Kampfansage der USA an den nordkoreanischen Diktator und die Diplomatie der 6er-Gespräche
Ein Stück amerikanische Ordnungspolitik im, für und gegen den „asiatisch-pazifischen Raum“

Die besondere Bedeutung und zugleich „Kompliziertheit“ des Falles Nordkorea erschließt sich dem amerikanischen Präsidenten spätestens durch einen Blick in die Landkarte. Dieser „Vorposten der Tyrannei“ ist in einer staatlichen Umgebung beheimatet, die Amerika insgesamt schwer wiegende Sorgen bereitet. Das ist kein Wunder, wenn man im Weißen Haus von dem als unabweisbare Tatsache proklamierten, sich selbst erteilten Auftrag ausgeht, dass niemand anderer als „die USA zuständig sind für den Frieden in der asiatisch-pazifischen Region“.

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Kampfansage der USA an den nordkoreanischen Diktator und die Diplomatie der 6er-Gespräche
Ein Stück amerikanische Ordnungspolitik im, für und gegen den „asiatisch-pazifischen Raum“

1. Nordkorea – Schurkenstaat, Tyrannei und Bestandteil der Achse des Bösen – stört den Frieden, den die USA garantieren wollen. Ein Regime also, das weg muss.

a) Für den aktuellen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist die Sache völlig klar:

  • Dieses staatliche Gebilde im Norden der koreanischen Halbinsel ist ein einziges Produkt des Kalten Krieges – und ignoriert einfach, dass die USA diesen Krieg längst gewonnen haben. Seine politischen Führer wollen verrückterweise nicht wahrhaben, dass die Ära des Kommunismus endgültig zu Ende und jeder Widerstand gegen die siegreiche Weltmacht sinnlos geworden ist.
  • Stattdessen halten sie an ihrem falschen System fest, an einer Kommandowirtschaft, die statt Profit, Konkurrenz und wachstumsdienlicher Armut nur Hunger und Missernten zustande bringt. Sie schotten ihr Gelände samt Insassen vom Weltmarkt ab, verweigern sich also der allgemein-menschlichen, freiheitlichen und vernünftigen Art des Wirtschaftens. Das ist ein einziger Affront gegen den american way of life, der diese Art so vorbildlich verkörpert.
  • Mit ihrer Parteidiktatur samt von oben verordnetem Führerkult pflegen die nordkoreanischen Machthaber die falsche Herrschaftsform. Diese verstößt gegen sämtliche Menschenrechte und die Demokratie – und damit gegen die einzig menschen-gemäße Form des Regierens. Wer das eigene Volk auf die Weise unterdrückt, der greift damit Amerika an, das doch die Schutzmacht von Recht und Freiheit ist und auf die universelle Verbindlichkeit seiner Herrschaftsmethode zu achten hat.
  • Und dieser real existierende Un(rechts)-Staat maßt sich an, der amerikanischen Supermacht als Souverän von Gleich zu Gleich gegenüberzutreten und auf der Anerkennung seines Existenzrechts und seiner Andersartigkeit zu beharren. Als ob sich nicht jede Herrschaft die Lizenz zum Regieren erst verdienen müsste, welche der oberste Weltordnungshüter und nur er zu vergeben hat.
  • Die Absicht Nordkoreas, das Überleben durch militärische Verteidigung, gar durch atomare Massenvernichtungsmittel zu sichern und die ihm verweigerte Anerkennung skrupellos zu erzwingen, beweist über die Bösartigkeit dieses Regimes hinaus seine Gefährlichkeit. Atombomben sind schließlich nur bei den USA in guten Händen und eine Armee sollte sich nur ein Staat leisten, der seine Bevölkerung wohl genährt und aufgrund seines Wohlverhaltens Amerika auf seiner Seite hat.
  • Wer seine Macht dermaßen zu antiamerikanischem Widerstand missbraucht und sich auch noch durch Austritt aus dem Nonproliferationsvertrag als „Outlaw“ bekennt, der handelt natürlich auch mit Nuklear- und Raketentechnik, nur um an die Bombe und fehlende Devisen zu kommen. Womit er, zumindest potentiell, auch noch andere Feindstaaten und Terroristen fördert. Er macht sich also des größten anzunehmenden Verstoßes gegen die Rechte und Pflichten schuldig, deren Katalog in Washington aufgestellt wird und dessen Einhaltung die Bedingung aller Anerkennung ist: Er sabotiert die amerikanische Kontrolle des globalen Gewalthaushalts! Das ist ein Angriff auf das Sicherheitsinteresse der USA, welches mit der Respektierung ihres Rechts identisch ist, den Staaten die Regeln, also auch die Schranken der Konkurrenz zu diktieren.

Das Urteil der Bush-Regierung ist zugleich Programm, wie es sich bei einer Weltmacht versteht, die keinen Widerstand duldet, sondern ihn aus der Welt schafft. Die Diagnostizierung der einschlägigen ‚Tatbestände‘ WMD und Proliferation, die den Terrorismus fördert, entspricht haarscharf den Kampf-Titeln, welche die gewaltsame Beseitigung des Irak-Regimes forderten und begründeten. Sie inkriminieren eine – verbrecherische – politische Herrschaft und ihre – illegitimen – Machtmittel, sind also eine Kriegserklärung gegen ein komplettes Staatswesen. Von dem muss das arme koreanische Volk und die zivilisierte Staatenwelt befreit werden, das steht damit fest.[1]

b) Die besondere Bedeutung und zugleich „Kompliziertheit“ des Falles Nordkorea erschließt sich dem amerikanischen Präsidenten spätestens durch einen Blick in die Landkarte. Dieser „Vorposten der Tyrannei“ ist in einer staatlichen Umgebung beheimatet, die Amerika insgesamt schwerwiegende Sorgen bereitet. Das ist kein Wunder, wenn man im Weißen Haus von dem als unabweisbare Tatsache proklamierten, sich selbst erteilten Auftrag ausgeht, dass niemand anderer als „die USA zuständig sind für den Frieden in der asiatisch-pazifischen Region“ (US-Außenministerin Rice) und dass sie diese ihre Zuständigkeit auch für alle Zukunft sicherstellen wollen. Das Objekt des amerikanischen Kontrollbedarfs, die pazifische Gegenküste samt kontinentalem Hinterland, versammelt schließlich mit China, Russland und Japan nicht weniger als drei ambitionierte Großmächte sowie, neben Nordkorea, einen erfolgreich aufstrebenden Industriestaat, das republikanische Südkorea. Wie unsicher und ungeordnet diese Weltgegend (noch) ist, kann und muss der US-Präsident schon dem Umstand entnehmen, dass diese Vier es keineswegs als Selbstverständlichkeit betrachten, dass Amerika das Recht – für sich und stellvertretend für sie in ihrer Eigenschaft als „Anrainer“ gleich mit – beansprucht, das Todesurteil über ihren Nachbarstaat Nordkorea zu verhängen und, wenn keine andere Option bleibt, auch durch eine „Militärkampagne“ zu vollstrecken. Der strategische Blick in die Region fällt ausgesprochen ambivalent aus. Als gute Nachricht ist zu vermelden, dass die Ex-Feinde Russland und China sich für das richtige, kapitalistische Wirtschaftssystem entschieden und in riesige Absatz- und Anlagesphären auch und gerade für amerikanische Geschäftsprofis verwandelt haben. Die schlechte Nachricht: Die Anpassung des politischen Systems, die Übernahme der demokratischen Herrschaftsmethoden, welche zugleich die Einordnung in die amerikanische Weltordnung verbürgen sollen, lässt zu wünschen übrig. Die „Willkürherrschaft“ der KP Chinas hat zwar das Kommunistische gestrichen, versagt dem Volk aber immer noch die schönen Freiheiten der Auswahl des Herrschaftspersonals, der staatsförderlich-kritischen Meinungsbildungsorgane, der religiösen Sekten und sonstigen Lifestyle-Angebote, was in Washington als eindeutiges Indiz für mangelnden Respekt vor Amerikas Weisungskompetenz gilt. Dass die Freiheit des Kapitals auch politische Freiheit verlangt, dass nur eine rechtsstaatliche Ordnung die sichere Basis und Gewähr dafür bietet, dass die nationale Politikerelite die Bedürfnisse des Privateigentums als Sachzwang achtet und die Bevölkerung ihren Frieden mit den unvermeidlichen Härten der damit institutionalisierten Ausbeutung macht; dass ferner die Teilhabe an der internationalen Konkurrenz, also die großzügige Zulassung der Nation zur geschäftlichen Bereicherung in jedem Erdenwinkel, naturgemäß auch die Anerkennung der USA als befugter Regelungs- und Ordnungsinstanz verlangt – das müssen die Machthaber des aufstrebenden Riesenreichs offenbar erst noch lernen.[2] Auch Russlands Präsident Putin ist noch nicht angekommen in der echten Demokratie, wie die Pressezensur, die Verknastung des „liberalen“ Energiekapitalisten Chodorkowsky und die Nukleargeschäfte mit dem Iran gleichermaßen demonstrieren. Und selbst hinsichtlich der alten Bündnispartner aus dem Kalten Krieg, Japan und Südkorea, können die USA immer weniger sicher sein, dass sie nicht aus falsch verstandenen, sprich Amerika störenden nationalen Eigeninteressen traditionelle „Erbfeindschaften“ in der Region aufleben lassen, statt ihre upgedateten Bündnispflichten zu erfüllen.

Die Durchsetzung einer Ordnung, welche die Großmächte rund um die koreanische Halbinsel herum auf Dauer „integriert“, sprich dem Stabilitätsbedarf der Weltmacht unterwirft, will also erst bewerkstelligt sein. Das macht die besondere Brisanz des Falles Nordkorea aus und hat Konsequenzen für die Abwicklung desselben.

2. Stiftung einer nachbarschaftlichen Einheitsfront für die ‚friedliche‘ Erledigung Nordkoreas – mit unvermeidlichen Widersprüchen

a) Die Erzwingung des Regimewechsels in Nordkorea ist beschlossene Sache. Was die Methode der Erzwingung betrifft, so weisen die Führer der USA jede Identität des Falles mit dem Irak zurück. Eine ultimative Kriegsstrategie, die es auf die gewaltsame Eroberung des Landes und die Zerstörung der Staatsmacht des bösen Diktators geradezu abgesehen hat, um den nahen und fernen Widersachern, aber auch widerspenstigen Alliierten der USA eine abschreckende Lektion zu erteilen, wird nicht praktiziert. „Nordkorea ist anders“, heißt die Losung, die nicht zu verwechseln ist mit weniger „böse“ oder „gefährlich“. Die „auf diesen Fall zugeschnittene“, „bestmögliche Strategie“ zur Vollstreckung des Unvereinbarkeitsbeschlusses gegen Nordkorea propagiert und praktiziert einen „multilateralen Ansatz“ zur „friedlichen Lösung“ des „Problems“. Wobei die bleibende Kriegsoption, also die Drohung mit dem Krieg für den Fall, dass „die Diplomatie versagt“, als entscheidende Grundlage für den Erfolg des friedlichen Weges gewusst, geschätzt und offen als ‚Argument‘ in Anschlag gebracht wird:

„Wir suchen keine Kriege. Wir suchen friedliche Lösungen für Probleme. Aber wir werden nicht davor zurückschrecken, unsere Interessen mit militärischer Gewalt zu verteidigen, wenn es nötig wird. Und die Tatsache, dass wir bereit sind, militärische Gewalt zu gebrauchen – sollte sie notwendig sein als ein letztes Mittel – macht, so denke ich, die Diplomatie effektiver.“ (Der damalige Außenminister Powell, IHT, 24.10.04)

Die USA, welche Nordkorea gerade ganz unilateral die Existenzberechtigung abgesprochen haben, dementieren zugleich entschieden, dass es sich um eine „bilaterale Angelegenheit“ handle. Sie verweigern geradezu einen Alleingang.[3] Sie bestehen gegenüber den ostasiatischen Nachbarn des Bösewichts auf einer kollektiven Offensive, die darauf zielt, durch politische Isolierung und ökonomische Drangsalierung des Feindes dessen Selbstbehauptungswillen zu brechen. Die Veranstaltung heißt „6er-Gespräche“, weil Verhandlungen mit Nordkorea für Amerika nicht in Frage kommen. Erst recht werden die von Nordkorea geforderten „direkten Verhandlungen“ zurückgewiesen, und zwar genau aus dem Grund, aus dem Nordkorea auf sie drängt: Verhandlungen sind ein offizieller diplomatischer Kontakt; er schließt die Anerkennung der Souveränität des Kontrahenten als legitime hoheitliche Gewalt ein, deren Interessen Berücksichtigung verdienen. Das Gegenteil ist aber der Inhalt der amerikanischen Kampfansage an den Outlaw mit Sitz in Pjöngjang. Dementsprechend sind die „Gespräche“ dazu ausersehen, der Nr. 6 am Tisch die Kapitulations-Forderungen der USA zu übermitteln.

Was für einen Grund Staaten wie China und Russland, aber auch Japan und Südkorea haben sollen, sich unter der Führung der USA zur gemeinsamen Front gegen Nordkorea zusammenzuschließen, bereitet der amerikanischen Regierung kein Kopfzerbrechen. Es gehört eben zum Auftrag einer Weltmacht, fremden Staaten zu der ihnen gebührenden Rolle zu verhelfen. Also diagnostiziert sie eine Betroffenheit der Nachbarn Nordkoreas von dessen „Frieden und Stabilität in der ganzen Region“ bedrohender Politik, die „mindestens ebenso groß“ ist wie die der USA – und kann sich tatsächlich auf eines verlassen: Es ist genau ihre eigene Feindschaftserklärung gegenüber Nordkorea, welche jene zu Betroffenen macht, denn die setzt die Interessen aller Nachbarn aufs Spiel. So definiert Amerika das eigene Interesse an der Beseitigung des Schurkenregimes in die sicherheitspolitischen Bedürfnisse der Anrainerstaaten hinein, um daraus messerscharf die Selbstverständlichkeit ihrer aktiven Teilnahme an der Durchsetzung der US-Agenda zu folgern. Aus potentiellen Gegnern eines amerikanischen Strafvollzugs gegen Nordkorea sollen hilfreiche Partner werden. Genau dies ist der „Vorzug“, d.h. der Imperativ, den die US-Regierung bei der Wahl ihrer „bestmöglichen Strategie“ der kollektiven Erpressung Nordkoreas im Auge hat und verordnet.

b) Amerika organisiert folglich (s)eine regionale Koalition der Willigen. Als bevorzugter Stoff und UNO-gedeckter diplomatischer Obertitel, der zugleich das ureigenste, natürliche und gemeinsame Interesse der designierten Partner stiften und verbürgen soll, bietet sich der schon im Kasus Irak bewährte Schlager der Massenvernichtungsmittel an. Das Bemühen Nordkoreas, sich in den Besitz von nuklearen Kriegsmitteln zu bringen, die ihm laut Washington nicht zustehen, muss im Namen des internationalen Rechts, der Sicherheit und des Friedens zunichte gemacht werden. Das Schurkenregime muss zur endgültigen und nachweisbaren Verschrottung aller Atomanlagen genötigt werden – zu „friedlicher Nutzung“ von Kernenergie ist ein Feind Amerikas ja per definitionem nicht imstande.[4] Dass dieses Ziel nach dem Willen der USA für das Programm der Entmachtung der störenden Herrschaft insgesamt steht, ist niemandem ein Geheimnis. Für den Fall einer Einwilligung in den Atomverzicht wird Nordkorea schließlich keineswegs das Ende der Feindschaft versprochen. Das wäre ja ein unverzeihlicher Verstoß gegen das erklärte Motto: „Atomare Erpressungsversuche dürfen nicht honoriert werden!“ Stattdessen warten im umfangreichen Forderungskatalog des Weißen Hauses noch so feine Dinge wie „konventionelle Überrüstung“, „weit reichende Trägersysteme“, „Raketenproliferation“, „Devisen- und Drogenschmuggel“ usw., ganz zu schweigen von den „Menschenrechten“, welche ein Steinzeit-Regime à la Kim Jong Il ohnehin nicht gewährleisten kann. Indem sich die verantwortungsbewussten Vier mit den USA gegen den einen Halunken im Namen einer „atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel“ vereinen, sollen sie die nötige Beihilfe zur friedlichen Kapitulation der Demokratischen Volksrepublik Korea leisten.

c) Das feindliche Objekt ist laut Präsident Bush sehr gut geeignet, wenn nicht geradezu prädestiniert für die Anwendung einer Strategie der ‚friedlichen‘ Entmachtung. Tatsächlich hat sich der oberste Antiterrorkrieger entschieden, eine andere Methode, einen dritten Weg zur Beseitigung einer nicht tolerierbaren Staatsordnung auszuprobieren. Statt Krieg und Eroberung wie im Fall des Irak und statt ‚Demokratisierung‘ mit Hilfe interner Opposition (die den Regimewechsel besorgt) oder der inkriminierten Herrschaft selbst (die eine letzte Bewährungsprobe erhält), setzt die amerikanische Regierung dieses Mal auf eine Kombination aus politischer Isolation und wirtschaftlicher Strangulation, welche den Selbstbehauptungswillen der verhassten Herrschaft brechen soll. Als produktive Grundlage für diese Strategie gilt den USA der desaströse Zustand der nordkoreanischen Ökonomie, welche die physische Reproduktion des Volkes nicht mehr gewährleistet und so die Existenz des Staates gefährdet, sowie die daraus folgende Tatsache, dass die Priorität der militärischen Wehrhaftigkeit gegen die äußere Anfeindung erst recht die Aufrechterhaltung oder gar Konsolidierung des zivilen Sektors der Gesellschaft verunmöglicht. Genau das ist die Chance für eine „diplomatische Lösung“, für eine Alternative zum heißen Krieg, die Amerika ein veritables Kriegsergebnis bescheren soll.

„Das Regime von Pjöngjang ist wirtschaftlich isoliert. Es weiß, dass die einzige Möglichkeit, seine hoffnungslose ökonomische Situation zu verbessern, darin besteht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“ (Außenministerin Rice, El País, 12.2.05)

Wenn die Außenministerin der USA die wirtschaftliche Isolation Nordkoreas als bereits gegebenes Faktum behauptet, so gibt sie zu Protokoll, worauf ihre Strategie zielt: Sie will die Notlage des nordkoreanischen Staates in einen Zwang zur bedingungslosen Unterwerfung verwandeln; und dafür sind die Nachbarn Nordkoreas als Assistenten gefragt, weil an ihnen die Fortexistenz des Feindstaats hängt. Sie liefern dem Feindesland schließlich Öl, Nahrungsmittel und ein paar Ersatzteile für die kaputten Maschinen, nachdem die USA die unter Präsident Clinton vereinbarten Energie- und Lebensmittellieferungen storniert haben, sorgen also für das Überleben des Landes trotz des US-Embargos. Sie verfügen mithin über die ökonomischen Druckmittel, die Amerika jetzt gerne eingesetzt haben möchte.[5] Sie können und sollen aus ihren Wirtschaftsbeziehungen zum Feind Amerikas eine Waffe gegen ihn machen, indem sie dem „hoffnungslosen“ Regime die Überlebenshilfe entziehen. Wenn durch diese Strategie das halbe Volk des Diktators vor die Hunde geht, so geht das in Ordnung: Das Aushungern dient schließlich dem guten Zweck, das Volk zu befreien.

d) Wenn China und Südkorea dem Norden Überlebenshilfe leisten, so stellen sie offensichtlich eine Rechnung mit der Regierung Kim Jong Ils an, die sich von der amerikanischen Abrechnung jedenfalls unterscheidet. Die von ihrer kompromisslosen Feindschaft abweichenden Interessen und Kalkulationen der Anrainerstaaten interessieren die USA nur in einer Hinsicht: Es muss Schluss mit ihnen sein! Das Mittel der Überzeugung, welches die Weltmacht parat hat, um jene Staaten auf ihre Linie zu bringen, ist schlicht und einfach: der unmissverständlich klargestellte Wille der Weltmacht, das Regime des Bösen zu beseitigen – wenn nötig durch militärische Gewaltanwendung! Das Angebot an die Nachbarschaft Nordkoreas lautet demnach: Sie können und müssen sich schon an der Abwicklung des Störenfrieds beteiligen, also für die Durchsetzung des amerikanischen Kriegsziels „mit friedlich-diplomatischen Mitteln“ stark machen – wenn sie denn das Interesse haben, einen Krieg zu vermeiden. Die Drohung mit der Alternative Krieg, die von Anfang an im Raum steht, wird deshalb bei Bedarf immer mal wieder in Erinnerung gerufen.[6] Sie ist an die Adresse der Vier gerichtet, von denen die USA eines wissen: Eine kriegerische Aufmischung der Region durch die amerikanische Militärmacht ist das Letzte, was China, Russland, aber auch Japan und Südkorea ihren nationalen Ambitionen für zuträglich halten.

e) Dass die Einheitsfront-Strategie zur Eliminierung des nordkoreanischen Störfalls einen Haken hat, bleibt den USA natürlich nicht verborgen. Genau das, was als Hebel dient, um die Anrainerstaaten einzubinden – die Kriegsdrohung gegen Nordkorea –, bekräftigt umgekehrt die Diskrepanz ihrer Zielsetzungen zum Programm der USA. Denn der aus der ureigenen nationalen Interessenkalkulation resultierende Wille zur Verhinderung eines amerikanischen Zuschlagens gegen ihren staatlichen Nachbarn bedeutet ja nichts anderes, als dass für sie der Frieden wichtiger ist als die Erledigung des nordkoreanischen Regimes, für welche sie als Vollzugshelfer vorgesehen sind. Das gilt erst recht unter der Bedingung, dass der Widersacher Amerikas sich in den Besitz von Atombomben gebracht hat. Wenn die nordkoreanische Regierung öffentlich und unüberhörbar warnend klarstellt, dass sie inzwischen über atomare Vernichtungsmittel verfügt, und so der Forderung nach Anerkennung ihres Existenzrechts Nachdruck verleiht, so ist diese Warnung nicht nur auf Amerika gemünzt. Sie richtet sich auch an die vier Nachbarn, denen auf die Weise bedeutet wird, dass sie in der Tat allen Grund haben, die Erhaltung des Friedens für wichtiger zu erachten als die Beförderung des amerikanischen Anliegens. Dass die Fähigkeit Nordkoreas, sich gegebenenfalls auch mit atomaren Waffen zur Wehr zu setzen, die vier Anrainer handfest betrifft, also auch beeindruckt, ist sicher: Der Einsatz von Atombomben im Kriegsfall potenziert schließlich in jedem Fall den Schaden für die eigene Nation, selbst wenn diese nicht – wie von Südkorea und Japan befürchtet – unmittelbares Angriffsziel des nordkoreanischen Militärs ist.

Die von der amerikanischen Zielsetzung abweichenden Interessen der designierten Helfershelfer machen sich in der Praxis der 6er-Diplomatie geltend. Vom US-Präsidenten initiiert und gemeint sind die „Six-party-talks“ als Aktionsforum, in welchem die Einheitsfront der Fünf dem nordkoreanischen Bösewicht den definitiven Nuklearverzicht als ersten Schritt zur unvermeidlichen Kapitulation serviert – bedarfsweise untermauert durch die nötigen ökonomischen Strangulierungsmaßnahmen. Ihr tatsächlicher Verlauf sieht jedoch ein wenig anders aus. Das unverhandelbare Diktat der USA wird zum Gegenstand einer diplomatischen Veranstaltung, die von Verhandlungen dann doch nicht zu unterscheiden ist. In denen mutiert das amerikanische Verdikt zu einem gemeinsamen Problem, um dessen Lösung alle Beteiligten – der Abschusskandidat eingeschlossen – ringen. Der diplomatische Auftrag an die vier Anrainer, „Mitverantwortung“ zu übernehmen, ermächtigt sie regelrecht, sich als Mitsubjekte der regionalen Ordnung für die offiziell anvisierte friedliche Lösung des „Nuklearproblems“ stark zu machen. Das tun sie dann auch, zur Wahrung ihrer Interessen, versteht sich. Kein Wunder, dass die amerikanische Regierung seit Beginn der 6er-Gespräche zwieschlächtige Erfahrungen mit der Umsetzung ihrer Kollektivstrategie macht:

Wenn die vier Partner auf das Angebot Amerikas einsteigen und dabei sich ein- und ihre divergierenden nationalen Ansprüche zur Geltung bringen, dann lassen sie es nach Ansicht Washingtons an der erwünschten Härte und Einseitigkeit fehlen. Stattdessen dividieren sie das von den USA verfolgte, nicht kompromissfähige Anliegen tatsächlich auf die Schaffung einer „atomwaffenfreien Halbinsel“ herunter, als ob der diplomatische Titel auch schon der gemeinte Sinn der ganzen Affäre wäre; fordern zum Teil für das Erreichen dieses Ziels gar im Gegenzug von den USA ein Eingehen auf das nordkoreanische Bedürfnis nach Sicherheitsgarantien und eine Abkehr von Wirtschaftsboykott und Diskriminierung – und unterstützen damit ähnlich lautende Forderungen Nordkoreas, statt angesichts der Intransigenz des Diktators ihrerseits die Energie- und Nahrungsmittelzufuhr einzustellen. Wenn sie dergestalt die 6er-Veranstaltung als Forum für echte Verhandlungen missverstehen (wollen), wechselseitigen Respekt der Hauptkontrahenten fordern und so tun, als ginge es um Leistung und Gegenleistung, also doch um eine Art Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen; wenn sie mit alledem die fällige Konfrontation zu entschärfen suchen und drei von ihnen deshalb auch jede Eskalation(sdrohung) mit einem Gang zum UN-Sicherheitsrat oder der Verhängung einer totalen Wirtschafts-Quarantäne ablehnen – dann bleibt das nicht ohne Wirkung auf den Hauptveranstalter. Nicht was die politische Sache betrifft, wohl aber in der diplomatischen Form halten die US-Regierungspolitiker eine gewisse Wende für sinnvoll, einen Stilwechsel. Sie schlagen einen höflicheren Tonfall gegenüber dem Schurken an, nehmen glatt persönlichen Kontakt mit dessen Gesandten auf und manchmal sogar das Wort ‚Verhandlungen‘ in den Mund, lassen ihre Partner großzügig materielle „Anreize“, in die laufende Runde der 6er-Gespräche einbringen, während sie selbst „Zuckerbrote“ nach wie vor ablehnen, und betonen ihren konstruktiven Willen – um auf diese Weise weltöffentlich den Vorwurf zu dementieren, man lasse es an der nötigen „Flexibilität“ im Umgang mit der Nr. 6 fehlen. Für mangelnde Gefolgschaft der Partner besteht also nicht mehr der geringste Anlass!

f) Mit Nachgiebigkeit gegenüber dem Feind darf das niemand verwechseln. Wenn der sich, statt die Hoffnungslosigkeit seines Widerstands einzusehen, für ein Jahr von den „talks“ abmeldet, sich zwischenzeitlich als Atommacht outet, die weitere Aufstockung der bis dato zusammengebauten Atombomben ankündigt und an der Verbesserung seiner Trägerraketen herumexperimentiert, sich dann doch wieder am Gesprächstisch einfindet und dort immer noch den bedingungslosen Verzicht auf alles Nukleare als Bedingung für die vage Aussicht auf südkoreanischen Stromtransfer und sonstige wirtschaftliche ‚Gegenleistungen‘ ablehnt, die unter dem Vorbehalt der fortbestehenden Feindschaft der USA jederzeit widerrufbar sind,[7] dann ist all das eine Herausforderung für die amerikanische Regierung, die eine klare Antwort erfordert.

Die fällt auf den ersten Blick erstaunlich gelassen aus. Die mitten im Krieg gegen den Terror befindliche Weltmacht, die soeben die Prävention gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in ihre Sicherheitsdoktrin geschrieben hat, reagiert mit demonstrativer diplomatischer Coolness auf das nordkoreanische Bombenbekenntnis. Sie bezeichnet das Ganze wahlweise entweder als „Bluff“, auf den man nicht hereinfallen sollte, oder aber als irrelevante Tatsache, die am militärischen Kräfteverhältnis sowieso nichts ändert.[8] Die damit verkündete Botschaft erschöpft sich keineswegs in der beruhigenden Feststellung: Die amerikanische Abschreckungsmacht steht Gewehr bei Fuß und ist allzeit bereit zum vernichtenden Schlag. Wenn die Weltmacht die atomare Bewaffnung ihres Feindes nachdrücklich als fiktiv oder minderwertig, in jedem Fall als unbeachtlich qualifiziert, dann bekräftigt sie ihre Entschlossenheit, sich durch nichts und niemanden von ihrem Kurs abbringen zu lassen, und geht auf Konfrontation. Und zwar in zweierlei Richtung:

Erstens wird gegenüber Nordkorea klargestellt, dass seine atomare (Gegen-)Drohung die USA überhaupt nicht beeindruckt, also ihren Zweck verfehlt. Amerika schmettert den Antrag Nordkoreas, sich mit seiner Existenz zu arrangieren, als durch nichts erzwingbar, also nichtig ab. Zweitens wird damit zugleich das Ansinnen der Anrainerstaaten zurückgewiesen, die meinen, die USA sollten zugunsten einer Kriegsvermeidung von der unbedingten Feindschaft gegen Nordkorea ablassen und das „Nuklearproblem“ mit Nordkorea durch Zugeständnisse an seinen Sicherheits- und Überlebensbedarf lösen. An sie ergeht der eindeutige Bescheid, dass die Atombomben des Gegners keinen Einspruch gegen seine Erledigung erlauben, sondern erst recht die Einheit der Erledigungsfront erfordern.[9]

Dem amerikanischen Insistieren auf einer kollektiven Frontstellung kann man darüber hinaus noch etwas anderes entnehmen: Die Methode der Beseitigung des Schurken, die ungeachtet aller Rückschläge auf der „Einbindung“ der großmächtigen Nachbarn Nordkoreas besteht, ist der Weltmacht mindestens ebenso wichtig wie die erfolgreiche Beseitigung des proklamierten Übels selbst.

3. Nordkorea ist nicht nur ein Feind, der Vollzug der Feindschaft ist zugleich und vor allem ein Mittel und Hebel, um ein viel anspruchsvolleres Ordnungsprogramm für die Region insgesamt voranzubringen. Da geht es um Freunde und Rivalen ganz anderen Kalibers.

a) Mit ihrem „multilateralen Ansatz“ handhaben die USA den Störfall Nordkorea bzw. seine Erledigung zugleich und vor allem als Gelegenheit und als Hebel, um ihr imperialistisches Hauptprogramm für die fernöstliche Region insgesamt vorwärts zu bringen. Damit und deswegen behandeln sie das Sein oder Nichtsein des Staates Nordkorea ebenso zynisch wie angemessen als das, was es in der Tat – nach den gültigen Gesetzen der Machtkonkurrenz – ist: eine abhängige Variable der strategischen Kalkulationen der höher-bemittelten Staatsgewalten, die „das Regime“ am Leben halten oder aber zum Abschuss bzw. „wirtschaftlichen Kollaps“ freigeben. Indem die amerikanische Regierung die Anrainer Nordkoreas auf ihre Feindschaft gegen Nordkorea verpflichten will, macht sie diese staatlichen Subjekte selbst zum Objekt, d.h. Ausgangs- und Zielpunkt ihrer sicherheitspolitischen Offensive. Die betrifft mitnichten bloß die real existierenden, im jeweiligen Nationalinteresse eingerichteten Beziehungen zum Staat Nordkorea und/oder die anvisierten Perspektiven im Umgang mit ihm; sie richtet sich darüber hinaus ganz grundsätzlich auf die Machterweiterungs-Ambitionen Chinas, Russlands, Japans und Südkoreas, ihre Rechnungen mit- und gegeneinander, die Mittel, die sie zur Verfolgung ihrer ökonomischen und politischen Ansprüche mobilisieren. Kurzum: Die amerikanische Ordnungsoffensive gilt ihrer „Rolle“ in der Region und für die Neue Weltordnung, welche Amerika zu schaffen und zu verteidigen hat.

b) Der Volksrepublik China wird die „Schlüsselrolle“ bei der Entmachtung Nordkoreas zugewiesen. Sie wird zum Organisator und „host“ der 6er-Gespräche berufen und dergestalt zu einer anerkannten ordnungspolitischen Kraft befördert – wobei der Auftrag feststeht, an dem sie sich bewähren kann und muss. Nicht, dass der amerikanische Präsident vergessen hätte, dass China „der wichtigste Alliierte Nordkoreas“, also seines Feindes ist. Im Gegenteil, genau in dieser Eigenschaft ist China gefragt. Weil das nordkoreanische Regime entscheidend von chinesischer Unterstützung abhängt, kann und muss China umgekehrt seinen Verbündeten ab sofort davon „überzeugen“, dass jeder Widerstand gegen Amerikas Unterwerfungsforderungen sinnlos ist. Dafür soll der Entzug der ökonomischen Stützungsmaßnahmen das passende Mittel sein. Die „Erhöhung des Drucks auf das Regime“, welche die US-Regierung von der chinesischen Staatsführung „erwartet“, schließt die Hinnahme eines „Kollapses“ der nordkoreanischen Staatlichkeit ein, welchen China gerade vermeiden will. Die USA verlangen also, dass die chinesische Volksrepublik die von ihnen eröffnete Front akzeptiert und ihre regionale Ordnungspolitik entsprechend korrigiert, so dass sie als konstruktiver Beitrag in die umstürzlerische Tagesordnung Amerikas hineinpasst. Darin eingeschlossen ist die Botschaft, dass das strategische Bedürfnis Chinas, sich vor einer Ausweitung der amerikanischen Militärpräsenz zu schützen, völlig fehl am Platze ist; die Führung in Peking hat sich vielmehr mit der Perspektive einer möglichen Ausbreitung der US-Ordnungshüter in den Norden zu versöhnen!

Genau so kann und soll sich die VR China den USA als konstruktives Mitglied der Neuen Weltordnung empfehlen. Die amerikanische Regierung versteht die „verantwortungsvolle“ Übernahme und Befolgung ihres Tagesbefehls zum Fall Nordkorea nämlich als Paradigma für den Status, den sie der „aufsteigenden Macht“ China in einer von Amerika zu beaufsichtigenden Staatenwelt zuweisen, also aufnötigen will. In diesem Sinne ist die freundliche „Einladung“ an die VR China zu verstehen, „sich in die zivilisierte Welt zu integrieren“:

„Die Vereinigten Staaten wünschen sich China als einen globalen Partner, der fähig und willens ist, seine wachsenden Potenzen mit seiner internationalen Verantwortung in Einklang zu bringen.“ (Rice, 19.3.05)

China hat seinen Zuwachs an Machtmitteln entsprechend den internationalen Pflichten zu gebrauchen, welche die Oberaufsichtsmacht Amerika definiert und sonst niemand. Nur so kann die erfolgreiche Aufsteigernation China, die sich deshalb inzwischen den als Warnung gemeinten Titel eines „strategischen Rivalen“ zugezogen hat, beweisen, was Frau Rice auf ihrer letzten Peking-Reise so charmant ausdrückte: dass „China nicht notwendig eine Bedrohung für die USA“ (US-Regierung, 10.7.05) ist.[10] Die USA wollen keinen Rivalen (mehr) hochkommen lassen – auch keinen, der seine Schlagkraft nach den Regeln kapitalistischer Geld- und Machtakkumulation erwirbt. Die VR China soll die Geschäftsordnung der USA für die Region als auch für sich verbindlich anerkennen, dann kann sie sich auch die „mit Besorgnis beobachtete Aufrüstung“ sparen, für welche sie gegenwärtig den Reichtum missbraucht. Das vom Weißen Haus inzwischen fast täglich herausgegebene Bulletin „China befindet sich am Scheideweg, es muss sich entscheiden“ verkündet also nichts Geringeres als das Programm, China vor eine harte Entscheidung zu stellen: Entweder es verzichtet auf jeden eigenen „Großmachtnationalismus“ und ordnet sich der amerikanischen Weltmacht auch und gerade in den Angelegenheiten, die seinen ‚Hinterhof‘ betreffen, unter; entweder erkennt es also Amerika als oberste asiatische Ordnungsmacht an, statt diese „Rolle“ selber anzustreben; oder es beschwört unvermeidlich die Konfrontation mit der amerikanischen Weltmacht herauf. Und der Auftrag zur kollektiven Erledigung Nordkoreas ist eine Weise, die Chinesen praktisch mit dieser Entscheidungsfrage zu konfrontieren.

Das von seiner sozialistisch-antiimperialistischen Weltmachts-Vergangenheit befreite Russland hat sich selbst eingeladen, um an der „diplomatischen Lösung“ des Nordkorea-Problems beteiligt zu werden. Obwohl den USA das Motiv der Putin-Regierung, die eigene Mitzuständigkeit bei Ordnungsfragen dieser Art anzumelden, suspekt ist, darf sie mitmachen. Und dabei akzeptieren, worin ihre Zuständigkeit allenfalls besteht. Russland hat sich in die Einheitsfront gegen das unverbesserliche „stalinistische Regime“ einzureihen, seine ökonomischen und militärischen Kooperationsansätze zu stornieren und damit die „politische Isolation“ Nordkoreas zu bestätigen. So wird – zumindest ist das die amerikanische Prämisse und Absicht – die (Wieder-)Aufnahme eigener strategischer Kalkulationen mit diesem Feind Amerikas durch Russland verhindert. Die allgemeine Lektion, die der um die Restituierung russischer Staatsmacht bemühte „Freund Wladimir“ zu lernen hat, ist auch hier kein Geheimnis: Wenn Russland sich schon weltpolitisch engagieren will, dann ist es den USA willkommen – als verlässlicher Partner im „Krieg gegen den Terrorismus“ nämlich, der keine eigenen Ordnungsmachtansprüche mehr verfolgt, sondern bei Bedarf Dienste für die Neue Weltordnung Amerikas leistet.

Dass das Interesse Japans einen so unfriedlichen Nachbarn wie Nordkorea nicht verträgt, deshalb deckungsgleich ist mit dem der USA, ist für die amerikanische Regierung keine Frage. Wenn das Land als treuer Alliierter und Schutzobjekt der USA von Nordkorea genau so, als „US-Komplize“ nämlich, behandelt wird und eine nordkoreanische Testrakete auch schon mal über Japan hinwegfliegt, so beweist das für die US-Regierung erstens die direkte Betroffenheit dieser Nation, zweitens die natürliche Gemeinsamkeit des Anliegens, Nordkorea zu entwaffnen – und damit drittens ein generelles Eigeninteresse Japans, die Militärallianz mit den USA zu erneuern. Dass der „ökonomische Riese“ Nr. 2 auf der Welt aus seinem minderwertigen Dasein als „militärischer Zwerg“ heraus will und – ebenso wie Deutschland – das Ende des Kalten Krieges als Chance zur Wiedererlangung der vollen Souveränität begreift, ist der Regierung in Washington dabei durchaus klar. Die USA haben sogar ein Angebot an dieses japanische Bedürfnis, denn sie kennen ihrerseits – in ihrem neuen ordnungspolitischen Programm – einen guten Grund, den imperialistischen Willen Japans zur Überwindung seiner politisch-militärischen „Selbstbeschränkung“ zu fördern. Sie ermächtigen den japanischen Staat zur Erweiterung der Reichweite seiner Sicherheitspolitik, wohl wissend, dass das Geltendmachen strategischer Interessen auf Kosten der anderen großmächtigen Nachbarn geht, stellen ihm sogar den Status einer regionalen Ordnungsmacht in Aussicht – unter der einen Prämisse: dass Japan seinen Emanzipationsbedarf im Rahmen und zum Wohle der internationalen Gewaltordnung befriedigt, welche die Supermacht Amerika für nützlich und geboten hält. Japan hat als – „spezieller“ und damit „privilegierter“ – Alliierter der USA zu fungieren.

 Für die Abwicklung Nordkoreas heißt das: Japan hat auf nationalistisch motivierte Extratouren zu verzichten, sofern sie der US-Strategie zuwiderlaufen. Falsche Bestechungs- und Versöhnungsangebote an den Diktator (wie die Offerte umfangreicher Lebensmittellieferungen im Zuge von Koizumis zwischenzeitlicher „Normalisierunginitiative“) sind ebenso unerwünscht wie eine nicht bestellte Verschärfung des diplomatischen Forderungskatalogs im Rahmen der 6er-Gespräche (z.B. durch das Einbringen einer separaten Agenda, die auf der sofortigen Behandlung der Jahrzehnte zurückliegenden Entführung japanischer Staatsbürger besteht: für derartige, durchaus „berechtigte“ Forderungen sei später Gelegenheit!). Darüber hinaus steht Nordkorea für die beiderseitige Nützlichkeit eines engen Bündnisses in allen Affären von Krieg und Frieden als handfestes Exempel. Die atomaren Ambitionen und Raketentests des Schurken sind für den Beweis gut, dass Japan sich dem US-Projekt eines regionalen Raketenabwehrsystems nicht verweigern kann und sein Militär für einen größeren „eigenständigen“ Beitrag zur regionalen Sicherheit bereitstellen muss. Dass dieser Beitrag inzwischen – von Japan erstmals unterschrieben – den Schutz der territorialen Integrität Taiwans einschließt, macht deutlich, dass die Hauptstoßrichtung des erneuerten Militärbündnisses mit Japan die gemeinsame Eindämmung der VR China ist. Diesem weltpolitischen Emporkömmling jede Machtentfaltung über die aktuellen Grenzen hinaus zu verbauen, das ist in der Tat im Interesse beider Staaten, weil jeder von ihnen das ökonomische Wachstum des „Riesenreichs“ benutzen, dessen Übergang zu einem weltmächtigen imperialistischen Konkurrenten aber verhindern will. Daran, dass die Funktion, die Amerika für den verbündeten Konkurrenten Japan reserviert hat, gar nicht nebenbei dessen imperialistische Selbstbeschränkung gewährleisten soll, lässt die Regierung Bush keinen Zweifel. Was könnte den Doppelsinn der amerikanisch-japanischen Freundschaft schöner illustrieren als folgender zusätzliche Grund für die dringliche Beseitigung der nordkoreanischen (Atom-)Bedrohung:

„Ein nukleares Nordkorea würde den Druck auf beide, Südkorea und Japan, erhöhen, eine eigene nukleare Bewaffnung zu erwägen.“ (Der amerikanische Botschafter in Japan, IHT, 30.6.05)

Und das wäre zwar verständlich, aber keineswegs zu billigen.

Die Republik Südkorea ist als Dritter im Bunde der militärischen Alliierten weiterhin fest eingeplant. Die USA gehen wie selbstverständlich davon aus, dass das ureigenste nationale Interesse Südkoreas die feste Verankerung des Landes im Bündnis mit den USA verbürgt. In der Tat ist es ja das Traumziel dieses Staatswesens, den hartnäckigen Souveränitätsanspruch des „kommunistischen Regimes“ über den Norden der Halbinsel zu brechen, deren gesamtes Territorium und Inventar das demokratische Regime des Südens als seinen Besitz und Herrschaftsbereich betrachtet. Und die Vorne-Stationierung amerikanischer Truppen in Südkorea war und ist die Grundlage, diesem (Wiedervereinigungs-)Anspruch gegen den ebenfalls gesamtkoreanischen Nationalismus des Nordens Aussicht auf Realisierung zu verschaffen. Dennoch – zumindest in den Augen des amerikanischen Freunds ist es ein undankbares ‚dennoch‘ – sehen sich die USA jetzt mit einer ausgesprochen ambivalenten Reaktion des Verbündeten konfrontiert, wo sie die Endlösung des Schurkenregimes auf die Tagesordnung setzen. Denn einerseits eröffnet sich Südkorea damit die Chance, dem großen Ziel der Norderweiterung seiner Staatsmacht näher zu kommen; andererseits aber ruft die kompromisslos auf Entmachtung der nordkoreanischen Herrschaft zielende US-Strategie gerade in Südkorea politischen Einspruch hervor. Dessen Regierung insistiert eindringlich auf dem Standpunkt, dass Frieden und geschäftliche Öffnung Nordkoreas wichtiger sind als die prompte Erledigung der störenden Obrigkeit. Sie sieht sich als Hauptopfer eines drohenden (Atom-)Krieges und hält einen durch wirtschaftliche Strangulation ausgelösten Kollaps des Regimes – den sie als Zwang zur sofortigen Annexion wahrnimmt – für ökonomisch nicht verkraftbar. Sie bestreitet damit das von der großen Schutzmacht beanspruchte Recht, dem Land den einzig „richtigen Weg“ zur Verteidigung seiner nationalen Interessen vorzugeben.

Die USA müssen erkennen, dass die Einberufung der 6er-Konferenz, also der förmliche Einbezug Südkoreas in die ordnungspolitisch zuständige Front zur „Lösung des Nuklearproblems“, den Widerstand seiner Regierungsmannschaft gegen eine Aushungerung des Nordens nicht erledigt. Im Gegenteil. Die Republik Korea nimmt die politische Aufwertung, die der Status eines – mit lauter Großmächten formal gleichberechtigt agierenden – regionalen Ordnungsfaktors bedeutet, gerne wahr. Sie nutzt sie, um für ihre Zielsetzung – Atombombenverzicht des Nordens gegen „Wirtschaftshilfe“, die „Wandel durch Annäherung“ schafft – zu arbeiten und Bündnispartner zu gewinnen. Sie mobilisiert die ökonomischen Erpressungsmittel, über die sie verfügt, und dringt auf ihren Angebots-orientierten Einsatz, verweigert also einen Totalboykott des Nordens. Auf diese Weise zieht sie sich unvermeidlich den Verdacht Amerikas zu. Die Bündnisvormacht sieht sich genötigt, darauf zu achten, dass ihr Programm zur Erledigung des dritten Mitglieds der „Achse des Bösen“ nicht unterlaufen wird. Sie besteht auf ihrer Richtlinienkompetenz, also auch darauf, dass sie entscheidet, ob koreanische Strom- und Reislieferungen (als „sweetened package“) akzeptabel sind – womöglich sogar in ein Rahmenabkommen eingetextet werden können –, weil sie sich in die US-Strategie zur schrittweisen Erledigung des feindlichen Regimes einbauen lassen, oder ob sie nicht akzeptabel sind, weil sie einer Tyrannei Überlebenshilfe bieten. Das aus Südkorea ertönende, aus Sorge um unkalkulierbare nationale Schäden gespeiste Plädoyer für eine garantiert unkriegerische Abwicklung der nordkoreanischen Volksrepublik muss zurückgewiesen werden, vor allem, wenn es in der anmaßenden Attitüde eines Einspruchsrechts daherkommt.[11] Und außerdem muss auch diesem amerikanischen Freund klar sein, dass sich das ihm verordnete Allianzziel nicht im Abräumen des nordkoreanischen Störenfrieds erschöpft. Wenn der Juniorpartner sich für die Zukunft mehr militärische Autonomie vornimmt und gegen die Perspektive verwahrt, als logistische Ausgangsbasis für US-Ordnungskriege in Beschlag genommen zu werden, sich also seinen kriegspolitischen Verpflichtungen entziehen will –

„In einer Rede vor einigen Monaten betonte Roh (der Präsident Südkoreas), dass es wichtig ist, Südkoreas Militär ‚innerhalb von 10 Jahren‘ völlig unabhängig zu machen. Zu den Plänen des Pentagon, die hier stationierten US-Truppen in eine regionale Streitmacht zu transformieren, die nicht bloß auf die (koreanische) Halbinsel fokussiert ist, sagte Roh: ‚Es sollte klargestellt werden, dass wir nicht gegen unseren Willen in irgendeinen Konflikt in Nordostasien hineingezogen werden wollen.‘“ (IHT, 1.7.05.)

dann wird ein derart grobes Missverständnis des südkoreanischen Präsidenten über die Bündnispflichten seines Landes deutlich korrigiert:

„Auch wenn die genaue Positionierung der US-Streitkräfte in der asiatisch-pazifischen Region wechseln mag, ist ihre Präsenz dort eine andauernde Realität.“ (Powell, 24.10.04)

Die US-Army auf südkoreanischem Boden ist ein Kriegsmittel Amerikas, die Realität ihres Dauerauftrags ist die Sicherung des politischen Kommandos der USA über die Region. Eine Extraeinladung zu „brüderlicher Hilfe“ brauchen amerikanische Truppen nicht, ihre Ausladung ist dementsprechend nicht vorgesehen. Das gilt für Japan und Korea (egal, ob Süd- oder vereinigt) gleichermaßen.

c) Die differenzierten Dienstanweisungen, die im Zuge des Auftrags zur kollektiven Beseitigung des atomaren Störfalls Nordkorea an die vier Nachbarstaaten ergehen, sind zugleich Klarstellungen darüber, welche Ordnung die USA im „asiatisch-pazifischen Raum“ auf dem Programm haben und mit ihnen gegen sie durchsetzen wollen. Da die Durchsetzung des von Amerika beanspruchten Aufsichtsmonopols über diese „Schlüsselregion“ eine einzige Gewaltfrage ist, werden starke und feste Bündnispartner benötigt. Die bewährten antikommunistischen Alliierten Japan und Südkorea sind abermals als Frontstaaten gefordert, werden zu funktionaler Aufrüstung gedrängt und ermächtigt – und das nicht gegen eine systemfeindliche Weltmacht, sondern zur präventiven Sicherstellung, dass vor allem der „potentielle Rivale“ China, aber auch der ehemalige Rivale Russland das von den USA verhängte Verbot strategischer Konkurrenz auf Dauer beherzigen. Von den vier Partnern der USA, die gemeinsam Amerikas Agenda gegen Nordkorea exekutieren sollen, sind also zwei dazu ausersehen, als Vorposten der Freiheit die Machtbestrebungen der anderen zwei nach Kräften unterbinden zu helfen.

Wenn Nordkorea für diese imperialistische Hauptsache, die Gewährleistung der amerikanischen Vorherrschaft über und gegen die asiatische Staatenwelt, ‚bloß‘ Material, ‚bloß‘ ein Unter-Fall ist, so gilt das spiegelbildlich für die anderen: China, Russland, Japan und Südkorea. Für die als US-Komplizen gegen Nordkorea vorgesehenen Anrainerstaaten ist der aktuelle Problemfall Nordkorea auch, wenn nicht zuallererst ein Fall Amerika, also ein Problem, das sie mit Amerikas Weltordnungsfeldzug serviert bekommen haben. Infolgedessen betrachten sie den Fall Nordkorea als Exempel und nationale Bewährungsprobe, an deren Ausgang sich ihr künftiger Machtstatus und damit die Perspektive ihrer nationalen Ambitionen gegeneinander wie gegen die Vormachtsansprüche der USA mitentscheiden. Die Rolle eines Vasallen Amerikas kommt für sie jedenfalls nicht in Frage.

[1] Die Subsumtion Nordkoreas unter den „Krieg gegen den Terror“ hat dem amerikanischen Präsidenten Bush jr. – wieder mal – Kritik wegen falscher Vereinfachung und Einordnung der weltpolitischen Problemfälle eingetragen. Auch diesmal zu Unrecht. Mehr Differenzierung ist vom Standpunkt der Weltordnungsmacht weder nötig noch angebracht. Der geht es eben „einfach“ darum, einen Gebrauch politischer Gewalt, den sie nicht billigt, als nicht hinnehmbaren Verstoß gegen das Recht zu definieren und zu behandeln, das sie sich kraft ihrer überlegenen Gewalt herausnimmt, für alle anderen staatlichen Subjekte verbindlich machen und gegen Störenfriede vollstrecken will. Das Verdikt des ‚Terrorismus‘ trifft im Inneren jeden, der sich über das Gewaltmonopol des Staates hinwegsetzt; wenn die USA es heute auf die Staatenwelt anwenden, um Freund und Feind zu sortieren, dann zeugt dies von dem Anspruch der einzig verbliebenen Weltmacht, sich den Status des Ordnungsmonopolisten über der und gegen die internationale Konkurrenz zu erobern.

[2] ‚Die Volksrepublik China ist ein Land, das – so hoffen und dafür beten wir – in ordentlicher Weise in die zivilisierte Welt eintritt‘, sagte Rumsfeld. … Die Hoffnung der USA ist, dass China ‚eine konstruktive Kraft in diesem Teil der Welt wird und ein konstruktiver Mitspieler in der globalen Umwelt‘. China steht jedoch, sagte er, ‚unter dem Druck gegensätzlicher Erfordernisse: auf der einen Seite dem Wunsch zu wachsen, wobei eine freie Ökonomie sich mit einer Kommandowirtschaft nicht verträgt; auf der anderen Seite sein diktatorisches System, welches kein freies System ist. Es gibt eine spannungsvolle Lage, auf die wir genau aufpassen müssen‘. Die Vereinigten Staaten beobachten Chinas militärische Verbesserungen genau und hoffen, dass das Land sich zu ‚einer konstruktiven Kraft‘ in der asiatisch-pazifischen Region entwickelt, so erklärt Verteidigungsminister Rumsfeld. (US-Regierung, 18.2.05)

[3] Wir werden unsere Politik nicht ändern. Wir werden uns nicht auf direkte, aus billiger Feilscherei bestehende Verhandlungen mit den Nordkoreanern einlassen, weil die anderen Nationen eine genau so große Verantwortung haben wie wir. (Powell, ebd., 20.10.04)

[4] Also lautet der coole Bescheid des US-Unterhändlers bei der aktuellen Runde der 6er: Die USA, sagte Hill, stellen nicht die Tatsache in Frage, dass Nordkorea gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag Rechte auf friedliche Nutzung der nuklearen Energie hat. ‚Aber wir würden in Frage stellen, ob Nordkorea diese Rechte ausüben sollte‘, sagte er. (US-Regierung, 3.8.05)

[5] Die Öl- und Lebensmittellieferungen, welche der Clinton-Regierung einmal als taugliches Mittel erschienen, um Nordkorea von einem waffenfähigen Nuklearprogramm abzubringen und für politökonomische Zersetzungsversuche empfänglich zu machen, wurden von Bush jr. ausgesetzt. Die offizielle Begründung: Die Regierung Kim Jong Il habe das Nuklearverzichts-Abkommen gebrochen. Den wirklichen Grund lieferte Bush auf seine direkte Art gleich hinterher: Ich misstraue dem Diktator. Statt Vertrauensbildung und Geschäften sei es höchste Zeit, Schluss mit ihm zu machen.

[6] Wenn wir keinen Weg finden können, das Nordkorea-Problem auf diese Weise zu lösen, dann werden wir natürlich andere Mittel finden müssen, es zu tun. Das versteht sich von selbst. (Rice, 21.3.05)

[7] Natürlich missversteht die nordkoreanische Staatsführung die Sorte Anerkennung, die amerikanische Politiker für ihr Regime übrig haben, nicht als Eingehen der USA auf ihre Forderung nach einer „echten Normalisierung der Beziehungen“. Wenn der amerikanische Präsident sich dazu herbeilässt, den verhassten Tyrannen mal als „Mr. Kim“ zu titulieren, und wenn sein Chefunterhändler statt der normalerweise üblichen Beschimpfungen im Eingangsstatement der Verhandlungsrunde förmlich versichert: Wir betrachten die Souveränität Nordkoreas als eine Tatsache. Die Vereinigten Staaten haben absolut nicht die Absicht einzumarschieren oder anzugreifen. (Association Press, 26.7.05) – dann erinnert das nicht von ungefähr an die Sprachregelungen der einstigen westdeutschen Diplomatie gegenüber der DDR. Die Anerkennung einer Staatsgewalt „als Tatsache“ – und kein Hirngespinst – ist schließlich das evidente Gegenteil eines Friedensschlusses und das kleinstmögliche Zugeständnis für einen Staat, der die Unterwerfungsbereitschaft seines Feinds austesten will. Und welcher demokratische Staatsmann hat schon „die Absicht“ zu einer „Invasion“? – Die besteht doch selbst dann nicht, wenn er sich – wie im Falle des Irak – gezwungen sieht, ein unterdrücktes Volk von seinem Verbrecherregime zu befreien.

[8] Unterdessen sagte General Leon LaPorte, der Kommandeur des US-Militärs in Südkorea, dass die USA glauben, Nordkorea habe ‚mindestens eine oder zwei Atomwaffen‘. Aber das US.Militär könnte Nordkorea selbst dann ‚entscheidend‘ besiegen, wenn es einige mehr hätte… ‚Ob Nordkorea eine oder mehrere Atomwaffen hat, ändert nicht das Gleichgewicht auf der Halbinsel.‘ (IHT, 30.6.05)

[9] Also ist dies eine Aufgabe, an der wir weiterhin mit unseren Freunden und Alliierten arbeiten müssen. Und je mehr Kim Jong-Il droht und prahlt, desto isolierter wird er. (Präsident Bush, 28.4.05) Im übrigen besteht der Sinn der 6er-Gespräche laut US-Kriegsminister Rumsfeld letztendlich auch darin, dass sich die zögerlichen Anrainerstaaten im Fall ihres „Scheiterns“ – an der Sturheit Kim Jong Ils natürlich, der seine Waffen einfach nicht übergeben will – auf die richtige Seite stellen, so dass dem Zuschlagen der USA nichts im Wege steht.

[10] Allerdings frage sich die US-Regierung schon, wozu die VR China sich militärisch derart aufrüstet, wo sie doch gar keine Feinde hat! Solch grundloser Militarismus kann nur als Herausforderung Amerikas gewertet werden. Die Bedrohung der USA liegt darin, dass sich hier potentieller Widerstand gegen die asiatisch-pazifische Gewaltordnung ankündigt, die Amerika gerne ohne größeres Risiko verteidigen will. „Die Volksbefreiungsarmee befindet sich als Militärmacht nicht mehr auf dem Niveau eines Entwicklungslandes… Sie hat sich zu einer Kraft entwickelt, die das Gleichgewicht der regionalen militärischen Machtverhältnisse beeinflusst und die in einem möglichen Konflikt eine größere Gefahr für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten darstellen würde. China ist den gesamten Fähigkeiten der Streitkräfte der Vereinigten Staaten natürlich nicht gewachsen – aber das muss es auch nicht sein. China hat bereits eine bedeutende asymmetrische Fähigkeit erreicht, die das Risiko für die Truppen der Vereinigten Staaten erhöht und daher unsere Überlegungen in einer möglichen Taiwan-Krise beeinflussen könnte. Dabei handelt es sich nicht nur um eine zukünftige Herausforderung – es ist ein Problem, das hier und jetzt besteht.“ (Rodman, Leiter für Internationale Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, in seinem jüngsten Bericht für die Kongress-Ausschüsse, 14.4.05)

[11] Präsident Roh Moo Hyun erklärte …, dass Südkorea den Vereinigten Staaten unter keinen Umständen erlauben würde, eine militärische Attacke gegen Nordkorea anzuordnen. (IHT, 8.7.05)