Italien
Vom plötzlichen Abstieg einer geachteten Kulturnation mit Marktwirtschaft und Demokratie

Inanspruchnahme der Ökonomie für die Rettung der Lira, u.a. durch Privatisierungen und Zusammenstreichen von Haushaltsposten. Wegen der Infragestellung der nationalen Europaqualifikation wird eine Kritik der italienischen Demokratie als Abgrund von Korruption und Verbrechen losgetreten. Damit wird von Öffentlichkeit und Justiz eine saubere Politik gegen Schmiergelder („tangentopoli“), Parteienfilz („partitocrazia“) und Mafia auf die Tagesordnung gesetzt.

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Italien
Vom plötzlichen Abstieg einer geachteten Kulturnation mit Marktwirtschaft und Demokratie

Die Konjunkturschönredner deutscher Zunge haben Meldungen von Krisenerscheinungen in Italien, solange es irgend ging, unter der beschwichtigenden Rubrik „Währungsturbulenzen“ abgebucht; die bekannt ausländerfreundliche Nation hatte dazu sofort die passenden Kommentare parat, daß im Süden alles schon immer etwas unsolide und unsauber gewesen sein soll. So mag es das deutsche Gemüt gerne einordnen – das Faktum ist aber nicht zu bestreiten, daß eine der zum Führungslager der Welt gehörigen Nationen, ein EG-Partner, eine Mittelmeermacht und wichtiges Mitglied der Nato, eine der G 7-Weltwirtschaftsmächte mit ihrem Staatsbankrott befaßt ist. Im engeren ökonomischen wie im weiteren Sinn, den die „politische Klasse“ der Nation verhandelt: Die öffentlichen Meinungsmacher sind einhellig der Meinung, und quer durch alle Parteien wird dasselbe Urteil gefällt, daß das bisherige politische System unfähig und korrupt war, die Nation in die Krise geführt und dafür verurteilt zu werden hat – das letzte durchaus auch juristisch gemeint.

Es ist schon interessant, wie eine Nation – wenn sie in der Krise ist – sich selbst beschuldigt; wie gnadenlos sämtliche Skandale, die in früheren Etappen immer wieder versandet und beendet wurden, jetzt neu eröffnet und mit lauter neuen Skandalen zu einer umfassenden Beweislage aufbereitet werden, wie faul die Erfolgslage und das Regierungswesen der Nation eh und je gewesen sein sollen. So fördert der mit der Krise konfrontierte Nationalismus lauter Material darüber zutage, zu welchen Errungenschaften es das überlegene System von Marktwirtschaft und Demokratie in Italien gebracht hat.

Das italienische Wirtschaftswunder – hat für die Rettung der Lira geradezustehen

Seitdem „die Märkte“ den Zweifel an der Güte gewisser Euro-Gelder, der mit den Maastricht-Beschlüssen in die Welt gesetzt wurde, gegen die Lira exekutiert haben, kennt der italienische Staat nur noch eine einzige Front: Er muß um seine Zahlungs- und Verschuldungsfähigkeit, um die internationale Anerkennung seines Geldes kämpfen. Die Devisenreserven der Nation sind im September durch die Operationen zur Stützung der Lira auf 38 Milliarden DM geschrumpft, gleichzeitig sind die kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten auf 32 Milliarden gestiegen – d.h. die Nationalbank verfügt kaum mehr über international gültige Zahlungsmittel; die EWS-Garantie für die Lira ist beendet; internationale Kreditagenturen haben Geldanlagen in Italien in schlechtere Risikoklassen zurückgestuft; die Nationalbank trifft auf Schwierigkeiten, Staatspapiere nach Maß des aktuellen staatlichen Geldbedarfs loszuwerden – kein Wunder, wenn eine Kapitalflucht aus diesen Papieren stattgefunden hat und deren Wert rapide sinkt; denen begegnet sie mit immer weiter hochgesetzten Zinsen, was wiederum die Kosten der Verschuldung steigert.

Angesichts der Lage, daß international die Qualität italienischer Staatsschulden in Frage gestellt wird, hat sich das Regierungsprogramm, das der Nation die Erfüllung der Kriterien des Maastricht-Vertrags zum Ziel gesetzt hatte, einigermaßen radikalisiert: Die Nation muß ihre internationale Kreditwürdigkeit unter Beweis stellen. Die Sachzwänge zu laufender Neuverschuldung müssen reduziert, alte Schulden gestrichen, andere Einnahmequellen erschlossen werden – egal ob, wie und mit welchen Folgen das überhaupt machbar ist.

Die Privatisierung der Staatsindustrie

Das erste Kapitel dieses Programms besteht in einer Befassung mit der Staatsindustrie, die Privatisierung heißt und einem Offenbarungseid über die Natur des heimischen Wirtschaftswunders gleichkommt.

Vorausgegangene Versuche, Schulden auf bequeme Weise loszuwerden – die Liquidierung der Agrargenossenschaft Federconsorzi und der Staatsholding EFIM wollte man zumindest zum Teil wie einen privaten Bankrott abwickeln, d.h. die Gläubiger nur partiell entschädigen –, waren nicht nur am Widerstand der ausländischen Banken gescheitert, die den Staat gezwungen haben, die Schuldengarantie für seine Unternehmen zu übernehmen. Sie wurden überdies von der internationalen Finanzwelt als ein ziemlich negatives Signal bezüglich der Güte italienischer Schulden aufgefaßt, samt den bekannten Weiterungen. Daher sieht sich die Regierung zu einer demonstrativen Wende genötigt: In einem umfassenden Plan zur Privatisierung werden die sogenannten Schmuckstücke aus dem Staatsbesitz zum sofortigen Verkauf angeboten; weitere Unternehmen sollen durch Sanierung verkaufsfähig gemacht und etliche liquidiert werden.

Bei der Gelegenheit erfolgen nunmehr folgende Auskünfte:

„IRI (istituto per la ricostruzione industriale) ist das Problem Nr.1. Wegen seiner Schulden und der Myriaden der in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmen. Der Regierungsplan sieht die Privatisierung des Credito italiano, der Comit (Banken) und der Sme, Agrarholding, vor. Drei Aktivposten, mit denen sich das Geld verdienen läßt, das nötig ist um die Verschuldung zurückzuführen und die Unternehmen in Schwierigkeiten, wie Ilva (Stahl) und Iritecnica zu sanieren. Es wird auch die Möglichkeit erwogen, die IRI Spa in eine Liquidierungsgesellschaft für die Unternehmen umzuwandeln, die keine Zukunft haben, und zur Betriebsführung und Sanierung der Unternehmen in Atemnot einzusetzen wie die Finmare (Schiffahrtsunternehmen) und die Fincantieri (Werften). Stet (Telekommunikation) und Finmeccanica (Maschinenbau) werden hingegen aus der IRI herausgenommen und unter die direkte Kontrolle des Finanzministeriums gestellt.
Die Lage der ENI (Ente nazionale idrocarburi, Erdöl- und Erdgasindustrie) ist weniger komplex. Mit dem Geld aus dem Verkauf der Nuovo Pignone (Gasturbinen) müßte das Unternehmen die Konten der Chemie und der Minen, immerhin zu einem Teil, bereinigen und die strategischen Sektoren, unter anderem die Elektrizitätswirtschaft, verstärken können… Der Plan für die ENEL (Ente nazionale per l’energia elettrica) berührt alle Fragen der Tarife und Konzessionen. Dennoch scheint ein Einstieg der Privaten in den wichtigsten Bereich des Unternehmens, die Elektroenergie, sehr schwierig. Weniger schwierig scheint eine Privatisierung auf dem Sektor des Staudammbaus und im Immobilienbereich zu sein.“ (Repubblica, 4.11.92)
„IRI… verkauft werden sollen einige der tragenden Säulen des italienischen Bankwesens, Credit, Comit und die Banca di Roma… die Italtel (Telefongesellschaft)… Condotte und Garboli (Bauunternehmen).. auch die Autobahngesellschaft. Die Alitalia bleibt zu 51% in öffentlicher Hand…
ENI. Sofort verkauft werden sollen Nuovo Pignone und die Snam Progetti (Pipeline-Entwicklungsgesellschaft). In drei Jahren ist die Reihe an der Snam, der Saipem (Bohrunternehmen), der Agip coal und der Zeitung Il Giorno.
INA (Versicherungswesen). Das ist die größte Neuigkeit dieses Plans: Vorgesehen ist in der Tat der Verkauf der INA und Assitalia gemeinsam mit den Versicherungsaktivitäten der IRI…
Schulden. Die Notwendigkeit, die Schulden zu begleichen, steht im Vordergrund. Die Regierungsstudie liefert eine Einschätzung, nach der, nur um die Schulden der IRI zu begleichen (52.723,5 Milliarden Lire Ende ’91), ohne jede Investition, ein 6-Jahres-Gewinn erforderlich wäre, für die der ENI (29.938,4 Milliarden) ein 4-Jahres-Gewinn, für die der ENEL (32.610 Milliarden) ein 5-Jahres-Gewinn. Nur für 93/94 beläuft sich der Finanzbedarf der IRI auf 12.000 Milliarden… Bei Ilva, Iritecnica, Alitalia, Fincantieri und Finmare erreicht das Defizit insgesamt 20.500 Milliarden. Bei der ENI (ohne Enichem) beläuft sich die Verschuldung von Enirisorse, Savio, Saipem und Terfin zusammengenommen auf 11.700 Milliarden.“ (Repubblica 6.11.92)

Die EFIM (Ente partecipazioni e finanziamento industria manufatturiera, weiterverarbeitende Industrie) soll liquidiert, ihre Schulden, 11,7 Milliarden DM, sollen zu 100% zurückgezahlt werden. Einige Firmen der Holding, Maschinen-, Eisenbahnbau, Rüstungs- und Raumfahrtproduktion und Elektronik werden verkauft, bei strategisch wichtigen Produkten nur an nationale Firmen.

Das Firmenimperium, das hier zur Debatte steht, ist ein anschaulicher Beweis für die Leistungsfähigkeit der so unschlagbar effektiven Marktwirtschaft: Ganze Branchen wie Transport und Kommunikation, Energie, Metallurgie, die chemische Grundstoffindustrie und dazu noch einiges in der verarbeitenden und Maschinenbauindustrie hätte es in diesem Land gar nicht gegeben, wären sie nicht staatlich aufgezogen oder wären nicht in der Konkurrenz unterlegene Betriebe vom Staat übernommen worden. Damit überhaupt gewisse allgemeine Produktionsbedingungen im Lande vorhanden sind und für private Geschäfte zur Verfügung stehen, hat die zuständige Staatsgewalt diese Sphären betrieben – unter Inanspruchnahme und auf Kosten ihres Kredits. Der Aufstieg Italiens, das bis zum 2. Weltkrieg weitgehend Agrarland war, zu einer Industrienation hätte rein aus geschäftlichen Kalkulationen, nur nach dem Gesichtspunkt rentabler Investitionen gar nicht stattgefunden. Größere Teile seiner Nationalökonomie hat der italienische Staat aus eigenem Beschluß und auf eigene Kosten hingestellt – und eben weil ihm heutzutage diese Freiheit bestritten wird, wird mit dem Privatisierungsprojekt öffentlich Bilanz gezogen: Die imposanten Gewinne der Staatsfirmen, das glanzvolle Wachstum der azienda italiana sind immer schon auf Kosten staatlichen Kredits gemacht worden; Italien ist zur Industrienation aufgestiegen, auf Grundlage einer Staatsverschuldung, die sich die Lira bisher dank ihrer Zugehörigkeit zum EWS auch leisten konnte. Ohne eine staatliche Finanzierung, die den Kapitalvorschuß für eine Produktion auf italienischem Boden überhaupt erst erbracht oder italienische Firmen für Konkurrenznachteile entschädigt hat, ohne staatlich gedeckten Bilanzschwindel, ohne die staatliche Geldaufblähung, um Kapital in den nationalen Grenzen überhaupt erst zu gründen und überleben zu lassen, war nun einmal ein erfolgreicher Kapitalismus in dieser zu spät gekommenen Nation gar nicht zu haben. Dieser Staat konnte sich nicht auf die Förderung geschäftsdienlicher Bedingungen beschränken, sein wichtigster Dienst am Kapital hat darin bestanden, mit seinem Kredit Kapital aufzumachen und zu unterhalten.

40 Jahre lang hat dieses Unternehmen floriert. Nun aber ist der italienische Staat gezwungen, seine Ökonomie ganz anders zu betrachten: nämlich als Geldquelle für sich, als eine Reserve, die die angegriffenen Staatsfinanzen sanieren muß, als Mittel, um seine Schulden zu streichen bzw. zumindest den Zwang zur andauernden Neuverschuldung zu verringern. Dafür muß er seinen Firmenbesitz versilbern, um mit dem Gewinn die Schulden anderer Staatsbetriebe zu bedienen und zu tilgen. Dabei ist es in vielen Fällen fraglich, ob Unternehmen sich überhaupt veräußern und zu privatem Kapital machen lassen; erstens war ja schon die nicht-vorhandene Rentabilität der Grund für das staatliche Einspringen, und zweitens ist eine Weltwirtschaftskrise nicht gerade die beste Gelegenheit, um Staatsbetriebe zu veräußern. D.h. wiederum, daß einige sich nur dann verkaufen lassen, wenn der Staat deren alte Schuldenlast auf sich nimmt, oder daß er sie stillegen muß, wenn er sich die weitere Verschuldung nicht leisten will. Alles zusammengenommen – Gewinne, mit denen alte Staatsschulden beglichen werden, Betriebsliquidationen und sogenanntes Gesundschrumpfen, um Betriebe verkaufsfähig zu machen –, heißt das, daß der italienische Staat gezwungenermaßen einiges von seinem bisherigen Erfolg rückgängig macht, daß er sich zum Exekutor einer absoluten Verringerung seiner Kapitalbasis macht, wertmäßig und sachlich. Weil er sich wegen der internationalen Infragestellung seines Geldes diese besonderen Dienste fürs Kapital, die staatliche Gründung und Finanzierung von Geschäften als Mittel für andere Geschäfte, nicht mehr leisten kann, liquidiert er höchstpersönlich gewisse Portionen des Wachstums, das er in 40 Jahren auf seinem Boden veranstaltet hat. Darüberhinaus veräußert er mit seinem Firmenbesitz auch einen Teil seiner wirtschaftspolitischen Souveränität: Schließlich war die Gründung und Führung von Staatsbetrieben auch die Weise, in der die Benützung seines Territoriums, seine Ausstattung als Kapitalstandort nach Maßgabe nationaler Gesichtspunkte organisiert war. Mit deren Verkauf wird es rein der geschäftlichen Kalkulation überlassen, zu entscheiden, was an Produktion sich lohnt und was nicht.

Das Haushaltsmanöver

Unter demselben Gesichtspunkt, die Staatsverschuldung in ein vertrauensstiftendes Maß zu überführen, hat sich die Regierung Amato über den Haushalt 93 hergemacht – und um der Nation den Ernst der Lage vorzuführen, gleich als erstes Notstandsvollmachten verlangt. Dabei setzt sie die Maastricht-Kriterien als absolute Vorgabe an, nunmehr mit dem erklärten Ziel, durch die Demonstration der unbedingten Bereitschaft, sich europa-tauglich zuzurichten, als erstes das Vertrauen der EG-Partner und die Wiederaufnahme in das EWS zu erreichen. In diesem Bemühen hat sie die Zahl von 93 Billionen Lire, ungefähr 110 Milliarden DM, fixiert, um die jährlich das Haushaltsdefizit – für 1992 waren 290 Milliarden DM vorgesehen – verringert werden soll. Von dieser politisch beschlossenen Notwendigkeit wird nunmehr gnadenlos heruntergerechnet, welche staatlichen Ausgaben zu entfallen haben und unter welchen Titeln aus der italienischen Gesellschaft Geld herausgepreßt werden soll.

In einem großen Paket wendet sich der italienische Staat seiner arbeitenden Klasse zu, erklärt allerhand Einrichtungen für deren Brauchbarkeit für überflüssig bzw. verordnet den Löhnen neue Beiträge zum Staatshaushalt. Die vor einigen Jahren gemilderte Steuerprogression auf Lohn- und Einkommenssteuern wird wieder verschärft. Für das Gesundheitswesen, das bisher im wesentlichen kostenlos organisiert war, haben die Italiener nunmehr ab – niedrigen – Einkommensgrenzen, die nach Familiengröße gestaffelt sind, 85.000 Lira pro Jahr und weitere Zahlungen für besondere Leistungen zu entrichten; bei den Renten wird die bisherige Inflationsanpassung gestrichen, ab 93 werden sie nur noch zweimal im Jahr um 1,7 – 1,8% erhöht, also markant unter den bisher schon üblichen Inflationsraten. Außerdem soll das Rentenalter von bisher 55 bzw. 60 Jahren auf 65 erhöht werden, und die Rentenanwartschaft ist auf 35 Beitragsjahre heraufgesetzt worden, im öffentlichen Dienst auf 15 bis 25 Jahre. Bei dem in Italien normalen Grad an Arbeitslosigkeit, der unter den jetzigen Auspizien zudem ansteigt, entbindet das den Staat gleich grundsätzlich von allerhand Rentenansprüchen. In allen Staatsabteilungen ist ein sofortiger Einkommensstop verhängt worden, und Ende Juli sind die Gewerkschaften zu einem Abkommen mit den Arbeitgebern über die gänzliche Beseitigung der scala mobile, einer gewissen Anpassung der Lohnverträge an die Inflation, verpflichtet worden.

Damit werden ganz neue Grade von Armut festgeschrieben – in einer Nation, die auch bislang schon genügend Hungerleider aufzuweisen hatte. In einer Nation, die eben auch größere Elemente des Lohns auf Staatskosten organisiert hatte, weil anders ein konkurrenzfähiger Kostenfaktor Arbeit und die Garantie einer gewissen Brauchbarkeit der Arbeiterklasse gar nicht zu vereinbaren gewesen wären. Die westdeutsche Bequemlichkeit, Lohnanteile zwangsweise einzuziehen, um daraus die Sozialkassen zu bestreiten, hat sich dieser Staat nie leisten können. Beides zusammen – das Angebot eines nationalen Billiglohnniveaus für das Kapital bzw. für eine Kapitalisierung Italiens und die Sorge um die Tauglichkeit der Arbeiterklasse im Hinblick auf Gesundheit, Alters- und Arbeitslosenversorgung – ließ sich gar nicht den Löhnen anlasten, so daß der Posten Gesundheit ganz, Alters- und Arbeitslosenversicherung zu Teilen über den Staatshaushalt abgewickelt wurden. Insofern geht der italienische Staatshaushalt leicht von gewissen Posten zu entlasten, indem sie einfach gekündigt oder zusammengestrichen werden. D.h. nur eben auch, daß der italienische Staat damit beschließt, daß sich etliche Volksteile Gesundheit nicht mehr leisten können, daß sich wachsende Elemente der Arbeiterklasse mit ihrer grundsätzlichen Existenzunfähigkeit einzurichten haben, daß der Übergang ins Lumpenproletariat in größerem Maßstab als bisher und mit größerer Geschwindigkeit vollzogen wird. Auch in Sachen Arbeiterklasse fällt der italienische Staat mit seinem Haushaltsmanöver nunmehr das Urteil, daß er „über seine Verhältnisse“ gelebt hat, daß er mit Staatskredit dem Kapital eine Benützung der Arbeiterklasse subventioniert hat, die sich für ihn letztlich nicht gelohnt hat, bzw. die er sich heute nicht mehr leisten kann. D.h. aber auch, daß enormen Teilen der Arbeiterklasse die Gnade, das staatliche Privileg, überhaupt als solche fungieren zu dürfen, entzogen wird.

Auf der anderen Seite gilt der gesamte staatliche Einfallsreichtum Titeln und Formen, um die privaten Einkommen zu schröpfen. Eine Flut neuer Gebühren und Steuern wird verabschiedet. Anfang Juli ist eine „einmalige Abgabe“ von 6 Promille auf alle Bankguthaben erhoben worden, ebenso eine einmalige Steuer auf Immobilien. Aus Gerechtigkeitsgründen eine Steuer auf Luxusartikel; eine Vermögenssteuer von 7 Promille für Unternehmen. Die katastermäßige Erfassung von Grundbesitz wird auf Vordermann gebracht, eine Neubewertung durchgeführt, um darauf eine wesentlich höhere Steuer als bisher anzusetzen – mit der Aufforderung, sie, wo möglich, auf Mieter abzuwälzen. Damit ist der staatliche Beschluß in die Welt gesetzt, jegliches Grundeigentum als Geldquelle für sich in Anspruch zu nehmen – rücksichtslos dagegen, ob es für seinen Besitzer überhaupt eine Einnahmequelle ist. In einer Nation, in der zahlreiche Klein- und Halbbauern überhaupt nur deswegen überleben können, weil sie über ein eigenes Fleckchen Land mit Wohngelegenheit darauf verfügen, ist das nämlich gar nicht selbstverständlich. Wo eben dieses Land samt Haus drauf zu einer Art Subsistenz benützt und gar nicht in wirkliches Geldeinkommen verwandelt wird, läßt sich die staatliche Gewalt schon dazu einsetzen, solchen „Immobilienbesitzern“ eine Steuer vorzuschreiben, eine ergiebige Geldquelle wird aber daraus noch lange nicht. Bestenfalls werden solche Grundeigentümer ein Stück ärmer gemacht; in zahlreichen Fällen werden nur Steuerschuldner produziert; in vielen Gegenden Italiens läßt sich das Stück Land, mangels eines geschäftlichen Interesses, ja nicht einmal per Verkauf in Geld verwandeln.

Daneben hat sich der italienische Fiskus neue Formen der Steuererhebung einfallen lassen, eine Einkommensveranschlagung unabhängig von nachgewiesenen Einkünften, unter großem moralischen Gerechtigkeitsgetue gegenüber den sogenannten „evasori“, den Steuerhinterziehern, die der Nation ihren gerechten Beitrag verweigern: den sogenannten „reddito-metro“, Verdienstmaßstab – wer über 2 Autos, ein Wochenendhaus, ein Segelboot oder Telefonrechnungen in bestimmter Höhe verfügt, dem wird ein bestimmtes Einkommen zugerechnet, auf das Steuern zu entrichten sind. Für Selbständige, Handwerker und Händler wird mit einer „minimum tax“ dekretiert, daß ein Einkommen mindestens in der Höhe eines gleich qualifizierten Angestellten vorhanden sein muß, differenziert nach Arbeitsort, Zahl der Angestellten und Branchen. So wird von oben herunter eine ganze Schicht von Gewerbetreibenden und Grattlern zu „Steuerhinterziehern“ und ihr Gewerbe zur Geldquelle zurechtdefiniert – unabhängig davon und rücksichtslos dagegen, ob es das überhaupt über die unmittelbare Existenzsicherung dieser Figuren hinaus ist. Damit wird eine Sorte Mittelstand, die weitgehend nur deshalb existenzfähig war, weil der Unterschied zwischen Brutto- und Nettoeinkommen entfiel, deren ganzes glanzvolles „selbständiges“ Dasein gerade einmal den Betreiber samt Familie ernährt hat, zur Deckung des staatlichen Geldbedarfs herangezogen. Auch hier läßt sich die Besteuerung zwar staatlich beschließen, aber der Angriff auf solche Einkommen macht noch lange nicht deren Eignung als Steuerquelle aus. Auf diese Weise werden nur Teile dieser Gewerbe zu Steuerschuldnern oder gleich existenzunfähig gemacht.

Steuern auf die Einkünfte von Geldanlagen waren auch in der Debatte, unter dem Titel „Einfrieren“ von Staatspapieren sogar die Idee, sämtliche Zinszahlungen auf Staatspapiere einzustellen – dieses Gerücht hat im September zu einem Run auf die Banken geführt, um Staatspapiere gegen DM oder andere Valuta zu verkaufen. Daran ist den Zuständigen dann aufgefallen, daß diese Form von Enteignung nicht machbar ist – wenn der Staat seinen eigenen Kreditzetteln den Charakter bestreitet, überhaupt Geschäftsmittel zu sein, Geld abzuwerfen, taugen sie auch nicht mehr für seine Zwecke, sind nicht mehr an den Mann zu bringen. Genausogut könnte er dann seine Schulden für ungültig und den Staatsbankrott erklären. Auch die Idee einer Besteuerung von „capital gains“ aus Wertpapiergeschäften ist nunmehr „zur großen Erleichterung der Börse“ aus dem Verkehr gezogen worden. Wenn es darum geht, die internationale Kreditwürdigkeit der Lira zu retten, ist den Berechnungen des Geldkapitals tiefster Respekt zu erweisen – zum Schröpfen eignet sich diese Sphäre nicht.

Ob das gesamte Manöver das der Nation verordnete Ziel, die berühmten – einzusparenden – 93 Billionen Lire, überhaupt zustandebringt, ist mehr als zweifelhaft. Auch wenn die Regierung den Betrag immer wieder neu herausrechnet und zusammensetzt – verringerte Staatsausgaben lassen auch Staatseinnahmen sinken; erhöhte Steuern und Zinsen zur Verteidigung der Lira schmälern die Geschäftserträge, folglich auch den Staatsanteil daran; und Sachverständige rechnen der Regierung vor, daß nur 1% höhere Zinsen auf Staatsschuldtitel die Haushaltsplanung zunichte macht. Die berühmten Indikatoren eines soliden Geldes geraten immer mehr zu Idealen, die in ziemlich aussichtsloser Entfernung liegen.

Ein Resultat steht allerdings schon fest: Die Anstrengung des italienischen Staats, seine Gesellschaft für die Rettung seines Geldes haftbar zu machen, sorgt dafür, daß Teile der Nationalökonomie abgeschrieben werden. Darüber, daß Staatsbetriebe an die Rechnung der freien Konkurrenz veräußert oder als Schuldenquelle stillgelegt werden, darüber, daß ganz andere Anteile an den privaten Einkommen für den staatlichen Geldbedarf konfisziert und ihrer bisherigen geschäftlichen Benützung entzogen werden, schließlich auch darüber, daß allen möglichen Sorten kleinen Geschäfts die Existenzgrundlage entzogen wird. Auf diese Weise vollführt die Politik einen regelrechten Linienwechsel: Sie schminkt sich notgedrungen nationale Ambitionen ab; statt wie bisher den Staatskredit für ein Kapitalwachstum einzuspannen, muß die Nationalökonomie für ihn geradestehen, und darüber wird einiges an Geschäft gestrichen, Kapital entwertet – zusätzlich zu der Entwertung, die durch den Kursverlust der Lira schon geschehen ist, der sämtlichen in Lira bemessenen Reichtum um ein Fünftel dezimiert hat.

Das macht die Nation nicht reicher, dafür aber umso mehr zur Übergabe an Europa bereit. Auch wenn es mehr als fraglich ist, ob das Haushaltsmanöver seine Zielvorgabe überhaupt erreichen kann, der Beweis ist unerläßlich, daß die italienische Regierung bedingungslos dazu bereit ist, alle ihr vorgeschriebenen Schritte auf dem Weg zu Europa in Angriff zu nehmen. Jetzt hat die Nationalbank angekündigt, daß sie nach der Bewilligung der Haushaltsgesetze die EG um einen 8 Milliarden Kredit in ECU angehen will. Das ist das Eingeständnis, daß die Nation nicht mehr dazu in der Lage ist, ihre Auslandsverbindlichkeiten aus eigenen Kräften zu bestreiten, daß ihr aus dem Geschäft die internationale Zahlungsfähigkeit gar nicht mehr zuwächst, die sie braucht. Mit diesem Offenbarungseid wird an die europäischen Führungsnationen zugleich die Vertrauensfrage gestellt, ob sie den Europa-Eifer der italienischen Nation so weit zu würdigen wissen, ob ihnen das Dabeisein, die weitere Benützung Italiens das wert ist, daß sie mit ihrem Kredit die Zahlungsfähigkeit dieses EG-Partners retten.

Die Abwicklung des ganzen Unternehmens liefert schließlich auch den Beweis dafür, daß die italienische Politik ihr Volk bereits gründlich europa-reif gemacht hat. Die Notlage der Nation und ihres Geldes ist nämlich eine Erpressung, die rundum verfängt. Daß alle zusammenstehen und Opfer für die „arme Lira“, „unsere schwache Liretta“ usw. bringen müssen, wird eingesehen; die Gewerkschaften liefern ihren Beitrag auf Kosten ihrer Mitglieder, und Proteste gibt es nur und ausschließlich im Namen der Gerechtigkeit: Arbeiter sollen zahlen, aber die Steuerhinterzieher und Finanzspekulateure läßt der Staat in Ruhe… Allerdings verteilen guterzogene Nationalisten in Krisenzeiten, wenn es der Geschäftserfolg zu einem gründlichen Gegensatz zum Erfolg der Nation gebracht hat, ihr plus und minus auf sehr eigenwillige Weise. Kapitalisten genießen einen kaum noch zu überbietenden guten Ruf, sie sind die vorbildlichen Diener und Helden der Nation, weil sie gutes Geld verdienen. Moralisch anrüchig sind sie nur in der Rolle als Steuerhinterzieher und vaterlandsverräterische Devisenspekulanten. Die höchsten moralischen Autoritäten Italiens sind gleich nach dem Papst die Bosse von Fiat und Olivetti und vor allem der Chef der Nationalbank, der pausenlos in Schützengräben liegt und „unsere“ Lira verteidigt. Das Staatspersonal aber, das 40 Jahre lang alles zum Nutzen der ehrenwerten Kapitalistenklasse erledigt hat, erhält die denkbar schlechtesten Noten. Alle bislang notwendigen Maßnahmen zur Förderung des Wachstums nehmen sich heute als staatliche Geldverschwendung und staatliche Geldschlechtmacherei aus, für die die Politik voll in die Verantwortung genommen wird: Sie hat die Nation in die Krise geführt. Linke, kommunismusverdächtige Neigungen zu Aufsässigkeit sind – nicht zuletzt durch das Verdienst der ehemaligen kommunistischen Partei – gründlich ausgerottet worden. Die Nation ist durch ein paar turbulentere Etappen hindurch auf Linie gebracht, verblieben ist ein ordentlich vaterlandstreues Volk. Aber solche Nationalisten haben auch ihre Tücken, sie erheben nämlich ein Recht auf gute Regierung, das sie – unter politischer Anleitung, versteht sich – auch gegen alle gewohnten Weisen des Regierens und dessen bewährtes Personal gnadenlos einklagen, wenn sie es verletzt sehen.

Die italienische Demokratie – ein Abgrund von Korruption und Verbrechen

Daß Stammtische sich dazu versteigen, Politiker zu Verbrechern zu erklären, kommt öfters vor. Daß Politiker und Parteien und die meinungsführende Öffentlichkeit selbst solche Urteile fällen, daß die Justiz sie vollstreckt, ist eher ungewöhnlich – in Italien besteht daraus jedoch zur Zeit das gesamte politische Leben.

Die italienische Politik kennt keine Alternative zu Europa, und zugleich haben die Europa-Macher in Frage gestellt, ob Italien überhaupt mitmachen darf – in Gestalt der Maastricht-Kriterien, die wiederum von Italien ohne jede Einschränkung als vernünftige und notwendige Ziele anerkannt werden. Die italienische Politik kennt und predigt ihrem Volk einen einzigen Erfolgsweg und hat gleichzeitig sich für ziemlich unfähig erklärt, ihn auch garantieren zu können. In ihrer totalen Europa-Unterwürfigkeit hat sie so selber das Thema aufgebracht, wer denn eigentlich dem Recht der Nation auf Erfolg im Weg steht, und eine Etappe von Selbstkritik eingeleitet, nach der nur und ausschließlich die eigene Staatsmacherei die Schuld an der Misere der Nation trägt. Angefangen hat das mit den Anklagen des vormaligen Staatspräsidenten Cossiga, der seine Rolle als oberster Repräsentant des Staates als oberster Nestbeschmutzer ausgefüllt hat; mittlerweile wird von den Parteien selbst und der Öffentlichkeit sowieso an der bisherigen Tour, Staat zu machen, kein gutes Haar mehr gelassen. Weil eben gar nicht die Konkurrenzlage in Betracht gezogen wird, in der sich Italien in der EG nun einmal befindet, sondern weil die Politik in ihrer Zuständigkeit – also abstrakt im besten Sinne – für den Mißerfolg der Nation zur Verantwortung gezogen wird, kennt diese Kritik auch keine Grenzen und nimmt die Krisensymptome erst recht als Berechtigung für ihren Standpunkt, daß überhaupt und überall gründlich aufgeräumt werden muß. Wenn eine Regierung, wie die jetzige unter Ministerpräsident Amato, mit ihrem Antrag auf Notstandsvollmachten der Nation erklärt, daß sie sich in einem regelrechten Notstand befindet – und gleichzeitig die 4 bis 5 Parteien, die bisher ununterbrochen regiert und in der nationalen Optik die einzig Verantwortlichen für eben diesen Notstand sind, ihn exekutieren sollen, dann kann es nicht ausbleiben, daß „neue Kräfte“, Saubermänner in allen Parteien und die Augsteins und Dönhoffs der Nation an der Spitze einhellig verlangen, daß Köpfe rollen. So bringt sich die herrschende Klasse einigermaßen in Erschütterung.

„Tangentopoli“ – die Schmiergeldmetropole

Ihre besonderen Schönheiten bezieht die personelle Neuaustattung der Politik, die normalerweise als Regierungswechsel oder Wahlsieg der Opposition erledigt würde, daraus, daß die Selbstbezichtigung der italienischen Politik eine Säuberung in der politischen Klasse ausgelöst hat, die vor allem als nicht-enden-wollender Korruptionsskandal abgewickelt wird.

Die Justiz, d.h. einige Staatsanwälte und Ermittlungsrichter fühlen sich von der staatlichen Selbstkritik zur völligen Rücksichtslosigkeit gegenüber Staatsrepräsentanten ermächtigt, kennen keine politischen Opportunitätsgrenzen mehr und gehen dementsprechend vor. Dieses Vorgehen schafft seinerseits genügend „pentiti“, Kronzeugen, in Politik und Wirtschaft, die immer weiter auspacken und immer mehr hinhängen. Das Resultat ist quantitativ und qualitativ einmalig: Nahezu die gesamte Familienbande des Sozialistenchefs Craxi und seine politische Mannschaft in Mailand stehen unter Korruptionsverdacht oder sitzen in Untersuchungshaft; der Bürochef des ehemaligen Außenministers de Michelis hat zugegeben, daß er Schmiergelder eingesammelt hat, gegen seinen Chef läuft ein Verfahren zur Aufhebung der Immunität; der liberale Gesundheitsminister steht unter dem Verdacht, seinen Sitz im Parlament mit gekauften Stimmen erobert zu haben; der Finanzminister soll einer Bank in seiner Heimat einen außerordentlich günstigen Kredit zugeschustert haben; die Regierung der Lombardei und die Mailänder Stadtverwaltung sind durch die Verhaftung ihres Personals stark ausgedünnt worden; die gesamte Provinzregierung der Abruzzen ist in Untersuchungshaft gewandert, etliche andere Stadtverwaltungen ebenso. Hochkarätige Wirtschaftsbosse, Bauunternehmer, Banker ebenso, darunter auch der Chef der italienischen Tochterfirma von Siemens.

Was jetzt als massenhafte Korruption die Spitzen von Staat und Wirtschaft ins Gefängnis bringt, ist das gute Verhältnis, die besondere Kooperation zwischen dem italienischen Staat bzw. seinen regierenden Parteien und der Wirtschaft, wie sie 40 Jahre lang funktioniert haben. Und „Funktionieren“ gilt ja gemeinhin als Qualitätsmerkmal von Systemen. Nach der einen Seite hin war das die italienische Weise der Parteienfinanzierung, nach der anderen eine Form von Wirtschaftsförderung: Politiker haben ihre Karriere, ihre Klientel, den Erfolg ihrer Partei gesichert, indem sie sich von Geschäftemachern haben schmieren lassen; denen haben sie wiederum Staatsaufträge oder Kredite oder sonstige Geschäftsbedingungen zukommen lassen.

Etwas besonders war diese Sorte der Parteienfinanzierung und Wirtschaftsförderung allerdings schon, weshalb sie auch nicht ganz zu durchaus vorhandenen italienischen Gesetzen gepaßt hat und jetzt reichlich juristisches Material abgibt: Die Geschäftswelt, die dermaßen flächendeckend geschmiert hat, war offensichtlich darauf angewiesen, d.h. ohne diese politischen Leistungen wären viele Geschäfte offensichtlich gar nicht gegangen. Einiges an Profit ist in Italien weniger durch eine konkurrenzfähige Produktion und Durchsetzung auf dem Markt erzielt worden als durch Staatsgelder. Insofern hat die private Geschäftswelt eigentlich auch nur dieselben Dienste durch den Staat in Anspruch genommen, die er ganz öffentlich und legal den gesamten Staatsfirmen erwiesen hat. Auf der anderen Seite war auch die Art der Parteienfinanzierung ein bißchen besonders und nicht ganz legal – aber das auch wieder aus einem national und international anerkannten guten Grund: Als wichtiges Nato-Mitglied hatte Italien in den 40 Jahren Ost-West-Gegensatz die Freiheit auch noch gegen den Feind in den eigenen Grenzen zu verteidigen, gegen die Kommunistische Partei. Und zwar gegen einen Feind, der in Wahlen gefährlich nahe an die absolute Mehrheit herangekommen war, der koste es, was es wolle, von der Regierung ferngehalten werden mußte durch immer neue Auflagen eines „penta-“ oder „quattropartito“, Regierungskoalitionen der 5 anständigen, demokratischen Parteien, die ihre 3 bis 11 bis 21% Stimmen dann jeweils machtvoll zu einer demokratischen Mehrheit zusammengezählt haben. Eine Parteienfinanzierung im Verhältnis zu Wahl-Stimmen wäre unter diesen Bedingungen grundverkehrt und überhaupt nicht demokratisch gewesen; auch Italien ist schließlich eine wehrhafte Demokratie. Außerdem gab es noch andere unbeliebte Konkurrenz, die Neofaschisten und die Radikalen, die auch kein Recht auf eine Parteienfinanzierung haben sollten, so daß die ordentlichen Parteien ihre Finanzierung lieber etwas unordentlich, im vertrauten, nicht-öffentlichen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Leistungsträgern geregelt haben, die sie wiederum mit staatlicher Förderung belohnt haben. Im Prinzip, wenn auch nicht in den Details, war diese Regelung auch allgemein bekannt, so ging in Italien eben stabiles Regieren und nationale Wirtschaftsförderung – beides Werte, die jedem demokratischen Gemüt heilig sind.

Jetzt aber ist diese bewährte und aus guten Gründen betriebene Praxis ein Skandal, aus dem einzigen Grund, daß die Nation sich, bzw. ihrer bisherigen Verwaltung ihren Mißerfolg zum Vorwurf macht. Im Zuge der Aufdeckung wird zwar lauter neues und auch sehr beeindruckendes Material über die Funktionsweise der italienischen Demokratie bekannt gemacht, aber das politische Urteil darüber wird nicht richtiger, sondern stellt die ganze Sache noch einmal auf den Kopf. Daß der ehrenwerte Sohn eines ehemaligen christdemokratischen Ministerpräsidenten als Chef der Kreditabteilung der EFIM Kredite aufgenommen hat, um u.a. AS Rom zu unterstützen und Häßler zu kaufen, unterscheidet sich grundsätzlich gar nicht davon, daß BMW zwecks PR Sportvereine sponsort – bloß ist die EFIM für bankrott erklärt worden, BMW noch nicht. Wegen solcher gut angelegter Kredite soll jetzt aber EFIM in die Krise gerauscht sein. Wegen Immoralität – nicht wegen der internationalen Konkurrenz und des internationalen Kredits – soll die Nation sich „in crisi“ befinden. Um das gute Geld zu verschwenden, haben die Parteien den Staat in Besitz genommen, um ihrer Klientel Pöstchen zu verschaffen, sind die Staatsfirmen betrieben worden. Auch in der Bundesrepublik kommt kein abgehalfterter Minister, kein Späth oder sonstiger Wiesheu jemals unter die Räder, auch ohne politische Karriere sind die Strauß-Söhne als knapp 30-jährige natürliche Millionäre – anrüchig wird so etwas für Demokraten erst dann, wenn Bilanzen in die roten Zahlen rutschen. Auch die schmierenden Unternehmer bekommen jetzt in Italien schon einmal schlechte Noten: Sie haben geschmiert, nicht deshalb weil sie das Staatsgeld für ihre Bilanzen gebraucht haben, sondern um ihre notorische Unfähigkeit zu vertuschen, weil sie es erst gar nicht mit echter Leistung versuchen wollten, die bekanntlich bei Unternehmern mit Geld gar nichts zu tun hat.

Wie ebenfalls immer schon bekannt war, hat die bisherige Parteienherrschaft mit ihrem dauerhaften Proporz natürlich auch sämtliche Staatsapparate, Institutionen und die Verwaltungsposten unter sich aufgeteilt und besetzt, ein ehrenwerter Brauch, der in allen deutschen Rundfunkräten und hochoffiziell bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts gilt. Wenn dieser Usus aber einmal der Politik zum Vorwurf gemacht wird, wenn die Nation dem bisherigen Regierungspersonal kollektiv den Verdacht auf Parteiklüngel und Vetternwirtschaft entgegenhält, dann kann diese Denunziationswelle gar nicht auf die große Politik im engeren Sinn beschränkt bleiben, sondern wendet sich logischerweise auch gegen die nachgeordneten Staatsabteilungen und findet logischerweise nur weiteres Material. Die Staatsanwälte haben bereits Berge von Akten bei der RAI beschlagnahmt – unter anderem ist wieder der Craxi-Nachwuchs in der Schußlinie –, bei den obersten Justizagenten, in den Polizeiapparaten werden Beziehungen aufgedeckt, Untersuchungsverfahren eröffnet. Gemeinsam sorgen Säuberungsfanatiker aus der Justiz und aus der Parteienkonkurrenz dafür, daß immer Neue in Verdacht geraten. Daneben werden alle altehrwürdigen und die Jahre hindurch untergebügelten Skandale wieder aufgerollt, von Ustica, wo der Abschuß einer vollbesetzten DC-9 erst einmal Gadafi in die Schuhe geschoben wurde, während nachher lauter Beweise über die Beteiligung von Nato-Militär zu Tage gefördert wurden, über Skandalurteile gegen die alte Linke bis zum italienischen Logenwesen, der Organisationsform für politische Kontakte und gewisse Verbrechenssphären, die getrennt vom demokratischen Procedere organisiert gehören. Ohne jede Rücksicht auf politische Zweckmäßigkeit wird der Generalverdacht erhoben, daß in diesem Staat alles immer schief gelaufen und verkehrt gehandhabt worden ist, wird das italienische Skandalregister neu aufgearbeitet. Davon haben dann zufälligerweise sogar noch ein paar Linke profitiert, die in rechtsstaatlich bahnbrechenden Verfahren verurteilt und jetzt freigesprochen wurden.

Der „von der Mafia unterwanderte, geknechtete“ Staat

Weiteres Material für die abgrundtiefe Verderbtheit italienischen Regierens kommt ausgerechnet dadurch zustande, daß die italienische Justiz – diesesmal, im Unterschied zu früheren Kampagnen, sogar mit Billigung der Politik – den Kampf gegen die Mafia aufgenommen hat.

40 Jahre hat der italienische Staat mit dem Widerspruch gelebt, daß er sich im Süden eine Zone geleistet hat, in der das Verbrechen die Regel war und die politische Ökonomie des Gebiets ausgemacht hat. Dort hat die Mafia, organisiert in Familienclans mit einem zur unbedingten Treue verpflichteten und darüber unterhaltenen Anhang, ihre eigene Herrschaft etabliert: Sie unterwirft die Bevölkerung und die Geschäftswelt der Schutzgeldzahlung und gewährt ihren Schutz. Einem entsprechend großen und disziplinierten Verband erschließen sich wiederum Geschäftsbereiche, die unmittelbar dem staatlichen Verbot entspringen: Schmuggel, Drogenproduktion und -handel, Glücksspiel und Prostitution. Gerade im Mezzogiorno, wo kein Geschäft ohne Staatsgeld zustandekommt, ist die privilegierte Beziehung zu Amtsträgern eine ganz besondere Geschäftsquelle: Die Konkurrenz wird da betrieben bzw. ersetzt durch den absoluten Zugriff der ehrenwerten Gesellschaft auf Staatsgelder und -aufträge und ein Teilen und Zuteilen in ihren eigenen Reihen. Und die Gelder aus dem kriminellen Geschäft werden durch Reinvestition im Baugewerbe und allem, was sonst noch an Geschäft zustandekommt, reingewaschen und vermehrt. Die Mafia ist mehr oder weniger das Wirtschaftsleben im Süden, das nicht wegen der Mafia nicht besser wächst, sondern wegen sehr beschränkter Geschäftsgelegenheiten den Rahmen der Patronagewirtschaft nie überschreitet.

Die Duldung dieser Art von Staat im Staat war ein Widerspruch, insofern im Süden nicht die in Rom verfertigten Gesetze, sondern die der Mafia gegolten haben, insofern der im Rechtsstaat niedergelegte staatliche Wille dort nichts zu sagen gehabt hat. Dagegen sind immer wieder Teile der Justiz vorgegangen und – wie der zivilisierte Mitteleuropäer aus unzähligen Filmen weiß – politisch gebremst worden. Denn die andere Seite des staatlichen Verhältnisses zur Mafia bestand eben aus dem politischen Nutzen des Arrangements: Die Familien waren nun einmal die Geschäftswelt im Süden und die Spitzen der Gesellschaft, die dort alle Verhältnisse im Griff hatten und für politische Bedürfnisse alles in die Wege leiten konnten. Die ehrenwerte Gesellschaft konnte ihren römischen Gesprächspartnern garantieren, daß deren Abgeordnete im Süden gewählt wurden. In den Gründerjahren hat sie sich ums Erschlagen von Kommunisten verdient gemacht, sie hat Wahlkämpfe und die dahinterstehenden Parteien finanziert, in erster Linie die Christdemokraten, in letzter Zeit auch die Sozialisten, die durch die Ministerpräsidentschaft Craxis in diesem Geschäft auch ihre Bedeutung gewonnen hatten.

Diese gedeihliche Zusammenarbeit ist nun politisch gekündigt worden. Nicht weil die Mafia sich in die EG ausbreitet und der Kanzler Italien gedroht hat, daß es mit seiner Mafia nicht in den Binnenmarkt hereindarf, sondern weil die italienische Politik selbst befunden hat, daß sie einen Souveränitätsbeweis an dieser Materie dringend benötigt, daß sie sich den schlechten Ruf mangelnden Durchsetzungsvermögens und der heimlichen Kumpanei mit dem Verbrechen nicht mehr leisten kann. Wenn der Politik voll und ganz die Verantwortung für den Notstand der Nation zugeschoben wird, müssen die Führer der Nation und die Parteien, die diese Figuren stellen wollen, ihre Eignung zur Rettung der Nation unter Beweis stellen: Sie müssen das ausrotten, was als Symptom für die tiefe Verrottetheit von Staat und Gesellschaft definiert wird, woran sich die verderbliche Schwäche der Staatsgewalt gezeigt haben soll – so lautet die nationale, staatsbürgerliche Lesart für das Verhältnis Mafia – Staat. Darüber gerät eine weitere Grundlage der italienischen Staatsmacherei in Erschütterung.

Letztlicher Auslöser für diesen politischen Beschluß waren der Mord an Salvo Lima, einem DC-Politiker, angeblich wegen mangelnder Bereitschaft, seine Dienste für die Mafia fortzusetzen, und die Attentate auf die Ermittlungsrichter Falcone und Borsellino, mit denen die Mafia ihre Fähigkeit und Bereitschaft demonstriert hat, das Kräftemessen mit dem Rechtsstaat aufzunehmen. Gerade die Effizienz dieser Attentate, die ohne Kollaborateure im Staatsapparat nicht zu machen gewesen wären, hat den Staat zum machtvollen Dementi der Ideologie genötigt, daß er vor dem Verbrechen in die Knie ginge.

Seitdem wird ganz anders zugeschlagen als in früheren Anti-Mafia-Kampagnen: Truppen sind in Sizilien stationiert worden, um dort eine Art Belagerungszustand zu schaffen, die Ausübung dortiger Staatsfunktionen ist nach Rom zurückgezogen worden, vor Ort regiert ein Präfekt. Gesetze zur Vereinfachung von Verfahren sind erlassen worden, so gilt z.B. eine Zeugenaussage, wenn sie einmal, unter was für Umständen auch immer, gemacht worden ist, vor Gericht als Beweismittel. Ein neues Gesetz über die Beschlagnahmung von illegal erworbenem Vermögen ist schon einige Male zur Anwendung gekommen ist. Seit dem Sommer werden täglich neue Erfolge gemeldet, Waffen- und illegale Warenlager werden ausgehoben, von den staatsbekannten „latitanti“, Flüchtigen, die Jahrzehnte hindurch nicht aufgefunden werden konnten, wird ungefähr pro Tag einer spektakulär verhaftet.

Diese Staatsdemo mit dem rechtsstaatlichen Kampf gegen die Mafia ist nun ihrerseits dermaßen effektiv, daß ironischerweise die rückwirkende Klarstellung über das alte Arrangement zwischen Mafia und Politik gar nicht deutlicher ausfallen könnte. Die Öffentlichkeit fragt sich einhellig, wieso jetzt auf einmal, wieso so schnell und erfolgreich so viele untergetauchte Mafiosi eingesammelt, so viele Kollaborateure im Staatsapparat festgenagelt werden können, ob da nicht die zuständigen Stellen schon vorher die Adressen gekannt haben müssen. Darüberhinaus schaffen diese Erfolge wiederum genügend Pentiti aus den Reihen der Mafia, die nun über ihre politischen Beziehungen auspacken. Die Nation erfährt, daß der ermordete Lima als Mittelsmann zwischen der Mafia und Andreotti, dieser Säule der italienischen Politik, fungiert hat, daß sizilianische Stimmengeschäfte auch für den PSI organisiert worden sind. Es wird ausgebreitet, wie die Verhandlungen zwischen Politik und Mafia über die Freimaurerlogen abgewickelt worden sind, wie Einfluß auf die Prozeßführung genommen wurde, daß Beamte am obersten Berufungsgericht dafür gesorgt haben, daß Prozesse günstig gesonnenen Richtern zugeteilt wurden, daß einer der Richter am obersten Berufungsgericht ungefähr alle Urteile aus dem sogenannten Maxi-Prozeß von Palermo rückgängig gemacht und die Mafia-Spitzen wieder in Freiheit gesetzt hat.

So leistet diese Front wiederum ihren Beitrag dazu, daß die schlechte nationale Meinung über die Politik gar nicht mehr schlechter ausfallen könnte. Je mehr die Gleichung von Politik und Verbrechen vollstreckt wird, umso glaubwürdiger wird sie auch.

Die Krise der „partitocrazia“

Eröffnet worden ist sie aufgrund der Lagedefinition, die durch die politische Klasse selbst ausgegeben worden ist; gediehen ist sie mittlerweile zu einer eigentümlichen Sorte Staatszersetzung, die wiederum von der politischen Klasse selbst betrieben wird.

Das demokratisch übliche Verfahren im Umgang mit Parteispenden und Barschels ist angesichts der Skandallandschaft nicht mehr zu verwenden, Parteien und Personen lassen sich nicht mehr trennen, d.h. die Parteienlandschaft wird aufgemischt.

Eine Spaltung der alten Parteien kündigt sich an, entlang am Bedürfnis nach einer gründlichen Säuberung, die zwar sein muß, die aber verdiente langjährige Führer der Parteien nicht gegen sich ausschlagen lassen wollen. Vorgegangen wird dann von den Säuberern auch wieder sehr schlicht und demokratisch überzeugend. Ungefähr genauso totschlägerisch wie in der ehemaligen Sowjetunion findet das „Nomenklatura“-„Argument“, auch das bewährte Argument des Alters Anwendung, nach dem die Alten weg sollen, weil sie damals dabei waren. Auch anhand der Fragen der politischen Reform wie Mehrheitswahlrecht, Direktwahl des Staats- oder Ministerpräsidenten etc., die allesamt auf das Ideal eines starken handlungsfähigen Staats hinauslaufen, zerstreiten sich die erprobten Parteien. „Parteirebellen“, vereint mit italienischen Chefkommentatoren, politik-unverdächtigen Intellektuellen und anderen Wortführern einer radikalen Säuberung, planen eine große saubere Neugründung, die Alleanza democratica, die gegen die alten Parteien mehrheitsfähig sein soll. Mit Anti-Parteien-Parolen, die die Parteien als Schmarotzer an der Staatsgewalt denunzieren, wird die Gründung dieser neuen Partei betrieben: Das ist das ungemütliche Ideal einer Staatsgewalt, die nur sich selbst und keinem einzigen niederen Interesse verpflichtet sein soll.

Für einen besonderen Witz sind die ehemaligen Kommunisten und heutigen PDSler immer noch gut: Die, die jahrelang mit dem Argument des „malgoverno“, der schlechten Regierung agitieren gegangen sind, bleiben sich in ihrer staatstragenden Sorge um die Güte von Politik treu und dringen heute – wo die ganze Nation sich nur noch mit zeitungsfüllendem Material bezüglich malgoverno befaßt – auf konstruktive Zurückhaltung, weil doch die Nation in der Krise und deswegen loyales Zusammenstehen gefragt ist! Das dankt ihnen wieder mal keiner, mit Ausnahme der Sozialistischen Internationale, die sie endlich der Aufnahme für würdig befunden hat.

Neue Parteien treten allein mit dem Thema „neu“ bzw. „sauber“ an und gewinnen damit Stimmen: die Anti-DC-Mafia-Partei „Rete“ des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Orlando, und die Lega Nord.

Über die Lega Nord kommt dann endgültig ein anderer Inhalt in das Parteiengezänk hinein, durch den es sich vom üblichen Personalaustausch und dem regulären Wechselspiel zwischen Regierungs- und Oppositionspartei unterscheidet: Der italienische Staat wird, zumindest in seiner heutigen Verfassung, in Frage gestellt. Ihren geistigen Ursprung hat die Lega im uralten inner-italienischen Nord-Süd-Rassismus, in der schlechten Volksmeinung des „fleißigen und anständigen“ Nordens über den „faulen und korrupten“ Süden, der sich aber nun zu einem politischen Programm aufgerufen fühlt: Wenn der Erfolg der Nation nur im Anschluß an Europa zu sichern, aber durch die bisherige Staatsführung in Gefahr gebracht worden ist, dann muß der vorbildliche, für sich genommen „europareife“ italienische Norden sein Recht gegen die unfähige Zentrale in Rom behaupten und durchsetzen. Die Parole „roma ladrona“, das räuberische Rom, das immer nur schmarotzt und die wirklich nützlichen Volks- bzw. Landesteile an deren gerechtem Erfolg hindert, macht den Chef der Lega Nord, Bossi, zu dem Polit-Konkurrenten überhaupt. Er erhält auch im Süden Zustimmung, weil der ja von Rom auch nichts hat, und braucht wiederum die Stimmen aus dem Süden, um sich in Wahlen durchzusetzen. Daher vertritt das Programm der Lega Nord auch gar keinen schlichten Separatismus mehr, sondern verlangt unter dem Titel Föderalismus eine Auflösung des unfähigen Zentralstaats in drei Republiken, die miteinander kooperieren, also einen Umsturz des bisherigen Regierens. Dieses Programm findet soviel Zustimmung, hat soviel Aussicht auf Anklang bei den Wählern, daß sein Repräsentant zu großer Form aufläuft und mitten in der Krise zum Steuerstreik oder gegen den Kauf italienischer Staatstitel aufruft, wofür er auch vor Gericht gestellt werden könnte. Dazu hat es die italienische Politik also schon gebracht, daß eine legale Partei damit Wahlerfolge erzielt, daß sie die Auflösung des bisherigen Staats zu ihrem Programm macht. Im nächsten April will die Lega auf einem Parteitag beschließen, ob sie ihre Anhänger zu einem totalen Steuerstreik auffordert, um der Regierung Amato den Rest zu geben und Neuwahlen zu erzwingen.

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So kann es gehen, so geht ein guter Geschäftspartner und eine stabile Demokratie in die Brüche. Und das hat man nicht immer schon irgendwie gewußt und immer kritisiert, wie der Spiegel, der die „inneren Wurzeln dieser Fehlentwicklung“ (Nr.31/92) schon seit dem Untergang der Stauferherrschaft in Italien kommen gesehen hat, nach dem Muster: Hätten sie doch lieber unsere Staufer behalten und sich deutsch regieren lassen… Schließlich bestanden die inneritalienischen Verhältnisse doch gar nicht nur in einem getürkten Kapitalismus und einer „Fassadendemokratie“ (Spiegel), sie wurden hofiert und benützt. Sie waren ein Bestandteil der europäischen Wirtschaftsordnung, der nicht nur der Mafia recht war. Italien hat seine Dienste getan, es war eine Säule der Weltwirtschaftsordnung und der EG, hat seine Funktion in der Kontrolle des Mittelmeers und der Front gegen den Ostblock zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt. Zu der Zeit ist nie Kritik daran aufgekommen, daß, gemessen an gewissen Idealen von Marktwirtschaft und Demokratie, seine inneren Verhältnisse etwas zweifelhaft waren – das waren damals notwendige und richtige Maßnahmen zur Förderung des europäischen Wachstums und zur Bekämpfung von Kommunismus und Terrorismus. Seine Premiers und Außenminister, bekannte Freunde der Mafia und Schmiergeldeinsammler, standen auf den Familienfotos der G7, der Nato und der EG in der ersten Reihe. Und dieselben Partner, die die Unhaltbarkeit der Zustände mit Maastricht provoziert und jetzt ausgerufen haben, sind es gewesen, die Italien mitsamt seinen Techniken des Regierens und Wirtschaftens, diese „Unordnung“ als Ordnung stabil gemacht und respektiert haben. Sie haben am italienischen Wirtschaftswunder partizipiert, die Nation mit BMWs und bayerischer Milch eingedeckt, ihre Tochterfirmen in „tangentopoli“ angesiedelt und ihren Vorteil mit EG-Geldern und dem EWS abgesichert. Sie haben dessen Repräsentanten „mit allen Verschleiß- und Degenerationserscheinungen, die die Macht“ jetzt auf einmal „unter denen anrichtet, die sie zu lange besitzen“ (Spiegel), als Garanten einer zuverlässigen Linie im westlichen Lager gewürdigt und mit ihrer Anerkennung ausgestattet.

Und dieselben Europa-Macher, deren Interesse, deren Geld und deren politische Macht die Jahre hindurch der italienischen Staatsmacherei Rückendeckung gegeben haben, sind es, die wegen ihrer imperialistischen Vorhaben die Vertrauensfrage an diese Nation gestellt haben, unter der dort nun einiges in Stücke geht, und der ganze Weg einer Nation fragwürdig wird.