Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Worum es in der Tarifauseinandersetzung im Einzelhandel geht: Ganz normale Ausbeutung

Im Einzelhandel tobt seit etlichen Monaten ein Arbeitskampf, von dem keiner so recht was merkt. Kurz einmal ist er in die Schlagzeilen gekommen im Zusammenhang mit der Frage, ob nicht das Weihnachtsgeschäft durch ihn gestört werden könnte. In diesem Zusammenhang hat man ein bisschen was über das Kräfteverhältnis erfahren, das diese Auseinandersetzung bestimmt: Die Arbeitgeber finden die Androhung der Gewerkschaft, das Weihnachtsgeschäft zu bestreiken, einfach lächerlich; man „bezweifelt, dass die Gewerkschaft dazu in der Lage ist“ (www.haz.de, 21.12.07); und ergötzt sich an der eigenen Macht, der die andere Seite nichts entgegenzusetzen hat: „Verdi hat nicht die Mittel, das Weihnachtsgeschäft lahm zu legen oder empfindlich zu stören … Den Weihnachtsmann kann man nicht bestreiken.“

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Worum es in der Tarifauseinandersetzung im Einzelhandel geht: Ganz normale Ausbeutung

Im Einzelhandel tobt seit etlichen Monaten ein Arbeitskampf, von dem keiner so recht was merkt. Kurz ist er einmal in die Schlagzeilen gekommen im Zusammenhang mit der Frage, ob nicht das Weihnachtsgeschäft durch ihn gestört werden könnte. In diesem Zusammenhang hat man ein bisschen was über das Kräfteverhältnis erfahren, das diese Auseinandersetzung bestimmt: Die Arbeitgeber finden die Androhung der Gewerkschaft, das Weihnachtsgeschäft zu bestreiken, einfach lächerlich; man bezweifelt, dass die Gewerkschaft dazu in der Lage ist (www.haz.de, 21.12.07); und ergötzt sich an der eigenen Macht, der die andere Seite nichts entgegenzusetzen hat: Verdi hat nicht die Mittel, das Weihnachtsgeschäft lahm zu legen oder empfindlich zu stören ... Den Weihnachtsmann kann man nicht bestreiken. (Pellengahr, HDE-Sprecher in FAZ, 19.11.) Die Gewerkschaft ist es sich zwar schuldig, Entschlossenheit und machtvolles Auftreten zu demonstrieren, und spricht von mehrtägigen, z.T. wochenlangen Arbeitsniederlegungen, erstmals Streik im Weihnachtsgeschäft – und die Kampfbereitschaft ist noch immer ungebrochen. (Ver.di Tarifinfo 1/2008) Doch die Öffentlichkeit weiß, wie dieses Auftreten einzuschätzen ist – zumal die Gewerkschaft mit Beschwerden über unlautere Machenschaften, mit denen die Handelsunternehmer ihre Streikmaßnahmen unterlaufen, im Großen und Ganzen bestätigt, was die Arbeitgeber vermelden: nämlich, dass sie nicht viel auszurichten hat:

„Von den Kunden blieb dieser Streik weitgehend unbemerkt. Zwar spricht die Gewerkschaft von unbesetzten Frischtheken und langen Schlangen an den Kassen. Doch nach Angaben der Händler haben die Streiks oft keine nennenswerten Auswirkungen auf das Geschäft. Laut Gewerkschaft holen die Händler während der Streiks auch Leiharbeiter und Mitarbeiter aus anderen Unternehmen herbei ... Hinzu kommt laut Verdi ein Heer von knapp 900 000 Minijobbern, das ein Großteil des Geschäfts in der Branche erledigt und für die die Tarifverträge nicht gelten. ‚Oft bekommen sie (die 400-Euro-Kräfte) gerade mal fünf bis sechs Euro brutto. Mir sind aber auch schon 2,50 Euro berichtet worden‘, sagt Verdi-Sprecherin Erika Richter.“ (www.stern.de, 19.12.)

Und nachdem somit weitgehend Entwarnung gegeben werden konnte, ist auch das öffentliche Interesse an diesem Arbeitskampf wieder versickert. Überhaupt nicht von Interesse ist für die Öffentlichkeit schließlich, worum es in dieser Auseinandersetzung geht. Und schon gleich interessiert sie sich nicht für die Zustände, die in dieser Branche herrschen, in der es offenbar immer mehr zur Regel wird, dass Löhne weit unterhalb aller derzeit diskutierten Mindestlöhne gezahlt werden. Das alles ist ja auch überhaupt nicht aufregend, sondern ganz normal in einer Branche, die klassischerweise dem Niedriglohnsektor zugerechnet wird.

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Zu tun hat man es da mit einer Branche, in der den Unternehmern eine schier unerschöpfliche Arbeitskraftreserve zur Verfügung steht; ein Heer von angestammten und zugewanderten Arbeitslosen, die Arbeit um jeden Preis suchen; von Staats wegen noch verstärkt verfügbar gemacht durch die Hartz-4-Gesetze, welche die Betreffenden zwingen, die miesesten Jobs anzunehmen; und sofort einsetzbar für die zahllosen Handlangerdienste, die in diesem Gewerbe zu erledigen sind; für Jobs, die keine großen Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen; erledigt von Leuten, die auf ihrem Posten jederzeit ersetzbar sind.

Um die gewerkschaftliche Vertretung von Arbeiterinteressen ist es in dieser Branche schon allein deswegen schlecht bestellt. Der zuständigen Gewerkschaft Verdi ist in den letzten Jahren ihr Tarifpartner weitgehend abhanden gekommen; viele große Unternehmen haben die Tarifgemeinschaft verlassen – sie sehen nicht ein, warum sie sich überhaupt noch mit einer Gewerkschaft auseinandersetzen und eine Tarifbindung akzeptieren sollen. Bei den Kleinkrämern um die Ecke, die es ja auch noch massenhaft gibt, hat die Gewerkschaft sowieso Hausverbot. Der Organisationsgrad im gesamten Einzelhandel liegt bei ca. 30 %.

Zu fordern hat in dieser Branche demzufolge nur eine Seite etwas: die Arbeitgeber. Sie können die Arbeitsbedingungen mehr oder weniger einseitig diktieren. Und sie sind es auch, die in Gestalt ihres Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) Tarifverträge kündigen, weil sie Tarife und Arbeitsbedingungen geändert sehen wollen. An den Einzelhändlern, dieser süßen Spezies von standorttreuen mittelständischen Unternehmern, die mit ihrem Kapital nicht auswandern können, kann man also studieren, wozu es Arbeitgeber – ganz ohne den berühmten Sachzwängen der Globalisierung ausgesetzt zu sein – in Sachen ständiger Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen bringen, wenn man sie schalten und walten lässt, wie ihr Geschäftsinteresse es verlangt.

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Mit und ohne gewerkschaftliche Zustimmung haben sie in den letzten Jahrzehnten immer mehr Flexibilisierung durchgesetzt und dabei einen bemerkenswerten Stand erreicht. KAPOVAZ und FREQUOVAZ heißen die einschlägigen Verfahren, mit denen man aus den Mitarbeitern möglichst viel Arbeit herausholt und dafür sorgt, dass ja keine unnötige Arbeitsstunde mehr bezahlt werden muss. KAPOVAZ steht dabei für „Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit“; vulgo auch Abrufzeit genannt. Die Einzelhändler, die hier zu den Vorreitern gehören, nötigen ihren Beschäftigten vertraglich auf, dass diese zwar nur die vereinbarte Stundenzahl täglich arbeiten und bezahlt kriegen, sich aber ganztägig zur Verfügung halten müssen. So wird deren arbeitsfreie Zeit zu einer Zeit, in der sie ihr Arbeitgeber verplanen kann. Er hat auf sie potenziell und bei Bedarf auch reell Zugriff. Die täglichen Einsatzzeiten werden den Beschäftigten so kurz wie möglich vorher mitgeteilt (hier gibt es noch lästige Schranken durch Tarifverträge), sie wechseln täglich, und bei Bedarf sind Überstunden zu leisten. All dies erhöht noch die Kalkulationsfreiheit der Unternehmer im Umgang mit ihren Angestellten und gestattet ihnen, Personalkosten zu sparen. Was das für die von ihnen Beschäftigten heißt, darüber wird man von sachverständiger Stelle wahrheitsgemäß aufgeklärt:

„Für die Mitarbeiter ist damit eine ständige Arbeitsbereitschaft verbunden. Diese Variante der Arbeitszeitflexibilisierung findet sich in größerem Umfang vor allem im Einzelhandel. Eine andere Form der flexiblen Arbeitszeitgestaltung ist „FREQUOVAZ“. Hierbei wird die Arbeitszeit an die Kundenfrequenz angeglichen.“ (www.aus-innovativ. de).

Letzteres stellt, wie ein Vertreter der Branche im Fernsehen respektheischend erläutert, das betriebliche Management vor höchste Anforderungen:

„Sie müssen genau ausmessen, wo brauchen Sie im Moment welche Besetzung, und die müssen Sie sicherstellen. Das geht häufig immer noch gut. In der Hälfte der Fälle geht es mit Vollzeit, aber mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse – haben wir vernommen – sind im Teilzeitbereich, das geht häufig natürlich für ein Unternehmen im Teilzeitbereich einfacher zu handhaben.“ (HDE-Vertreter in Kontraste, 22.11.)

Mittels elektronischer Hilfsmittel zur Arbeitserfassung und -planung und entsprechender Betriebsvereinbarungen bzw. tarifvertraglicher Regelungen jonglieren die Unternehmer mit den Arbeitszeiten ihrer möglichst gering gehaltenen Belegschaft so, dass sie je nach zu erwartendem Kundenaufkommen immer gerade die Zahl Beschäftigter im Betrieb haben, die nötig ist, um alle erforderlichen Funktionen zu erfüllen und Tätigkeiten auszuführen. Dafür wird eine gelungene Mischung aus Teilzeitkräften, Vollzeitkräften und Mini-Jobbern eingesetzt. Urlaubszeiten, kurzfristige Ausfälle durch Krankheiten bzw. unvorhersehbarer zusätzlicher Arbeitsanfall werden nach Möglichkeit so in der Arbeitsorganisation berücksichtigt, dass dafür kein zusätzliches, unnötige Kost verursachendes Personal vorgehalten werden muss. Diese Flexibilität des Einsatzes gewährleistet, dass auch wirklich jede Stunde mit Arbeit voll gepackt ist und der Unternehmer nur solche rentablen Stunden zahlen muss. Weil es darauf ankommt, sind Vollzeitbeschäftigte mit ihrer starren Vollzeit nur bedingt gefragt. Sie kommen nur soweit zum Einsatz, wie unbedingt erforderlich – es braucht eben auch Personal, das für die Aufsicht zuständig ist, den Überblick behält und für die Kontinuität des Betriebs sorgt. Den Rest erledigen stundenweise abrufbare Teilzeitkräfte.

Bei all dem geht es selbstverständlich mit rechten Dingen zu. Besagte Arbeitszeitmodelle sind völlig legal und staatlich geregelt – vgl. Teilzeit- und Befristungsgesetz § 12. Wie ja auch neulich die Ladenschlussgesetze geändert worden sind – auf Betreiben des Einzelhandels, der durch die bestehenden Gesetze sein heiliges Recht auf eine unbeschränkte Geschäftszeit verletzt gesehen hat; was selbstverständlich einschließt, dass sein Personal auch dafür zur Verfügung steht und die Gewerkschaft dem zustimmt.

Dafür werden in dieser Branche Löhne gezahlt, von denen kein Schwein leben kann. Schon bei Vollzeitbeschäftigung sind die Löhne niedrig – der Durchschnittsverdienst einer Verkäuferin liegt laut HDE bei 2400 Euro brutto im Monat. Das Entgelt der Teilzeitbeschäftigten oder gar der wachsenden Anzahl der Mini-Jobber reicht endgültig nicht aus, um sich auch nur das Nötigste zum Leben zu kaufen – und ist darauf auch gar nicht berechnet, wie die Arbeitgeberseite freimütig bekennt: Und alles andere (gemeint sind alle Beschäftigungsformen unterhalb der Vollzeitbeschäftigung) ist auch vom Ansatz her primär nicht dazu gedacht, voll davon den Lebensunterhalt zu bestreiten. (HDE-Vertreter in Kontraste, 22.11.)

Andererseits sorgt das umfassende Zugriffsrecht des Arbeitgebers auf die Nicht-Arbeitszeit der Beschäftigten dafür, dass diese gar keinen weiteren Job annehmen können und somit darauf festgelegt sind, von einem Lohn leben zu müssen, von dem man gar nicht leben kann. Jobs in dieser Branche muss man sich offenbar leisten können, da braucht man schon einen reichen Onkel oder einen Ehemann als Hauptverdiener. Wer den nicht hat, hat Pech gehabt, soll sich aber bitte nicht ausgerechnet bei den Arbeitgebern über unzumutbar niedrige Löhne beschweren:

„Wenn man sich keinen zweiten Job suchen kann, dann muss man sehen, dass man den ersten Job dann möglicherweise nicht annimmt, sondern einen anderen sucht auf dem Arbeitsmarkt. Was erwarten Sie eigentlich von den Firmen? Was sollen die noch tun? Ich wollte schon sagen: Wir sind nicht die Diakonie!“ (derselbe HDE-Vertreter auf die entsprechende Beschwerde einer Beschäftigten hin).

Wer nicht bereit ist, es als Gnade zu begreifen, für solche Arbeitgeber arbeiten zu dürfen, der wechselt besser die Branche.

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Recht zur Unzufriedenheit hat hier nämlich nur einer. Die Arbeitgeber haben bereits Ende 2006 den Manteltarifvertrag gekündigt und treten der Gewerkschaft seither fordernd entgegen:

„Vor dem Hintergrund der geänderten Rechtslage zur Ladenöffnung müssen auch die Regelungen in den Mantel-Tarifverträgen angepasst werden. Spätöffnungszuschläge ab 18.30 Uhr und samstags ab 14.30 Uhr sowie Nachtzuschläge bereits ab 20.00 Uhr sind mit der gesetzlichen Neuregelung sowie den geänderten Lebensgewohnheiten der Kunden nicht mehr vereinbar.“ (www.einzelhandel.de)

Es ist schon lustig: Erst verlangt man von der Politik die Freigabe der Ladenöffnungszeiten, und nachdem die Politik diesem Ansinnen Recht gegeben hat und König Kunde auf der Grundlage der geänderten Gesetze Gelegenheit bekommt, seine Lebensgewohnheiten umzustellen und sein Geld bis tief in die Nacht zum Einzelhändler zu tragen, ist damit für die Arbeitgeber eine neue Lage geschaffen, in der man ihnen die bisher übliche Bezahlung ihres Personals nicht mehr zumuten kann. Der neuen Gesetzeslage entnehmen sie nicht nur ihr Recht, ihr Personal zu jeder Tages- und Nachtzeit in Anspruch zu nehmen, sondern gleich auch noch ihr Recht darauf, dass es sich zu einem niedrigeren Preis zur Verfügung stellt. Und sie rechnen in aller Öffentlichkeit vor, dass die bislang gezahlten Spätöffnungs- und Nachtzuschläge mit ihren Rentabilitätsrechnungen nicht mehr vereinbar sind, also gestrichen werden müssen.

Die Durchsetzung dessen, was da alles aus ihrem Geschäftsinteresse folgt, hat dann auch gleich noch die Gewerkschaft gefälligst als ihren Auftrag zu begreifen:

„Es ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien, den Tarifvertrag an diese geänderten Rahmenbedingungen anzupassen und den Unternehmen damit eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der geänderten Ladenöffnungszeiten zu ermöglichen.“ „Das System der Spätöffnungs- und Nachtzuschläge sei überholt“. (www.einzelhandel.de)

Um die Gewerkschaft dazu zu bewegen, haben die Arbeitgeber ihre Bereitschaft, in der bereits seit Mitte letzten Jahres ohne Aussicht auf eine Einigung vor sich hindümpelnden Lohn-Tarifrunde über Lohn-Prozente zu reden, daran geknüpft, dass sich die Gewerkschaft auf Verhandlungen über eine neue Entgeltstruktur mit entsprechendem Inhalt einlässt.

Außerdem soll sie dort, wo es das noch nicht gibt, endlich der Einführung eines Abrechnungswesens zustimmen, das ihnen die Überführung der mit Zuschlägen behafteten Mehrarbeitszeit in Normalarbeitszeit gestattet:

„In allen Ländern muss ohne Einschränkungen eine flexible Einteilung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit zulässig sein, wenn die Wochenarbeitszeit im Durchschnitt von 12 Monaten nicht überschritten wird. Bei nicht vorhersehbaren Über- oder Unterschreitungen sollte ein Ausgleich auch in den folgenden drei Monaten möglich sein.“ (www.einzelhandel.de)

Schließlich lässt sich der flexible Einsatz der Arbeitskräfte je nach Geschäftsbedarf noch kostengünstiger gestalten, wenn sich die Differenz zwischen Überstunden und vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden durch Verrechnung der Über- und Unterschreitungen der tarifvertraglichen Wochenarbeitszeit zum Verschwinden bringen lässt; und das geht, je länger der Abrechnungszeitraum ist, logischerweise umso besser. Mindestens ein Jahr, mit einer Öffnungsklausel von weiteren drei Monaten, sollen es sein, damit auch die Zeit des Weihnachtsgeschäfts und andere nicht vorhersehbare Phasen, in denen das knapp kalkulierte Personal mit Mehrarbeit einen erhöhten Arbeitsbedarf zu bewältigen hat, künftig nicht mehr zu unnötiger Bezahlung von Überstunden führen. Und wenn die Arbeitgeber schon beim Wünschen sind, hätten sie da noch eine Vision: Wie wäre es, wenn man den Verrechnungszeitraum gleich auf die gesamte Lebensarbeitszeit ausdehnen würde? Sie könnten dann noch mehr Überstundenzuschläge sparen – zumal ja zu erwarten ist, dass, wenn rund um die Uhr gearbeitet werden soll, auch mehr Überstunden anfallen. Aber auch für ihre lieben Mitarbeiter wären damit lauter sinnvolle Perspektiven und neue Freiheiten verbunden:

„Neue Chancen für Arbeitnehmer durch Langzeitkonten: Die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters stellt die Arbeitnehmer vor die Alternative, entweder ihre persönliche Lebensplanung den neuen Altersgrenzen anzupassen oder durch eigene Anstrengungen davon unabhängig einen Übergang von der aktiven Arbeitsphase in den Ruhestand zu organisieren. Eine Möglichkeit hierzu bieten Langzeitarbeitszeitkonten. Sie ermöglichen auch die Verwirklichung von individuellen Weiterbildungsmaßnahmen außerhalb des betrieblichen Angebots, und gewährleisten so, dass der Arbeitnehmer den Anschluss an den Arbeitsmarkt nicht verliert und Berufs- und Karrierechancen wahrnehmen kann. Langzeitarbeitszeitkonten lassen es auch zu, durch längere Freizeitphasen private Interessen, die sich aus familiären Bedürfnissen ergeben, wahrzunehmen. Doch bislang sehen die tariflichen Regelungen des Einzelhandels die Einrichtung von Langzeitarbeitszeitkonten auf betrieblicher Ebene nicht vor. Wenn den Arbeitnehmern mehr Freiraum für die individuelle Lebensplanung angeboten werden soll, so besteht hier Handlungsbedarf.“ (www. einzelhandel.de)

Um sich ihr Leben im Alter zu erleichtern und damit sie sich auch sonst mal was gönnen können – z.B. Fortbildungsmaßnahmen, mit denen sie versuchen können, die Attraktivität der Ware zu steigern, die sie am Arbeitsmarkt anzubieten haben –, könnten sich Herr und Frau Arbeitnehmer beizeiten für ihren Arbeitgeber aufarbeiten. Solange sie noch jung und fit sind – ihre Arbeitskraft also noch allen Anforderungen ihres Arbeitgebers gewachsen ist –, könnten sie unter Verzicht auf deren Bezahlung fleißig Mehrarbeit leisten. Dafür würden sie dann den Anspruch erwerben, etwas früher bzw. mit geringeren Abstrichen von der Rente in den wohlverdienten Ruhestand entlassen zu werden. Das ist aber vorderhand bloß so eine Vision.

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Die Tarifverhandlungen sind derzeit nämlich auf allen Ebenen festgefahren. Die Arbeitgeber kriegen von Verdi nicht einfach konzediert und unterschrieben, was sie fordern. Man zeigt sich kompromissbereit:

„Wir haben die geforderte Verbindung der Tarifrunde mit dem Projekt einer neuen Entgeltstruktur gelöst und auch von unserer Ursprungsforderung einer Streichung der Spät- und Nachtzuschläge Abstand genommen zugunsten einer stufenweisen Anpassung bei grundsätzlicher Beibehaltung der Zuschläge ab 20.00 Uhr.“ (www.einzelhandel.de)

Auf die Zuschläge bis 20.00 Uhr muss der Tarifpartner also schon noch ganz verzichten, auf die danach stufenweise. Bei so viel Entgegenkommen soll es dann aber auch langsam zu einem Abschluss kommen, denn für den Handel drängt die Zeit. Schließlich wollen sie die Zuschläge los sein, wenn sie demnächst vermehrt die verlängerten Ladenöffnungszeiten nutzen. Und außerdem hat der Arbeitgeberverband HDE noch ein erlesenes Problem, weswegen für ihn Eile geboten ist: Je länger es sich hinzieht mit den Tarifverhandlungen, in denen die Arbeitgeber bislang 1,7 Prozent angeboten haben, umso mehr Handelsketten gehen dazu über, an der Gewerkschaft und am Arbeitgeberverband vorbei Haustarife zu vereinbaren. Damit aber droht schön langsam die Tarifbindung im Einzelhandel unter 50 Prozent zu fallen. Und wenn das passiert und wenn es dann immer noch keinen Tarifvertrag gibt, kann der Gesetzgeber auf der Grundlage des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes (FAZ, 4.2.08) einen Mindestlohn für die Branche schaffen. Und das wäre das Letzte, was die Branche brauchen kann. Um das zu verhindern, soll die Gewerkschaft endlich voranmachen an der Tariffront und die Verhandlungen nicht länger blockieren.

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Wie gesagt: alles nicht spektakulär, ganz normal.