Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Benzinpreis-Protest, die Legende vom Steuern durch Steuern und ein demokratisches Nachspiel:
Noch ein „Aufstand der Anständigen“

Der Kampf von Bauern, Fischern und Lastwagenfahrern gegen die Treibstoffpreise könnte leicht „eine postindustrielle Volkswirtschaft“ an den Rand des Kollaps bringen. Doch der erboste Aufstand entpuppt sich rasch als Hilferuf an den Staat, der an ihrem Protest eh nur gelten lässt, was sich ganz nationalistisch gegen die auswärtige Konkurrenz und deren Subventionen an ihre Spediteure richtet. Die Opposition vereinnahmt den Protest, um sich als die geschickteren Steuerabzocker zu präsentieren, doch der Kanzler zeigt Stärke und der Protest ist vom Tisch.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Der Benzinpreis-Protest, die Legende vom Steuern durch Steuern und ein demokratisches Nachspiel:
Noch ein „Aufstand der Anständigen“

Am Anfang sieht der Kampf der Bauern, Fischer und Lastwagenfahrer gegen die Treibstoffpreise aus wie ein richtiger Aufstand. Überall in Europa blockieren sie Häfen, Raffinerien und Autobahnen und führen dabei vor, wie leicht eine „postindustrielle Volkswirtschaft“ an den Rand des Kollaps zu bringen ist, wenn sich nur Leute finden, die das wollen. Mit dem Verkehrs-Infarkt wollen die Blockierer ihre Regierungen dazu erpressen, Abhilfe gegen Treibstoffpreise zu schaffen, die ihnen „an die Existenz gehen“. Der Staat, der mit seinen Abgaben nicht wenig zum Benzinpreis beiträgt, soll Steuerverzicht üben, damit die notleidenden Berufsstände nicht am Benzin- und Dieselpreis zugrunde gehen.

I.

Mit derlei Klagen erteilen die protestierenden Kleingewerbetreibenden eine vernichtende Auskunft über ihre Berufe: Wenn eine Benzinpreiserhöhung, wahlweise die paar Pfennige Ökosteuer pro Liter, für sie den Unterschied von Leben-Können und Ruin bedeuten, dann geben sie zu, dass sie ohnehin nichts verdienen, sondern sich durch Selbstausbeutung gerade so über Wasser halten. Offenbar gelingt ihnen die notwendige Erhöhung ihrer Verkaufspreise nicht, mit der sich sonst jeder Geschäftsmann vom Kunden gestiegene Kosten ersetzen lässt, zumal wenn diese Kosten die Konkurrenten einer Branche gleichermaßen treffen. Bei den Bauern ist das längst offiziell; die Agenda 2000 der EU senkt die Interventionspreise für landwirtschaftliche Produkte; minderproduktive Höfe sollen und werden daran scheitern und ausscheiden. Die LKW-Fahrer schließen in ihre Klage über Preise und Steuern gleich die Mitteilung ein, dass es in Europa zu viele von ihnen gibt, sie sich einen Dumpingwettbewerb liefern und bei steigenden Kosten mit sinkenden Frachtraten zurechtkommen müssen. Das traurige Sittenbild, mit dem dieser Berufsstand um Verständnis für seine schwierige Lage wirbt, ist ein Dokument des Wahnsinns, der in den Zeiten von „Just-in-time“ im Fuhrgewerbe herrscht. Fahrer, die schäbig verdienen, müssen immer abrufbar auf Fuhren warten, unglaublich kurze Transportzeiten anbieten, um überhaupt Aufträge an Land zu ziehen, und dann ohne Rücksicht auf sich selbst und auf gesetzliche Zeitbeschränkungen rund um die Uhr hinterm Steuer sitzen. Dass sie ihr Leben auf der Autobahn verplempern, dass die meisten von ihnen mit 35 nervlich und gesundheitlich fertig sind, dass die Unfälle mit übernächtigten LKW-Lenkern zunehmen, alles das ist die Normalität dieser Branche, mit der die Öffentlichkeit im Zuge der Proteste vertraut gemacht wird.

Die Zustände in ihrer Branche prangern die „Kapitäne der Landstraße“ an; nicht jedoch in der Absicht, damit Schluss zu machen und eine solche Art von Broterwerb abzuschaffen, sondern in Sorge darum, dass sie in ihrem schönen Beruf keine Zukunft haben könnten. Der Protest dokumentiert auf militante Weise ihren kreuzbraven Willen, die Konkurrenz, die sie nicht aushalten, fortzusetzen und zu bestehen. Lohnarbeiter im LKW-Führerstand kämpfen um ihre Arbeitsplätze, indem sie günstige Treibstoffkosten für ihre Arbeitgeber fordern, damit deren Gewinnrechnung aufgeht. Die in der Branche überwiegenden Kleinunternehmer und Scheinselbständigen, die mit und ohne eigenen LKW für die großen Speditionen – heute: Logistikunternehmen – Fuhren abwickeln und für lohn-ähnliche Entgelte das ganze Risiko tragen, verteidigen ihre Selbständigkeit. Mit der vorbildlichen Bereitschaft zum aussichtslosen Kampf ums Einkommen legen sie Ehre ein und ernten Respekt. Ihre Not repräsentiert eben ein allgemeineres Problem des kleinen Mittelstands, der an der Konkurrenz leidet, die er gewinnen will – und für die er sich vom Staat stets zu wenig unterstützt sieht. Der erboste Aufstand gegen den räuberischen Steuerstaat entpuppt sich als Hilferuf an genau diesen Staat; näher an den jeweiligen europäischen Nationalstaat, er möge seinem nationalen Transportgewerbe durch Steuerbefreiung beim Konkurrieren helfen.

II.

Die deutsche Regierung würdigt eine solche Haltung durchaus und kann gut unterscheiden, ob Autonome eine Autobahn blockieren oder ein ehrenwerter Berufsstand in Sorge um seine berufliche Existenz dasselbe tut. Der Protest kann sich Regelverletzungen leisten und dafür auch noch Verständnis erwarten, weil er mit einem Anliegen des Staates konform geht: Der legt Wert auf einen breiten Mittelstand, der Geld verdient und die Konkurrenz gegen ausländische Mitbewerber gewinnt – schließlich ist er an diesem Erwerb mit seinen Steuern beteiligt und schätzt dessen Erfolg wegen des eigenen. Andererseits ist es eben dieses Staatsinteresse, das dem Verständnis für notleidende Berufe auch Grenzen setzt. Immerhin will der Fiskus von Umsätzen und Gewinnen der Wirtschaft zehren und nicht das, was er davon abzweigt, opfern, damit eine aus eigener Kraft offensichtlich gar nicht überlebensfähige Branche fortbesteht. Die Forderung nach Subventionierung ihres Energieverbrauchs offenbart für ihn eine mangelhafte Produktivität und Ertragskraft dieser Sphäre; wenn in der einige auf der Strecke zu bleiben drohen, so sind das für ihn „Überkapazitäten“, die eine nötige „Gesundschrumpfung“ nahelegen. Im Zeitalter der Globalisierung lautet die Devise: Gewerbe, die Unterstützung brauchen, verdienen sie nicht! Es sei denn, es handelte sich um „Zukunftsindustrien“, die vom Staat erst noch zur Marktreife gebracht werden müssen.

Das heißt nicht, dass die Regierung ihre Spediteure ganz zurückweist. Deren Forderung nach Senkung der Treibstoffpreise weist sie zwar schon zurück, soweit sie aber heraushört, dass sich da Nationalisten zu Wort melden, die über unfaire auswärtige Konkurrenz klagen, gibt sie dem Protest Recht und leiht ihm ihre Macht. Wenn deutsche Gewerbe schon durch Konkurrenzerfolge zu beweisen haben, dass sie ihre Existenz verdienen, dann hat die Regierung auch die Pflicht, mit ihrem außenpolitischen Einfluss für korrekte, besser noch: für die Nation vorteilhafte internationale Konkurrenzbedingungen zu sorgen. Auch sie sieht also einen protestwürdigen Skandal, und der besteht gleich gar nicht im hohen Benzinpreis, sondern in den Kompensationen, die andere europäische Regierungen ihren Spediteuren angesichts dieses Preises gewähren. Also protestiert Deutschland dagegen, dass in Frankreich mit einem Teil der Mehreinnahmen, die der steigende Ölpreis über die Umsatzsteuer in die Staatskasse spült, besonders betroffene Berufsstände unterstützt werden. In Berlin kann man in dieser sozial- und wirtschaftspolitischen Schadensbegrenzung nichts als eine unerlaubte Subvention erkennen, die den Binnenmarkt verzerrt. Die deutsche Regierung mag nicht dulden, dass der Partner seinen Beitrag zur Gesundschrumpfung des europäischen Transportgewerbes verweigert und von deutscher Härte auf diesem Feld womöglich noch profitiert. Jetzt braucht Europa eine Harmonisierung der Mineralölsteuer, damit die viel zu vielen nationalen Lastwagenkutscher an gleichen, also gerechten Bedingungen scheitern, und nicht deutsche Spediteure an französischen Subventionen.

Ansonsten fällt der Regierung gegen ausländische Konkurrenz im Prinzip genau das ein, was sie den Franzosen zum Vorwurf macht. Auf lange Sicht plant sie eine kilometerabhängige Autobahnmaut für LKW, die von einheimischen wie ausländischen Spediteuren gleichermaßen kassiert werden soll. Weil den deutschen dafür aber die aufs Fahrzeug bezogene KFZ-Steuer erlassen wird, sinken deren Kosten relativ zu denen nichtdeutscher Konkurrenten. Kurzfristig entdeckt die Regierung den Gebrauchswert der nationalen Verkehrssicherheits- und Gesundheitsschutzvorschriften – gesetzliche Ruhezeiten, Zustand der Fahrzeuge etc. – für die Diskriminierung ausländischer Fahrer. Die Polizei soll vermehrt Straßenkontrollen durchführen und damit den Vorteil schmälern, den die Beschäftigung von unterbezahlten Bulgaren ihren Auftraggebern verspricht. Denn dass Verstöße entdeckt werden, sobald kontrolliert wird, versteht sich in diesem Gewerbe von selbst. Auch Brüssel hilft mit; dort arbeitet man an einem europäischen LKW-Führerschein, der geeignet sein wird, einen ganzen Schwung von Wagenlenkern aus Osteuropa fernzuhalten.

III.

Mehr Verständnis für ihre Existenzsorgen können die Fernfahrer allerdings nicht erwarten. Gegenüber der Forderung nach Senkung der Benzinsteuer muss die Regierung leider hart bleiben. Das richtet sich gar nicht gegen die Spediteure, sondern geschieht einzig aus Verantwortung gegenüber dem Treibhauseffekt, dem Klimawandel und dem Schmelzen der Gletscher. Die regierenden Ökologen erläutern den dringenden Bedarf nach einer verkehrspolitischen Wende, indem sie ein nicht weniger realistisches Bild vom Wahnsinn auf deutschen Straßen zeichnen, wie es die Trucker über ihren Beruf getan haben. Denen teilen sie damit natürlich schon mit, dass sie eine ausgemachte ökologische Katastrophe sind. Denn das freie Gewinnemachen auf dem Transportsektor hat zu unhaltbaren Zuständen geführt. Der Verkehr wächst ohne Ende: Krabben werden von Cuxhaven nach Marokko und wieder zum Hamburger Fischmarkt zurück kutschiert, weil sie in Nordafrika so überaus billig geschält werden; durch den Grenzübertritt von einem Mitgliedsland zum anderen lassen sich EU-Subventionen erwirtschaften, und Käse wird von Bayern nach Frankreich und zurück gefahren, weil dort gestempelter „französischer Käse“ höhere Preise erzielt. Diese Unvernunft, deren guter ökonomischer Sinn auch der Regierung nicht unbekannt sein dürfte, bewirkt umso mehr ökologische und ökonomische Schäden, als der Anteil des Straßentransports am gesamten Verkehrsaufkommen immerzu steigt und alle Bemühungen, ihn zugunsten von Schiene und Binnenschifffahrt zurückzudrängen, durch seine konkurrenzlose Billigkeit fruchtlos macht. Laster verstopfen die Straßen, verursachen Schäden an den Fahrbahnen und führen zu Unfällen; das alles bewirkt eine wachsende Zahl und Länge von Staus, in denen dann wieder Milliarden Liter Treibstoff und Millionen Arbeitsstunden verschwendet werden. Der Umweltminister rechnet vor, wie viel Tonnen Kohlendioxid allein der stehende Verkehr in die Luft bläst. Wegen der stetigen Verlagerung von Verkehr auf die Straße reichen die Kapazitäten des Autobahnnetzes längst nicht mehr aus. Mehr und bessere Straßen produzieren nur mehr Verkehr, so dass auch der gezielte Nicht-Ausbau, also die politische Produktion von Staus schon als Instrument der Verkehrspolitik ausprobiert worden ist. Das kann so nicht weitergehen!

Und was fällt der Bundesregierung als Heilmittel gegen den Zustand ein, den sie ebenso absurd wie schädlich findet? Sie erhöht ihre Steuern auf Benzin und andere Arten von Energie. Das, meint sie, sei ein gegenüber dem rohen Verbot eleganteres, nämlich marktwirtschaftskonformes Instrument der Staatsgewalt zur Verhaltenssteuerung der Bürger. Mit der Verteuerung des Treibstoffs setzt sie „ökonomische Anreize“ zur Verkehrsvermeidung und zum Energiesparen, ohne irgendetwas von dem, was sie für korrekturbedürftig hält, zu unterbinden oder auch nur zu bremsen. Alles kann weitergehen, es kostet nur etwas mehr. Die Gründe des ewig wachsenden Verkehrsaufkommens werden ebenso wenig angetastet wie die Angewiesenheit einer Berufsgruppe auf die für sie unergiebige und für andere schädliche Einkommensquelle. Die Regierung belässt alles, wie es ist, hält sich an die Träger der inkriminierten Funktion und kassiert sie ab. Bei einem Verkehrsmittel, auf das LKW- und Taxifahrer als Produktionsmittel angewiesen sind und auf das auch der Rest des Volkes dank der Verkehrspolitik aller Bundesregierungen seit ’45 nicht verzichten kann, ist die Wirkung des Korrekturinstruments ‚Steuern‘ eindeutig: Das Autofahren kostet mehr – und wenn darüber tatsächlich einige LKW-Unternehmer aufgeben müssen, dann freut das vielleicht ihre Konkurrenten, aber die Autobahn wird davon bestimmt nicht leerer. Die einzige „Lenkungswirkung“, wenn man von so etwas überhaupt sprechen will, ist das, was jetzt den Aufruhr verursacht: Der Ruin von Existenzen.

Das „ökologische Umsteuern“ reduziert sich auf eine verlogene Legitimation für eine weitere Sorte staatlicher Geldbeschaffung. Die ganze Wende in der Verkehrspolitik besteht darin, dass der Staatshaushalt noch mehr als bisher zum Nutznießer der beklagten Unvernunft des Straßenverkehrs wird. Diese Beschädigung des Gemeinwohls will der Staat weder unterbinden noch in vernünftigere Bahnen lenken, er zwingt ihr einfach eine andere Art von Gemeinnützigkeit auf, dann geht sie für ihn in Ordnung und kann weitergehen. Dem Streit, den der Kanzler mit den Ölkonzernen angezettelt hat, ist ein kleiner Hinweis darauf zu entnehmen, was für eine besonders schöne Finanzquelle der Benzinverbrauch für den Staat ist. Mit umgekehrtem Vorzeichen erinnert Schröders Gerede vom so oder so ausgefüllten Verteuerungs-Spielraum nämlich an den Anfang und die bleibende Grundlage der Mineralölsteuer. Er lehnt die Aussetzung der Ökosteuer mit dem netten Argument ab, ein Verzicht des Staates würde den Verbrauchern ohnehin nichts bringen, weil die Ölgesellschaften den so geschaffenen Spielraum sofort zu Preiserhöhungen nutzen würden. In Bezug auf die Ölfirmen kann das kaum die Wahrheit sein. Wenn deren Freiheit, den Preis festzusetzen, so grenzenlos ist, dann werden sie nicht auf einen Freiraum warten müssen, den ihnen die Regierung mit einer Steuersenkung schafft. Für den Staat sieht die Sache anders aus: Mineralöl ist im Vergleich zu allen anderen Energieträgern so billig, dass sein Preis dem Staat eine enorme Freiheit eröffnet, ihn per Steuern zu verteuern, ohne gleich national erwünschte Mobilität, Verkehrsleistung, Raumheizung etc. zu unterbinden.

Nichts soll unterbleiben, noch nicht einmal die tägliche Brummi-Parade; schließlich braucht der Staat das Geld, das der Energieverbrauch einspielt, für gute Werke. Er will die Arbeit verbilligen – für das Kapital –, und das muss denjenigen, die die neue Steuer zu bezahlen haben, den arbeitnehmenden Autofahrern wie dem Transportgewerbe, ja wohl eine Freude sein. Zumal das in der Parole „Arbeit verbilligen!“ steckende Reformprogramm mit der Ökosteuer noch lange nicht erledigt ist.

IV.

Der Protest ist populär. Die Bürger schimpfen einmal nicht auf das Chaos auf den Straßen, das die Fernfahrer wochenlang an wechselnden europäischen Schauplätzen erzeugen, sondern auf Benzinpreis, Ökosteuer und Regierung. Jeder bekommt schließlich die steigenden Energiepreise zu spüren. Jeder weiß, wie sehr der Fiskus dabei zulangt, und jeder merkt, dass er diesem Zugriff nicht ausweichen kann. Man ist nun einmal auf das Auto angewiesen – zumal Umsteigen nichts bringt, solange das konkurrierende Verkehrsmittel Bahn zusammen mit den Autokosten teurer wird. Die Trucker und ihre Verbündeten dürfen sich also kurzfristig als Speerspitze eines breiteren Protests missverstehen und versuchen, das ihnen ausnahmsweise günstige öffentliche Klima für ihr Anliegen zu nutzen – sie machen ja nicht zum ersten Mal auf ihre Nöte aufmerksam, haben damit aber bisher kein Gehör gefunden.

Da sind sie an die Richtigen geraten, nämlich an die parlamentarische Opposition. Die hätte ihren Beruf verfehlt, wenn sie eine so schöne Gelegenheit ausließe, den Unmut des Volkes gegen die Regierung zu schüren und in der Publikumsgunst Boden gut zu machen. Sie gibt den Lastwagenfahrern und Bauern voll recht, und deren Protesten die korrekte Stoßrichtung. Sie unterstützt deren Klagen über die unerträgliche Steuerbelastung und bestärkt sie darin, die ungerechte Überbelastung ausschließlich auf die Ökosteuer zu beziehen, die nur die jetzige Regierung zu verantworten habe. Diese ganz allein sei unerträglich, unvernünftig und unnötig, während alle anderen Bestandteile der Mineralölsteuer, die die Opposition in ihrer Regierungszeit ein ums andere Mal erhöhte, damit nicht vergleichbar seien und vor allen Dingen jetzt nicht zur Debatte stünden. Von allen Belastungen, denen das Speditionsgewerbe ausgesetzt ist, bleiben nur die zwei mal sechs Pfennige übrig, die auf das Konto der rot-grünen Regierung gehen, deswegen untragbar sind und jede Empörung rechtfertigen. Auf die Ökosteuer stürzen sich die Unionschristen, um an ihr als Unrecht zu entlarven, was bei jeder Steuer der Fall ist: „Reine Abzockerei“ zugunsten der Staatskasse. Den guten höheren Sinn der Abgabe, mit dem die Regierung wirbt, lassen sie nicht gelten. Ihr billigen sie das Gütesiegel einer echten Ökosteuer, die „der Umwelt zugute kommt“, nicht zu, weil die Regierung die größten Energieverbraucher aus der Wirtschaft von der Abgabe befreit habe. Derart kritische Aufklärung leisten Unionspolitiker, die selbstverständlich erst recht „Wirtschaftsfeindlichkeit“ und „Vernichtung von Arbeitsplätzen“ geschrieen hätten, wenn diese kapitalfreundliche Ausnahme nicht gemacht worden wäre. Außerdem verstehen sie es glänzend, die versprochene soziale Verwendung der neuen Steuereinnahmen gegen ihre „ökologische Lenkungswirkung“ auszuspielen: Wenn für die Rentenkasse ordentlich Geld aus der neuen Steuer zusammenkommen soll, darf die Senkung des Energieverbrauchs nicht eintreten, den sie angeblich anreizen soll. Ihre Werbestrategen streichen der Ökosteuer das „Ö“ und stellen schön plakativ das Unrecht der „k.o.-Steuer“ heraus, die Rot-Grün erfunden hat, um ehrenwerte Berufe zu ruinieren. Die furchtbar kreative Idee wird sogleich auf Transparente gedruckt, die den in Berlin demonstrierenden Truckern in die Hand gedrückt werden, damit ihr Protest auch zuverlässig in einen Vertrauenszuwachs für die Regierungsalternative im Wartestand mündet.

Wo es darum geht, schlechtes Regieren zu denunzieren, tun eben auch Wahrheiten über den Gegensatz von Staat und Volk einen guten Dienst; natürlich erst dann, wenn sie dahingehend präpariert werden, dass sie von einem Gegensatz nur zwischen dieser Regierung und dem Volk, bzw. zwischen der Regierung und ihrer Aufgabe, den Staat zu managen, künden. Die Opposition reitet auf diesem Unmut, den sie den Protesten abgelauscht hat, und diesen Belastungen, die die Regierung beschlossen hat, herum und klagt an, dass es genau dieses Zerwürfnis von oben und unten nur gibt, weil ungeschickte Amtsträger aus ideologischen Gründen Steuern erheben und dabei auch noch lügen. Wenn die Christen an der Macht die Steuern erhöhen – und jeder weiß, dass sie für den Fall eines Wahlsiegs ’98 Pläne für eine neue Energiesteuer im Köcher hatten –, dann exekutieren sie nur objektive Staatsnotwendigkeiten.

Die Regierung antwortet kongenial. Sie erinnert daran, dass sie mit der jüngsten Preiserhöhung beim Benzin, die die Proteste auslöste, gar nichts zu tun hat. Sie kann keinen Konflikt zwischen sich und den Benzinverbrauchern sehen, sondern sieht die Nation als ganze von Ölpreisen betroffen, die andere Staaten verlangen. Diesen entbietet sie keineswegs Dank dafür, dass sie der ökologisch sinnvollen Verteuerung der viel zu billigen Energie so wirkungsvoll nachgeholfen und die „Lenkungswirkung“ der neuen Steuer kräftig verstärkt haben. Nein, das Lenken durch Verteuern behält sich die deutsche Regierung selbst vor. Die Ölförderländer sind zuständig für die billige Anlieferung des Rohstoffs – und von ihren Eigenmächtigkeiten sieht die Regierung ihre Tatkraft und Durchsetzungsfähigkeit herausgefordert. Vom Prager Gipfel senden die mächtigsten Staaten der Weltwirtschaft eine Botschaft an die OPEC: Sie soll uns gefälligst „unser Öl“ nicht vorenthalten und mehr fördern, damit der Preis, von dem ihre Mitgliedstaaten leben, nicht so vorteilhaft für sie ausfällt. Angesichts ihrer Abhängigkeit vom Öl erinnern die G7-Staaten die Ölländer an deren Abhängigkeit vom Florieren „unserer“ Weltwirtschaft – eine Abhängigkeit, die umgekehrt so gar nicht gilt: Solange der Ölpreis sank und die Staatshaushalte der Ölstaaten ruinierte – noch vor 18 Monaten stand er bei etwa 10 Dollar –, war von einer gemeinsamen Betroffenheit der Weltwirtschaft keine Rede. Im Gegenteil: Die sinkenden Einkünfte der Ölländer wurden als „warmer Regen“ für die Konjunktur begrüßt. Gleichgültig, wie ungerecht die Schuldzuweisung an die Ölscheichs auch sein mag, sie bekommt praktisch recht. Denn die OPEC reagiert und verspricht, die Ölförderung kontinuierlich um eine halbe Million Barrel pro Tag zu erhöhen, bis der Rohölpreis wieder unter 28 Dollar sinkt. Damit ist Schröders Erkenntnis über die Ursache der unerträglichen Ölpreise so gut wie bewiesen.

Bis der Preis fürs Öl wieder sinkt, muss er allerdings bezahlt werden – und zwar ans Ausland. Niemand kann diese abfließenden Beträge im Inland „noch einmal umverteilen“, sie müssen solidarisch von allen getragen werden. Die klare Ablehnung der Aussetzung ihrer Ökosteuer ergänzt die Regierung mit ein paar sozialpolitischen Hilfen, die den echt Armen die solidarische Bewältigung der zusätzlichen Belastung erleichtern: ein einmaliger Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger und die Erhöhung der Kilometerpauschale für Berufspendler.

Schon diese bescheidenen Konzessionen feiert die Opposition wie eine Art Eingeständnis dessen, dass die „k.o.-Steuer“ ein politisches Waterloo für Schröder sei. Denn darum geht es, wenn demokratisch um die Alternative von verkehrtem Regierungshandeln und Staatsnotwendigkeit gestritten wird. Erst wenn die Regierung vor dem Protest einknickt und ihre „verfehlte Ökosteuer“ zurücknimmt, ist sie so richtig verfehlt. Dann nämlich geben die Regierenden selbst zu, dass es ohne sie geht, ihre Einführung also ein schwerer, aber doch typischer handwerklicher Fehler bei der Ausübung der Regierungsgeschäfte war. Die Opposition versucht, die Regierung zur Korrektur ihrer Fehler zu bewegen, weil die Korrektur selbst der größte Fehler ist: Sie enthält das Eingeständnis eines Fehlers und zeugt von einem Mangel an Standfestigkeit.

Die Proteste der Fernfahrer und die öffentliche Aufregung über den Benzinpreis flauen blitzschnell ab, sobald der Kanzler klarstellt: Wir lassen uns von der Straße nichts diktieren! Der Test auf die Schwäche der Regierung ist negativ entschieden – das Thema tot. National interessant sind Konkurrenznöte und Proteste von Bürgern nur so lange, wie die Opposition damit ihr Geschäft machen mag. Aufstände gehen eben doch anders.