‚Change‘ in der Ostasienpolitik der USA
Obama bietet der aufsteigenden Großmacht China Mitverantwortung für die amerikanische Weltordnung an

„Nie wieder Rivalen hochkommen lassen!“ In diesem Sinne wollte Präsident Bush jr. die Benutzung der expandierenden Geschäftssphäre China mit einer politischen Eindämmung des Landes kombinieren. Das ist weitgehend misslungen. China hat sich die Freiheit genommen, auf seinem Erfolgsweg autonomer Machtentfaltung voranzukommen und entzieht den Gebrauch seiner ökonomisch gestärkten Macht der erwünschten Kontrolle. Diesen für die USA untragbaren Zustand lastet Obama seinem Vorgänger im Präsidentenamt an und will das korrigieren. Nicht mehr „Vorsicht“, sondern „keine Angst vor einem aufstrebenden China!“ lautet seine neue Parole. Der GegenStandpunkt klärt auf, wie das neue amerikanische Programm, China der amerikanischen Aufsicht zugänglich zu machen, aussieht und an welchen Widersprüche es laboriert.

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‚Change‘ in der Ostasienpolitik der USA
Obama bietet der aufsteigenden Großmacht China Mitverantwortung für die amerikanische Weltordnung an

No fear of a rising China! – Nicht mehr „Vorsicht“ vor, sondern „keine Angst“ vor einem aufstrebenden China! So lautet die neue Parole aus dem Weißen Haus in Richtung Peking. Der erfolgreiche Aufstieg des asiatischen „Riesenreiches“ zur kapitalistischen Großmacht erfordert eine weit größere Aufmerksamkeit als bisher [1] und eine intensive „ökonomische und strategische Kooperation“, das ist der Auftrag, welchen Präsident Obama sich selbst erteilt hat. Als unrealistisch und kontraproduktiv gilt seitdem ein Programm, welches die Benutzung der expandierenden Geschäftssphäre China mit einer politischen Eindämmung dieser Nation kombinieren will. Die hatte Präsident Bush jr. mit seiner präventiven Kampfansage „Nie wieder Rivalen hochkommen lassen!“ auf die Tagesordnung gesetzt. Zweck des Containments war es zu verhindern, dass sich die Volksrepublik China der weltpolitischen Kontrolle durch die einzig berufene Weltordnungsmacht, die USA, entzieht. Dies ist weitgehend misslungen. China hatte die Freiheit und hat sich die Freiheit genommen, auf seinem Erfolgsweg autonomer Machtentfaltung gewaltig voranzukommen. Das missfällt dem amerikanischen Staat. Das Fehlen wirksamen politischen Einflusses auf die Politik der asiatischen Großnation lastet der neue Präsident seinem Vorgänger Bush an – wie es sich in einer Demokratie gehört. So meldet die Staatsgewalt Korrekturbedarf an. Was Obama als Resultat eines strategischen Missgriffes behandelt, ist in Wahrheit ein neues imperialistisches Kräfteverhältnis und zeugt von einer handfesten politischen Verlegenheit der militärischen Supermacht: Sie sucht nach geeigneten Mitteln, einen Konkurrenten, wie China einer ist, politisch in Griff zu bekommen.

1. China – eine neuartige Herausforderung für die amerikanische Weltmacht

Die exkommunistische VR China hat sich schon jetzt einen allseits respektierten weltpolitischen Status ganz oben in der Hierarchie der Staatsgewalten erobert und akkumuliert die Mittel für die weitere ‘Aufholjagd‘ gegenüber den USA. Sie gründet ihre wachsende Macht auf die kontinuierliche Entwicklung nationalen Geldreichtums, den sie aus der erfolgreichen Teilnahme am kapitalistischen Weltmarkt schlägt. Sie bedient sich dabei genau der Methoden, die vom freien Westen und seiner amerikanischen Führungsmacht lizenziert – ja mehr noch: der gesamten Staatenwelt verordnet wurden. Sie hat aus der begrüßten „Öffnung“ für das Anlage suchende Kapital der Welt lauter Eigenmittel für eine inzwischen globale Offensive des chinesischen Kapitals gemacht; und sie verwandelt ihre ökonomischen Potenzen in politischen Einfluss auf immer mehr staatliche Hüter des Geschäfts. Der Aufstieg Chinas erfolgt also friedlich, d.h. streng nach den Regeln der von den alten westlichen Siegermächten für nützlich befundenen Weltordnung – ohne Konfrontation, ohne das Geltendmachen exklusiver Zugriffsrechte und Interessensphären, ohne Krieg. So etwas ist bekanntlich eher die Ausnahme, wenn es um die Neuaufteilung der Welt geht. China ist angetreten, den Westen mit seinen eigenen politökonomischen Waffen zu schlagen.

Ausgangspunkt des chinesischen Aufstiegs war auch keine Kapitulation oder auch nur faktische Entmachtung nach einem heißen oder kalten Krieg. Der Aufstieg Chinas war keiner von Siegers Gnaden. Er ist nicht – wie der von Europa und Japan – erkauft durch fundamentale „sicherheitspolitische Abhängigkeit“ von der Schutzgarantie einer fremden Bündnis-Vormacht, welche in den entscheidenden Gewaltfragen das letzte Wort hat. China verschafft(e) sich die militärischen Instrumente seiner Souveränität – teils aus Not, teils mit Absicht – nicht durch eine Rüstungskooperation mit den USA, die erpressbar macht. Es entwickelt sein Kriegspotenzial trotz des westlichen Waffenembargos, gestützt auf die wissenschaftlich-technischen Produktivkräfte, die sich auf dem nationalen Kapitalstandort angesammelt haben und vom Staat nach Kräften gefördert werden. Und auch Atombomben hat das Land – sogar förmlich konzediert, samt allen Rechten einer „legalen Atommacht“ und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat. So haben es die politischen Erben Mao Zedongs zu einem autonomen Imperialismus gebracht. Mit dem eigenartigen Ergebnis: China ist in die herrschende Konkurrenzordnung integriert, aber entzieht sich der Kontrolle durch die USA, die diese Ordnung durchgesetzt haben und weiter maßgeblich bestimmen wollen.

Dem beizukommen ist das Ziel Amerikas. Gerade an der „bilateralen Beziehung“ der USA zur VR China, die schon vor 10 Jahren von Washington als „designierter Hauptrivale“ ins Visier genommen wurde, offenbart sich drastisch ein grundsätzliches Dilemma der Weltmacht Nr. 1. In der Diktion der US-Politiker heißt das Problem so: „Wie können die USA verhindern, dass aus Konkurrenten Rivalen werden, die Amerikas Führungsmacht bedrohen?“ Aus Konkurrenten eben, die nach den Regeln der Weltwirtschaftsordnung agieren und darüber sozusagen friedlich die Hierarchie der Mächte aufmischen. Das Programm, China der eigenen, amerikanischen Aufsicht unterzuordnen, laboriert an einigen Widersprüchen:

  • Durch die Eröffnung kriegerischer Fronten in der Welt oder durch die Dislozierung von menschlichem und sachlichem Kriegsgerät an den Rändern der riesigen Volksrepublik lässt sich China vielleicht von einem Angriff auf US-Verbündete – wie Taiwan – abschrecken, aber nicht an der Fortsetzung seines Erfolgswegs hindern. China hat es nicht nötig und verzichtet deshalb – gemäß dem Kalkül eines sicheren, d.h. „friedlichen Aufstiegs“ – bewusst darauf, sich auf Konfrontationen einzulassen. So gesehen ist auch die Destruktivkraft der überlegenen Militärgewalt Amerikas wenig ‚überzeugend‘: Sie kann zwar ganze Staaten mitsamt Massen vernichten, aber China zur Gefolgschaft, zur Übernahme der eigenen Freund-Feind-Definitionen und Funktionszuweisungen zwingen, dazu ist sie nicht tauglich. Das hat der globale Antiterrorkrieg unter Bush gezeigt. Er hat China nicht nur nicht geschadet, sondern seinen Aufstieg gefördert: China ist mit Ländern auf beiden Seiten der Achse zwischen Gut und Böse politisch im Geschäft geblieben oder neu ins Geschäft gekommen.
  • Auch der Einsatz ökonomischer Erpressungsmittel ist kein probates Mittel, sondern eher ein zweischneidiges Schwert. Dafür hat die erfolgreiche Eingemeindung Chinas in die Geschäftemacherei des amerikanischen Kapitals gesorgt. Die ‚wechselseitige Benutzung‘ hat nämlich nicht nur vehement zur Entwicklung chinesischen Reichtums beigetragen, sondern zugleich zu dem Ergebnis geführt, dass China bemerkenswerte Machtpositionen gegenüber Amerika errungen hat: Es hat erstens als ein zentraler ‚Handelspartner‘ der USA eine unverzichtbare ‚Rolle‘ für das amerikanische Wachstum errungen; und es ist auf Basis seiner Geschäftserfolge in Amerika zweitens zum Gläubiger Nr. 1 der Supermacht geworden. Als solcher kauft China dem US-Staat die Dollar-Anleihen ab, mit denen der seine Kriege und Bankenrettungsprogramme finanziert – weshalb umgekehrt die Zahlungsfähigkeit und Verschuldungsfreiheit Amerikas entscheidend am ‚Vertrauen‘ Chinas hängt. Der Einsatz von ökonomischen Hebeln zur Erpressung Chinas beschwört damit unmittelbar die Gefahr einer elementaren Selbstschädigung der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzmacht herauf. Und deren Funktionieren ist bekanntlich Teil der nationalen Sicherheit der Weltmacht USA.
  • Das anderswo bewährte Mittel der inneren Zersetzung der Herrschaft schließlich greift auch nicht recht. Dafür haben die Erben Maos gesorgt, die zwar auf den Kommunismus verzichtet haben, nicht aber auf die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Partei, die Polizei und Armee haben den kapitalistischen Umbau zu einer „stabilen“ Veranstaltung gemacht, von der nicht zuletzt die Staaten der freien Welt buchstäblich profitiert haben. Dadurch sind aber – dies der Haken – auch Menschenrechte und Demokratie an der Entfaltung gehindert worden, statt sich, wie in manchen westlichen Hauptstädten prognostiziert, naturwüchsig aus der „marktwirtschaftlichen Freiheit“ herauszuentwickeln. Damit entfallen viele Chancen für die Förderung oppositioneller Strömungen und unzufriedener Völker, auf die die Anwälte der Freiheit so scharf sind.

Das Ergebnis ist eindeutig: Der sperrige und stark gewordene chinesische Konkurrent entzieht sich, seine Staatsräson und den Gebrauch der Macht der erwünschten Kontrolle. Er lässt sich nicht hineinregieren. Das ist der untragbare Zustand, unter dem die USA leiden.

2. Ein gar nicht so großzügiges Angebot für eine harte Forderung

Obamas ‚change‘ ist ein neuer Anlauf, der viel zu autonomen asiatischen Großmacht Herr zu werden. Diese Staatsmacht, mit ihrem Ehrgeiz und mit ihren enorm zunehmenden Potenzen, soll in ein amerikanisches Ordnungsregime eingebaut, für die weltpolitische Agenda der USA produktiv und auf die Weise auch unschädlich gemacht werden. Der neue Präsident der USA kommt der Volksrepublik China mit einem generösen Angebot: der Anerkennung als Großmacht mit eigenen, durchaus konkurrierenden Interessen, also auch mit ihren wachsenden Ansprüchen auf Reichtumsquellen und globalen politischen Einfluss. Und mit der nachdrücklichen Einladung, ihre legitimen Anliegen an der Seite Amerikas – als Mitweltordnungsmacht – zu betätigen. Die „umfassende politische Kooperation“, die er China offeriert, verknüpft er gleichzeitig mit einer Forderung, die von China so ziemlich das Gegenteil dessen verlangt, was als Angebot präsentiert wird:

„Angesichts von Chinas wachsenden Fähigkeiten und zunehmendem Einfluss haben wir einen zwingenden Bedarf, mit China zusammenzuarbeiten, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Bis jetzt bergen die enorme Größe und Bedeutung Chinas auch das Risiko von Konkurrenz und Rivalität, welche diese Zusammenarbeit vereiteln kann …
Wie durchbrechen wir also den Zirkel? Uns an den Aufstieg Chinas und anderer aufstrebenden Mächte wie Indien und Brasilien anpassen und dabei gleichzeitig unsere eigenen nationalen Interessen schützen. Das ist, glaube ich, eine der entscheidenden strategischen Herausforderungen unserer Zeit. Und der Schlüssel zur Lösung ist das, was ich strategische Rückversicherung (reassurance) nennen würde.
Strategische Rückversicherung beruht auf einer stillschweigenden zentralen Übereinkunft. Genau so wie wir und unsere Verbündeten klarmachen müssen, dass wir bereit sind, die ‚Ankunft‘ Chinas als einer reichen und erfolgreichen Macht willkommen zu heißen, muss China dem Rest der Welt glaubwürdig vermitteln, das seine Entwicklung und seine wachsende globale Rolle nicht auf Kosten der Sicherheit und Wohlfahrt anderer gehen. Diese Übereinkunft zu fördern muss eine Priorität in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen sein.“ (US-Vizeaußenminister Steinberg, Vortrag in Washington, 24.9.09)

Der Mann Obamas propagiert ein politisches Geschäft von Leistung und Gegenleistung. Der Inhalt des anvisierten Handels: Die USA versichern der VR China, dass sie „bereit sind, eine wachsende Rolle Chinas zu akzeptieren“. Für diese Bereitschaft soll China sich umgekehrt an eine Bedingung halten: Dann und nur dann, wenn die Volksrepublik die Rechte und Besitzstände der Führungsmacht USA – die selbstverständlich im Namen der ganzen Welt spricht und agiert – nicht antastet, sind ihre Interessen für Amerika akzeptabel. An dem vorgeschlagenen ‚bargain‘ besticht zweierlei: erstens die offenkundige Unangemessenheit des amerikanischen Angebots im Verhältnis zum chinesischem Bedarf und zweitens die Unverfrorenheit, mit der Amerika nichtsdestoweniger auf einer Unterordnung Chinas besteht, die zu erzwingen ihm die Mittel fehlen. Amerika bietet großzügig Respekt und Duldung an – und schon das soll China eigens honorieren: eine gewisse Zumutung für eine Großmacht, die es erklärtermaßen als Selbstverständlichkeit betrachtet, dass ihre real eroberten Potenzen und ihr wachsender Einfluss in der Staaten-Welt respektiert gehören – und damit auch der Zweck und das Recht Chinas, seine Interessen überall zur Geltung zu bringen und die etablierten Machtverhältnisse in der Staatenwelt zu verändern. Die Forderung der USA, diesen Anspruch preiszugeben, sich die Grenzen ‚erlaubter‘ Interessenpolitik von Washington diktieren zu lassen, ist aber nicht nur abenteuerlich in Bezug auf die Absichten Chinas. Sie geht auch am Stand der Fähigkeiten vorbei, den dieses Land längst erreicht hat: An China kommt – das muss Obama ja selber bilanzieren – auch die Weltmacht Amerika längst nicht mehr vorbei; es ist als Weltwirtschaftsmacht und unabhängiger ‚global player‘ auf allen Kontinenten aktiv und es hat dafür alle Lizenzen dieser imperialistischen Welt – Amerika müsste sie ihm schon kündigen!

So offenbart das Programm Obamas, eine eigenständig-‚emanzipierte‘ Großmacht wie China durch ein umfassendes Duldungs- und Kooperationsangebot zum Verzicht auf eine ‚rivalisierende‘ Weltpolitik zu bewegen, nicht nur den unerschütterlichen Anspruch, Amerikas Führungsrolle zu behaupten, sondern vor allem das Dilemma, dem sich die Wende der amerikanischen Politik verdankt.[2]

3. Versuche, den (eigen)mächtigen Konkurrenten auf ‚gemeinsame Interessen‘ einzuschwören

Dementsprechend gestaltet sich auch die diplomatische Offensive, mit welcher Obama die Pekinger Staatsführung vom Nutzen einer ‚großen Übereinkunft‘ überzeugen will. Das Drehbuch zielt erklärtermaßen auf das „Engagement“ – auf Deutsch: die Einbindung – des mächtigen Konkurrenten. Diese Formel steht für das Bemühen, den Nationalismus einer fremden Staatsgewalt auf friedlichem Wege – also mit allen Mitteln unterhalb militärischer Gewaltanwendung – für eine konstruktive Rolle im Rahmen des amerikanischen Weltordnens zu engagieren.

Zu diesem Zweck bemüht sich die Mannschaft Obamas zunächst um eine demonstrative Aufwertung des Status Chinas, im bilateralen wie im internationalen Verkehr. Das Angebot an den „political global player“ wird aufgeblasen, das Land zur „Schlüsselnation“ befördert, die Beförderung bei Gipfeltreffen durch wohl inszenierte Respektsbeweise gegenüber den Herrscherfiguren unterstrichen. Ein „Strategischer und ökonomischer Dialog (S&ED)“ wird institutionalisiert, an dem das künftige Schicksal der Welt maßgeblich hängen soll; von einer Art „G 2“ ist zwischenzeitlich gar die Rede. Die internationalen Aufsichtsgremien werden reformiert, die Rechte Chinas und anderer „Schwellenländer“ in ihnen gestärkt. Als Begründung, welche die Glaubwürdigkeit der Offerte, China künftig als Mitweltordnungsmacht zu behandeln, untermauern soll, fungiert das Bekenntnis: „Wir brauchen China für die Bewältigung der globalen Herausforderungen.“ Die auf diese Weise betonte Abkehr vom „Unilateralismus“ eines Bush, welche der chinesischen Staatsführung vor allem die Unhaltbarkeit des amerikanischen Hegemonieanspruchs bestätigt, soll China dazu bewegen, seinerseits die alten „Klischees“ und Vorbehalte gegen diesen Anspruch fallen zu lassen und in Motive zur Unterstützung Amerikas zu verwandeln. Das ist gemeint mit dem absurd anmutenden programmatischen Vorsatz, „China zur Übernahme von mehr weltpolitischer Verantwortung zu ermuntern“ (H. Clinton, 15.07.09) – als ob es diesem Staat an imperialistischem Einfluss- und Gestaltungswillen fehlen würde. Die Betonung bei solch diplomatischer Heuchelei liegt eben auf dem verantwortlichen Gebrauch der Macht, und gemeint ist, dass deren eigenwillige Betätigung Amerika stört.

Ferner werden die Forderungen, die Pekings Politiker – als Gegenleistung für die freundliche Einladung Obamas – erfüllen sollen, selber als ein einziges Angebot an das Nationalinteresse Chinas präsentiert. Das Verlangen, auf die amerikanische Weltordnungs-Agenda einzusteigen, soll keine Zumutung sein, da beide Großmächte und überhaupt „die meisten Nationen sich um dieselben globalen Bedrohungen sorgen“ (H. Clinton, aaO). Jenseits aller Differenzen, so das Dogma der neuen Vereinnahmungsdiplomatie, muss es im wohlverstandenen Eigeninteresse Chinas liegen, sich im Bunde mit der stärksten Macht der Erde gegen die so deklarierten gemeinsamen Bedrohungen zu stellen. Dafür werden erst einmal die traditionellen Streitpunkte mit den Chinesen – die Taiwan-Frage, der „manipulierte“ Yuan-Kurs, die fehlenden demokratischen Freiheiten, der Umgang mit Tibetern und anderen Minderheiten etc. – offiziell herabgestuft. Man lässt den Dalai Lama zwar im Parlament ehren, aber der Präsident empfängt ihn vorläufig nicht, um die chinesische Regierung vor seiner Reise nach Peking nicht zu provozieren.[3] Stattdessen drängt Obama auf Konsens in allen strategischen Hauptanliegen, an denen die Welt(gewalt)ordnung Amerikas hängt: Anti-Terrorismus, Nichtverbreitung von Atomwaffen, Sicherheit der Energieressourcen, auch Klimaschutz genannt, und Sicherung weltwirtschaftlichen Wachstums.

Dass die „natürlichen Differenzen“ der Großmächte, die um Reichtumsquellen und Reichweite des politischen Einfluss konkurrieren, auch und gerade diese ‚Felder der Gemeinsamkeit‘ betreffen, ist der US-Regierung natürlich sonnenklar, wenn sie ihre vitalen Interessen qua Bedrohungsszenario in die des designierten Partners hineindefiniert. So klar, dass sie überhaupt nichts dabei findet, in ihrer ausführlichen Liste des verbleibenden „Misstrauens“ genau die Felder der angeblich identischen Herausforderungen als zentrale Punkte des Gegensatzes aufmarschieren zu lassen. Die besagten globalen Bedrohungen haben offenbar eine ganz andere nationale Bedeutung für den Aufsteiger China als für die überkommene Supermacht USA, weshalb ihre praktische Bewältigung auch ziemlich unterschiedlich ausfällt.

  • Die VR China ist inzwischen zu einer kapitalistischen Weltwirtschaftsmacht ersten Ranges avanciert. Muss sie deshalb nicht ein elementares Interesse daran haben, dass die globale Ökonomie schnellstens aus der Krise kommt? So die rhetorische Anfrage der amerikanischen Regierung im Rahmen des „ökonomischen Dialogs“. Irgendwie schon. Jedenfalls hat die chinesische Regierung ein großes „Stimulationspaket“ geschnürt, d. h. massenhaft Kredit mobilisiert, damit China schnell und als Gewinner aus der Krise herauskommt. Wie andere erfolgsverwöhnte Nationen das auch getan haben. Dafür erhält Peking nun einen Glückwunsch aus Washington. Vorbildlich, so heißt es in leichter Verfälschung der vorliegenden Motive, ist die chinesische Führung der amerikanischen Aufgabenstellung gefolgt und hat ihre Binnenkonjunktur angekurbelt. Das Lob gibt den Übergang zur Anmeldung weiterer Korrekturbedürfnisse. China täte gut daran, seine Wirtschaftspolitik überhaupt in diesem Sinne umzustellen. Es soll sich – natürlich zum eigenen Vorteil – künftig weniger vom Export abhängig machen als bisher, also aufhören, den amerikanischen Markt mit Hilfe eines politisch verfälschten Yuan-Kurses in Beschlag zu nehmen. Es soll sich vielmehr zu einer wichtigeren Quelle des globalen Konsums herrichten, also zum Markt für Andere, und damit zur „Stabilität des globalen Wachstums“ beitragen (vgl. Steinberg, aaO). Der Vorteil wäre so eine typische „win-win-Situation“, wie Amerika sie sich wünscht: Die USA können im Exportgeschäft kräftig verdienen, China als ihre ‚Wachstumslokomotive‘ benutzen und so unerwünschte „Ungleichgewichte“ in ihren Bilanzen beseitigen. Und China, der größte Gläubiger der USA, braucht sich um den Wert des Dollar, sprich die Entwertung seiner – ohnehin überdimensionierten – Devisenreserven keine Sorgen mehr zu machen; es kann also damit aufhören, den Dollar als Leitwährung in Frage zu stellen. Praktische Nachhilfe zur Umerziehung gibt es gratis in Form von Strafzöllen auf chinesische Autoreifen und Stahlröhren. Die Aktion wird von der Versicherung (ein Fall von „reassurance“!) begleitet, dass sie keineswegs als Auftakt zu einer „protektionistischen Spirale“ misszuverstehen ist, da beide Seiten ja fest auf dem Boden der WTO stehen. Dessen Regeln verpflichten schließlich zu fairem Handel, und nur der Handel ist fair, der den Nutzen Amerikas gewährleistet.

    So wird einerseits deutlich, dass diese Gleichung faktisch nicht mehr gilt und dass die Zeiten vorbei sind, in denen der Dollar „unsere Währung und eurer Problem ist“. Das war einmal – solange nämlich die Geschäftemacher und ihre staatlichen Förderer auf der ganzen Welt sich alternativlos auf das Geld der einzigen Weltmacht verwiesen sahen und sich darauf verlassen mussten. Andererseits wird ebenso manifest, dass Obama an dem Anspruch festhält, die den USA passende Konkurrenzordnung – mit eingebauter Garantie amerikanischen Nutzens – (wieder)herzustellen. Und alle Welt fragt sich, wie ‚die krisengeschüttelten, von Chinas Gläubigerrolle abhängigen USA‘ den nötigen Druck ausüben wollen, ohne sich selbst zu schaden.

  • Auf dem nächsten Feld der Gemeinsamkeit geht es gleich um einen zweifachen Gegensatz höchsten imperialistischen Kalibers, den China durch kooperatives Verhalten aus der Welt schaffen soll. Der diplomatischen Einladung in Form einer Tatsachenbehauptung –
    „Die USA und China teilen das Interesse an stabilen und nachhaltigen Energielieferungen …“ –

    folgt eine enorm konstruktive politische Forderung an die Chinesen, sich zurückzuhalten. Im Wortlaut:

     „Ressourcen-Wettbewerb ist ein anderes Feld der Sorge. Mit seinem schnellen Wachstum und seiner großen Bevölkerung steigt auch die Nachfrage Chinas nach Rohstoffen, ob Öl, Gas oder Mineralien, aber Rohstoff-Merkantilismus ist nicht die adäquate Antwort. Chinas Schritte in diese Richtung haben die legitime Besorgnis wachsen lassen, nicht nur in den USA, sondern auch unter unseren Partnern und unter ressourcenreichen Entwicklungsländern. Das Problem ist nicht nur, dass Chinas merkantilistischer Ansatz Märkte (zer)stört; er führt China auch zu einem problematischen Engagement mit Akteuren wie Iran, Sudan, Burma und Simbabwe und unterminiert die Wahrnehmung Chinas als ein Land, das daran interessiert ist, zu regionaler Stabilität und humanitären Zielen beizutragen.“ (Steinberg, aaO)

    China wird ein „berechtigtes Interesse“ an Öl und Gas konzediert. Aber wenn es daran geht, sich durch Verträge mit Rohstoff-Staaten den Zugriff auf Ressourcen zu sichern – wie es unter modernen Imperialisten üblich ist –, dann handelt es sich erstens um einen illegitimen Handel auf Kosten der amerikanischen Energieversorgung, einen historisch überholten „mercantilist approach“. Und wenn es sich mangels Alternativen in einer US-kontrollierten Ressourcenwelt mit Staaten einlässt, die das Weiße Haus als Dissidenten boykottiert, dann ist das zweitens eine Unterminierung der amerikanischen Sicherheitsinteressen. So wird mitgeteilt, dass Chinas Konkurrenzgebaren für die USA nicht hinnehmbar ist – aber so, dass an China appelliert wird, zur Vermeidung eigener Rufschädigung nach annehmbaren Wegen der Energieversorgung zu suchen. Dabei könnten die Amerikaner vielleicht sogar behilflich sein. Ein bilaterales Projekt zur Nutzung von Solarenergie gibt es immerhin schon.

  • Auch für ein verschärftes Regime gegen die „nukleare Proliferation“ möchte die Regierung Obama die Atommacht China gewinnen. Die diplomatische Sprachregelung „China hat begonnen, mehr zu tun, um das internationale Nichtverbreitungsregime zu unterstützen“, und die anschließende Bekundung der „Hoffnung“, dass die chinesische Führung im heißen Fall des Iran bereit ist, ggf. an der Seite der USA die Isolation und die Sanktionen zu eskalieren, offenbaren dabei eines: Die VR China sieht auch diese von Obama beschworene „globale Gefahr“ einer Atomrüstung in falschen Händen anders und sie meint etwas anderes als der amerikanische Präsident, wenn sie auf eine „diplomatische Lösung“ drängt und eine gewaltsame ablehnt. Sie sieht jedenfalls keinen Grund, einen vielversprechenden Partner wie den Iran preiszugeben, weil der auf seinem Recht auf nukleare Technologie beharrt und die amerikanische Nahostordnung stört. Statt dessen investiert sie dort in die Erschließung fossiler Ressourcen, setzt auf künftige Pipeline-Routen nach China und erwägt eine engere politische Allianz mit dem Staat, den der Westen für einen Unruhestifter hält.
  • Und auch der aufmunternde Dank dafür, dass China immerhin im Falle der Denuklearisierung Nordkoreas vorbildliche (Zusammen-)Arbeit geleistet habe, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich speist sich das Insistieren auf „Weiter so!“ gerade aus der Unzufriedenheit Amerikas mit den Ergebnissen der berühmten „6er-Gespräche“ – Nordkorea testet demonstrativ sein frisch erworbenes atomares und Raketenmaterial, ohne dass sich China bemüßigt fühlt, dem Land die Öl- und Lebensmittellieferungen zu entziehen. Stattdessen bietet Regierungschef Wen Jiabao dem „Regime von Pjöngjang“ auch noch öffentlich „militärische Hilfe für den Fall einer Krise“ an. Auch hier gilt: China ist zwar gegen eine atomare Bewaffnung Nordkoreas, aber aus seinen nationalen Berechnungen. Es will eine „Destabilisierung“ der Region, die zu amerikanischen Kriegsaktionen gegen ihr Nachbarland führt, vermeiden, ist aber keineswegs interessiert an einer Entmachtung dieses „Pufferstaates“ zugunsten einer amerikanisch-südkoreanisch-japanischen Sicherheitsexpansion. Also verweigert sich China der definitiven Erpressung und Aushungerung Nordkoreas und setzt noch nicht einmal die gemeinsam beschlossenen verschärften Sanktionen und Kontrollen ordentlich durch.

So zeigt sich auf all diesen wie anderen Feldern des „gemeinsamen Interesses“ zweierlei: Zum einen, dass Obamas diplomatische Einbindungsoffensive Richtung China von den harten Gegensätzen lebt, die sich überall aufgetan haben zwischen beiden Nationen. Die VR China soll dazu gebracht werden, sich die Weltordnungsanliegen Amerikas zu eigen zu machen. Sie soll diese Anliegen als ihre Konkurrenz- und Erfolgsbedingungen betrachten, die USA als Führungsmacht anerkennen und als Garanten auch ihrer Rechte sehen, also unterstützen. Zum anderen wird an allen diplomatischen Anstrengungen der neuen US-Regierung offenbar, dass es Amerika an wirksamen politischen Hebeln fehlt, chinesisches Wohlverhalten herbeizuregieren. China nutzt unbeeindruckt seine Mittel, um seine ökonomischen und strategischen Positionen auszubauen.[4] Und es nutzt den November-Staatsbesuch Obamas in der Hauptsache dazu, dem höflichen Gast seinen Standpunkt zu den amerikanischen Einbindungsversuchen zu übermitteln – und zwar ausgesprochen selbstbewusst, wie allenthalben vermerkt wird: China ist zu weltpolitischer Kooperation bereit, aber nicht zu Amerikas Konditionen, sondern im Einklang mit seinen nationalen Interessen. Und die definiert es selber. Wenn Obama daraufhin seiner enttäuschten US-Öffentlichkeit, die ein „No“ der Chinesen vermeldet, mitteilen lässt, es gebe zwar „no breakthroughs“ in den elementaren Fragen, aber „die Grundlage für Fortschritt ist gelegt“ (Los Angeles Times, 19.11.09), dann ist auch das eine Klarstellung: Mit dieser Antwort Chinas kann und will sich die Weltmacht USA nicht abfinden.

4. Das Bedürfnis nach rüstungsdiplomatischer Kontrolle

Die diplomatische Offensive Amerikas Richtung China ist ein praktischer Test darauf, ob so etwas wie eine friedliche Neutralisierung und Instrumentalisierung des neuen großen Konkurrenten zu haben ist. Das sieht der Präsident selber so oder so ähnlich, wenn er ganz ohne Pathos konzediert, dass sich sein Kurs weniger einem neuen Erfolgsrezept verdankt als einer grundsätzlichen Verlegenheit, in die China die Supermacht gebracht hat. Statements der Art –

„Ich habe weder Illusionen, dass die USA und China in jeder Angelegenheit übereinstimmen werden, noch dass sie es vorziehen, die Welt in derselben Weise wahrzunehmen wie wir“, sagte Obama. „Aber das macht den Dialog nur noch wichtiger.“ (NYT, 28.7.09)

offenbaren den negativen Ausgangspunkt der ganzen Einbindungsbemühungen: den Tatbestand der sich ausschließenden Interessen imperialistischer Staaten. China baut sich als autonome weltpolitische Macht in der Welt auf, das läuft der US-Weltordnung zuwider; aber es läuft, ohne dass die USA es verhindern können. Berechenbarkeit und Kontrolle sind also angesagt, so dass ein kontinuierlicher diplomatischer Verkehr schon von daher erwünscht ist. Das gilt auch und gerade auf dem Felde des militärischen Kräfteverhältnisses. Hier sieht die VR China einen großen Nachholbedarf. Und sie rüstet fleißig auf. Vor allem verschafft sie sich eine moderne Kriegsflotte – nach der anerkannten imperialen Devise: ‚Wer seine globalen Interessen schützen will, muss die Meere beherrschen.‘ Das erfüllt Washington schon wieder mit „ernsthafter Besorgnis“. Angesichts des „expansiven Auftretens“ der chinesischen Seestreitkräfte, die sich nicht mehr auf die Küstenwache beschränken, der damit brisanter werdenden Territorialkonflikte mit mehreren Nachbarländern (um Inseln und rohstoffhaltige Meeresböden), diverser Zwischenfälle mit US-Kriegsschiffen etc. fragt die US-Regierung laut nach den „Motiven und Absichten Chinas“. Die können prinzipiell nicht in Ordnung gehen. Denn schließlich ist der Pazifik nach wie vor die Domäne der US-Marine und das soll so bleiben. Also versteht es sich auch von selbst, dass die amerikanische Flotte dort „wie gewohnt agiert“. Das aber hindert China nicht daran, seine Militärpräsenz auszudehnen. Wieder gilt: Die VR China verstößt nicht gegen die imperialistischen Spielregeln, die die Amerikaner gesetzt haben und Weltordnung nennen; sie nutzt sie, in diesem Falle die „Freiheit der Meere“. Sie respektiert auch den eindeutigen casus belli für die USA – keine Gewalt gegen Verbündete, Taiwan inklusive – und gibt dennoch keinen Anspruch preis, sondern bringt die „natürliche“ Dialektik von ökonomischer und militärischer Machtentfaltung erfolgreich voran.[5] Das ist der Grund, weshalb Amerika die Herstellung von Transparenz zum Zweck der „Vertrauensbildung“ für dringend geboten hält. So hat Obama mit seinem Amtskollegen aus Peking regelmäßige militärische Kontakte vereinbart. Die Amerikaner wollen – wenigstens – Bescheid wissen, was die Chinesen auf dem Sektor der Gewaltkonkurrenz treiben; und die Chinesen sollen wissen, was die Amerikaner zu bieten haben, um ihre vitalen Interessen zu schützen.

Das Element ‚Vermeidung von feindseligen Entwicklungen‘ ist also schon auch enthalten in dem großzügigen Partnerschaftsangebot an den Herausforderer aus Asien. „Mutual reassurance“, so der Asiendiplomat Obamas, wie man sie auch mit dem Feind im Kalten Krieg betrieben habe, soll jetzt das gute Einvernehmen mit China bewahren und fördern. Ganz unpassend ist diese politische Vokabel nicht. Deren Bedeutung enthält schließlich alle einschlägigen Facetten – von wohlwollender Berücksichtigung fremder Nationalinteressen und der Versicherung guter Absichten über die Beschwichtigung des Gegenparts, wenn es brenzlig wird, bis zur Klarstellung, mit welch einer entschlossenen Macht es der Gegner zu tun hat.

5. „Schlüsselpartner“ der USA in der Region verweigern die Rolle, die Amerika für sie vorsieht

Wenn sich die US-Politik den neuen Kräfteverhältnissen in Asien „anpasst“ und den weltpolitischen Status der VR China sowie die Beziehungen zu ihr aufwertet, dann hat das Konsequenzen für den „Rest der Welt“, vor allem für die Anrainerstaaten des „neuen Giganten“. Schon das umfassende Kooperationsangebot der Obama-Regierung wird zum Ausgangspunkt neuer nationaler Kalkulationen, schafft neue Notwendigkeiten und Gelegenheiten für die Durchsetzung eigener Ansprüche. Auch bündnispolitische Projekte mit dem potenten chinesischen Nachbarn erhalten Auftrieb. Diese „Reaktionen“, welche ihrerseits zur imperialistischen Aufmischung der Region beitragen, sind nicht das Thema dieses Artikels. Offenkundig ist allerdings schon, dass die amerikanische Weltmacht es bei ihrer Hinwendung zum „neuen Machtzentrum der Welt“ mit eigenmächtigen Entscheidungen von staatlichen Souveränen großen wie kleineren Kalibers zu tun bekommt, die sie nicht bestellt hat. Das gilt auch für fest eingeplante Freunde Amerikas. Zwei Beispiele:

Japan

Die Hinwendung der USA zum künftigen Hauptkonkurrenten China soll erklärtermaßen nicht auf Kosten der traditionellen Bündnisbeziehungen in der Region gehen. Dass die politische Beförderung der VR China, also des Hauptadressaten der Sicherheitsallianz zwischen den USA, Japan und Südkorea, insbesondere vom japanischen Staat als weiterer Beleg für den „Bedeutungsverlust“, also die prekäre ‚Lage‘ der eigenen Nation, betrachtet wird, ist in der Rechnung Obamas nicht vorgesehen. Erst recht nicht ein Bedürfnis dieser Nation, sich von der einseitigen Abhängigkeit von den Mitteln und Kalkülen Amerikas zu emanzipieren. Im Gegenteil. Die Regierung Obama geht zunächst ganz selbstverständlich von dem angeblich verlässlichen Tatbestand aus, dass Japaner, Südkoreaner und die sonstigen Nachbarn Chinas ein konstantes, gar wachsendes Schutzbedürfnis gegen den aufstrebenden Nachbarn entwickeln. Das ist gleich als vorteilhafte Perspektive verbucht worden: Da eine solche Schutzgarantie nur von Amerika kommen kann, sind politische Loyalität und militärische Allianztreue dieser Länder mit der Machtentfaltung Chinas quasi automatisch gesichert! So die hoffnungsfrohe Unterstellung. Inzwischen, ein halbes Jahr später, muss man sich in Washington allerdings schwer darum kümmern, dass der Hauptalliierte Japan – nach seinem Regime change – die ‚Lage‘ genau so sieht und nicht seinerseits auf neue Wege zu erfolgreicher Selbstbehauptung sinnt.[6] Dafür gibt es nämlich handfeste Anzeichen, die Obamas Strategen „sehr besorgt“ zur Kenntnis nehmen:

  • Die Regierung Hatoyama beendet im Januar 2010 die Versorgung der US-Kriegsschiffe im Indischen Ozean, welche in den Afghanistan-/Pakistan-Einsatz gegen die Taliban involviert sind.
  • Sie besteht auf der Revision des zehn Jahre lang ausgehandelten neuen Truppenstationierungsabkommens, welches Zehntausenden von US-Soldaten und modernstem Kriegsmaterial auch in Zukunft eine sichere Bastion in Japan verschaffen soll.
  • Als der US-Verteidigungsminister daraufhin in der gewohnten Art mitten in Tokio damit droht, dass die USA auf dem Vertrag und den Stützpunkten in Okinawa bestehen und ein Rückzieher Japans erstens die Sicherheitsallianz mit Amerika sowie zweitens die Sicherheit im gesamten Ostasiatisch-Pazifischen Raum unterminiere, da wagt es der japanische Gesprächspartner tatsächlich, vor laufender Kamera zu widersprechen. So muss die amerikanische Presse „hässliche Töne“ und „öffentlich geäußerten Widerspruch“ gegen amerikanische Forderungen konstatieren – lauter Dinge, welche „die USA 30 Jahre lang nicht hören mussten“ aus japanischem Munde.
  • Nicht zuletzt fördern Premierminister Hatoyama und seine Demokratische Partei in Tokio die Vision, eine Ostasiatische Gemeinschaft nach dem Vorbild der EU zu schaffen, mit der VR China und Japan als Führungsduo – was in den Augen Washingtons auf einen Ausschluss der USA hinausliefe. Denn Japan stünde, wenn es denn überhaupt zwecks ‚Ausbalancierung‘ der drohenden chinesischen Übermacht für den Einschluss Amerikas votierte, „auf verlorenem Posten“.

So bekommen die USA statt eines todsicheren Verbündeten eine „neue Herausforderung“ serviert. Und der erste Staatsbesuch Obamas in Japan steht unter der obersten Prämisse, ein Zerwürfnis zu verhindern. Der Präsident bekommt den Auftrag mit auf den Weg, „die Spekulation zu beenden, dass Tokio die Beziehungen zu seinen Nachbarn auf Kosten Washingtons verstärken will“. (Council on Foreign Relations, 3.11.09) In Tokio beschwört der amerikanische Hoffnungsträger die 50 Jahre andauernde „unzerstörbare Partnerschaft“ und wünscht sich deren Fortsetzung gleich fürs ganze 21. Jahrhundert. Und er verspricht – dafür – „mehr Gleichberechtigung“. Der japanische Hoffnungsträger wiederum sagt Ja zum Bündnis, aber nicht ‚Weiter so!‘. Höflich ausgedrückt: Man müsse jetzt „in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit blicken“. Immerhin sei die japanische Staatsgewalt in diesen 50 Jahren „somewhat passive“ – also ein wenig unterwürfig – gewesen. Damit soll Schluss sein.

So müssen die USA schon mal die Kündigung der passiven Unterordnung durch den „wichtigsten Alliierten“ in der Region registrieren, welche die bequeme Basis amerikanischer Militärpräsenz in Asien war. Dabei hat Obama auch und gerade für Japan und Südkorea im Rahmen der neuen Ostasienstrategie eine besondere Rolle vorgesehen: Sie sollen als potente asiatische Staaten mit dafür sorgen, dass im „powerhouse der Welt“ der richtige Multilateralismus auf den Weg gebracht und institutionalisiert wird, d.h. derjenige, welcher Amerika den Zugriff auf die dortigen Reichtumsquellen und die Kontrolle der ansässigen Mächte auf Dauer sichert.[7] Die Kontrolle Chinas natürlich an vorderster Stelle.

Indien

Die Strategie, durch kooperative Einbindung die unvermeidliche Emanzipation Chinas zu kanalisieren, gilt explizit so oder so ähnlich auch für andere ehemalige „Schwellenmächte“. Was Indien, die andere „aufstrebende asiatische Großmacht“, betrifft, wird dessen technologische und militärische Machtentwicklung sogar partiell gefördert: So ist die Lieferung ganzer Atomkraftwerke, von Brennstäben und von High-Tech-Waffen geplant. Insofern herrscht Kontinuität mit der Politik der Bush-Regierung, die mit der faktischen Anerkennung Indiens als Atommacht den Weg frei gemacht hat für „eine neue Ära der Zusammenarbeit zwischen den beiden größten Demokratien der Welt“. Der Zweck ist und bleibt, über die Sicherung von Geschäftsperspektiven hinaus vermehrten Einfluss zu gewinnen auf die weltpolitische Ausrichtung dieses allseits umworbenen „Machtgiganten des 21. Jahrhunderts“. Denn die USA haben Indien fest eingeplant für eine dauerhafte strategische Partnerschaft, wie Außenministerin H. Clinton bei ihrem Staatsbesuch bestätigt:

„Wir betrachten Indien als einen unserer wenigen Schlüsselpartner in der Welt, der uns helfen wird, das 21. Jahrhundert zu gestalten.“ Sie plädiert für eine „dramatische Ausweitung unserer gemeinsamen Agenda und eine größere Rolle für Indien bei der Lösung globaler Herausforderungen.“ (Indiatimes, 17.7.09)

Damit erfolgt zugleich eine leicht modifizierte Funktionszuweisung an die südasiatische Großmacht: Sie soll weniger als „Gegengewicht gegen China“ (Bush) in Stellung gebracht werden denn als „Stabilisierungsfaktor“, der Amerika hilft bei all den Ordnungsaufgaben, die nicht nur in Ost-Asien anfallen. Auch im Falle Indiens wird die Dialektik der Stärkung der „internationalen Rolle“ für eine verstärkte Funktionalisierung der Konkurrenznation vorangetrieben. Sie erhält den Status einer anspruchsberechtigten Großmacht zugebilligt; sie darf und soll ab sofort im Rahmen der G 20 mitwirken an der Aufsicht über die Weltwirtschaft. Gleichzeitig wird von Obamas Regierung der Preis betont, den die Übernahme „größerer Verantwortung“ fordert: Auch Indien muss den Erfordernissen der Weltordnung genügen. D.h. im Speziellen:

  • Indien soll sich für die Bekämpfung des Terrors engagieren, so wie Amerika sich das wünscht. Es soll nicht nur den Aufbau Afghanistans weiter fördern, um dort Positionen gegen seinen Hauptfeind Pakistan zu gewinnen, sondern auch diese Feindschaft selbst ad acta legen und mit dem pakistanischen Staat zusammen die islamischen Extremisten bekämpfen. Denn Pakistan wird als militärischer Bündnispartner der USA gebraucht und soll seine Truppen gefälligst an der Al Kaida- und Talibanfront im Nordwesten einsetzen statt sie an der Südostgrenze mit Indien für eine überflüssige Konfrontation mit dem Erzfeind bereitzuhalten.
  • Indien, das den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat und „dieses Dokument für diskriminierend hält“[8] soll sich an der Durchsetzung eines verschärften globalen Nuklearregimes beteiligen, das auch seine Ambitionen zum Ausbau der atomaren Potenzen beschränkt.[9]
  • Die Lieferung von militärischer und anderer „sensitiver Technologie“ nach Indien wird an die Bereitschaft geknüpft, ein „Enduser-Agreement“ zu unterschreiben. Darin wird Amerika das Recht zugesichert, vor Ort zu kontrollieren, dass Indien auch wirklich als „Endverbraucher“ der exportierten Machtinstrumente fungiert, sie also nicht weiter verkauft oder zweckentfremdet.

Kein Wunder, dass beim Partner Indien der – ohnehin verbreitete – Argwohn wächst, dass seine Souveränität von den USA missachtet und die Potenzen des Landes ‚bloß‘ instrumentalisiert werden sollen. Dagegen kündigt Neu Delhi Widerstand an, so dass auch hier Beschwichtigung aus Washington Not tut. Klar ist aber auch, dass Statements wie das von H. Clinton – Es obliegt den Vereinigten Staaten nicht, Indien Vorschriften zu machen. – die „besorgten Stimmen in der Hauptstadt“ wenig beruhigen. Denn die amerikanischen Ansprüche an Indien sind damit ja keineswegs vom Tisch.

[1] Schon Präsident George W. Bush hatte zu Amtsbeginn den „ostasiatisch-pazifischen Raum“ zur strategischen Priorität amerikanischer Weltordnungspolitik erklärt. Dass er diese im Zuge eines missratenen Antiterrorkriegs schwer vernachlässigt habe, wirft ihm die neue Regierung vor. Außenministerin Hilary Clintons erster Satz bei ihrer ersten Auslandsreise – zu einer ASEAN-Konferenz – war deshalb eine Ankündigung, die manche Teilnehmer auch als Warnung verstanden: Amerika ist zurück! Sowohl die Akkumulation des kapitalistischen Reichtums wie die Konzentration aufstrebender Großmächte in dieser Weltgegend, von Indonesien über China bis Indien, haben die neue US-Regierung die Notwendigkeit gelehrt, in diesem „powerhouse der Staatenwelt“ die ökonomischen und strategischen Positionen (zurück) zu erobern, an denen sich – so die eigene Diagnose – Amerikas Weltmachtexistenz entscheiden wird: Wir betrachten das – unser Engagement in Ostasien – in der Tat als entscheidend für unsere eigene Zukunft. (Vizeaußenminister Steinberg vor der Obama-Reise zu den „powerhouse nations“ in Ostasien, Washington Post, 7.11.09) – Zur selbstkritischen Nationalbilanz des „neuen amerikanischen Hoffnungsträgers“ Obama siehe den Artikel im GegenStandpunkt 3-09.

[2] Kein Wunder, dass sich die Regierung Obama von Anfang an genötigt sieht, an der Heimatfront den Realismus, sprich die Erfolgstauglichkeit ihrer China-Strategie zu beweisen. Denn diese steht sofort im Verdacht und unter Beschuss seitens besorgter Politikerkollegen, welche in dem Kooperationsangebot an die Pekinger Machthaber ein einziges Zeichen von Führungsschwäche und unpatriotischem Zurückweichen vor dem künftigen Hauptrivalen sehen. Dagegen werden die Diplomaten des ‚change‘ regelrecht imperialismustheoretisch und bestreiten sozusagen amtlich „das Dogma“ von der Unvermeidlichkeit eines Krieges zwischen der etablierten und einer aufsteigenden Weltmacht. Die traditionelle Auffassung behaupte die Unvereinbarkeit der Interessen, sie gehe dabei von einem „Nullsummenspiel“ der Machtkonkurrenz aus: “Historiker seit Thukydides haben auf eine lange Reihe von Konflikten hingewiesen, die durch das Auftauchen von aufstrebenden Mächten hervorgebracht werden, welche die alte Ordnung stören und die existierende Machtstruktur herausfordern; und sie prognostizieren dieselbe trostlose Zukunft auch für Chinas Aufstieg. Politikwissenschaftler … sprechen dunkel von Sicherheitsdilemmas, welche die Nationen dazu veranlassen, Aktionen durchzuführen, um ihre eigene Sicherheit gegen potenzielle Gegner zu schützen, und davon, dass solche Aktionen genau die harten Konflikte schüren, die sie zu verhüten trachten. Diese akademischen Perspektiven haben offenbar große Resonanz in den politischen Debatten, die wir heute nicht nur in den USA, sondern auch in China beobachten.“ (Steinberg, aaO) Die Regierung Obama sieht das nicht so akademisch. Sie will sich kräftig anstrengen, die Regierung von China dazu zu bringen, dass sie unsere Vision teilt von einer Geopolitik, die in win-win-Lösungen besteht statt in einem Nullsummenspiel der Rivalitäten (ebd.) – weil es für alle Beteiligten besser ist, wenn China die bestehende Machtstruktur nicht herausfordert. Ein schönes Dementi der Konfliktträchtigkeit der amerikanisch-chinesischen Beziehungen ist das!

[3] Das hindert den Präsidenten nicht daran, dann in Shanghai und Peking die Verwirklichung der Menschenrechte als „universale Werte“ anzumahnen, deren vorbildliche Einlösung „die amerikanische Nation so stark gemacht hat“, und damit den bleibenden grundsätzlichen Legitimitäts-Vorbehalt der USA gegenüber der Souveränität Chinas deutlich zu machen.

[4] Dadurch sehen sich die USA partiell schon in eine Defensive gedrängt, die sie veranlasst, zur Vermeidung weiterer Konkurrenznachteile Vorbehalte gegen „chinafreundliche Länder“, deren Obrigkeiten sie gestern noch bekämpft haben, fallen zu lassen: Die Obama-Regierung bietet Myanmar und Sudan neuerdings Kooperationsperspektiven an, um diese Staaten nicht zu exklusiven Geschäftsfeldern und Stützpunkten des chinesischen Rivalen werden zu lassen.

[5] „Ebenso wie Chinas Ökonomie gewachsen ist und seine globalen Interessen expandierten, sind ganz natürlicherweise (!) seine Militärausgaben gestiegen und ihre Kapazitäten auf See, in der Luft und im Weltraum haben sich erweitert. Und in manchen Fällen waren die verstärkten Kapazitäten mit Aktionen verbunden, so wie Chinas übermäßiges Geltendmachen von Rechten in den AWZ (Ausschließliche Wirtschaftszonen: Meereszonen, in welchen die staatlichen Anrainer spezifische wirtschaftliche und militärische Nutzungsrechte haben), was die USA und Chinas Nachbarn dazu veranlasst hat, Chinas Absichten zu hinterfragen.“ (Steinberg, aaO)

[6] Ein hoher Beamter des Außenministeriums sagte, die USA hätten sich dabei ‘wohl gefühlt‘, Japan als eine Konstante in den US-Beziehungen zu Asien zu betrachten. Das ist nicht länger der Fall, sagte er und fügte hinzu, dass der härteste Brocken zurzeit nicht China ist, sondern Japan. (Dawn, 16.10.09)

[7] So möchte ich, dass jeder weiß …, dass wir auf jeden Fall teilhaben an der Zukunft dieser Region, da das, was hier passiert, einen direkten Effekt auf unser Leben zu Hause hat…Ich weiß, dass die USA in den letzten Jahren nicht beteiligt gewesen sind an vielen dieser multinationalen Organisationen in Ostasien. So lassen Sie mich deutlich werden: Diese Tage sind vorbei. Als eine asiatisch-pazifische Nation erwarten die USA, in die Diskussionen einbezogen zu werden, welche die Zukunft dieser Region prägen, und voll beteiligt zu werden an den entsprechenden Organisationen, die schon etabliert sind oder sich noch entwickeln. (Präsident Obama in Tokio, 13.11.09)

[8] Ein Regierungsvertreter in Neu Delhi am 24.9.09, zit. nach RIA Novosti.

[9] So soll sich Indien einem allgemeinen Verbot von Atomtests und der Produktion atomwaffentauglichen Materials anschließen: Um die Herstellung weiterer Kernwaffen zu verhindern, streben wir die Verhandlung eines neuen internationalen Vertrags an, der die Produktion allen spaltbaren Materials für Atomwaffen nachprüfbar unterbindet. Von den Ländern mit ungeschützten Produktionseinrichtungen für spaltbares Material haben die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Russland bereits ein Moratorium für die Herstellung von spaltbarem Material für Nuklearwaffen erklärt. Weitere Länder, die von diesem neuen Vertrag betroffen wären, sind unter anderem China, Indien und Pakistan. (B. Obama, 4.4.09, Amerikadienst)