Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Dalai Lama auf Deutschland-Tournee:
Moderner Sinnstiftungs-Guru + nützlicher Idiot westlicher Menschenrechtsdiplomatie = Religiöser Fundamentalismus, wie wir ihn lieben

Der Dalai Lama kommt zu uns und wird „gefeiert wie ein Rockstar“, dabei kann er weder singen noch tanzen und in den Charts ist er auch nicht. Was ist es dann, das den Mann so beliebt macht? Anders gefragt: Wer braucht eigentlich den Dalai Lama – und wozu?

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Der Dalai Lama auf Deutschland-Tournee:
Moderner Sinnstiftungs-Guru + nützlicher Idiot westlicher Menschenrechtsdiplomatie = Religiöser Fundamentalismus, wie wir ihn lieben

Der Dalai Lama kommt zu uns und wird gefeiert wie ein Rockstar, dabei kann er weder singen noch tanzen und in den Charts ist er auch nicht. Was ist es dann, das den Mann so beliebt macht? Anders gefragt: Wer braucht eigentlich den Dalai Lama – und wozu?

1. „Der Gott zum Anfassen“ (Spiegel 29/07)

Seine Heiligkeit aus Tibet füllt hierzulande Stadien und Hörsäle, in Umfragen ist er beliebter als der deutsche Papst. StudentInnen, Hausfrauen und Manager folgen ergriffen seinen Vorträgen, alle bewundern Klugheit, Kraft, Charisma des Mönchs, Exilpolitikers und Friedensnobelpreisträgers. Der Spiegel versteht, warum: Viele Menschen im Westen suchen einen spirituellen Tröster; sie nehmen diesen wandelnden Ozean der Weisheit als Ratgeber bei der Bewältigung des rauen kapitalistischen Alltags; manch gestresstem Großstädter tut er total gut: Durch ihn komme ich auf andere Gedanken. Auf welche Gedanken man durch ihn dann kommt, stellt allerdings weder seiner Weisheit noch dem Geisteszustand derer ein gutes Zeugnis aus, denen er zum Wohlsein verhilft. Denn erstens sind es überhaupt keine ‚anderen Gedanken‘, derer man teilhaftig wird, wenn die 14. Wiedergeburt seiner Selbst die Botschaften von Lao-Tse unters westliche Volk streut: Finde dein innerstes Selbst! In der Ruhe liegt die Kraft! Der Weg ist das Ziel! Solche und ähnliche Weisheiten schrieben sich früher mal höhere Töchter ins Poesiealbum, heute fassen sie zusammen, was man in der Rubrik ‚Lebenshilfe‘ auch sonst geboten bekommt, womit man aber auch beim Deutschen Alpenverein fürs Bergsteigen Werbung macht. Zweitens ist es sehr bedenklich, wenn einem Sinnsprüche dieses Kalibers auch noch ‚total gut tun‘. Lebenssinn heißt das in hohem Ansehen stehende Bedürfnis, von dessen Befriedigung auf die Weise erfolgreich Vollzug gemeldet wird, und diese verbreitete Sitte, die hierzulande die geistige Kultur adelt, macht gar kein Hehl daraus, welch niederer Beweggrund da den Gedanken leitet: Wer Sinn für sein Leben sucht, den treibt das Bedürfnis, sich garantiert enttäuschungsfrei positiv zur Welt stellen zu können. Er wünscht sich einen Gesichtspunkt, der ihm letztinstanzlich Zufriedenheit mit allem besorgt, was er sein Lebtag lang durchmacht, also wider alle seine Erfahrungen Harmonie in der Welt der Gegensätze stiftet, in der er sich umtreibt. Ausdrücklich jenseits von allem, womit er sich zu seinem Missbehagen herumzuschlagen hat, will einer da wenigstens ideell auf seine Kosten kommen – und verschafft sich die verlangte Befriedigung durch die entsprechend sinnige Deutung seiner Welt und vor allem durch die unermüdliche Pflege seiner eigenen Stellung zu der: Im Wege des strikten Absehens von allen wirklichen Mächten, denen das eigene Tun unterliegt, imaginiert man sich als Subjekt, das sich zur Stiftung von Zufriedenheit hauptsächlich darum zu bekümmern hat, dass es im Einklang mit sich lebt. Also sucht man nach seinem ‚Selbst‘, hört in sich hinein und macht dann wohl auch seine einschlägigen metaphysischen Erfahrungen. Man verspürt die Kraft, die einem dadurch zuteil wird, dass man alles nicht mehr so wichtig nimmt und den Imperativ beherzigt, sich bloß über nichts aufzuregen. In der Weise pausenlos auf sich ein- bzw. sich dementsprechend gut zuzureden, darin besteht sie, die hohe Kunst des positiven Denkens: Wer sich nichts mehr vornimmt im Leben und seinen trostlosen Alltag als Weg zu sich selbst ‚begreift‘, kann auch nicht mehr enttäuscht werden. Darin besteht das prima Lebensgefühl, der ‚spirituelle Trost‘, den der Dalai Lama spendet: Das Ich ruht im Selbst, mit Ruhe wird aus einem Sandkorn eine Perle – wer daran glaubt, den kann die Welt am Arsch lecken, weil er sie komplett im Griff hat.

Dass der Trostspender mit seinem Quark nicht nur Mönchen in ganz fernen Kulturkreisen, sondern auch hierzulande manchem so ‚gut tut‘, ist kein Wunder dieses Heilsbringers. Der verkörpert erstmal nur eines der ganz vielen Angebote für die Nachfrage nach kompensatorischer Sinngebung, für die berufsmäßige Lebenshelfer selber überhaupt nichts tun müssen: Der Irrationalismus, sich einen höheren und eigentlichen Lebenssinn zu imaginieren, hat in den zivilisierten Gemeinwesen des Abendlands seinen festen Stammplatz und seine solide Funktion für den Zusammenhalt von Herr und Knecht. Aufgeklärte Bürger geben das selber zu Protokoll, wenn sie den Bedarf nach Sinn mit der sedierenden Wirkung auf ihren Gemütszustand begründen: Manche brauchen den Herrn Jesus, manche den Herrn Lama, um das Leben leichter auszuhalten; er wirkt quasi wie eine Schmerztablette, aber ohne Chemie; Religion ohne Fegefeuer; Psycho ohne Sektenverdacht – don‘t worry, be happy. So richtig interessant macht den Senf, den der Herr zu diesem Zweck erzählt, fürs Publikum freilich etwas, was die wenigsten Sinnstifter vorzuweisen haben: Seine Autorität bezieht der Mann auch aus weltlichen Quellen: Er ist Chef der tibetischen Exilregierung und ein beliebter Gast des deutschen Staates.

2. „Pandabär der internationalen Politik“ (Er über sich)

Wir sind die Pandabären der internationalen Politik. Jeder mag uns, aber keiner tut was für uns. Was der Mann in einem Anfall ironischer Selbsterkenntnis sagt, trifft die zwiespältige Rolle, die er als oberster Tibeter in der Staatenwelt hat, auf seine Weise durchaus:

  • Im Hauptberuf ist der 14. Dalai Lama kein Wanderprediger, sondern Politiker, Nationalist und Glaubensführer; allerdings einer der besonderen Art. Er ist ein Staatsmann ohne Staatsgebiet, ein Regent ohne Regierte, ein Gottkönig ohne Heimatgemeinde. Die seltsamen Doppelrollen übt er natürlich nicht freiwillig aus, sie sind Produkt des Anschlusses Tibets an die Volksrepublik China: 1950 kippt Peking die seit 1913 proklamierte einseitige Unabhängigkeit Lhasas nicht nur politisch, sondern faktisch; die Armee besetzt das Hochgebirgsland, der Dalai Lama als oberster weltlicher und geistiger Führer des Volkes wird entmachtet und auf sein Kirchenamt reduziert, Tibet wird autonome Provinz Chinas und sukzessive mit Rotchinesen besiedelt. Nach dem Aufstandsversuch des Dalai Lama und seiner Getreuen wird er 1959 verjagt, Indien schenkt ihm eine Mini-Enklave, von dort aus und seitdem agiert Nr. 14 als Vorsitzender der Exilregierung Tibets, die bis heute allerdings kein Staat der Welt anerkennt. Darunter leidet der Mann furchtbar. Er ist Staatsmann und Patriot genug, den Verlust seiner politischen und religiösen Macht mit den Leiden seines Volks bzw. seiner Gemeinde gleichzusetzen und den Verlust des bekannten Grundnahrungsmittels kulturelle Identität anzuklagen, das armen Reisbauern, Sherpas und Mönchen am meisten fehlt. Er weiß aber auch, dass er als Herrscher ohne jede materielle Basis – null Waffen, null Öl, keine dienstbare Nationalökonomie und keine Staatsbürger in Uniform – umso mehr auf mächtige Paten in der ausländischen Staatenwelt verwiesen ist, die sich seines Hilferufs: kultureller Völkermord! annehmen. Da sich jedoch weder die wirtschaftliche noch die militärische Konkurrenz der reichen und mächtigen Nationen um Gebetbücher oder Volkstänze dreht, hätte kein Hahn nach der Knechtung des fernöstlichen Mönchs und seines tapferen Völkchens gekräht, hätte sich nicht doch eine gewisse Verwendung für diesen Freiheitskampf gefunden.
  • Zwar nicht die, die sich der Dalai Lama gewünscht hätte: Für die Staaten des Freien Westens war und ist Tibet nicht die große Nummer, wie es ihm vorschwebt. Sei es, dass man sich auf die Insel Taiwan als Speerspitze gegen die weltpolitischen Ansprüche der VR China verlegte, sei es, dass ein Priester ohne Land & Volk kein übermäßiger Stachel im Fleisch des Hauptfeinds Nr. 2 ist: Ein weltmächtiges Interesse, das sich ernsthaft für eine Staatsgründung Tibets stark gemacht hätte, hat sich jedenfalls nicht gefunden, und auch heute profitiert die politische Sache des Dalai Lama nicht davon, dass Kriege und Waffenlieferungen in der neuen US-Weltordnung häufiger im Namen von Menschenrechten und kultureller Freiheit abgewickelt werden. Aber eine diplomatisch berechnende Zuneigung erfährt der bedrohte Tibetpanda im Westen schon: Seine Ambitionen als Machthaber, der volle Autonomie für Tibet fordert, finden Aufnahme in die lange Liste der Menschenrechtsverletzungen, die seine Gastgeber Chinas Führung vorrechnen, wann und wofür es ihnen ins Kalkül passt.
  • So ist der jüngste Empfang des Dalai Lama ein diplomatisch ausgeklügeltes Protokoll deutscher Chinapolitik. Nicht zufällig 1 Jahr vor Olympia 2008 in Peking äußert sich Berlin besorgt über Wettbewerbsverzerrung auf dem Schlachtfeld nationaler Ehre durch staatlich gefördertes Doping, über den hohen Wert der Freiheit patriotischer Berichterstattung und Jubelorgien, über die falsche Behandlung von Dissidenten – und bekräftigt die „Tibet-Resolution des Deutschen Bundestages von 1996“, deren Zwars und Abers Chinas KP eine immer noch gültige Mischung aus Kampfansage und Partnerschaftsansprüchen übermitteln: Wie alle anderen Regierungen der Welt bezweifelt die BR Deutschland nicht die Rechtmäßigkeit des territorialen Anspruchs Chinas auf Tibet; das soll Peking offenbar freuen, weil der deutsche Staat sich versagt, was er durchaus auch anders könnte. Nicht angezweifelt wird die völkerrechtliche Legitimität der Landnahme, nicht in Frage gestellt die Ein-China-Doktrin, nicht unterstützt tibetischer Separatismus – mehr Raum für nationale Identität sollte aber schon sein; nicht vorgehalten werden China Volksvertreibung oder Beschneidung des Rechts auf Heimat – aber Verbrechen an einer berechtigten, historisch geadelten Religionsfreiheit: Nach der Logik wird nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein diplomatischer Einwand gegen chinesische Souveränität auf den Weg gebracht, dessen Einsatz und Dosierung sich die deutsche Regierung je nach „Stand der Beziehungen“ und Eignung des Anlasses vorbehält. Anlässlich des Besuchs des frommen Gastes aus Tibet hat sie sich eben so entschieden: Als religiöses Oberhaupt wird er mit Respekt und Beifall überschüttet, aber nicht als Staatsmann geladen oder gesponsert. Die Kanzlerin lobt seine Gewaltlosigkeit, unterstützt ihn also als die ohnmächtige Figur, die er ist; sie lobt die Friedensmission des guten Menschen, trennt den Mann von der politischen Mission, für die er steht, und verweigert ihm damit die Anerkennung als weltliches Oberhaupt, für die seine Buddhismus-Teach-ins in aller Herren Länder Vehikel sein sollen.

Der Dalai Lama muss feststellen, dass seine ‚Autonomie für Tibet!‘ nirgends einen potenten Anwalt findet und seine Werbung für religiösen Nationalismus ohne Gewalt allenfalls eine Fußnote im ‚Kampf der Kulturen‘ ist. Was die Gegnerschaft des Freiheitslagers zum wachsenden Konkurrenten China angeht, lässt sich der unterdrückte Glaubensführer als Einspruchstitel gerne zitieren, die erhoffte Prämie wird ihm aber verwehrt. Keiner tut was für uns - aber was macht das schon, wo der Weg das Ziel ist.