Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bombenalltag im Irak:
„Ein kleiner unerklärter Krieg“

Dass dieser „stille Krieg“ stattliche Ausmaße hat, daraus wird kein Geheimnis gemacht: Seit Januar haben die USA im Irak mehr Bomben abgeworfen als bei dem Weihnachtsbombardement im Dezember…

Aus der Zeitschrift

Bombenalltag im Irak:
„Ein kleiner unerklärter Krieg“

Die Amerikaner und Briten weiten seit Anfang des Jahres das Bombardement auf den Irak systematisch aus und führen dort einen kleinen unerklärten Krieg, wie es aus dem amerikanischen Außenministerium heißt. Daß dieser stille Krieg (SZ) stattliche Ausmaße hat, daraus wird kein Geheimnis gemacht: Seit Januar haben die USA im Irak mehr Bomben abgeworfen als bei dem Weihnachtsbombardement im Dezember (IHT, 4.2.). Die Ziele amerikanischer und britischer Piloten sind dabei längst nicht mehr auf Radarstationen und Raketenbasen der irakischen Flugabwehr in den Flugverbotszonen beschränkt, sondern ausdrücklich erweitert worden. Die USA haben – dank der Vorarbeiten der UNSCOM – einen genauen Plan, den sie abarbeiten, so daß es auch komplett gleichgültig ist, ob sich von Zeit zu Zeit Aktivitäten des irakischen Militärs vermelden lassen, gegen die „zurückgeschossen“ wird: irakische Schiffe, Radio- und Fernsehanlagen, Munitionslager und -fabriken, Kommando- und Kontrollzentralen der irakischen Armee, eine Pumpstation an der irakisch-türkischen Ölpipeline werden bombardiert (NZZ, 15.3.99). Daß dabei Soldaten und Zivilisten dran glauben müssen, ist leider unvermeidlich und im übrigen beabsichtigt:

„Die Botschaft, die wir militärisch und politisch in den Irak senden, lautet: Es ist gefährlich, jemanden wie Saddam zum Führer zu haben“ (Regierungsberater Cordesman).

Die Teilerfolge von Embargo und Dauerkrieg lassen sich sehen: 25% des irakischen Verteidigungssystems sind bereits zerstört, der Irak ist heute das am wenigsten gerüstete Land im Nahen Osten (SZ, 4.2.99).

Unerklärt ist dieser Krieg deshalb, weil ein von den USA als Schurkenstaat definierter Staat eben nicht den Status eines anerkannten und gleichrangigen Gegners hat. Beim Irak handelt es sich definitiv nicht mehr um einen Staat, mit dem man irgendwie noch diplomatisch zu verkehren gedenkt, geschweige denn von gleich zu gleich. Den abweichenden Staatswillen des Irak, der in der Figur Saddam personifiziert ist, gilt es aus dem Verkehr zu ziehen, und diesen selbstauferlegten Vernichtungsauftrag exekutieren die USA frei auf allen Ebenen: Mit Strafaktionen wie der Bombardierung der militärischen und ökonomischen Einrichtungen, mit der dauerhaften Aufrechterhaltung des Embargos und mit der gezielten Aufhetzung zum Sturz von Saddam, was vornehm Aufbau einer Opposition im In- und Ausland genannt wird.

Und wenn die Arroganz der Macht in Gestalt eines Regierungssprechers die Ruinierung der militärischen und ökonomischen Basis des Irak mit den dabei anfallenden Leichen als klein bezeichnet, muß der sich nicht einmal den Vorwurf des Zynismus anhören. Immerhin ist für den Irak – so kaputtgebombt, wie er ist – der Krieg groß genug: Der Staat geht an ihm zugrunde. Für die USA, die dafür das meiste getan haben, ist der Krieg dagegen nicht einmal der Rede wert. So machen sie den Rest der Welt mit dem Stellenwert bekannt, den der von ihnen angezettelte Dauerkrieg gegen den Irak einerseits für sie hat, andererseits aber auch für jede andere Macht zu haben hat. Auf diese Weise verbittet sich die überlegene Weltmacht jede Debatte über die Rechtmäßigkeit ihrer Militäraktion: Wo sie selbst vom Zuschlagen ihrer Gewaltmaschinerie kein großes Aufheben macht, steht für den Rest der Welt fest, daß er sich dieser Einordnung anzuschließen hat.

Demnächst wird der Dauerkrieg gegen einen staatlichen Souverän, dem die Weltmacht ihre Anerkennung entzogen hat, womöglich so alltäglich und so normal, daß er den Namen Krieg gar nicht mehr verdient. Er wird immer schöner, der Zustand namens Frieden.