich Bereitschaft, Arbeitsdisziplin sowie die sonstigen ‚Qualifikationen‘ aneignen, die es braucht, um sich nützlich zu machen.

b) Fortschritte und Folgen dieses Programms für oben und unten

Die Reformmaßnahmen fallen dementsprechend für oben und unten verschieden aus. Damit Prinzen ihre Apanagen und auswärtiges Aktienvermögen für Anlagen im Land mobilisieren, damit die anderen durch Staatsaufträge zu Reichtum Gekommenen ihr Geld in vorhandene Unternehmen stecken oder neue aufmachen, damit also die Geldbesitzer als Finanziers von Privatunternehmen und als ordentliches, an Kostenminderung, Leistungssteigerung und Beschäftigung interessiertes Management einen effektiven Beitrag zum ökonomischen Aufbau des Landes leisten – so die Staatsidee –, müssen den Angesprochenen entsprechende Gelegenheiten eröffnet werden, die sich mit ihren bisher im wesentlichen auswärtigen Geldanlagen irgendwie vergleichen können. Die großen Staatsbetriebe werden deshalb zu Privatisierungen angehalten; staatliche Anreize sollen Geld in Bereiche locken, die die Wirtschaftsplaner als Zukunftsbranchen ansehen – sie schwärmen z.B. von der Erschließung der Touristik mitten im schönsten Antiterrorkrieg; eine Umorganisation des Bankensektors soll den Finanzüberbau beflügeln und eine allgemeine Geschäftstätigkeit im Lande anstoßen; mit neuen Kapitalmarktgesetzen müssen potentiellen Anlegern ‚Hindernisse‘ aus dem Weg geräumt, und private Engagements durch ein neues Vertragsrecht ermöglicht und geschützt werden. Der Staat gibt seinen Geldbesitzern also eine ganz neue Rechtslage an die Hand mit der Intention, durch eine solche Grundlage einen systematischen Anreiz zum Investieren und damit quasi sachzwangmäßig das passende ökonomische Interesse zu erzeugen. So wird – jedenfalls der Tendenz nach – daran gearbeitet, die Privatmacht des Geldes für Fortschritte hin zu einem kapitalistischen Wirtschaftsleben zu mobilisieren.

Wie viel funktionstüchtiger nationaler Kapitalismus auf diese Weise zustande kommt, ist nicht ausgemacht. Was aber bereits zustande gekommen ist, das ist auf der anderen Seite die fortschreitende Kündigung des etablierten Teilhabe- und Versorgungsverhältnisses zwischen patriarchalischer Führung und Gefolgschaft sowie eine damit einhergehende weitergehende Zersetzung der überkommenen Sitten. Denn das einschlägige staatliche ‚Erziehungsprogramm‘, das dem Volk den ‚Versorgungsstandpunkt‘ abgewöhnen soll, besteht zunächst einmal darin, die bisherige Alimentierung für nicht mehr finanzierbar zu erklären, einschneidende Restriktionen der Regierungssubventionen und eine passende Preispolitik bei den staatlichen Elementardiensten zu beschließen. Damit setzen die Reformer die Bevölkerung systematisch dem Zwang zum Geldverdienen aus, den die mit dem Bevölkerungswachstum wachsende Armut ohnehin ausübt, während sich mit diesem, Entwicklung einer nationalen Arbeitskraftressource benannten, Verarmungsprogramm die Gelegenheiten, sich als solche ‚Ressource‘ zu betätigen, noch lange nicht entsprechend einfinden. Immerhin machen sich die Fortschrittsplaner auch daran zu schaffen, indem sie für die niederen Arbeiten die kontinuierliche Ersetzung ausländischer Gastarbeiter durch heimische Figuren in ihr Programm aufnehmen.

Ebenfalls noch keineswegs ausgemacht ist, ob die Massen die Notwendigkeit der Kündigung ihrer bisherigen Verhältnisse und das neue Privileg, als Saudis für Geld arbeiten zu sollen, auch einsehen. Dazu braucht es eine gründliche moralische Umstellung. Es ist eben etwas anderes, ob eine verarmende Bevölkerung unter lange gewohnten Eigentumsverhältnissen notgedrungen von sich aus nach Arbeit ruft, oder ob ein umfangreiches staatliches Verteilungswesen mit einem umfassenden religiösen Überbau und damit das bisherige Einvernehmen von oben praktisch aufgekündigt wird. Mit all den neuen Anforderungen, die dem Volk da eröffnet werden, stellen sich die Reformer ja in einen prinzipiellen Gegensatz zum gültigen frommen Sittenkodex, erheben Arbeit gegen Geld zum neuen sittlichen Verhältnis, propagieren in dem Zusammenhang auch eine neue Stellung der Frau, erlassen darüber hinaus Rechtsbestimmungen, die den religiösen Geist des Rechts und seine entsprechende Auslegung in Richtung auf ein weltliches Zivil- und Strafrecht verändern, heben also die bisher mit viel Aufwand aufrechterhaltene Trennung des saudischen Volkslebens von den Sitten einer modernen Erwerbsgesellschaft faktisch ein Stück weiter auf – und das alles auf der Basis, dass sich der größere Teil des Volks dabei auf Nicht-Beschäftigung einzurichten hat, jetzt allerdings in neuer, staatlich ganz anders betreuter Form.[14]

c) Was das Reformprogramm aufrührt: sittliche Problemfälle, Kritik und Feindschaft – die Auseinandersetzungen um den rechten Staatsweg zwischen Islam und Westen

Dass das Programm einer Funktionalisierung von Volk und Dollars lauter Fortschritte in der Zersetzung der überkommenen Sitten mit sich bringt, ausgerechnet das bewegt die nach wie vor frommen und im Glauben laufend bestärkten Gemüter im Land; das ist der Gesichtspunkt, unter dem die materiellen Umwälzungen, die mit diesem Programm einhergehen, betrachtet werden, unter dem um sie, d.h. im weiteren um die Legitimität der Herrschaft gestritten wird.

Die Reformer selber wollen keineswegs die islamische Ausrichtung ihres Herrschaftswesens in Frage stellen oder gar aus dem Verkehr ziehen. Mit der Relativierung des religiösen Erziehungs- und Betreuungswesens sowie der praktischen Umwälzung der bisher gültigen Sitten und Gebräuche wird der religiös gefärbten Loyalität des Volkes die Grundlage entzogen, ohne dass diese Loyalität darunter leiden soll. Im Gegenteil. Auch ihre neuen Anforderungen ans Volk sollen auf dem sicheren Fundament des religiösen Gehorsams ruhen. Das Volk und seine geistlichen Unterweiser sollen auch unter den gewandelten Umständen zustimmen und folgen, ganz so wie das die patriarchalischen Denkweisen und religiös fundierten Staatsgegebenheiten bisher garantiert haben.[15] Deshalb ringen die ‚Modernisierer‘ jetzt erst recht mit den geistlichen Führern darum, ob und wie die Erfordernisse einer Modernisierung der saudischen Gesellschaft mit der bisherigen Lebensführung im streng islamischen Geist vereinbar sind bzw. vereinbar zu machen sind. Mehr denn je streiten sie um die Entscheidung schwieriger Auslegungsfragen, weil die Sittenvorschriften einer streng wörtlich verstandenen Hirtenreligion ihre Gültigkeit behalten sollen für eine zunehmend ‚amerikanisierte‘ quasi-bürgerliche Gesellschaft in einer Nische der modernen Geld- und Warenwirtschaft.[16]

Deshalb provoziert dann doch jede noch so vorsichtige Neuerung Kritik von Seiten der befugten und anerkannten Sittenwächter aus dem islamischen Klerus, die den Umschwung ja mittragen und gutheißen sollen. Von ihrer Warte aus sind die Sitte und der gläubige Gehorsam der Untertanen nicht die Ressource Loyalität, auf die der moderne Saudi-Staat bei seinen ökonomischen und auswärtigen Ambitionen baut; umgekehrt gilt ihnen der ganze Staat nur als Instrument und machtvoller Hebel der islamischen Sittlichkeit. Wo immer der sich um die Entwicklung seiner materiellen Reichtumsquellen und internationalen Machtmittel kümmert, wittern sie Sittenverfall und „Verwestlichung“. Die gelehrten Koranschüler fürchten um ihre Gemeinde, um ihre moralische Autorität in dieser sowie überhaupt um ihre bestimmende Rolle im Land. Eine wachsende Zahl von ihnen klagt über Verstöße des Königshauses gegen die Pflichten der Rechtgläubigen und mahnt dringlich zur Rückkehr auf den Pfad der Tugend.

Die Radikalen unter den Theologen und ihre Zöglinge messen die Herrschaft ganz an dem Auftrag, das Gottesreich auf Erden zu schaffen, und kommen daher zu dem Schluss, dass alles, was ihre Obrigkeit an weltlichen Fortschritten verfolgt, des Teufels ist. Die Zerstörung der von Koran vorgeschriebenen Lebensweise führen sie auf einen verdorbenen Willen der Prinzen, ja auf bewussten Verrat am Glauben zurück– und wissen auch, wer hinter diesem Frevel der eigenen Herren steckt: ausländische Drahtzieher. Wie sie das Innenleben der Nation als Sünde skandalisieren, nehmen sie auch den untergeordneten Status ihres Landes in der imperialistischen Welt ganz nach seiner ‚sittlichen‘ Seite: Sie sehen die islamische Welt durch die ‚Ungläubigen‘ bedrängt und schließen aus der berechnenden Ausrichtung der Politik an den USA schon wieder auf Verrat; in der Stationierung amerikanischer Truppen im eigenen Land, in den Geldleistungen für US-Kriege, also in der Rolle des Landes als militärischer Handlanger eines Krieges der Ungläubigen im Nachbarland, finden sie den schlagenden Beweis für die „Unterwürfigkeit unter die Ungläubigen“, für die verderbliche Zusammenarbeit der eigenen Herrscher mit den Feinden, die für innere Zersetzung und Niedergang verantwortlich sind.[17] Mit ihrer Parteinahme für eine nationale islamische Identität im Innern und nach außen greifen die gläubigen Produkte des saudischen Erziehungswesens also beide Fundamente des Staats an: Sie kündigen das patriarchalische Folgschaftsverhältnis von unten auf, verweigern den Gehorsam mit Berufung auf den wahren Islam – genauso radikal, wie er von oben im Namen des Glaubens gefordert wird; und sie stellen sich mit ihrem ‚Verrats‘-Vorwurf gegen die positiven Berechnungen, die das Ölland mit der imperialistischen Vormacht der USA anstellt. So werden aus Streitern für die islamische Sache, die im inoffiziellen Auftrag oder mit Duldung der Saudi-Herrscher daheim und auswärts aktiv sind, Glaubenskämpfer gegen ihre Herren, die den Glauben schützen.[18]

Schon die durchaus konstruktiv gedachte Kritik der moderaten Kleriker nötigt den regierenden Modernisierern eine Auseinandersetzung auf, die sie von sich aus zu vermeiden suchen, weil sie sich nicht mit ihren sittlichen Kontrollinstanzen überwerfen wollen. Die im Namen der Rechtgläubigkeit eröffnete Gegnerschaft aber können sie keinesfalls dulden: Sie wollen ja ihre Einbindung in den Weltmarkt mitsamt den Rücksichten auf die USA nicht in Frage stellen lassen; und schon gar nicht wollen sie ihre gläubige Staatsausrichtung und damit die unbedingte Gehorsamspflicht ihres Volks in Zweifel ziehen lassen, auf die sie wegen ihrer Reformvorhaben ja gerade besonderen Wert legen. Insofern stehen sich hier nicht weltlicher Reformergeist und religiöser Fanatismus gegenüber, sondern Verfechter konkurrierender Staatsprogramme, die sich beide auf absolut verbindliche Herrschaftsgrundsätze des Islam berufen. Die Regierenden begegnen der frommen Kritik deswegen erst einmal mit Vereinnahmung, mit der Versicherung nämlich, dass all ihre Maßnahmen die Richtlinien eines – recht verstandenen – Islam nicht verletzen, und dem Verweis darauf, dass sie selber auf die Einhaltung von Zucht und Ordnung aus sind. Sie organisieren sich die passenden Bestätigungen bei theologischen Stellen, beflügeln damit allerdings auch den Kampf der theologischen Gutachten für und wider die Modernisierung.

Sogar den radikalen politischen Sittenrichtern, die nicht nur über Fanatismus, sondern – wie Bin Laden oder religiöse Instanzen – auch über Mittel zur praktischen Umsetzung ihrer Kritik verfügen, kommen sie berechnend entgegen, indem sie das gemeinsame Anliegen der Verbreitung des islamischen Glaubens bekräftigen, den ‚Fundamentalisten‘ mit ihren Aufrufen zu gerechten islamischen Erhebungen Raum lassen und nur in Ausnahmefällen einschreiten. In deren kämpferischem Tatendrang entdecken sie durchaus einen Nutzen für die Stärkung ihrer Position in der arabisch-islamischen Welt – in Konflikten und Gegenden nämlich, wo ihre staatlichen Berechnungen eine offene staatliche Einflussnahme nicht geraten erscheinen lassen und wo sich dieser Tatendrang nicht unmittelbar gegen sie selber und ihre politischen Berechnungen wendet. Andererseits gehen sie gegen Kritik mit Mitteln der Staatsgewalt vor, wenn die Einwände den Charakter einer Bitte um Gehör oder der Ermahnung an die Adresse der im Prinzip unanfechtbaren Autorität des Königs offenkundig verlassen.

III. Eine neue ‚Lage‘-Definition und fundamentalistische ‚Reform‘-Imperative im Namen der Freiheit aus Amerika

Das Attentat vom 11. September 2001 hat die US-Regierung – unter anderem auch – darüber belehrt, dass ihre prachtvollen Beziehungen zum saudischen Königshaus einen gewaltigen Haken haben: Der geschätzte Verbündete bietet keine Sicherheit gegen die Existenz eines weltweit aktionsfähigen antiamerikanischen Terrorismus in seinem Land; ausgerechnet bei ihm finden derartige Umtriebe im Gegenteil offensichtlich günstige Bedingungen vor. Aus diesem Befund hat die Bush-Mannschaft den selbstkritischen Schluss gezogen, dass Amerika sich viel zu unkritisch und viel zu weitgehend auf eine Staatsgewalt eingelassen, sich ökonomisch wie in regional-strategischen und militärischen Belangen von einer Herrschaft geradezu abhängig gemacht hat, die – bei aller unbestreitbaren und weiter zu pflegenden Nützlichkeit – die Entartung ihrer Gesellschaft zu einem „Sumpf“ des internationalen Terrorismus zu verantworten hat. Beides gehört revidiert: die Art der Beziehungen zu Saudi-Arabien, die Bedeutung, die die Weltmacht dem dortigen Herrscherhaus zumisst, die Freiheiten, die sie ihm konzediert, und die innere Verfassung des Landes. Seit der Eröffnung des neuen Weltkriegs gegen „den Terrorismus“ wird daran gearbeitet:

Zur Abstützung ihrer Militärmacht in der Region bedienen sich die USA schon seit der Vorbereitung ihres zweiten Irak-Krieges der kleineren Nachbarn Saudi-Arabiens, freilich ohne das große Land aus seinen Funktionen zu entlassen. Mit der Okkupation des Irak schaffen sie sich überhaupt eine neue, ganz eigene Basis für ihren Auftritt als absolut überlegene Kriegsmacht mitten im so wichtigen ‚Broader Middle East‘, was den strategischen Stellenwert Saudi-Arabiens drastisch mindert und grundlegend verändert. Bemühungen der saudischen Regierung, sich auf Basis ihrer Wichtigkeit für die Interessen der Weltmacht mit eigenen Initiativen und auf eigene Rechnung als regionale Ordnungsmacht zu betätigen, sich sogar quasi schiedsrichterlich in den Palästina-Konflikt einzumischen und damit die einzigartige Stellung Israels in Frage zu stellen, werden durchkreuzt: Für Eigenmächtigkeiten solcher Art, auch wenn der nach wie vor wichtigste arabische Verbündete sie noch so konstruktiv meint, lässt der neue Ordnungswille der USA keinen Raum. Dem saudischen Militär, das seine Rüstung im Wesentlichen weiterhin aus Amerika bezieht, wird die Terroristenbekämpfung im eigenen Land als seine Hauptaufgabe zugewiesen, der Aufbau einer autonomen Eingriffs- und Abschreckungsmacht versagt. Die Stellung, die das Land als wichtigster Erdöl-Lieferant des Weltmarkts, Großlieferant der Weltmacht und bestimmendes OPEC-Mitglied besitzt, bringt den Saudis die Warnung ein, dass die USA sich eine Politik, die ihre diesbezüglichen ‚vitalen Interessen‘ irgendwie antasten könnte, auf keinen Fall bieten lassen; daneben arbeitet Amerika an der Relativierung seiner Abhängigkeit vom saudischen Öl durch den effektiven Zugriff auf die Energiequellen im Süden der einstigen Sowjetunion, perspektivisch auch auf die des Irak, so dass es sich des unverbrüchlich gutwilligen Entgegenkommens seines saudischen Lieferanten sicher sein kann.

Ihre Erpressungsmacht setzt die US-Regierung ein, um die saudischen Herrscher zuerst und vor allem auf die gewaltsame Ausrottung von allem, was man in Washington als ‚islamistischen Terrorismus‘ identifiziert, als oberste politische Priorität festzulegen. Mit „bloßer“ Repression – dies die entscheidende neue Einsicht der amerikanischen Weltordner – ist es jedoch nicht getan: Das Königshaus wird zu durchgreifenden ‚inneren Reformen‘ genötigt, deren Etikettierung als „Demokratisierungsprozess“ über zwei Dinge erfreulich klar Aufschluss gibt: Unter „Volksherrschaft“ versteht man in Washington – wie überall in der demokratischen Welt – die optimale Art, Herrschaft über ein Volk zu organisieren, die auch einem etablierten Königshaus gut anstünde; dabei geht es keineswegs um bloße Formalia des Regierens, sondern um die Leistung, die die maßgeblichen Demokratien sich von der Übernahme der einschlägigen Verfahrensweisen durch auswärtige Regierungen erwarten, nämlich dass damit auch jede Art von Feindseligkeit gegen die Heimatländer dieser allein zulässigen Herrschaftsform, und gegen das amerikanische Mutterland der modernen Demokratie schon gleich, aus der Welt verschwindet. Die US-Regierung macht praktisch ernst mit dem Standpunkt, richtiges, nämlich demokratisches Regieren und Regiertwerden wäre identisch mit der Anerkennung der USA als Vorbild, Norm und zu allem befugte Schutzmacht der entsprechenden politischen Verhältnisse, Antiamerikanismus also umgekehrt die Begleiterscheinung abweichender politischer Sitten und nur dadurch, dadurch aber auch gründlich zu heilen, dass Abweichungen von der demokratischen Norm aus der Welt geschafft werden. Dazu ist aus Sicht der vorbildlichen Weltmacht nicht mehr, aber auch nicht weniger vonnöten als guter Wille der Regierenden; den durch erfolgreiche ‚Demokratisierung‘ zu beweisen, ist Amerikas unerbittlicher Anspruch an diesen wie an andere Staaten. Zur ideologischen Rechtfertigung dieses Gebots genügt den Menschenfreunden in Washington ein bisschen ‚political correctness‘, die es schlicht verbietet, einem Volk die Fähigkeit und das tiefe Bedürfnis abzusprechen, so zu leben und regiert zu werden wie die Amerikaner, die mit Demokratie und Marktwirtschaft schließlich den Gipfel- und Endpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschengeschlechts erreicht haben.

Der unter diesem Gesichtspunkt vorgenommene „Systemvergleich“ deckt an den saudi-arabischen Verhältnissen mit Leichtigkeit die entscheidenden Mängel auf: Fehlanzeigen in Bezug auf Dinge, die einem geborenen Demokraten einfach selbstverständlich und aus seiner ordentlichen Welt nicht wegzudenken sind. Es gibt dort keine freien Wahlen und keinen Pluralismus, geschweige denn einen übersichtlichen Dualismus konstruktiv konkurrierender und kooperierender politischer Parteien; es gibt kein Wahlrecht für Frauen und auch sonst etliche im ‚Westen‘ übliche Freiheiten und Vorschriften zur rechtlichen Gleichstellung des weiblichen Geschlechts nicht; es gibt keine Trennung zwischen Religion und Staat nach dem Muster der aufgeklärten christlich-abendländischen ‚Wertegemeinschaften‘ und auch nicht das allumfassende Monopol des freien Privateigentums aufs Kommando über Produkte und Verwendung menschlicher Arbeit – es fehlt mit einem Wort an all den Gewohnheiten des Konkurrierens und des Funktionierens, die eine erfolgreich befriedete kapitalistische Klassengesellschaft unter dem Regime einer in Wahlkämpfen gestählten und siegreichen politischen Standortverwaltung sich als ihre großen Freiheiten zugute hält.

Damit ist zwar nicht eben viel darüber ausgesagt, was es stattdessen an Ordnungsprinzipien, Herrschaftstechniken und guten Sitten im Reich der Saudis gibt. Für die Kritik in praktischer Absicht, die die Weltmacht an ihrem zutiefst mangelhaften Verbündeten zu üben hat, ist das aber auch vollständig überflüssig: In negativem Sinn, als Verdikt über die für Amerikas Ansprüche vollkommen ungenügende Verfassung der saudischen Königsherrschaft, trifft die Liste der per Vergleich ermittelten Defizite ins Schwarze. Sie negiert nämlich die gesamte – ohnehin schon zerrüttete – innere Grundlage dieser Herrschaft in den zentralen Punkten: Die demokratische Fehler-Diagnose verwirft den quasi-familiären Charakter von Autorität und Unterordnung in der heimischen Stammesgesellschaft; sie verurteilt die religiöse Verabsolutierung dieses Loyalitätsverhältnisses; sie erklärt sich gegen die Sorte Meinungsvielfalt, Konsultationen und Konsens zwischen Stammesführern, auf die die dortige Staatsspitze sich abstützt; sie richtet sich gegen die eigenartige staatliche Versorgungs-Ökonomie, die die überkommene Subsistenzwirtschaft der Stämme und Großfamilien zerrüttet hat, mittlerweile ersetzt, in modernisierter Form quasi fortführen soll und längst Gegenstand eigener nationaler Reformbemühungen des Herrscherhauses geworden ist; und gegen die nationale Zielsetzung dieser Reformen richtet sich die Mängelrüge aus Washington auch. Ohne jede Rücksicht auf innere Drangsale der Herrschaft und ihrer Gesellschaft – genau dafür, als Begründung für unbedingte Rücksichtslosigkeit, ist der Vorwurf „undemokratisch!“ an die Regierenden gut – wird auf Abhilfe gedrungen; mit handfesten Erpressungsmitteln: Dem Wunsch der saudischen Regierung, ihren nationalkapitalistischen Interessen und Reformbemühungen per Mitgliedschaft in der WTO Anerkennung, Geltung und bessere Erfolgsaussichten zu verschaffen, setzt die Bush-Administration die Forderung nach ‚Öffnung‘, auch des staatlichen Öl-Sektors, für auswärtige Interessenten, insbesondere für Weltkonzerne aus Amerika, entgegen; dabei verbindet sie mit dem banalen ökonomischen Zugriffsinteresse die Erwartung, den Saudis auf die Art den „American way of life“ beizubringen und ihren antiamerikanisch gefärbten islamischen Eigensinn abzugewöhnen. Der Fortgang gedeihlicher politischer Beziehungen, auf die das Königshaus mit seinen Öl- und Finanzgeschäften, vor allem aber für seine Sicherheit nach innen wie nach außen nach wie vor angewiesen ist, wird von durchgreifenden Maßnahmen gegen fundamentalistische Prediger mit ihrem viel zu massenhaften Anhang sowie von effektiven Wirkungsmöglichkeiten für ‚demokratische Reformer‘ und einschlägig tätige NGOs nicht zuletzt aus der Welt des „American dream“ abhängig gemacht. Für den Fall unbefriedigender Ergebnisse bei der „Austrocknung des terroristischen Sumpfes“ im Land behält Washington sich im Übrigen härtere Maßnahmen vor, etwa die Beschlagnahmung saudischer Vermögenswerte wegen des Verdachts auf Finanzierung terroristischer Aktivitäten.

So führt die Bush-Regierung in der Absicht, ihren immer noch wichtigsten arabischen Verbündeten zu einer Bastion der ‚Demokratisierung‘ des ‚Mittleren Ostens‘ zu machen und zugleich in seiner strategischen Bedeutung für die Weltmacht zu degradieren, einen umfassenden Angriff auf die inneren und äußeren Grundlagen der Herrschaftsmacht des so kooperationswilligen saudischen Königshauses.

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1. Zum Reformprogramm der USA für ihren saudi-arabischen Verbündeten

a) Ein Land wird unter die terroristischen Verbrechen eines antiamerikanischen Radikalen subsumiert

Amerika übt Selbstkritik:

„60 Jahre lang hat mein Land, die Vereinigten Staaten, in dieser Region hier im Mittleren Osten Stabilität auf Kosten von Demokratie verfolgt, und wir haben keines von beiden erreicht. Nun schlagen wir einen anderen Kurs ein. Wir unterstützen die demokratischen Ziele aller Völker.“ (C. Rice in Kairo, NYT 20.6.05)

Wo sie Recht hat, die neue Außenministerin der Bush-Regierung, da hat sie Recht: Auf die guten demokratischen Sitten hat die amerikanische Weltmacht nie Rücksicht genommen, wenn es ihr darum ging, eine Region „stabil“ zu machen, was soviel heißt wie: proamerikanisch ausgerichtete Herrschaften mit überlegenen Gewaltmitteln gegen jede innere Anfechtung auszustatten. Dass Letzteres gar nicht zu passenden Ergebnissen geführt hätte, stimmt allerdings weniger; jahrzehntelang waren die USA speziell mit dem saudischen Königshaus gut bedient und zufrieden. Auf alle Fälle ist mit dem negativen Urteil weniger über die politische Verfassung der Region ausgesagt als über das neue amerikanische Anspruchsniveau, das in der vorwurfsvollen Feststellung des 9/11 Commission Report – Saudi Arabia deutlich zum Ausdruck kommt:

„Es ist eine Gesellschaft, die 15 der 19 Terroristen produziert hat.“

Wenn die Existenz von 15 erfolgreichen Attentätern bereits der harte Beweis für mangelnde Stabilität einer ganzen Region ist, dann liegt die Messlatte in der Tat sehr hoch: Zuverlässig zu verhindern, dass sich aus einem 22-Millionen-Volk ein gutes Dutzend Fanatiker aufmacht und in den USA einen Terrorakt hinkriegt, damit dürfte noch jede Herrschaft ein bisschen überfordert sein. Wie der Hinweis auf die Gesellschaft, die die Attentäter produziert hätte, schon deutlich macht, geht es aus amerikanischer Sicht aber gar nicht bloß um Pflichtversäumnisse der saudischen Regierung bei der Verbrechensprävention. Das Problem, auf das man anlässlich „9/11“ in Washington aufmerksam geworden ist, liegt tiefer:

„Der 11. September hat alles verändert. Weil 15 der 19 Attentäter Saudis waren, begannen wir den Saudis peinliche Fragen zu stellen. Wir begannen zu verstehen, dass das, was die Saudis in ihren Schulen lehren und ihren Moscheen predigen, nicht länger eine innere saudische Angelegenheit ist – es ist eine Angelegenheit unserer nationalen Sicherheit.“ (US-Botschafter Jordan, Myths and Realities: Saudi Arabia Re-examined – SUSRIS, 18.11.04)

In der religiösen Überzeugung und der herrschenden Weltsicht der saudischen Gesellschaft, die sie bislang mehr als interne Privatangelegenheit der Nation betrachtet haben, kommen die Amerikaner schlecht weg: Das erklärt vieles und lenkt den Blick amerikanischer Sicherheitspolitiker auf die Quellen einer solchen gemeingefährlichen Ideologie. Die Recherche erbringt folgendes Ergebnis:

„Das Königreich zählt zu den religiös-konservativsten Gesellschaften der Welt, und seine Identität ist eng mit seinen religiösen Bindungen verknüpft, besonders mit seiner Position als Wächter der beiden heiligsten Stätten des Islam. Die Almosensteuer oder Zakat gehört zu den fünf Säulen des Islam. Sie ist umfassender angelegt und die Gesellschaft durchdringender als westliche Wohltätigkeitsideen – und fungiert auch als Form der Einkommenssteuer, Erziehungsbeihilfe, Entwicklungshilfe und Quelle politischen Einflusses. In islamischen Kulturen existiert der westliche Begriff einer Trennung von bürgerlichen und religiösen Pflichten nicht. Die Finanzierung von wohltätigen Werken ist eine wesentliche Aufgabe von Regierungen in der islamischen Welt. Sie ist in der islamischen Kultur so tief verwurzelt, dass z.B. in Saudi-Arabien eine Abteilung innerhalb des saudischen Ministeriums für Finanzen und Nationalökonomie direkt die Zakat einsammelt, fast wie das amerikanische Finanzamt die vom Arbeitgeber einbehaltenen Teile der Lohnsteuer. Eng mit der Zakat verbunden ist das Engagement der Regierung für die Verbreitung des islamischen Glaubens, vor allem der wahhabitischen Sekte, die in Saudi-Arabien floriert.“ (9/11 Commission Report – Saudi-Arabia)

Und dieses Engagement ist der Sumpf des polit-religiösen Fanatismus, von dem die USA heute die Stabilität der Region in Frage gestellt und sich selbst in ihrer Sicherheit bedroht sehen. Denn diese Sektierer, darin ganz Kinder des saudischen Königreichs, verfolgen

„den großen Plan, die Wahhabi-Ideologie auf den gesamten Islam auszudehnen, den Sieg davonzutragen über die Schiiten und den Dschihad zu führen gegen Christen, Juden und Hindus. Das ist so, wie wenn der Ku-Klux-Klan vielleicht Texas oder das texanische Öl übernommen und dann beschlossen hätte, den Ku-Klux-Klan über die gesamte Welt zu verbreiten.“ (Ein Regierungsberater in: Die Welt, 14.11.04)

Stellt man dann noch in Rechnung, dass die saudische Regierung diesem Weltbekehrungsfanatismus ganz offiziell den Weg bereitet –

„Heute stellt sein (sc. Saudi-Arabiens) religiöser Aktivismus eine beträchtliche Bedrohung dar. Saudisches Geld hat einige der anti-amerikanischsten Moscheen und Schulen auf der ganzen Welt unterstützt.“ (Council on Foreign Relations – Aug. 04 – Issue Brief Saudi Arabia) –,

dann liegen die Zusammenhänge auf der Hand. Die Washington Post hat es jedenfalls schon gleich gewusst:

„Saudi-Arabiens islamisches Regierungssystem, Erziehungssystem und Außenpolitik haben das Entstehen von Osama bin Laden und anderer Extremisten gefördert, die den Terror zur Verbreitung ihrer Version islamischer Überzeugungen benutzen.“ (WP, 29.1.02)

Eine ganze Nation folgt einer falschen Glaubenslehre, deren weltpolitische Gefährlichkeit sich an den großen terroristischen Anschlägen ihrer fanatischsten Anhänger erweist: Mit dem Verdikt subsumieren amerikanische Ursachenforscher im Regierungsauftrag ganz Saudi-Arabien unter das Attentat seiner missratenen Landeskinder und definieren damit einen Korrekturbedarf, zuerst und vor allem die eigene Arabien-Politik Washingtons betreffend, den die Außenministerin an Stelle der alten Stabilitätspolitik „auf Kosten der Demokratie“ zur neuen Leitlinie ihrer Nation erklärt:

„Nun schlagen wir einen anderen Kurs ein. Wir unterstützen die demokratischen Ziele aller Völker.“ (Rice in Kairo)

b) Das Heilmittel gegen Terrorismus: Die Sehnsucht der Völker nach einem Leben wie in Amerika

Es gibt eine Alternative zur islam-sektiererischen Fehlorientierung der arabischen Gesellschaften, eine bessere ideelle Leitlinie hin zu wahrer Stabilität in der Region. Die braucht Amerika den ortsansässigen Völkern nicht einmal erst beizubringen, die sehnen sich schon von ganz allein danach:

„Im ganzen Mittleren Osten von heute melden Millionen von Bürgern ihr Trachten nach Freiheit und Demokratie an.“ (ebd.)

Dahingestellt, wonach diese überzeugten Patrioten, die die Außenministerin in Bagdad, Beirut, in Riad und in Ramallah, in Amman und in Teheran und in Kairo entdeckt hat, tatsächlich trachten – und wenn es ihnen tatsächlich um „freedom & democracy“ zu tun ist, was sie sich darunter vorstellen: Die Chefin aus den USA jedenfalls weiß, wovon sie spricht. Ihre Regierung begnügt sich nicht mehr mit kooperativen Regierungen, die zu Amerikas „Werten“ wohlfeile Bekenntnisse ablegen, ihre Völker aber von falschen Ideologen indoktrinieren, unbürgerlichen Beschäftigungen nachgehen und mit nicht demokratisch legitimierter Gewalt unterdrücken lassen. Sie will im Mittleren Osten, und in Saudi-Arabien schon gleich, Gesellschaften haben, in denen die Menschen in aller Treue zu ihrem angestammten Vaterland freiheitlich ihr Geld verdienen, demokratisch wählen gehen, privatpersönlich glauben und beten – so wie man es von Amerika her kennt. Gewollt ist eine Kopie der in den USA so vorbildlich realisierten Klassengesellschaft mit kapitalistischen Eigentümern und freien Lohnarbeitern, die sich, gesetzlich diszipliniert und politisch befriedet, als bürgerliche Konkurrenten formell gleich und im gleichen patriotischen Geist begegnen, um ihren „pursuit of happiness“ kümmern und dafür auf ihre persönliche Tüchtigkeit und Gott vertrauen; effektiv regiert von Parteien, die mit ihrer vaterländisch konstruktiven Rivalität alle gesellschaftlichen Konflikte in personelle Alternativen der Machtausübung verwandeln und mit Werbekampagnen für ihre Leute den Freiheitsdrang der Bürger überreichlich bedienen. Für Amerikas Demokratie-Exporteure handelt es sich da um einen Vorrat an moralischen Grundsätzen, politischen Techniken, privaten Lebensmaximen, menschennatürlichen Verhaltensweisen und fairen Spielregeln, der bloß von den Regierenden akzeptiert und an die regierten Massen weitergereicht werden muss, um zuverlässig zu verhindern, dass die Menschen falschen Propheten folgen und auf dumme antiamerikanische Gedanken kommen. Das System des Kapitalismus und der dazu passenden bürgerlichen Herrschaft – ein Satz von Lebensregeln, die spontan jedem anständigen Patrioten einleuchten und deren Befolgung automatisch zu so idyllischen Verhältnissen wie im freien Westen führt und oppositionellen Umtrieben das Wasser abgräbt: Das mag sachlich gesehen hochgradig absurd sein. Für die praktischen Zwecke amerikanischer Stabilitätspolitik ist eine solche Sicht der Dinge aber bestens geeignet: Sie bietet lauter Handhaben, um etwas für Amerikas Sicherheit zu tun. Aus ihr lässt sich nämlich ganz leicht ein operatives Reformprogramm ableiten, das man den Saudis aufs Auge drücken kann und dessen Umsetzung sich Punkt für Punkt kontrollieren lässt.

c) Die Reform-Rezeptur

  • Multikulti für Wahhabiten

    Die Verpflichtung der saudischen Regierung,

    „innere, politische, soziale und ökonomische Reformen, die auf die Bekämpfung der dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen zielen, zu unternehmen“ (Patterns of Global Terrorism 2004),

    bezieht sich zuerst und vor allem auf das religiöse Erziehungswesen im Land, nicht zuletzt auf die flächendeckende Erwachsenenbildung in den Moscheen und in deren Umkreis. Die Predigten gehören landesweit kontrolliert, die Lehrpläne in Washington zur Genehmigung vorgelegt; den staatlichen Aufsichtsorganen wird die Verpflichtung auferlegt, gewalttätige Extremisten zu bekämpfen, die Hass schüren, indem sie ein Interesse an größerer Toleranz und kulturellem Respekt selber entwickeln und im Volk wecken (9/11 Commission Report – Saudi-Arabia). Dass so etwas in dem Heimatland der Heiligen Stätten des Islam ein noch viel härterer Eingriff ist als z.B. die Zumutung an gestandene Deutsche, in ihrer Nachbarschaft Türkinnen mit Kopftuch zu ertragen, was selbst dieses demokratisch zivilisierte Volk kaum aushält: Dass die Pflicht, neben Allah noch andere Götter gelten zu lassen, einen – im Übrigen überhaupt nicht aufklärerischen – Generalangriff auf die Volksreligion, auf den Wertehimmel der ganzen Gesellschaft, damit auf die Quelle des nationalen Rechtsbewusstseins und der Loyalität zur Obrigkeit überhaupt darstellt, das wird von den Volkserziehern aus Amerika nicht ignoriert, sondern im Lichte der Betroffenheit durch antiamerikanische „Hassprediger“ als Beleg dafür genommen, wie sehr das Land einen ideologischen Paradigmenwechsel nötig hat.

  • Emanzipation der Verschleierten

    Ganz speziell notwendig ist ein gründliches allgemeines „Umdenken“ in der Frauenfrage, die mit der inkriminierten antiamerikanischen Agitation insofern sehr viel zu tun hat, als die islamischen Sittenwächter die sexuelle Freizügigkeit des Westens als stärksten Beweis für dessen moralische Verkommenheit werten und hier vor allem ihren moralischen Abwehrkampf führen; umgekehrt sehen die westlichen Sittenrichter sich ganz besonders im Recht, wenn sie auf rechtlicher und tatsächlicher öffentlicher Gleichstellung des weiblichen Geschlechts bestehen, auf ein Ende der Bevormundung durch die zuständige Männerwelt dringen und als Erstes restriktive Bekleidungsvorschriften und „sinnlose“ Vorschriften fürs Alltagsleben wenigstens gelockert haben wollen. Tatsächlich verlangen sie der frommen Stammesgesellschaft damit einen enormen Verstoß gegen gleich mehrere Grundsätze ab, die für deren innere Ordnung konstitutiv sind – was nicht heißt, dass es um sie schade wäre; nur ist weder die Alternative über alle Zweifel erhaben noch der damit verfolgte Zweck. So wird mit der weniger von den Betroffenen selbst als von amerikanischen Regierungsbeamten aufgestellten Forderung nach einer Emanzipation der Frauen die überkommene hierarchische Sortierung der Gesellschaft in Frage gestellt; sie soll ersetzt werden durch das freiheitlich-egalitäre Prinzip einer Sortierung nach individuell verfügbaren Konkurrenzmitteln und Erfolgen bei deren Einsatz. Die Einheit von Familie und Teilhabe am Wirtschaftsleben, religiöser Vorschrift und alltäglicher Lebensführung, in der die diskriminierende Rollenzuweisung ans weibliche Geschlecht als wesentliches Moment enthalten ist, soll aufgelöst und überführt werden in den die bürgerliche Welt beherrschenden Funktionalismus: die Aufteilung des Daseins in die kapitalistisch zweckmäßig geschiedenen „Sphären“ des eigenverantwortlichen Geldverdienens, der privaten Schadloshaltung nicht zuletzt durch ein selbst gestaltetes Liebesleben, der Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben der Gesellschaft – alles sehr frei und gleich und ganz sachgerecht und menschennatürlich gesellschaftlich geschieden durch Besitz und Konkurrenzerfolge bzw. -misserfolge. Erst dann jedenfalls kann Amerika sich wieder sicher fühlen: wenn die Menschen in den „rückständigen“ Gesellschaften der Ölregion wegkommen von dem gewohnten Leben nach dem antibürgerlich ausgelegten Buchstaben des Koran und hinfinden zu einer Lebensführung nach dem Kanon des freien Konkurrierens.

  • Eine gleiche Wahlstimme für alle im Patriarchat

    Mit einem Angriff auf die Hoheit der islamischen Gottesgelehrten über Volkserziehung, Familienrecht und familiäre Sitten kann es da natürlich nicht sein Bewenden haben. Der Wahhabismus, dessen terroristisches Potential man in Washington endlich durchschaut hat, hat die saudische Gesellschaft ja nicht zuletzt deswegen so fest im Griff, weil die Königsherrschaft sich religiös begründet und daher mit der islamischen Orthodoxie eng verbunden ist. Es bedarf folglich einer grundlegenden Neuregelung aller Autoritäts- und Herrschaftsverhältnisse in dem Land. Nicht in dem Sinn, dass die Bush-Regierung das Herrscherhaus entmachten und die Prinzen davonjagen wollte wie Saddam Hussein und die Größen seiner Baath-Partei im Irak; die Herrschaft der Sauds ist im Prinzip schon recht; sie darf nur nicht mehr abhängig sein von einer Beglaubigung durch religiöse Instanzen, schon gar nicht solche der strengen sunnitischen Observanz. Die überhaupt nicht herrschaftskritische Alternative heißt Demokratie: Legitimation der Gewalthaber durch das Zustimmungsverfahren, das den Bürgern die Auswahl zwischen mehreren Herrscherfiguren freigibt und so die Wahlfreiheit der Regierten zur Quelle zwar nicht der Regierungsgewalt selber, aber immerhin ihrer unanfechtbaren rechtmäßigen Verbindlichkeit macht. Die dringliche Empfehlung an die Prinzen, sich dieses ebenso praktischen wie effektiven Verfahrens zu bedienen, richtet sich allerdings nicht gegen eine leicht wegwerfbare Herrschaftstechnik, sondern gegen das Prinzip des überkommenen Autoritätsverhältnisses zwischen Herrschaft und Untertanen. Die fromme Vorstellung, die „natürlichen“ Stammesoberhäupter wären von Gott zu herrschaftlicher Fürsorge für ihren Anhang berufen, gilt nichts mehr, wenn ambitionierte Konkurrenten per Mehrheitsentscheid an die Macht gewählt werden. Auch wenn dabei praktisch erst einmal gar nicht mehr herauskommen soll, als dass die Honoratioren, die ohnehin das Sagen haben, von ihrem Clan die Wahlstimmen einsammeln und sich dadurch nach mittlerweile ziemlich weltweit gültigen Kriterien besser legitimieren: Die politischen Gewaltverhältnisse sollen aus ihrer religiös-moralischen Begründung herausgelöst werden; und das untergräbt deren Anerkennung grundsätzlich. Dabei spricht nicht viel dafür, und vor allem ist gar kein Verlass darauf, dass das Untertanenvolk sich umstandslos die neue Verrücktheit zu eigen macht, irgendwelchen durch gar keine glaubwürdige und göttlich beglaubigte Höherrangigkeit ausgezeichneten Typen die Macht über sich anzuvertrauen und darin einen guten Grund für den herrscherlichen Vorrang der Gewählten zu sehen. Das wird von den Demokratie-Exporteuren aus Amerika auch insoweit berücksichtigt, als sie von Übergangsproblemen ausgehen und der existierenden Staatsmacht lange Fristen und ein dosiertes Vorgehen bei der Umstellung auf freie Wahlen als neue Herrschaftstechnik einräumen; schließlich soll das große und wichtige Land nicht „unregierbar“ werden, was bisweilen angeblich sogar altbewährten Demokratien droht, wenn das Volk sich nicht richtig entscheiden kann. Im Prinzip sehen sie aber kein Problem darin, dass die Prinzen und Honoratioren einfach mal anfangen, den Mitgliedern ihrer wohl durchsortierten Stammesgesellschaft ohne Ansehen der Person, also von Geschlecht, Alter, Stellung im Familienverband, Verfügungsmacht über Subsistenzmittel usw., eine freie, gleiche und geheime Wahlstimme schenken: So, denkt man und will man es in Washington, kommt Stabilität durch Demokratisierung in Gang.

  • Jobs, Jobs, Jobs

    Eine problematische Konsequenz stellen die Demokratie-Experten aus dem Westen allerdings gleich mit in Rechnung, ohne dass sie sich dafür vom Zusammenhang zwischen dem System der repräsentativen Demokratie und der politischen Ökonomie des Kapitalismus einen Begriff machen müssten: Der freie Wahlbürger, den sie per Abhaltung von Wahlen schaffen – bzw. in ihrer Sicht: freisetzen wollen –, ist ein berechnendes Wesen; mit dem politischen Verhalten, das sie ihm abverlangen resp. freigeben – der Auswahl seiner Herren –, geht er ein selbstsüchtig kalkulierendes Verhältnis zu seiner Obrigkeit ein. So jedenfalls kennen sie die politische Kunstfigur des wählerischen Citoyen: als egoistisch auf die eigenen Lebenschancen bedachten und spekulierenden „Bourgeois“, der seiner Obrigkeit mit Ansprüchen kommt, zumindest dem auf eine marktwirtschaftliche Überlebenschance. Das gilt im Übrigen auch unabhängig vom Geschenk einer egalitären Wahlstimme: Zu den freiheitlichen Lebensmaximen, die den einfachen Saudi gegen die Einflüsterungen falscher Autoritäten immunisieren sollen, gehört die Tugend der „Eigenverantwortung“, der Materialismus des marktwirtschaftlichen Geldverdienens ganz einfach dazu. Deswegen kümmern sich die Anwälte von Freiheit und Demokratie auch um die materielle Seite der Umwandlung Saudi-Arabiens in ein bürgerliches Gemeinwesen und müssen feststellen, dass es um die Grundvoraussetzungen eines ordentlichen Erwerbslebens in dem „eigentlich reichen“ Land erbärmlich schlecht bestellt ist: nichts als mehr oder weniger schlecht „verdeckte Arbeitslosigkeit“ in der Stammesgesellschaft; fehlende Jobs allenthalben. Neu ist ihnen dieses Problem jedoch nicht. Und wie überall, so haben sie auch für Saudi-Arabien die einzig mögliche Lösung anzubieten, die dem Land freilich einen ganzen Haufen weiterer Reformen abverlangt, die andererseits eigentlich sowieso fällig und im Zuge der neuen Sicherheitspolitik für die Region überfällig sind:

    „Mittel- und langfristig liegt der Schlüssel zum Erfolg der amerikanischen Bemühungen, Saudi-Arabien bei der Bekämpfung des Terrorismus zu helfen, nicht bei der Kooperation der beiden Regierungen, sondern bei der Zusammenarbeit des saudischen und amerikanischen Privatsektors. Nur Investitionen und Handel schaffen in Saudi-Arabien Jobs und verringern den sozialen und wirtschaftlichen Druck, der zur Entstehung von Extremismus und Terrorismus führt. Saudi-Arabien muss sich realistischer verhalten in Bezug auf die Investitionserträge, Risikoprämien, Vertragsstrukturen und die nötige Sicherheit, um passende Anreize für amerikanische und ausländische Investitionen im erforderlichen Umfang und Tempo zu schaffen.“ (Anthony H. Cordesman – Part I – The Prospects for Stability in Saudi Arabia in 2004 – SUSRIS, 23.2.04)

    Die Auffassung, dass Armut Terrorismus produziert, ist unter Amerikas Befehlshabern im Krieg gegen den terroristischen Feind gar nicht beliebt – ganz zu schweigen von der Ansicht, die Sorte Armut, die durch die „Integration“ zuvor nicht kapitalistisch produzierender Länder „in den Weltmarkt“ geschaffen wird, könnte für mitfühlende Menschen, auch wenn sie selber gar nicht zu den Ärmsten gehören, durchaus ein Argument sein, zu Todfeinden des modernen Imperialismus zu werden. Sehr beliebt ist umgekehrt die Vorstellung, dass für verelendete Menschen ein Job, der produktive Dienst am Kapitalwachstum, das Nonplusultra ihres materiellen Sinnens und Trachtens darstellt, grundsätzlich Zufriedenheit stiftet und sicherstellt, dass sie von radikaler Opposition die Finger lassen. Jobs sind demnach nicht bloß der reine Segen für Land und Leute, sondern auch das alles entscheidende Mittel zur Vorbeugung gegen Terrorismus: Der vulgärmaterialistische Zusammenhang zwischen aktiver Teilnahme am marktwirtschaftlichen Lebenskampf und politischer Anpassung steht für die Apostel der bürgerlichen Freiheit völlig außer Frage. Und sie wissen auch, wo die benötigten Jobs einzig und allein herkommen können: von der international tätigen Geschäftswelt, von Investoren aus Amerika vor allem. Freiheit für Kapitalisten, Förderung des Profitmachens ist folglich eine Notwendigkeit und das Zaubermittel für die antiterroristische Umerziehung des saudi-arabischen Volkes. Heuchelei in dem Sinn, sie würden vom Kampf um die rechte Gesinnung einer Extremismus-anfälligen Masse bloß reden und in Wirklichkeit nur ihren Profit meinen, brauchen die Freunde des Privatsektors sich nicht nachsagen zu lassen: Für sie ist die Indienstnahme durch freie Unternehmer die einzige Chance auf ein richtiges Leben für Menschen ohne Eigentum, in Saudi-Arabien wie überall; für sie fallen Arbeit und Parteilichkeit für die Welt, wie sie ist, also Arbeiten-Lassen und Terrorismus-Vorbeugung allen Ernstes in eins. In dem Sinn bewahrheitet sich mal wieder und auf ganz neue Weise: Was gut ist für amerikanisches Geschäft, ist auch gut für Amerikas Sicherheit.

  • Ein korrekter Gewalthaushalt

    Dies allerdings erst mittel- und langfristig. Kurzfristig und bis auf Weiteres muss daher die umfassende Unterdrückung aller Terrorismus-verdächtigen Aktivitäten im Land ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Dafür hat die US-Regierung ein entsprechend umfassendes Angebot zu machen:

    „Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung, zwischen Geheimdiensten, bei militärischen Aspekten des Kriegs gegen den Terrorismus und Maßnahmen, die die Finanzierung der Terroristen unterbinden.“ (Patterns of Global Terrorism 2002)

    An die jahrzehntelang kaum getrübte Kooperation der Gewaltapparate beider Seiten lässt sich dafür ganz gut anknüpfen:

    „Saudi-Arabien ist ein guter Partner im Krieg gegen den Terrorismus, aber gute Partner können mehr tun.“ (Ari Fleischer, damals Sprecher des Weißen Hauses),

    vor allem gegen die Finanzierung fragwürdiger Aktivitäten aus saudischen Quellen. Ganz unzweckmäßig erscheint auch die offizielle Verwendung der nationalen Finanzmittel: In seinem Staatshaushalt setzt das Königreich falsche Prioritäten; es bleibt angeforderte Leistungen schuldig und gibt stattdessen Geld für einen militärischen Aufbau aus, den Washington sich gar nicht bestellt hat:

    „Die Saudis geben angeblich immer noch zwischen 18 und 24 Mrd. $ und damit viel zu viel für die Verteidigung aus, sie sollen die Gelder lieber für die innere Sicherheit verwenden… Die USA müssen Saudi-Arabien aktiv dabei helfen, seine Sicherheitsanstrengungen auf die innere Sicherheit zu konzentrieren – die im allgemeinen eine Größenordnung billiger ist als ein Aufbau der konventionellen militärischen Kräfte – und die Ressourcen auf das ökonomische Wachstum und Sozialprogramme zu verlagern.“ (Cordesman, a.a.O.)

d) Die leidige Notwendigkeit, einen Verbündeten zu seinem Glück zu zwingen

Spätestens an dieser Stelle wird allerdings deutlich, dass Amerikas wohlmeinende Hilfsangebote zum Umbau der saudischen Gesellschaft, zur Neuausrichtung der nationalen Gewaltapparate und zur Reform des Staatswesens insgesamt auf eine Schranke stoßen: Die Regierung hat bei aller Kooperationswilligkeit ihren eigenen Kopf. Insbesondere kümmert sie sich, außer um gute Beziehungen zur Weltmacht, immer auch noch um ihr zweites politisches Standbein, ihren Status als berufener Vorkämpfer des Islam, dessen wichtigste Kultstätten sie hütet und für dessen Pflege in fremden Ländern sie sich stark macht. Sogar in God’s own country, das so etwas nun wirklich nicht nötig hat und seit „9/11“ auch überhaupt nicht mehr leiden kann, finanziert sie Prediger und ein Schrifttum, in dem, wenn man es im Licht der großen Attentate kritisch begutachtet, Worte der Massenvernichtung verbreitet werden, und muss sich folglich im Kongress vorführen lassen als ausländische Regierung, die unser nomineller Verbündeter im Krieg gegen den Terror ist, die uns aber innerhalb unserer Grenzen unterminiert (Forward, 4.2.05).

Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Kritiker der Bush-Kriege gegen den Terrorismus nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt, dass sie womöglich gegen die Falschen geführt werden, fordert praktische Konsequenzen:

„Die Vereinigten Staaten können nicht ‚business as usual‘ mit Saudi-Arabien treiben, solange es keine konkreten Schritte unternimmt, die Geistlichen davon abzuhalten, die Feuer des islamischen Extremismus zu schüren. … Ich werde einen Plan verfolgen, der diese Nation unabhängig vom Öl aus Nahost macht. Ich will ein Amerika, das auf die eigene Innovationskraft und den eigenen Einfallsreichtum, aber nicht auf die königliche Familie der Sauds vertraut.“ (Kerry, zitiert nach Council on Foreign Relations, 24.9.04)

Mit seiner Androhung von ‚name and shame‘-Kampagnen gegen Banken, die mit saudischen Organisationen weiter zusammenarbeiten, sowie dem Ausschluss des Landes vom US-Finanzsystem, steht er nicht allein. Dem Kongress liegt der Gesetzentwurf eines ‚Saudian Accountability Act‘ vor, dessen Verabschiedung als bleibende Mahnung im Raum steht; Mitglieder des saudischen Königshauses werden wegen 9/11 verklagt, die Beschlagnahmung einschlägiger saudischer Vermögen wird immer wieder gefordert. Der amtierenden Regierung geht das zwar zu weit:

„Ich denke, dass jene, die das Gesetz vorlegen, das Saudi-Arabien zur Rechenschaft ziehen soll, den Kontakt zur Realität und auch zu den amerikanischen Interessen verloren haben.“ (US-Botschafter Jordan in: SUSRIS, 7.9.04)

Und auch der Vorschlag eines Regierungsberaters –

„Murawiec empfahl, dass Washington dem Königreich ein Ultimatum stellen müsse, mit der Unterstützung des Terrorismus aufzuhören, andernfalls habe es mit der Beschlagnahmung seiner Ölfelder und seiner Geldanlagen zu rechnen.“ (bei einer Anhörung vor dem Pentagon-Beratungsgremium – Can Saudi Arabia Reform Itself? in: ICG Middle East Report, No. 28, S.8)

ist derzeit nicht aktuell. Das ist allerdings auch nicht nötig. Amerika hat seinen Verbündeten längst praktisch unter seine strategischen Richtlinien subsumiert, in seinen regionalen Antiterrorkrieg verstrickt und lässt ihm keine Chance.

2. Zu den beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen des amerikanischen Antiterrorkriegs für Saudi-Arabien

Mit ihrem Antiterrorkrieg haben die USA die strategische Situation in der Nahostregion gründlich ändern wollen und auch wirklich gründlich verändert – wenn auch durchaus nicht nur im beabsichtigten Sinn.

a) Die neue Regionalmacht mitten im „Broader Middle East“: die USA

Schon mit ihrem ersten Irak-Krieg – damals noch mit einem amerikanischen Großaufgebot an Militär in Saudi-Arabien –, dann mit ihrer immer noch andauernden militärischen Präsenz in Afghanistan und endgültig im Gefolge des zweiten Irak-Kriegs hat sich die amerikanische Weltmacht mitten in der nahöstlichen Ölregion sowie in ihrem Umkreis als alles beherrschende Militärmacht fest etabliert. Sie begnügt sich nicht mehr damit, diesen wichtigen Teil der Staatenwelt „von außen“, vermittels einer Oberaufsicht über Verbindungen und Feindschaften zwischen den dortigen Souveränen und per Einwirkung auf deren Verlauf, zu beherrschen. Mit der Okkupation des Irak sowie dem Ausbau alter und dem Aufbau neuer Stützpunkte im weiteren Umkreis macht sie sich selbst zur „mittelöstlichen“ Macht, zum direkten Anrainer der wichtigsten und für sie problematischsten Staaten der Region: unmittelbar bedrohlich für Länder, die – im Urteil Washingtons – die Freiheit Amerikas, seines geschäftlichen Zugriffs wie seiner politischen Bedürfnisse, behindern; für die bisherigen Verbündeten hingegen weniger ein Sicherheitsgewinn als eine Herabstufung ihres Eigengewichts, eine Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit und eine verschärfte Inanspruchnahme für Hilfsdienste.[19] Mit ihrer gewalt(tät)igen Präsenz relativieren die USA die Fähigkeiten wie die Ambitionen, die guten wie die schlechten Beziehungen der Souveräne der Region; und zwar im Wortsinn: Sie beziehen alles direkt auf sich, auf ihre Sicherheitsbedürfnisse, die mit dem Sieg über Saddam Hussein nicht befriedigt, sondern ganz enorm gewachsen sind, und auf ihre Gestaltungsinteressen. Aus der Position der von allen Geschehnissen unmittelbar betroffenen, unmittelbar eingriffsfähigen überlegenen Macht heraus bedrängen sie ihre neuen „Nachbarn“, führen direkt Regie über deren Umformung – je nach dem über die Untergrabung oder die Reform ihrer Regime –, legen für alle die Konfliktlinien und den Umkreis ihrer Möglichkeiten und Bedrohungen fest und wollen so ein Umfeld von abhängigen und willfährigen Staaten schaffen, die bei der Festlegung ihrer Staatsräson im Allgemeinen, ihrer außenpolitischen Interessen im Besonderen nicht umhin können, den guten Beziehungen zu Washington absolute Priorität einzuräumen.

Diese Politik zielt auch und nicht zuletzt auf Saudi-Arabien. Von dem alten Verbündeten ist jetzt verlangt, sich entlang der amerikanischen Frontlinie aufzustellen und gemeinsam mit den USA Terrorismus und Antiamerikanismus zu bekämpfen; bei der Eindämmung des politischen Einflusses des Islam und islamischer Staaten sowie (pan)arabischer Macht-Ambitionen behilflich zu sein; die Etablierung pro-amerikanischer Regime im Irak und Afghanistan und deren Aufrüstung zu Vorposten der strategischen Interessen der USA vorbehaltlos zu unterstützen, nicht zuletzt finanziell; an der Isolierung der „Schurkenstaaten“ Iran und Syrien mitzuarbeiten; dem israelischen Ministerpräsidenten bei der Erledigung der Palästinenserfrage beizustehen und auf jegliche Gegnerschaft gegen den Staat Israel zu verzichten. Alle Anstrengungen des Königshauses, als islamisch-arabische Führungsmacht voranzukommen, werden beschränkt, machtvoll untergraben oder direkt unterbunden: Die Förderung der palästinensischen Sache wird unter Verdacht auf Finanzhilfe für Terroristen gestellt, kontrolliert und teilweise verboten; eine erweiterte wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit der Staaten des ‚Golf-Kooperationsrats‘ wird durch bilaterale Freihandels- und Militärabkommen Amerikas mit einzelnen Golfstaaten unterminiert; der saudische Antrag auf WTO-Zulassung wird verschleppt. Auch die militärische Kooperation wird im amerikanischen Sinn korrigiert: Die USA errichten ihr neues Hauptquartier in Katar und stellen größere Waffenlieferungen an Riad vorerst ein, verzichten freilich nicht auf ihre Basis in Saudi-Arabien und schon gleich nicht auf den Anspruch, dass das Land für die US-Bedürfnisse zur Verfügung zu stehen und sich kooperativ unterzuordnen hat.[20]

b) Amerikas neuer Zugriff auf die Erdölreserven

Die USA sortieren im Zuge ihrer neuen strategischen Arrangements auch den so wichtigen Welt-Energiemarkt neu. In Zentralasien, unter den von Moskau abtrünnigen Erben der Sowjetunion und deren Förderindustrie, entfalten sie schon seit längerem machtvolle Aktivitäten, um sich eine bessere Kontrolle über die Quellen ihrer unverzichtbaren Ölimporte – und die ihrer Verbündeten und Rivalen – zu sichern; daneben erschließen sie Afrika in wachsendem Umfang als amerikanisches Ölreservoir; jetzt haben sie sich die Verfügungsgewalt über die irakischen Vorkommen erobert und stehen mit einer kompletten Besatzungsarmee in unmittelbarer Nähe zu den saudischen Ölfeldern. Damit hat die Bush-Regierung entscheidende Voraussetzungen geschaffen für das, was ihre demokratische Opposition dringlich einfordert und sie selber verfolgt: weniger Abhängigkeit von arabischem und OPEC-Öl – was nicht etwa geringere Importmengen aus diesen Quellen, sondern freiere Verfügung über sie bedeutet; sowie die Fähigkeit zur glaubwürdigen Drohung mit der militärischen Inbesitznahme der saudischen Kohlenwasserstoffvorräte. Die Perspektive ist klar: Das Land der Saudis soll auf den Status eines leicht handhabbaren Ölstaats ohne eigenständige Machtambitionen zurückgestuft werden.

c) Vom Blitzkrieg gegen Saddam Hussein zum dauerhaften Guerilla-Krieg im Irak mit unfreiwilliger Beteiligung Saudi-Arabiens

Das alles wird dadurch noch verschärft, dass Amerikas Rechnungen und Berechnungen nicht wunschgemäß aufgehen. Der machtvolle Einsatz der USA für eine neue Ordnung im Irak und im ganzen Nahen Osten hat erst einmal faktisch eine Kriegslage mit unabsehbarem Ende und noch gar nicht absehbaren Weiterungen herbeigeführt. Die Besetzung des Landes ist zu einem Guerillakrieg ausgeartet, in dem auf Seiten der Widerständler auch geschulte Fanatiker aus Saudi-Arabien mitkämpfen. Amerika seinerseits führt seinen Krieg ganz nach eigenen Bedürfnissen und mit aller Rücksichtslosigkeit, am Willen und an den Bedürfnissen der Staaten vor Ort vorbei oder sogar ausdrücklich gegen sie, bedroht und bedrängt zudem die Nachbarn des zerstörten Staates, Iran und Syrien – und verlangt vom Rest der Länder der Region, ihm in seinem Kampf bedingungslos zur Seite zu stehen. Saudi-Arabien fällt dabei die Aufgabe zu, die Grenzen für Terroristen wirksam zu schließen und das Terrornetzwerk im eigenen Land mit seinen Querverbindungen in den Irak und die anderen Länder der Region hinein zu zerschlagen; außerdem ist Bündnistreue gefordert für alle feindseligen und kriegerischen Übergänge, die Amerika noch für nötig hält. So wird das Land in den irakischen Terror und Antiterrorkrieg involviert; und das umso mehr, je weiter sich das Gemetzel zum Bürgerkrieg entwickelt, der dann schon wegen seiner konfessionellen Frontstellungen endgültig nicht mehr auf Amerikas neuen Irak zu begrenzen ist. Von den USA zur Erledigung der Terroristen gedrängt und mittlerweile auch aus Eigeninteresse genötigt, auf der anderen Seite von den im gleichen Maß aufgestachelten antiamerikanischen Aktivisten und Sympathisanten des irakischen Widerstands angegriffen, ist die saudische Herrschaft ohne eigenes Zutun und entgegen allen eigenen Absichten bereits zum Teil der Kriegsfront geworden.

IV. Prinzen in der Defensive

Was die USA ihrem saudischen Verbündeten an strategischer Herabstufung zumuten und was sie ihm an ‚inneren Reformen‘ aufgeben, so als handelte es sich dabei nur um eine Frage des guten Herrschaftswillens, überfällige Modernisierungen zu realisieren, das kommt für das regierende Königshaus einer Kündigung seines – widersprüchlichen und ohnehin zunehmend zerrütteten – Status als islamische Stammesherrschaft auf Öldollar-Basis durch seinen großen weltpolitischen Patron gleich. Das Prinzen-Regime versucht sich zu behaupten, indem es um einen gewichtigen Stellenwert im System des US-Imperialismus ringt und den destruktiven Aufforderungen zu innerer ‚Erneuerung‘ teils dosiert Folge leistet, teils widersteht:

Die Degradierung vom bevorzugten Geschäftspartner und strategischen Eckpfeiler der Weltmacht im ‚Mittleren Osten‘ zur tendenziell ersetzbaren Petroleumquelle und zum halben Problemfall der neuen ‚antiterroristischen‘ Globalstrategie Amerikas beantworten die Herrscher Saudi-Arabiens mit einer Außenpolitik, die auf interessierte Unterstützung durch andere Weltordnungsmächte sowie auf autonome Arrangements mit den Staaten der Region abzielt und den Willen zur Emanzipation von der Vormundschaft Washingtons auch mit diplomatischen Gesten deutlich macht. Dies freilich nicht, um der neuen Linie der USA mit einer Gegenkündigung zu begegnen: Das Königshaus bemüht sich um Machtpositionen, die es ihm erlauben sollen, der Weltmacht an Stelle des alten Einvernehmens ein Stück Respekt und Anerkennung seiner mit eigenen Mitteln errungenen regionalpolitischen Bedeutung abzuhandeln.

Dem gebieterischen Anspruch Washingtons auf einen drastisch verschärften, durchschlagend erfolgreichen Kampf gegen ‚islamistische‘ Terroristen und deren Unterstützer im Land verweigert die Regierung sich nicht; schließlich hat sie selber Probleme mit gewaltbereiten frommen Oppositionellen – dies freilich in der Hauptsache gerade infolge ihrer engen Beziehungen zu den imperialistischen ‚Ungläubigen‘; deswegen wird sie die auch nicht los, provoziert vielmehr um so mehr Widerstand, je williger sie gegen die ‚Gotteskrieger‘ im eigenen Land mit den Amerikanern gemeinsame Sache macht. Umso nachdrücklicher besteht sie andererseits darauf, bei der Identifizierung von Terroristen eigene Kriterien in Anschlag zu bringen, bei der Terroristen-Verfolgung nach eigenem Ermessen vorzugehen, in beiden Hinsichten Distanz zu den Vorgaben aus Washington zu wahren. Und sie verwahrt sich vor allem ganz entschieden gegen jede Problemdefinition und Aufgabenbeschreibung, in der ein Zusammenhang zwischen dem zum Hauptfeind der Menschheit erklärten Terrorismus und dem im eigenen Land gepflegten wahhabitischen Fundamentalismus hergestellt wird. Andererseits kommt sie gerade deswegen, eben um jeden Terrorismus-Verdacht gegen die religiöse Quelle ihrer eigenen Legitimation abzuweisen, nicht umhin, die landeseigene Geistlichkeit zu disziplinieren und gegen die wachsende Zahl der Religionslehrer einzuschreiten, die jetzt endgültig der Auffassung sind, dass Freundschaft mit dem ‚ungläubigen‘ Amerika sich mit den Glaubenspflichten eines guten Moslem und mit der Verantwortung der ‚Hüter der Heiligen Stätten‘ für intakte islamische Rechtgläubigkeit schon gleich nicht verträgt, und zu innerem Widerstand aufrufen.

Erledigt sind solche Auffassungen natürlich nicht, wenn die in Verdacht geratene Obrigkeit sie verbietet; Vorkämpfer frommer Sittenreinheit finden sich dadurch eher bestätigt und sind auch nicht gleich wieder zufrieden, wenn die amtlichen Aufpasser gleichzeitig einen Abwehrkampf gegen die Lockerung der herrschenden Sitten führen, die mit der von Washington verlangten und von den Wirtschaftsreformern aus der Prinzengarde auch aus eigenem Antrieb vorangebrachten ‚Öffnung‘ der Gesellschaft für ein freies kapitalistisches Geschäftsleben sowie der damit verbundenen Verelendungstendenzen tatsächlich einreißt. Entsprechend heikel wäre es und zudem im Endeffekt überhaupt nicht im Sinne der Demokratie-Exporteure aus Amerika, allen „Kräften“, die über das weitere Schicksal Saudi-Arabiens gerne mitentscheiden würden, die Gründung politischer Parteien freizustellen und diese zu einer allen Ernstes ergebnisoffenen Konkurrenz um Zustimmung des in Stammesloyalität und Glaubensgehorsam befangenen Volkes einzuladen. Die paar Figuren der Elite, die in den USA tatsächlich das große Vorbild für ihren „rückständigen“ Laden sehen und die von der US-Regierung als Kronzeugen für den Bedarf nach „Freiheit und Demokratie“ angeführt werden, wären angesichts der herrschenden Ausrichtung von Volk und Herrschaft gewiss nicht die Haupt-Nutznießer eines solchen demokratischen Fortschritts; ihre absehbare Niederlage aber ein zusätzlicher Einwandstitel der USA gegen das „System“ der frommen Monarchie insgesamt; umgekehrt ihr von außen unterstützter Anspruch auf den Status einer respektablen politischen Kraft im Land ein Ärgernis und ein „Argument“ mehr für die radikal fromme Opposition. Dementsprechend restriktiv kommt das Königshaus dem Anspruch auf ‚freie Wahlen‘ nach, den ohnehin weder die Massen erheben noch diejenigen, die in der einheimischen Gesellschaft etwas zu sagen haben; dafür umso bornierter die auswärtigen Kämpfer für ein demokratisiertes Saudi-Arabien, denen per Saldo alles, was die saudischen Prinzen unternehmen, um mit ihrer neuen politischen „Lage“ fertig zu werden, teils gegen den Strich, teils längst nicht weit genug geht.

***

Zu den saudischen Anstrengungen, die angefeindeten nationalen Interessen zu retten

Damit konfrontiert, dass das eine tragende Element seiner Herrschaft, die islamisch definierte Staatsräson, von der Vormacht, mit deren Anerkennung Riad weltpolitisch wirtschaftet, ideologisch angefeindet, praktisch geächtet und in die Schranken gewiesen wird versucht das in die Nähe des Terrorismus gerückte Königshaus den Widerspruch zwischen dem neuen Pflichtenkatalog aus der Antiterrorismus-Zentrale und den eigenen Fortschrittsambitionen nach außen und im Innern zu umgehen. Zunächst einmal sieht es sich genötigt, seine Herrschaft aus der Schusslinie zu nehmen und Amerika die Unhaltbarkeit der Anschuldigungen durch besonderes Entgegenkommen zu demonstrieren. Deswegen zeigt sich die saudische Führung unmittelbar nach dem 11. September 2001 in Amerikas ‚Stunde der Not‘ als Öllieferant und OPEC-Führer besonders kooperativ, startet außerdem Imagekampagnen in den USA, die ihr den aufgemachten Rechtfertigungszwang ersparen und das vom Weißen Haus autorisierte Bild saudischer Verstrickung in die ‚unamerikanischen Umtriebe‘ zurechtrücken soll. Das gelingt nicht.

1. Nach außen: ein fortgesetzter Kampf um die von Amerika gekündigte Doppelrolle als Partner der USA und islamische Macht

Der amerikanische Generalverdacht und die heftigen Anfeindungen der ersten Stunde legen sich nicht, sondern verfestigen sich zu einer dauerhaft kritischen Stellung der Bush-Regierung gegenüber dem Verbündeten. Von der Schutzmacht ergeht eine förmliche Kündigung des bisherigen Verhältnisses, ohne dass Riad selber auf dieses Verhältnis verzichten wollte oder überhaupt könnte; es wird Amerikas ‚Betreuung‘ ja nicht los, sondern neu gefordert und beschränkt: Seine Ambitionen werden abgeblockt und als antiamerikanisch inkriminiert. Deswegen lassen sich die saudischen Regenten dann auch schon mal zu einem deutlichen Nein hinreißen:

„‚Wir glauben, dass von den USA eine strategische Entscheidung getroffen wurde, dass ihre nationalen Interessen im Nahen Osten zu 100% auf Scharon basieren.‘ Dies ist Amerikas Recht, aber Saudi-Arabien kann diese Entscheidung nicht akzeptieren. ‚Von heute an werden wir unsere nationalen Interessen schützen, ohne Rücksicht darauf, wo Amerikas Interessen in der Region liegen.‘“ (Abdullah Botschaft an Bush – WP, 10.2.02)

Man verweist auf die ökonomischen Machtmittel, die dem Land zu Gebote stünden, um sich Respekt zu verschaffen:

„600 bis 800 Mrd. Dollar aus Saudi-Arabien sind im Ausland angelegt, 60% davon in den USA… der Handel mit den USA beläuft sich auf 176 Mrd. $, gefolgt von Japan mit 78 Mrd. $… Es wird Zeit, dass Saudi-Arabien die Sprache spricht, die der Westen versteht.“ (Arab News 4.10.)

Auch wird ausdrücklich mit Abzug der Gelder aus den USA und Fakturierung der Ölrechnungen in Euro gedroht – zwar nicht offiziell, aber hörbar. Soweit will es das Königreich in Wahrheit allerdings keinesfalls kommen lassen. Solche Botschaften haben eher den Charakter eines Gesuchs um bessere Behandlung, denn einer ernstzunehmenden Drohung.

Angesichts dessen, dass die USA unbeeindruckt genau das machen, womit Abdullah droht, nämlich ihre Interessen ohne Rücksicht zur Geltung bringen, bemüht sich die saudische Führung verstärkt darum, die jetzt von Amerika für unvereinbar erklärten Positionen vereinbar zu machen. Sie versucht unter den veränderten Verhältnissen die alte Politik fortzuführen, die sie immer schon als ihren Erfolgsweg angesehen hat, nämlich Amerikafreundschaft und Agieren als islamische Macht zu vereinen – jetzt aber unübersehbar aus einer Position nationaler Not, und um ihr inkriminiertes islamisches Staatsprogramm zu retten. In diesem Sinne ist sie bestrebt, Eingehen auf Amerika mit Bewahrung größtmöglicher Selbständigkeit zu verbinden, die unabweisbaren amerikanischen Anliegen anzuerkennen, um sie zugleich für sich möglichst unschädlich zu machen und ihnen eine für sie verträgliche Richtung zu geben, dies wiederum den USA als besten Beitrag zu deren neuer Tagesordnung anzuempfehlen und so den Angriff auf ihr ganzes bisheriges Staatsprogramm zu unterlaufen. Keine leichte Sache.

  • An der ideologischen Front kämpft sie darum, die Schuldzuweisungen an ihr Herrschaftswesen loszuwerden, vor allem die für sie vernichtende amerikanische Gleichsetzung von politischem Islamismus und Terrorismus zu bestreiten, indem sie die angemahnten politischen ‚Werte‘ als die ihren propagiert, sie dabei in ihrem Sinne uminterpretiert und sich damit als islamische Macht aus dem amerikanischen Vorwurfsregister herausdefiniert. ‚Menschenrechte‘, selbstverständlich ein Anliegen des Islam! Für diese Botschaft lässt sie – formell im Sinne der USA – die Staaten der ‚Organisation der Islamischen Konferenz‘ zu einer Konferenz über ‚Menschenrechte in Frieden und Krieg‘ zusammenkommen und beschließen, dass der Islam menschliches Leben, Würde, Eigentum und andere Religionen achtet und vor allem Einsperren ohne gesetzliche Grundlage verbietet – Guantánamo lässt grüßen. ‚Reformen‘, natürlich ein ureigenes Bedürfnis der arabischen Staaten! Mit dem Entwurf einer ‚Charta‘ der Arabischen Liga werden 2003 ‚innere Reformen‘, ‚vermehrte politische Partizipation‘, ‚regionale ökonomische Integration‘ und ‚gemeinsame Sicherheitsmaßnahmen‘ ins Auge gefasst, also ziemlich das Gegenteil der amerikanischen Lesart von ‚Reform‘, nämlich ein gemeinsamer Aufbruch der arabischen Nationen.[21] ‚Bekämpfung des Terrors‘ – sicher, aber bitte gemäß der richtigen Definition, wo er herkommt und sie hingehört! Mit der Veranstaltung einer eigenen Antiterrorkonferenz im Februar 2005 ordnet sich Riad propagandistisch in die vorderste Reihe der Kämpfer gegen den ‚internationalen Terrorismus‘ ein, um dem Vorwurf zu begegnen, nicht entschieden genug durchzugreifen – Wir werden den Krieg gegen den Terror mit Allahs Hilfe vorantreiben, bis wir das Übel ausgerottet haben. –, vor allem aber um die antiislamische Stoßrichtung der amerikanischen Terrorismusdefinition weltöffentlich zurückzuweisen: Die UNO wird aufgefordert, eine Resolution zu verabschieden, die verbietet, Terrorismus mit einer bestimmten Religion zu verknüpfen. (Arab News, 6.2.05)
  • Neben diesem Kampf an der diplomatischen Front ist die saudische Staatsleitung praktisch bemüht, ihre Beziehungen unter arabisch-islamischem Vorzeichen im nahöstlichen Umkreis trotz der amerikanischen Einsprüche und gegen Washingtons eigenes praktisches Eingreifen zu erhalten, zu festigen und sogar auszubauen, um dem Status eines zur Willfährigkeit verurteilten US-Anhängsels zu entgehen. Trotz der amerikanischen Ächtung intensiviert sie ihre Kooperation mit dem Iran, daneben aber auch mit Pakistan. Als Vorsteher eines führenden Ölstaats verfolgt sie zugleich ein eigenes Programm des ‚Multilateralismus‘: Das Königreich könnte sich überlegen, China, Japan und Indien als strategische Partner zu nehmen, um Druck auf den Westen auszuüben. (Arab News 4.10.) Die Freiheit der ‚strategischen Partner‘-Wahl ist allerdings ebenso beschränkt wie der Druck, den das Ölland auszuüben imstande ist, um sich gegen die Degradierung durch die USA zur Wehr zu setzen. Die Drohungen mit den Alternativen, die sich das Königreich ‚überlegen‘ könnte, die es in Wahrheit längst betreibt, laufen am Ende auf die der Not entsprungene Berechnung hinaus, engere Verbindungen zu Konkurrenzmächten der USA und imperialistischen Aufsteigern könnten die eigene Erpressbarkeit durch Amerika mildern und den wichtigsten Ansprechpartner der Saudis eher dazu veranlassen, den nach wie vor bestehenden saudischen Willen zur Zusammenarbeit besser zu honorieren und dem islamischen Land mehr Raum zu gewähren.
  • Die Anstrengungen, der amerikanischen Tagesordnung im Zeichen des Antiterrorkampfs eine eigene diplomatische Lesart entgegen zu setzen, wo die Wurzel des Antiamerikanismus zu suchen und wie er zu bekämpfen sei, gewinnt an Schärfe, als die USA im zweiten Irak-Krieg die Beteiligung am Sturz des Saddam-Regimes einfordern. Das lehnt Saudi-Arabien ab, besteht stattdessen darauf, dass viel eher ein anderer Konfliktfall zu lösen sei, die Auseinandersetzung Israels mit den Palästinensern nämlich, immer schon Hauptfeld des Kampfes um die arabisch-islamische Sache und ihres Scheiterns an Amerikas Ordnungsprogramm. Die saudischen Regenten vertreten nach wie vor und gerade jetzt die Auffassung, dass die Opposition gegen Amerika ihren – in gewissen Grenzen durchaus verständlichen – eigentlichen Grund in der beharrlichen Feindschaft Israels gegen alle arabischen Ansprüche und Verständigungsangebote hat. Den Vorwürfen an die eigene Adresse begegnen sie mit dem Gegenvorwurf, dass Israel die Schuld an der Feindschaft gegen die USA in den arabischen Ländern zukommt. Weil Washington mehr denn je die palästinensische Gegenwehr gegen Israels Vorgehen unter ‚Terrorismus‘ subsumiert, also im Verein mit Israel saudische Hilfsgelder und Unterstützung für die Palästinenser tendenziell als Förderung des Terrorismus einstuft, sehen sie sich besonders gefordert, ihren Standpunkt einer berechtigten palästinensischen Sache gegen deren Kriminalisierung zu verteidigen. Bei diesem Kernstück ihrer Außenpolitik wollen sie sich ihr Recht auf politische Intervention und ihre materielle Einflussnahme nicht streitig machen lassen und ausgerechnet jetzt alles der Partnerschaft Israel-USA überlassen. So plädieren sie mit Verweis auf den Kampf gegen den Terrorismus für eine alternative, die immer schon angemahnte Tagesordnung, in der das eigene Land Mitordnungsberechtigter statt selber Ordnungsfall ist: Ohne Frieden Israels mit den Palästinensern keine Ruhe im Nahen Osten! Dabei verfolgen die saudischen Verantwortlichen schon wieder eine Linie irgendwo zwischen Kritik an der amerikanisch-israelischen Allianz, in der Israel jede Lizenz bekommt, und Demonstrationen des guten Willens, zu einer konstruktiven ‚Lösung‘ des Konflikts beizutragen, die ihr Recht auf Mitwirkung untermauern sollen. Die saudische Friedensinitiative im Frühjahr 2002, die das alte Kompromissangebot – Anerkennung Israels durch die arabischen Staaten bei gleichzeitiger Anerkennung der Rechte der Palästinenser und Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 – neu auflegt, ist in den Augen der Bush-Regierung, die zu dieser Zeit die diplomatischen und militärischen Vorbereitungen für den Sturz des Saddam-Regimes vorantreibt, allerdings nichts als ein durchsichtiger Einmischungs- und Ablenkungsversuch. Die Initiative findet daher nur formell Gehör und wird durch die Fakten, die Israel im Einvernehmen mit Washington schafft, hinfällig gemacht. Ein Verständnis für den abweichenden saudischen Rechtsstandpunkts, eine mitbestimmende Rolle in der Palästinenserfrage gar, kommt nicht in Frage. Ebenso wenig später ein Eingehen auf das saudische Angebot, eine arabische Friedenstruppe könnte dem US-Militär im Irak die Arbeit abnehmen.

    Insofern kann sich Riad auch keine Entlastung an seiner inneren Front ausrechnen: Ein amerikanisches Entgegenkommen, mit dem die Herrscher ihre gegen die USA aufgebrachten nationalen Kreise besänftigen und sich ins Recht gesetzt sehen könnten, ist nicht zu gewärtigen.

2. Im Innern: verstärkte Anstrengungen, die gegensätzlichen „Reform“-Anliegen zu versöhnen und sowohl den „Terrorismus“ wie Amerikas Zumutungen los zu werden

Im Innern sehen sich die saudischen Regenten genötigt, ihre von zwei Seiten ideologisch wie praktisch infrage gestellte Ordnung zu retten und zu verteidigen: gegen die Weltveränderer in Washington, für die alle saudischen Reformen viel zu sehr auf eine Konsolidierung und Festigung der inkriminierten islamischen Herrschaftsverfassung statt auf deren Abschaffung hinauslaufen; und gegen die kämpferischen Kritiker im eigenen Land, die sich mit ihren Vorwürfen gegen die antiislamischen Bestrebungen der USA und ihrer eigenen Obrigkeit endgültig ins Recht gesetzt sehen. Und soweit haben die ja recht: Das gläubige Herrschaftsprogramm will Amerika wirklich ausrotten. Also nehmen, nicht zufällig wieder entlang alter Stammeslinien, die Angriffe auf das Königshaus zu – für Amerika nur ein Beweis mehr, dass das ganze islamische Unwesen ausgeräumt gehört…

Gegenüber Amerika bemüht sich die saudische Führung, den religiösen Charakter ihrer Herrschaft gegen das Ansinnen zu verteidigen, religiöse und staatliche Autorität zu trennen, und mit den Forderungen nach Einführung demokratischer und marktwirtschaftlicher Freiheiten so fertig zu werden, dass in ihrem Reich möglichst wenig durcheinander kommt. Das Königshaus demonstriert in Richtung Washington Kooperationsbereitschaft und Reformwilligkeit, schiebt bei passender diplomatischer Gelegenheit aber der amerikanischen Lesart von Reform berechnend seine eigenen Intentionen unter, wenn es sich z.B. dafür bedankt, dass die USA Reformbestrebungen gutheißen, die in den jeweiligen Ländern entstehen, bei gleichzeitigem Respekt für die jeweilige Kultur und die religiösen Überzeugungen der Menschen (der saudische Außenminister beim Rice-Besuch in Riad, FAZ, 22.6.05). Es appelliert damit an den guten Willen Washingtons, das schließlich die saudischen Regenten mit den Reformen beauftragt hat, und pocht auf sein Recht, sich nichts aufnötigen lassen zu müssen, was die eigene Herrschaft auf den Kopf stellt. Deshalb weisen die Verantwortlichen in Riad die US-Begehren im Namen aller Araber ein anderes Mal auch wieder entschieden zurück:

„Die amerikanischen Ideen und Vorschläge kommen ungeheuerlichen Anschuldigungen gegen die arabischen Länder und Menschen gleich. Diese Initiativen sehen von außen gut aus, aber ihre Essenz ist böswillig…, als ob wir auf Anordnung vom Ausland warten müssten, Fragen, die unsere Bürger betreffen, zu regeln.“ (Prinz Saud – WP, 21.4.04.)

Nach innen versucht die saudische Führung dagegen, ihr berechnendes Eingehen auf die amerikanischen Herausforderungen, genauso wie ihre eigenen Fortschrittsanstrengungen, als bruchlose Fortsetzung einer wohlverstandenen nationalen Politik unter islamischen Vorzeichen glaubhaft zu machen. Sie hebt die eigene Unabhängigkeit und die Unerschütterlichkeit im Festhalten an islamischen Grundsätzen hervor und tut viel für das Dementi, irgendetwas auf Geheiß oder Druck der USA zu unternehmen. So betont Prinz Abdullah anlässlich der Einführung neuer Curricula, die erst aufgrund des Drucks der USA ins Leben gerufen wurden:

„Lehrer sollten als erstes Religion und Vaterland dienen und niemand anderem – weder dem Terrorismus noch auswärtigen Prinzipien, die uns gebracht werden und die wir nicht akzeptieren“ –

und dürfte mit dieser Ineinssetzung von westlichen ‚Prinzipien‘ und Terrorismus schon wieder die USA verärgern.

  • Dem US-Antrag, gefälligst im eigenen Land alle antiamerikanischen Umtriebe zu beseitigen, kann sich das Land als unmittelbar Betroffener der Anti-Terroroffensive der USA und in den Antiterror-Krieg verwickelter Nachbar des Irak nicht schadlos entziehen; und das wollen die Regenten auch nicht; die Angriffe im Innern gelten schließlich auch ihnen und bringen zudem Washington gegen sie auf. Den Kampf gegen terroristische Umtriebe im eigenen Land führen sie allerdings nach Möglichkeit in eigener Regie und gemäß eigenen Vorstellungen, wie zwischen gutem Volk und inneren Feinden, zwischen richtig verstandenem Islam und Terrorismus zu scheiden sei – eine Unterscheidung, an der die US-Macht gar kein Interesse hat – und wie am besten mit denen fertig zu werden sei, die nach saudischer Lesart ein Anschlag auf den Islam sind. Dabei haben sie es da nicht mit einer isolierten Minderheit von geächteten Feinden der Gesellschaft zu tun, sondern mit radikalen Anhängern der geltenden Staatsmoral, mit denselben ‚Heiligen Kriegern‘, die sie einst im Namen des Glaubens gefördert und im nationalen Auftrag und unter dem Beifall der Nation nach Afghanistan auf die Russen losgelassen haben, Regimegegner, die inzwischen im Volk zudem eher mehr als weniger Zustimmung finden. Jetzt sollen sie erledigt, ihres Rückhalts in Geistlichkeit und Volk beraubt – aber die inneren Verhältnisse dabei nicht unnötig durcheinander gebracht und schon gleich nicht ‚religiöser Aktivismus‘ im amerikanischen Sinn insgesamt als Quelle allen Übels bekämpft werden. Die Führung in Riad versucht deshalb, der Sache wie zuvor auch schon mit einer Mischung aus Gewalt und Entgegenkommen Herr zu werden. Die gewalttätigen Gegner ihrer Politik werden öffentlich als ‚Feinde des Islam‘ geächtet. Sicherheitskräfte machen im Zweifelsfall kurzen Prozess und erledigen die, derer sie habhaft werden. So erspart man sich Auseinandersetzungen um die Auslieferung an die USA, bemüht sich, es als eine rein innersaudische Affäre abzuwickeln, jedenfalls nicht in Abhängigkeit von den USA. Deshalb hat man auch ein Abkommen mit Pakistan und der Türkei geschlossen, das die Auslieferung von Staatsgegnern untereinander, aber ausdrücklich nicht an die USA vorsieht. Auf der anderen Seite sollen die Glaubenskämpfer mit einem Amnestieangebot dazu bewegt werden, sich der offiziellen Staatslinie friedlich zu beugen, die nun untersagt, was vormals noch als heilige Sache galt. Nicht selten lässt man ‚Terroristen‘, die man entgegen Washingtons Definition nicht als solche einstufen will, auch nach Sudan, Irak oder anderswohin ausreisen.
  • Das Ansinnen, in ihrem islamischen Staatswesen den Glauben generell zur Privatangelegenheit zu machen, kommt den regierenden Prinzen schon gleich absurd und anmaßend vor:
    „Alles dreht sich hier um Religion. Ich werde nicht versuchen, es Ihnen zu erklären, weil Sie es doch nicht verstehen können. Die Religion ist Teil der DNA der Saudis. Religion ist Gesetz, vermischt mit Kultur, in der Gesellschaft verwurzelt.“ (Arte-Sendung)

    Gleichwohl, zu einer strikteren Kontrolle der Geistlichkeit und deren Verpflichtung auf eine neue staatsdienliche Zurückhaltung lassen sie sich herbei, auch wenn sich das mit ihrem eigenen Reformbedarf in Sachen Geistlichkeit keineswegs deckt. Auf Druck der USA, die das Land bezichtigen, in Form von Geldwäsche oder durch seine als Wohltätigkeit getarnten Aktivitäten in aller Welt den Terrorismus zu fördern, wird das islamische Spendenwesen neu geregelt und unter strengere Aufsicht gestellt. Prediger werden gezwungen, öffentlich Gewalt im Namen des Islam zu ächten, oder werden mit Berufsverbot belegt, um von Washington beanstandete ‚Hasspredigten‘ zu unterbinden; überhaupt wird der bislang dominierende Einfluss der Geistlichkeit auf die Erziehungsrichtlinien zurückgedrängt. So sollen die geistlichen Staatsstützen neu ausgerichtet, nicht aber generell entmachtet werden; eher soll die Geistlichkeit – und damit das ganze Staatssystem – der US-Kritik entzogen werden.

  • Das US-Begehren, ‚Demokratie‘ ins saudische Königreich einziehen zu lassen, verstehen die saudischen Machthaber durchaus als das, was es ist, einen Angriff auf ihr Machtmonopol. Die von auswärts angemahnten Herrschaftsprinzipien lehnen sie deshalb als für ihr islamisches Land ‚artfremd‘ und im Übrigen wenig ‚sachdienlich‘ ab:
    „Abdullah bekräftigte die Recht und Gesellschaft bestimmende Rolle des Islam in Saudi-Arabien: Die Werte, die sich aus dieser Verpflichtung ableiten, seien ein Grund dafür, dass das Land keine demokratischen Wahlen habe. Seine Ablehnung untermauerte er mit einem Seitenhieb gegen die US-Wahlen: ‚Schauen Sie sich die Pattsituation in Florida an. Wahlen sind nicht immer der effizienteste Weg. Das Ziel ist, eine gute Regierung zu haben, die das Leben der Menschen verbessert.‘“ (WP, 28./29.1.02)

    Einschlägige amerikanische Kritik wird in aller Form zurückgewiesen:

    „Mit Blick auf die Kritik an Demokratiedefiziten sagte der saudische Außenminister: ‚Diese Auseinandersetzung ist wirklich bedeutungslos.‘ Was bei der Frage politische Reformen in einem Land allein zähle, sei die Beurteilung durch die dortige Bevölkerung. ‚Und das ist das Kriterium, wonach wir uns richten.‘“ (beim Rice-Besuch, FAZ, 22.6.05)

    Als Beweis seiner Reformfreudigkeit hat das Herrscherhaus sich aber doch darauf eingelassen, etwas mehr ‚Demokratie‘ zu wagen. Die saudischen Herrscher greifen auch dieses US-Begehren auf, um es in ihrem Sinne umzugestalten. Die Hälfte der Bürgermeister- und Stadtratsposten durften jetzt erstmals gewählt werden, der Rest wird weiterhin ernannt, und auch sonst wurden weitreichende Vorkehrungen getroffen, damit bei diesem mutigen Unterfangen nichts schief läuft.[22] Mehr als eine marginale ‚politische Partizipation‘ auf unterster Ebene ist nicht vorgesehen; mehr an ‚Herrschaft des Volks‘ auch nicht nötig, wenn ein weiser Regent ihm diese Last abnimmt; viel mehr für das regierende Königshaus also auch nicht verträglich. In diesem Sinne ist das Volk, das selber ohnehin nichts davon bestellt hat, agitiert worden: Wo es mehrere Parteien gibt, kommt nur Streit dabei heraus. (der Verteidigungsminister-Prinz) Ich glaube, viele Leute fragen: Wozu brauche ich diese Wahlen? Alles ist doch in Ordnung. (ein Wahlleiter)

    Dass für Washington längst nicht alles in Ordnung ist, steht allerdings fest. Und auch die saudischen Staatslenker haben inzwischen weiterreichende Sorgen als die, ob dieses begrenzte Experiment in gelenkter Demokratie überhaupt nötig ist bzw. nicht schon zu weit geht. Solche durchaus lebendigen Bedenken sind genauso wie Auseinandersetzungen um die von den USA verlangten Privatisierungsfortschritte an der Wirtschaftsfront gegenwärtig zurückgetreten hinter die drängende Frage, wie angesichts der Auseinandersetzung mit den islamischen Gegnern im Land die Ordnung zu bewahren ist. Der Antiterrorkampf im eigenen Land lässt sich nämlich nicht auf den Status von Polizeiaktionen herunterdefinieren; im Gegenteil, er verliert tendenziell den Charakter einer bloß störenden Nebenfront in einem ansonsten geordneten Untertanenwesen; jeder mit staatlichem Terror abgearbeiteten Terroristenliste folgt eine neue und neue Unzufriedenheit der USA auf dem Fuß, zugleich wächst im selben Maß die Verbitterung in Teilen des Volks.

[1] Der König „leitet seine Macht vom Heiligen Koran und der Sunna des Propheten ab, die über alle Staatsgesetze herrschen“ (Artikel 7 des Basic Law von 1992). Die Bürger sind zur „Huldigung“ des Gehorsams gegenüber ihrem Gebieter verpflichtet. Sie „sollen dem König Treue geloben auf der Basis des Buches Gottes und der Sunna des Propheten wie des Prinzips ‚Hören heißt Gehorchen‘ sowohl in guten wie schlechten Zeiten, in angenehmen wie in unangenehmen Situationen“ (Artikel 6). Der Herrscher ist umgekehrt seinem Volk Anhörung seiner Beschwerden und Fürsorge schuldig.

[2] Der Kampf um die Oberherrschaft des Hauses Saud begann damit, dass die Führer dieses Stammes sich im 18. Jahrhundert mit den Religionsvorstehern der besonders strenggläubigen wahhabitischen Glaubensrichtung verbanden, um dann mehr als ein Jahrhundert hindurch mit deren Segen und mit Unterstützung von deren heiligen Streitern im Namen der Verbreitung des rechten Glaubens die anderen Stämme zu unterwerfen und deren Führer auf Gefolgschaft zu verpflichten. Dieser Kampf endete mit der Eroberung der ‚Heiligen Stätten‘ und der Vertreibung von deren bisherigen Inhabern in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts. So wurde die Errichtung einer Zentralgewalt über die Stämme der arabischen Halbinsel und die Entwicklung des ‚Wahhabismus‘ zur Staatsreligion vollendet.

[3] Der religiös definierte Zusammenhalt des Staatsvolks bringt es mit sich, dass auch andersgläubige Moslems, die schiitischen Teile der Bevölkerung, als Mindervolk gelten und dementsprechend diskriminiert werden.

[4] Die bisherige Stammesreproduktion wird naturwüchsig, aber auch planmäßig ruiniert: Der überkommene Reichtum der Beduinen, die Kamelherden, wird durch moderne Transportmittel und die neue Geldwirtschaft in den Städten vollständig entwertet; später dann die Zerstörung der bisherigen Stammesökonomie staatlicherseits durch Enteignung von gemeinschaftlich genutztem Stammesland, der bisherigen Reproduktionsbasis, und die systematische Verwandlung in privates Eigentum – vornehmlich zugunsten der Stammesoberen – vollendet. Auch das bisherige Handels- und Handwerkswesen der Basaris wird gründlich umgewälzt: an die Stelle des alten lokalen und regionalen Tauschhandels tritt eine Geldwirtschaft, die durch eine ungeahnte auswärtige Warenwelt und ganz neue Dollar-Kaufkraftquellen gekennzeichnet ist. Neue Reiche, v.a. aber eine Masse neuer Armut kommen so in die saudische Welt. Und auch das Pilgerwesen wächst sich zu einem staatlich organisierten veritablen Geschäftszweig aus.

[5] Diese Konkurrenz führt erstens zu eigentümlichen Regelungen der ‚politischen Zuständigkeiten‘: Die Königsfamilie mit ihren verschiedenen Zweigen regelt die Besetzung des Königs- und der oberen Staatsämter nach streng hierarchischen Gesichtspunkten unter den mehr oder weniger gewichtigen Familienzweigen und -generationen. Der König wird immer noch aus dem kleinen Kreis der bevorrechtigten Söhne unter den zahlreichen Nachkommen des Staatsgründers bestimmt; diese Kernmannschaft konstituiert zugleich den ‚Rat der Sieben‘, der die wichtigsten Staatsämter unter sich fest aufgeteilt hat; ein erweiterter Kronrat aus Prinzen hat beim Nachfolgebeschluss mitzubestimmen, wirkt auch bei der Entscheidung über andere Staatsführungs- und Herrschafts(familien)fragen mit, und gibt damit der Konkurrenz und dem Intrigenwesen innerhalb dieses Klüngels die Bahnen vor. Dass sich inzwischen immer dringlicher die Frage stellt, wie der bald anstehende Übergang der Königswürde auf die ‚Enkel-Generation‘ so reibungslos vonstatten gehen kann wie jetzt nach dem Tod des Königs der Wechsel zu dessen längst als Nachfolger feststehendem und faktisch seit längerem regierendem Bruder – das gehört zu den faux frais eines solchen Herrschaftswesens. Diese Herrschaftsverhältnisse führen zweitens zu einem staatlichen Finanzwesen und nationalen Wirtschaftsleben ziemlich eigener Natur: Die Familie Saud ist die größte ökonomische Einheit des Landes, in ihrer Eigenschaft als Regierung ist sie Besitzer von Saudi Aramco, und damit der Einkünfte aus den Ölquellen. Aus diesen Einnahmen werden Teile als ordentlicher Staatshaushalt abgezweigt, mit dem die allgemeinen Staatsgeschäfte finanziert werden. Das Königshaus bestimmt ferner die ökonomischen Aktivitäten im Land: In Saudi-Arabien ist es in der Tat ziemlich selten, dass wirtschaftliches Engagement ohne einen Partner aus dem Königshaus stattfindet. Die Vertreter des im Zuge des Ölbooms der 70er Jahre entstehenden Geschäftssektors (Import- & Baubranche) sind in das Patronagesystem aus familiären Bindungen und persönlichen Kontakten eingebettet und erhalten Privilegien wie exklusive Lizenzen oder faktische Monopole. Dabei behalten sich die Mitglieder des Königshauses jederzeit das Recht zur Einmischung vor und bestimmen über Rechtmäßigkeit und Schicklichkeit eines Geschäfts. An allen möglichen Stellen sitzen Prinzen als Vermittler und verlangen Provisionen.

[6] Wir wollen die Gaben Europas, aber nicht seinen Geist. (Der spätere König Fahd vorausschauend schon in den 50er Jahren, zitiert nach: Dagobert v. Mikusch, König Ibn Sa’ud – Mekka, Öl und Politik, S.176)

[7] Ölanlagen, US-Stützpunkte und ausländische Wohnanlagen sind abgeschottet; Ausländer, also per definitionem Ungläubige, dürfen weder saudische Staatsbürger noch auf saudischem Territorium begraben werden; jede öffentliche nicht-islamische Glaubensäußerung ist strengstens verboten; Ungläubige, die sich von der einheimischen Bevölkerung fernzuhalten haben, werden für unsittliche Annäherungsversuche drakonisch bestraft.

[8] Zwar wird das Ölgeschäft nicht mehr wie in früheren Zeiten quasi monopolistisch von den ‚Seven Sisters‘ als kapitalistischen Agenten dieses US-Interesses beherrscht; aber der Geschäftsartikel Öl ist von einer solch elementaren Bedeutung für den Weltkapitalismus, dass die amerikanische Weltmacht nach wie vor auf der Kontrolle darüber besteht, wo und wie viel gefördert wird, welche Wege das Öl nimmt, in wessen Hand sich die Pipelines befinden und wie der Ölpreis ‚gestaltet‘ wird, und viel dafür tut, diesem imperialistischen Anspruch Geltung zu verschaffen.

[9] Kissingers Reaktion auf das saudische Embargo (im Jom Kippur-Krieg 1973): ‚Die USA können es nicht dulden, dass ihre Öllieferungen unterbrochen werden. Wenn nötig, ist Einmarsch angesagt, um die Ölfelder wieder unter Kontrolle zu bringen. Aus Gründen der nationalen Sicherheit müssen die USA, falls sie in die Enge getrieben werden, die Ölzufuhr mit eigenen Mitteln sichern.‘ Eine Invasion der Ölprovinz war vorbereitet. („Saudi-Arabien: Königreich in der Krise“ – Arte)

[10] Cooperation Council for the Arab States of the Gulf – dem 1981 gegründeten Rat gehören neben Saudi-Arabien Bahrain, Kuwait, Oman, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate an.

[11] Inzwischen stimmen nicht nur beide Länder ihre Ölpolitik ab, auch die petrochemischen Staatsunternehmen arbeiten zusammen. Erst die Annäherung von Riad und Teheran hat es ermöglicht, dass sich Saudi-Arabien und Iran mit Venezuela als Führungstrio der OPEC etabliert haben. Erst die Kooperation hat es möglich gemacht, den niedrigen Ölpreis anzuheben und auf hohem Niveau zu stabilisieren. Dabei hat sich Iran im wesentlichen die saudische Ölpolitik zu eigen gemacht. (FAZ, 5.12.2000)

[12] Vgl. dazu den Artikel ‚Zur politischen Ökonomie des Erdöls – Ein strategisches Gut und sein Preis‘ (GegenStandpunkt 1-01, S.87), speziell das Kapitel ‚Öl – Lebensmittel der Lieferstaaten‘. Das im Vergleich zu den Preisen industrieller Güter tendenzielle Fallen des Ölpreises wird im übrigen auch nicht dadurch hinfällig, dass ein plötzlich wachsender Bedarf, wie aktuell v.a. durch den weltwirtschaftlichen Aufstieg Chinas, und die Unsicherheit der ‚Märkte‘ aufgrund politischer ‚Krisenlagen‘, wie jetzt im Gefolge des amerikanischen Eingreifens im Nahen Osten, den Preis in die Höhe treiben. Die Mechanismen des Ölmarkts und des Geschäfts mit Ersatzenergien sorgen dafür, dass diese zeitweilige Gegentendenz wieder gebrochen wird. Im übrigen ist gerade Saudi-Arabien generell darum besorgt und führend daran beteiligt, durch eine entsprechende Förderpolitik das Steigen in Grenzen zu halten, schon um der Gefahr zu begegnen, dass das Ölgeschäft durch Ersatzenergien verstärkt substituiert wird.

[13] Für kapitalistisch denkende Experten nimmt sich das Verhältnis der Herrschaft zu ihrer Dollarquelle sowieso immer schon unmöglich aus: ‚Saudi Aramco hat an der Ostküste Verpflichtungen wie eine Lokalregierung‘, sagt ein westlicher Ölexperte in der Hauptstadt… ‚So effizient die Produktion organisiert ist, so teuer kommt all das, was er sonst noch tut.‘ Saudi Aramco baut Straßen, verlegt Wasser- und Stromleitungen, baut Klärwerke, unterhält Busse, Fernseh- und Radiostationen. Bis vor kurzem gehörte dem Ölkonzern auch die größte Bäckerei im Nahen Osten… Für das Königreich ist Saudi Aramco alles: die Macht draußen in der Welt, der größte Arbeitgeber im Land, die Haupteinnahmequelle der Regierung und der Tausenden von Prinzen. Denn die Saudis entrichten kaum Steuern. Es zahlt allein: Saudi Aramco. ‚Deshalb ist Kapitalbildung das größte Problem für den Konzern‘, sagt der Ölexperte. ‚Was in die Kasse fließt, sahnt der Staat ab.‘ Wie viel? Das bleibt ein Staatsgeheimnis… Für die Krankenversorgung der Saudis, ihre Ausbildung, ihre Pensionen steht der Wohlfahrtsstaat gerade. Und der schöpft aus einem tiefen Brunnen: Saudi Aramco… ‚Der Konzern gehört einem Parasiten.‘ Er meint den saudischen Staat. (Aramco zahlt alles – Die Zeit, 39/2003)

[14] Die saudische Regierung rechnet selbst mit neuer Armut und stellt sich darauf ein. Erstens indem sie die Existenz von Armut erstmals öffentlich eingesteht und einschlägige kostenlose Staatsleistungen durch sozialstaatliche Kasseneinrichtungen ersetzt. Zweitens wendet sie einen beachtlichen Teil des Haushalts für öffentliche „Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme“ zur Förderung der „Nationalisierung der Arbeitsressource“ auf. Drittens behandelt sie die Abfallprodukte des staatlichen Reformwillens als Ordnungsproblem, drangsaliert die allgegenwärtigen Bettler mit Razzien, sperrt sie weg oder schiebt sie ab, nicht ohne die Bevölkerung dahingehend zu agitieren, dass es sich bei dem Gesindel hauptsächlich um Ausländer handelt, die nach der Hadsch unerlaubterweise im Land bleiben und denen deshalb nach islamischem Gesetz nicht länger Almosen gegeben werden dürfen.

[15] Anders als das im Westen vorherrschende Denken, das den Islam, ja in der Tat jede Religion, für das Gegenteil von Fortschritt hält, muss für uns in Saudi-Arabien der Islam, der bei seinen Anhängern für Gemeinschaftssinn sorgt, eine zentrale Rolle spielen als bindende Kraft, die die Einheit der Nation und die Harmonie der Gesellschaft in einer sonst turbulenten Zeit aufrechterhält. (Prinz Al Faisal vor dem amerikanischen Council on Foreign Relations, saudinf.com, 28.4.04) Ein durchaus modernes, nämlich funktionelles Glaubens-Bekenntnis eines Verantwortlichen: Die Religion soll als passende – deswegen natürlich angepasste – sittliche Instanz weiterhin und gerade, wo die Reformen alle gewohnten Verhältnisse infrage stellen, den Staatszusammenhalt und Volksgehorsam garantieren.

[16] Das führt gerade in zentralen Fragen der Sittlichkeit zu ziemlich originellen Problemlösungen. So bei der Einführung der Frauen in die Arbeitswelt: Sekretärinnen, Angestellte und Arbeiterinnen dürfen nur in eigens für sie errichteten Fabriken und Büroräumen ihre Arbeit ableisten. Auch die Einführung von Personalausweisen für Frauen wird da zu einer umstrittenen Staatsaffäre: Bisher sind Frauen in dem Golfstaat, dessen Rechtssystem sich auf eine besonders puritanische Auslegung des Islams stützt, im Ausweis des Vaters oder Ehemanns eingetragen. In der seit etwa drei Jahren andauernden öffentlichen Diskussion über die Ausgabe von Personalausweisen an die saudischen Frauen war die Tatsache, dass sich die Frau dafür fotografieren lassen müsste, als Haupthindernis genannt worden. Denn in Saudi-Arabien tragen viele Frauen außerhalb des Hauses einen Gesichtsschleier, den sie vor fremden Männern nie ablegen würden. Dieses Problem wollen die saudischen Behörden nun offenbar durch die Einstellung von Beamtinnen umgehen. (Die Welt 26.11.01) Das Autofahren für Frauen ist auch nach zehnjähriger Debatte immer noch nicht gestattet, Foto-Handys werden weiterhin nicht zugelassen, weil sich mit ihnen Unsittliches anstellen lässt. Kein Wunder, wo schon die frühere Einführung von Radio und Fernsehen mit Mord und Totschlag im Königshaus und einfallsreichen Beschwichtigungsmaßnahmen einherging: König Faisal hat dafür gesorgt, dass die beste Sendezeit für Koranlesungen verwandt wurde, um die Kritik der religiösen Führer zu entkräften, dass das Radio das Instrument des Teufels sei. (The Kingdom of Saudi Arabia – David Long)

[17] Die Fatwa, die zur Unterstützung des 1.Golfkriegs gegen den Irak erlassen wurde,… verstärkte in der Bevölkerung, die gegen die ‚Invasion der Ungläubigen‘ war, die Differenzen, die sogar der Legitimität der Ulama ein Ende setzten und den Boden für die Extremisten bereitete. (Königreich in der Krise – arte 2004) Der erste Golfkrieg war somit nach allgemeiner Auffassung die Geburtsstunde gewalttätiger islamischer Opposition: Die Wahhabi-Bewegung, die traditionell für ‚sehr konservativ und streng in Fragen der Doktrin und Moral‘ betrachtet wurde, maßte sich nicht an, in die politische Sphäre einzudringen, geschweige denn, die fundamentalen Arrangements des Staats in Frage zu stellen. Diese Regel brach im Gefolge des ersten Golfkriegs zusammen. (ICG –Middle East Report, Nr. 28)

[18] Kritik am Staat in Gestalt seines Herrscherhauses ist im Übrigen nicht neu, sie hatte nur nicht schon immer diese ausschließlich religiöse Ausrichtung. Auch früher gab es Unzufriedenheit, die sich mit mehr oder weniger radikalen Änderungsbegehren an und bisweilen auch gegen die staatliche Führung wendete. Schon die Familienzwistigkeiten im Königshaus, die zur patriarchalischen Herrschaft gehören, sind immer auf dem Sprung, sich zum Richtungsstreit über den rechten Weg zwischen ‚Modernisierung und Bewahrung‘ auszuwachsen; jeder unbefriedigte Machtanspruch rechtfertigt sich mit Staatsgründen, umgekehrt beflügelt jede Kontroverse über den Kurs der Nation die persönliche Konkurrenz zwischen den Ganz- und Halbbrüdern im Umkreis des Thrones; so droht schon die Intrigenwirtschaft laufend zum Machtkampf auszuarten. Zudem hat es auch in Saudi-Arabien Kräfte gegeben, die ein grundsätzlich anderes, der autoritären Willkür eines Königshauses entzogenes, an nationalen Entwicklungsfortschritten orientiertes, von imperialistischer Einflussnahme freies, eigenständiges – eben ‚modernes‘ Staatswesen im Sinn gehabt haben; auf die Verwirklichung eines irgendwie gearteten ‚arabischen Sozialismus‘ ausgerichtete Bestrebungen waren im Wüstenkönigreich, wie in anderen islamischen Staaten, unterwegs; sie wurden allerdings frühzeitig unter dem Beifall und mit Unterstützung der USA niedergemacht, mithin alle Modernisierer, die nicht als konstruktive Verbesserer des saudischen Feudalsystem galten, ins Exil verbannt oder beseitigt.

[19] Sogar Israel arbeitet sich daran ab, seine Sonderstellung und Autonomie bei der Formulierung und Durchsetzung seines expansiven Staatsprogramms zu wahren, seit die USA mit ihren Kriegen die Region nach ihren eigenen Gesichtspunkten aufmischen. Die Scharon-Regierung muss sich Mühe geben, kriegt es freilich noch ganz gut hin, ihre Politik gegen die Palästinenser in Amerikas Krieg gegen den Terrorismus hineinzudefinieren und Diktate aus Washington zur Rücksichtnahme auf palästinensische Belange abzuwehren.

[20] Das US-Militär hat für 2005 die Stabilität Saudi-Arabiens als Hauptziel gesteckt. US-Beamte sagten, die saudische Stabilität und verbesserte Beziehungen zwischen Washington und Riad seien vital für die regionale Sicherheit am Golf und die amerikanischen Interessen im Mittleren Osten. – Die US-Tagesordnung ist Saudi-Arabien vom Pentagon mitgeteilt worden. (U.S. Sets Saudi Stability as Priority – MENL, 27.01.05)

[21] Das diplomatische Manöver scheitert zwar an der Uneinigkeit der Arabischen Liga über den bevorstehenden US-Krieg gegen den Irak, demonstriert aber, dass sich Riad keinesfalls umstandslos hinter die einschlägigen Forderungen der USA an die arabischen Staaten zu stellen gewillt ist.

[22] Parteien und politische Versammlungen sind weiterhin verboten; die Kandidaten vermögende Einzelkämpfer; Frauen bleiben vom Wählen selbstverständlich ausgeschlossen; die Kandidatenaufstellung und die Wahlkreisgestaltung werden beaufsichtigt, um zu liberale Ergebnisse zu verhindern; die schiitischen Regionen besonders kontrolliert; Kritiker weggesperrt; die Wahl wird in drei Etappen aufgeteilt und mehrmals verschoben; und für eine eventuelle Eindämmung von Protesten werden vorsorglich 7000 Elitesoldaten aus Jordanien eingeflogen. Dieser Kontrollfanatismus zeigt, wie bedrohlich für die Stabilität im Lande und für sich selbst die Regierenden schon kleinste Übergänge zum Prinzip demokratischer Herrschaftsbestellung halten – unrecht haben sie damit nicht.