Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die gute Nachricht aus Berlin:
„Jetzt brauchen wir wieder bessere Löhne“

Die Überraschung ist gelungen: „Mut zu höheren Löhnen“ fordert Vize-Kanzler Müntefering; und auch Frau Merkel wünscht sich „angemessene Lohnerhöhungen“. Schließlich, so versichert sie, sei es ja nur „selbstverständlich, dass die Arbeitnehmer an der guten wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt werden“.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Die gute Nachricht aus Berlin:
Jetzt brauchen wir wieder bessere Löhne

Die Überraschung ist gelungen: Mut zu höheren Löhnen fordert Vize-Kanzler Müntefering; und auch Frau Merkel wünscht sich angemessene Lohnerhöhungen. Schließlich, so versichert sie, sei es ja nur selbstverständlich, dass die Arbeitnehmer an der guten wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt werden. (SZ, 5.12.). SPD-Chef Beck erläutert den Vorstoß der Regierung:

Wegen der wirtschaftlichen Schwäche und der internationalen Konkurrenz waren Lohnerhöhungen eine Zeit lang nicht möglich. Aber jetzt ist es Zeit für eine Lohnpolitik, die den Arbeitnehmern angemessene Lohnerhöhungen zubilligt ... Die gegenwärtige Auseinanderentwicklung der Einkommen und Vermögen in Deutschland ist auf Dauer ein Sprengsatz. Hier müssen wir ein Stück mehr Gerechtigkeit schaffen (BamS, 3.12.).

1.

Lohnerhöhungen, die eine Zeit lang nicht möglich waren: Damit spielt der oberste Sozialdemokrat darauf an, dass Staat und Kapital die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer seit über einem Jahrzehnt systematisch gesenkt haben. Die Unternehmer haben sich Lohn durch Entlassungen erspart und die verbliebenen Arbeiter dazu gezwungen, für den Erhalt ihrer Einkommensquelle auf Einkommen zu verzichten und für immer weniger Geld immer mehr zu arbeiten. Der Staat hat den Unternehmern dabei nach Kräften den Rücken gestärkt und die „gegenwärtige Auseinanderentwicklung der Einkommen und Vermögen“ gezielt herbeiregiert. Die Politik hat sich die Förderung des Wachstums auf die Fahnen geschrieben, als entscheidendes Hindernis dafür die Lohn- und Lohnnebenkosten im „Hochlohnland“ ausfindig gemacht und sich um eine entsprechende Therapie für den „Sanierungsfall Deutschland“ bemüht. Die Verarmung des Volks hat die Regierung als Rezept zur Schaffung von nationalem Reichtum eingesetzt und in schöner Regelmäßigkeit aus dem unterbliebenen – den nationalen Anforderungen jedenfalls nicht genügenden – Kapitalwachstum geschlossen, dass das Volk wohl immer noch über seine „Verhältnisse“ lebt, der Staat also noch viel zu wenig für die Schaffung gesunder marktwirtschaftlicher Zustände auf dem Arbeitsmarkt unternommen hat. Entsprechend dem Motto: „Sozial ist, was Arbeit schafft“, hat sie mit einer ganzen Serie von Gesetzen den Sozialstaat umgemodelt und dabei das Arbeitslosenschicksal so abschreckend gestaltet, dass sich auch die arbeitende Bevölkerung der gebieterischen Devise „Hauptsache Arbeit!“ weniger denn je entziehen kann und allen betrieblichen Vorschlägen zur Neufestsetzung des Verhältnisses von Lohn und Leistung aufgeschlossen gegenübersteht. Und für all diese Maßnahmen hat die Regierung von den Betroffenen Duldung und Zustimmung verlangt und ihnen dazu ihre Abhängigkeit vom Profit ihrer Arbeitgeber unter die Nase gerieben.

2.

Nach jahrelanger angestrengter Reformpolitik ist es endlich soweit: Der Aufschwung ist da! Die Unternehmen machen Gewinne wie schon lange nicht mehr, und in einigen Branchen und Betrieben soll es, wie man hört, sogar richtig brummen. Jetzt, wo es der Wirtschaft wieder gut geht, wird alles wieder gut: Deutschland kann seine Rolle als Exportweltmeister weiter verteidigen und ist wieder ordnungsgemäß die Wachstumslokomotive in Europa; die Staatseinnahmen steigen, und der Staatshaushalt erfüllt wieder alle nationalen und europäischen Erfolgsmaßstäbe. Die Wirtschaft bewährt sich als nationale Reichtumsmaschinerie; damit ist grundsätzlich auch in der Welt der Politik alles in Ordnung.

Aber: Die Umfragewerte für die Regierungsparteien verharren – allen Erfolgsmeldungen zum Trotz – auf einem historischen Tiefstand, und die Stimmung in der Bevölkerung will einfach nicht zusammen mit den Unternehmensgewinnen steigen. Noch bevor die Unzufriedenheit lautstark geäußert wird, haben die politischen Führer sich bereits zu ihrem Sprachrohr gemacht und erklären, wo der Schuh drückt: Das Volk leidet an einer Gerechtigkeitslücke, weil sich Löhne und Gewinne in einem bisher nicht gekannten Maß „auseinander entwickeln“. Auch wenn weit und breit keine staatsgefährdenden Umtriebe ersichtlich sind: SPD-Chef Beck lässt es sich nicht nehmen, Berücksichtigung der Arbeiter im Namen der Stabilität des Gemeinwesens anzumahnen, andernfalls sozialer Sprengsatz hochgehen könnte. Dass die Löhne sinken, Arbeitszeiten verlängert, Arbeitsbedingungen verschlechtert werden müssen, wenn es um die Gewinne des Kapitals schlecht steht, ist selbstverständlich – so gehört es sich für die „Schicksalsgemeinschaft“, in der alle vom Erfolg des Unternehmerinteresses abhängen. Und auch wenn die Gewinne dank „Lohnzurückhaltung“ dann wieder steigen, bleibt der systemgemäße Vorrang des Gewinns vor dem Lebensunterhalt der Arbeitskräfte anerkannt und lange außerhalb jeder Kritik. Irgendwann einmal aber sollte dann doch irgendeine materielle Anerkennung für die nachrangigen Mitglieder der Schicksalsgemeinschaft drin sein. Auf Dauer explodierende Gewinne und immer weiter sinkende Löhne: Diese Kombination passt nicht gut zu dem Bild, das sich die Lohnabhängigen von der Sozialpartnerschaft machen und machen sollen. Ihre Unterordnung unter den Gang der Geschäfte dürfen und sollen sich die Arbeitnehmer nicht nur negativ vorstellen, als eine schicksalhafte Bedrohung ihrer gesamten Lebensverhältnisse, sondern auch als eine positive Verknüpfung, durch die auch ihr Wohlergehen im Erfolg des Ganzen mit aufgehoben ist. Die Opfer, die ihnen in schlechten Zeiten abgepresst werden, sollen die Belegschaften sich mit der Erwartung versüßen, dass sie in guten Zeiten auch am allgemeinen Wohlstand beteiligt werden. Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es auch den Menschen gut – für eine Enttäuschung, die auf Basis dieser Lebenslüge der Marktwirtschaft erwächst, haben treusorgende Landesväter und -mütter sogar ein gewisses Maß an Verständnis.

3.

Die Politik beschließt, dass es jetzt an der Zeit ist, etwas gegen die schlechte Stimmung im Land zu unternehmen. Sie gibt dem Unmut der Lohnabhängigen öffentlich Recht – und hat damit schon den ersten Schritt zur Entschärfung des „Sprengsatzes“ getan. Darüber hinaus signalisiert sie den Tarifparteien, dass in der nächsten Tarifrunde für die Arbeitnehmer ein wenig mehr drin sein muss, damit sie sehen, dass der Lohnverzicht der letzten Jahre sich auch lohnt. Dabei behalten verantwortliche Politiker von Anfang an im Auge, dass – auch wenn die Kombination von hohen Gewinnen und niedrigen Löhnen nicht zu dem Bild passt, das die Bevölkerung sich von der sozialen Marktwirtschaft machen soll – die beiden Größen in der Sache ganz hervorragend zusammenpassen. Deshalb haben sie auch ein offenes Ohr für die Sorgen der Unternehmerschaft, die sofort warnt, dass überzogene Lohnforderungen die aktuell bessere konjunkturelle Entwicklung gefährden oder sogar beenden könnten (Arbeitgeberpräsident Hundt, SZ, 5.12.). Dezent weisen die Arbeitgeber darauf hin, dass man den Zusammenhang zwischen Lohnerhöhungen und Entlassungen – den sie tatkräftig herstellen –immer im Auge behalten muss, und erinnern daran, dass der schönste Lohn für den Lohnverzicht ja wohl darin besteht, dass sich die Arbeit wieder lohnt. Jedenfalls für sie selbst – sie nehmen wieder Neueinstellungen vor und lassen sich dafür als die Vollbringer eines kleinen Wirtschaftswunders feiern. Darf man das alles aufs Spiel setzen? Frech machen die Kapitalisten also darauf aufmerksam, dass es sich ihre Belegschaften überhaupt nicht leisten können, von einer wirtschaftlichen Entwicklung profitieren zu wollen, die nur auf ihre Kosten zustande gekommen ist und nur auf ihre Kosten aufrechterhalten wird.

Dieser Hinweis ist so alt wie der Kapitalismus. Darüber hinaus kennen die Regierungsparteien auch ein aktuelles Argument dafür, warum die Beschäftigten die Sache mit dem sozialen Ausgleich auf keinen Fall missverstehen dürfen:

Die CDU bekennt sich zur Sozialen Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft. Das heißt auch, dass die Arbeitnehmer einen fairen Anteil am Volkseinkommen erhalten müssen. Doch gerade der internationale Wettbewerb macht zur Sicherung von Arbeitsplätzen Standortvereinbarungen, betriebliche Bündnisse und Zugeständnisse der Beschäftigten in der Nominallohnpolitik notwendig. (CDU-Parteitag)

Unsere Wirtschaft steht in einem internationalen Wettbewerb – das sagt ja wohl alles! Für eine christliche Volkspartei ist es eben selbstverständlich, dass die wachsende Verarmung der Bevölkerung, die sie herbeiregiert, allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Sorge um den nationalen Gemeinschaftsgeist kritisiert werden könnte – und diese Kritik ist durch den Hinweis auf den internationalen Wettbewerb tatsächlich entwaffnet: Wenn die Niedriglohnpolitik für die Selbstbehauptung des nationalen Kollektivs unabdingbar ist, dann ist die Auseinanderentwicklung der Löhne und Gewinne keine Entzweiung der nationalen Schicksalsgemeinschaft, sondern ein Akt der nationalen Solidarität. Wo die Konzerne sich weltweit Marktanteile und Gewinne streitig machen, da ist es für die Belegschaften nicht nur die erste Arbeiter-, sondern auch die erste Bürgerpflicht, sich den Konkurrenzmanövern ihrer Arbeitgeber durch betriebliche Bündnisse und Zugeständnisse in der Nominallohnpolitik unterzuordnen.

Damit ist die Generallinie klar: Die Niedriglöhne sind und bleiben die Basis des Aufschwungs; die Auseinanderentwicklung von Kapital und Einkommen ist nicht nur eine gegebene Tatsache, sondern auch künftig ein Trend, auf den die Beschäftigten sich gefälligst einzustellen haben. Das Bekenntnis der Regierungspartei zum sozialen Ausgleich ist nicht der Auftakt zur Korrektur der beklagten Lage, sondern umgekehrt die Klarstellung, dass alle Gerechtigkeitstitel gegen diese kein Einwand sind.

*

Ein fairer Anteil der Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg muss dennoch sein. Die Kanzlerin – in der alten DDR dialektisch geschult – möchte, dass die Arbeitnehmer von der Auseinanderentwicklung der Einkommen und Gewinne stärker profitieren (Focus, 4.12.). CSU-Chef Stoiber sucht nach einem Ansatz für Gerechtigkeit in der Globalisierung (Die Welt, 6.12.), die Lohnerhöhung ja eigentlich überhaupt nicht erlaubt, und stellt damit klar, wie diese Gerechtigkeit auszusehen hat. Jeder Gedanke an eine Teilhabe der Beschäftigten am Erwirtschafteten muss sich darauf überprüfen lassen, ob sie auch auf wettbewerbsverträgliche Weise gewährleistet ist (CDU-Parteitag), also die Gewinnrechnung der Unternehmer fördert oder sie – und das ist das Wenigste – jedenfalls nicht belastet. Unter der Parole: den sozialen Ausgleich ermöglichen basteln die Regierungsparteien an dem Kunststück einer Lohnkonzession, die den Wettbewerbsbedürfnissen der Unternehmen garantiert nicht schadet, eingedenk dessen, dass Zugeständnisse noch allemal schaden.

4.

In diesem Geist bereiten dann auch die Organe der Öffentlichkeit die kommende Tarifrunde vor. Noch ehe die Gewerkschaft Gelegenheit hat, ihre Forderungen aufzustellen, macht sich schon eine wohlwollende Presse zum Fürsprecher der Beschäftigten: Wann aber, fragen sich immer mehr Arbeitnehmer, sind wir dran, an diesem Boom gebührlich teilzuhaben?. Mit dieser Bekundung von Verständnis reklamiert die SZ die Zuständigkeit, um nach ihrem Motto: Mehr Geld – aber wie, (SZ, 22.12.) und Mehr Geld – aber nicht für alle, (SZ, 30.1.) festzulegen, was in dieser Tarifrunde „geht“ und was zu unterbleiben hat:

Nichts wäre schlimmer als Lohnerhöhungen auf breiter Front. Selbst eine vor Glück taumelnde Branche wie der Stahl wird dem nächsten Abschwung nicht entkommen und darf sich deshalb keine unwiderruflichen zusätzlichen Belastungen ans Bein binden. Nichts spricht andererseits dagegen (und alles dafür), Arbeitnehmer über weiterhin maßvolle Tarifanpassungen hinaus in Form von Einmalzahlungen und Gewinnbeteiligungen an der guten Ertragslage teilhaben zu lassen. Nur diese Methode bietet beim nächsten Abschwung einen gewissen Puffer, bevor Stellenabbau und Entlassungen nötig werden. (SZ, 22.12.)

Der Leitartikel thematisiert den Versuch der Arbeitnehmer, den Angriffen auf den Lohn entgegenzutreten, die die Arbeitgeber seit der letzten Tarifrunde geführt haben: Durch das Streichen übertariflicher Zulagen und durch Abgruppierungen, die nicht zuletzt ein neuer Entgeltrahmentarif ermöglicht hat, haben sie die Löhne in einem weit stärkeren Umfang gesenkt, als der Blick auf die ohnehin bescheidenen Tarifabschlüsse verrät. Auf der anderen Seite haben die Unternehmer nicht nur die Produktivität, sondern auch die Intensität der Arbeit erhöht und zudem in zahlreichen Betrieben die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängert. Den Versuch, durch Lohnerhöhung wenigstens einen Teil der bereits eingetretenen Schäden auszugleichen, stellt der Leitartikel unter den imposanten Titel einer Teilhabe an der guten Ertragslage, ignoriert also zunächst den Gegensatz der Beschäftigten zu dem aus ihnen herausgeholten Reichtum, um diesen Gegensatz in verwandelter Form – als Liste der Bedingungen, unter denen das schöne Recht auf Teilhaberschaft nur gewährt werden kann – wieder einzuführen. Mit der Kombination von verlogenem Idealismus und sachkundigem Realismus weist der SZ-Autor die Forderung der Gewerkschaft nach Kompensation bisheriger Lohnverluste in Bausch und Bogen zurück. Mehr Lohn: Das gibt es nur für die Beschäftigten in ausgewählten Branchen und Betrieben. Und auch da sollen die Arbeitnehmer bei dem Aufstellen ihrer Forderungen gleich an den nächsten Abschwung denken und das ausgerechnet für ein Argument halten, auch den Aufschwung als eine Gelegenheit zur Korrektur der eingetretenen Verschlechterungen zu verpassen. An Stelle von prozentualen Lohnzuwächsen sollen sie sich mit einer Einmalzahlung abspeisen lassen, die – angesichts der bleibenden Steigerung der Arbeitsleistung und der anhaltenden Verringerung der Kaufkraft durch Inflation – die stattgefundene Lohnsenkung als Regel festschreibt; von der es nur eine einmalige Ausnahme geben soll und dies auch nur dann, wenn eine ungewöhnlich gute Ertragslage des Unternehmens es problemlos zulässt.

Mehr Lohn, aber richtig: Das ist Lohn in Form einer Gewinnbeteiligung, die – gleichgültig gegen jedes Interesse der Beschäftigten an einem Lohn, der zum Leben reicht – allein das Interesse der Arbeitgeber zur Richtschnur der Bezahlung macht. Einerseits ist das schon immer der Fall: Die traditionellen Formen der Bezahlung nach Arbeitsleistung – Akkord, Zeitlohn, Prämien – stellen ein Gewinn versprechendes Verhältnis von Lohn und Leistung sicher, indem sie jeden Euro Lohn von dem Ausmaß abhängig machen, in dem die Arbeit nach den Leistungsvorgaben der Firma verrichtet wird; diese Weise der Bezahlung nötigt dem Arbeiter das Interesse auf, möglichst lang und intensiv zu arbeiten. Die Gewinnbeteiligung setzt noch eins drauf: Sie bezahlt auch die bereits geleistete Arbeit nur nach der Maßgabe, dass die produzierte Ware sich auch tatsächlich auf dem Markt bewährt. In dieser Form ist der Arbeitslohn garantiert wettbewerbsverträglich: Die Unternehmer bestreiten sich auf dem Markt wechselseitig den Nutzen aus der von ihnen kommandierten Arbeit – und machen den Lohn ihrer Belegschaften für den Ausgang ihrer Konkurrenzaffären haftbar. Aus der Perspektive der Freiheit, Lohn als konjunkturabhängige Gewinnbeteiligung zahlen zu können, erscheinen die herkömmlichen Formen des Leistungslohns schon wieder wie eine Belastung der Gewinnrechnung mit unflexiblen Kosten, die ein Unternehmer sich auf keinen Fall ans Bein binden lassen sollte. Wenn die Unternehmer ihre Beschäftigten schon nicht an dem kapitalistischen Reichtum beteiligen: An den Risiken, die aus dieser irrationalen Form der Reichtumsproduktion entstehen, beteiligen sie diese gerne und reichlich.

*

In diesem Sinn haben die Metallarbeitgeber längst gehandelt. In der Lohnrunde 2006 haben sie neben einer dreiprozentigen Lohnerhöhung eine Einmalzahlung von 310 Euro vereinbart, die je nach wirtschaftlicher Lage des einzelnen Unternehmens per Betriebsvereinbarung verdoppelt oder auch gekürzt oder gestrichen werden konnte. Jetzt kämpfen sie darum, diesen Lohnbestandteil auszubauen und an die Stelle einer prozentualen Anhebung des Lohns zu setzen: Unsere einzige Forderung für die Tarifrunde ist die Fortsetzung der gewinnorientierten Lohnpolitik. Sonst verlangt Gesamtmetallpräsident Kannegiesser (Handelsblatt, 8.12.) nichts! Nur eben, dass seine Verbandsfirmen immer größere Teile der Lohnsumme nach Einschätzung ihrer Konkurrenzlage festsetzen können.

5.

Noch besser als eine Lohnerhöhung in Form einer stets widerruflichen Einmalzahlung ist eine Lohnerhöhung, die den Unternehmer überhaupt nichts kostet. Wie das geht, erklärt uns SPD-Chef Beck, und zwar auf Antrag von Bild so, dass wir alle es verstehen:

Beim Investivlohn geht es darum, die Spielräume, die in der Wirtschaft für Einkommensverbesserungen zur Verfügung stehen, zu erweitern. Das funktioniert dann, wenn ein Teil dessen, was die Beschäftigten erhalten, im Unternehmen verbleibt. Einigen Unternehmen wird es im kommenden Jahr wahrscheinlich nicht möglich sein, über zwei Prozent Lohnsteigerung hinauszugehen. Ein zusätzlicher Prozentpunkt wäre aber unter Umständen möglich, wenn er als Kapital im Betrieb verbleiben würde. Dieses Geld wirkt dann wie Eigenkapital, wie erhöhte Liquidität. Genutzt werden kann der Kapitalstock, den man sich dann über 20 oder 30 Jahre anspart, im Alter. Dann dient er zur Absicherung des Lebensstandards oder man lässt ihn im Unternehmen und kann ihn vererben (Beck, BamS, 3.12.).

Zusammengenommen wäre das schon einmal eine Lohnerhöhung von sage und schreibe 3 %. Also in etwa so viel, wie der Staat durch die laufende Mehrwertsteuererhöhung den Leuten gleich wieder wegnimmt. Soviel Gerechtigkeit wäre unter Umständen tatsächlich möglich – wenn die Unternehmer die Lohnerhöhung nicht auszahlen müssen. Der Investivlohn, dieser Klassiker der sozialen Marktwirtschaft, ist geeignet, die Forderung nach sozialer Teilhabe mit dem Gebot marktwirtschaftlicher Vernunft zu versöhnen. Er beteiligt die Arbeitnehmer an der wirtschaftlichen Entwicklung und schützt das Erwirtschaftete zugleich davor, in höchst zweckwidriger Weise von den Produzenten verkonsumiert zu werden. Die Arbeiter bekommen einen gerechten Anteil am Kuchen – unter der Voraussetzung, dass sie darauf verzichten, ihn zu essen. Anders ausgedrückt: Die Arbeitnehmer bekommen ein Entgelt, das die Firma behält. Ihr Lohn wirkt im Unternehmen als Kapital, investiert, um noch mehr Kapital zu werden. Sie bekommen dafür einen Eigentumstitel, von dem noch näher festzulegen ist, wann und in welchem Umfang sie darüber verfügen können. Ob er dann noch etwas wert ist und wie viel, das werden die Arbeitnehmer dann schon sehen.

Die frohe Botschaft, dass der Investivlohn die Arbeitnehmer in gleicher Weise wie das Management am Erfolg des Unternehmens beteiligt (Presseclub, 4.2.), ignoriert einen kleinen Unterschied in der Höhe der Bezahlung wie der Boni. Bei Managern deckt schon das Grundgehalt die Unkosten auch einer anspruchsvollen Lebensführung; die zusätzliche Zuteilung von Aktienpaketen in Millionenhöhe macht sie tatsächlich zu Teilhabern am Erfolg ihres Unternehmens und zu Nutznießern der Ausbeutung, die sie organisieren. Bei den einfachen Bediensteten des Kapitals ist der Investivlohn hingegen ein Abzug von einem Gehalt, das schon zum normalen Lebensunterhalt immer weniger reicht. Ausgerechnet wegen der Auseinanderentwicklung der Löhne und Gewinne sollen die Arbeiter ihre Kapitalisten auch noch kreditieren und ihnen die Freiheit einräumen, sie an Stelle eines „Barlohns“ mit fiktivem Kapital abzufinden.

Wenn die Arbeitnehmer dann die Erlaubnis haben, ihre angesammelten Rechtstitel zu versilbern – so etwa in 20 oder 30 Jahren –, dann weiß SPD-Chef Beck für das Geld schon einen prima Verwendungszweck: Es dient der Absicherung des Lebensstandards im Alter. Das werden die Arbeitnehmer dann wegen der Reformwut der Regierung („Rente mit 67“) auch bitter nötig haben.

*

Über eine mangelnde öffentliche Anteilnahme an ihrer miesen Lage brauchen die Arbeitnehmer sich nicht zu beklagen. Dass die Reallöhne seit über einem Jahrzehnt sinken, das ist der Presse manche Schlagzeile wert. Dass immer mehr Beschäftigte von ihrem Lohn nicht mehr leben können, das wird allgemein registriert und bedauert. Dass die Beschäftigten angesichts der sich öffnenden Einkommensschere in ihrem Gerechtigkeitsempfinden verletzt sein müssen, das wird ihnen in Talkshows, Leitartikeln und politischen Communiques vorbehaltlos zugestanden. Nichts wird an der Lage der arbeitenden Klasse beschönigt, alle Rechtstitel auf Beteiligung am gesellschaftlichen Reichtum sind und bleiben in Kraft, jede Unzufriedenheit der Beschäftigten wird anerkannt und aufgegriffen – und das alles nur, um für jede Zumutung des Kapitals tonnenweise Verständnis abzuladen und nach der sorgfältigen Überprüfung aller Umstände und Möglichkeiten zu dem immergleichen Ergebnis zu gelangen: Das alles ist nötig. Im Interesse von Wachstum und Wirtschaftsmacht kann das Land auf die fortschreitende Verarmung der Lohnabhängigen einfach nicht verzichten. Kann man ihnen das nicht auch einfacher sagen?