Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
60 Jahre Bild – die Jubiläumsausgabe:
Das perfekte Medium feiert sich selbst

Anlässlich ihres sechzigjährigen Bestehens bringt Bild eine Sonderausgabe heraus, die in einer Auflage von 41 Millionen kostenlos an private Haushalte in Deutschland verteilt und im Internet zum Download angeboten wird: Eine Jubiläumsgabe für die treuen Leser und für alle, die die Bild-Zeitung noch nicht kennen, falls es so was gibt, die Gelegenheit, sie kennen zu lernen. Ein auf Hochglanz gegelter, grinsender Chefredakteur wünscht seinen „lieben Lesern“ unten auf der Frontseite „viel Spaß beim Lesen!“ und fordert die mit der Gratisnummer Beschenkten auf: „Machen Sie sich ein Bild von Bild!“ Dafür taugt die Geburtstagsausgabe tatsächlich ziemlich gut, auch wenn sich der Spaß in Grenzen hält.

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60 Jahre Bild – die Jubiläumsausgabe:
Das perfekte Medium feiert sich selbst

Anlässlich ihres sechzigjährigen Bestehens bringt Bild eine Sonderausgabe heraus, die in einer Auflage von 41 Millionen kostenlos an private Haushalte in Deutschland verteilt und im Internet zum Download angeboten wird: Eine Jubiläumsgabe für die treuen Leser und für alle, die die Bild-Zeitung noch nicht kennen, falls es so was gibt, die Gelegenheit, sie kennen zu lernen. Ein auf Hochglanz gegelter, grinsender Chefredakteur wünscht seinen lieben Lesern unten auf der Frontseite viel Spaß beim Lesen! und fordert die mit der Gratisnummer Beschenkten auf: Machen Sie sich ein Bild von Bild! Dafür taugt die Geburtstagsausgabe tatsächlich ziemlich gut, auch wenn sich der Spaß in Grenzen hält.

Bild und die Leser – eine Einverständnisgemeinschaft

In der Mitte der Titelseite verkündet die Hauptschlagzeile in riesig fetten Lettern, was es heute zum Geburtstag gibt: Frei-Bild für alle!. Natürlich schmeißt Bild keine Lokalrunde, sondern nur sich an ihre Leser ran, von denen die Redaktion wohl annimmt, dass ihnen schon die kalauernde Erinnerung an Freibier Laune macht; damit ist schon mal der kumpelhaft-humorige Grundton der Geburtstags-Titelseite angeschlagen, auf den es heute ankommen soll. Entsprechend urkomisch geht es dann auch weiter: Direkt unter der Schlagzeile füllt Donald Duck die Titelseite, als munterer Bild-Verkäufer, der eine Ausgabe mit der Schlagzeile Wir sind Ente! ausruft. Mit diesem schwer witzigen Einfall wird der Leser allerdings nicht einfach allein gelassen, sondern zum besseren Verständnis mit einer kleinen Texthilfe zu Donalds Füßen unterstützt:

„Sogar Donald gratuliert zum 60. von Bild! Das ist mal eine Zeitungs-Ente, die wirklich alle lieben: Donald Duck feiert Bild! Mit einem Zwinkern: ‚Wir sind Ente!‘ lautet die Schlagzeile aus Entenhausen. Wir von Bild freuen uns über den Geburtstagsgruß und sagen: Danke, Donald!“

Ja, so locker ist die Bild-Mannschaft heute drauf: Offensiv kokettiert sie ein wenig mit ihrem Ruf, es manchmal mit höchsten journalistischen Qualitätsmaßstäben nicht ganz so genau zu nehmen und für eine gelungene Schlagzeile, wie sie ihre Leser eben mögen, auch mal vor einer „Zeitungsente“ nicht zurückzuscheuen. Und? Muss man das alles denn immer so bierernst sehen? Nein, gerade heute am Geburtstag muss man das nicht; man muss nur dafür sorgen, dass alte und neue Leser, die ja – davon gehen die intellektuellen Bild-Macher einfach aus – manchmal nicht die Hellsten sind, den selbstironisch hingebastelten Scherz auch kapieren: Der Erpel feiert Bild! Mit einem Zwinkern. Capito? Na also: Mal einen Witz mit Ansage raushauen und sich dann – nix für ungut! – ein wenig zuzwinkern – so was funktioniert eben nur unter Freunden, dann, wenn man sich auch ohne große Worte irgendwie richtig gut versteht ...

*

Bild belässt es natürlich nicht bei der knalligen Ankündigung einer Runde journalistischen Freibiers, sondern macht dem Leser schon auf der Titelseite Appetit auf das, was im Inneren des Blattes auf ihn zukommt:

Gleich links von Donald bietet Bild Aussichten auf Gewinn: Gewinnen Sie 60 VW up! Im Preisausschreiben wartet Bild mit Chancen für seine Leser auf, vielleicht auch mal zu den Gewinnern zu gehören. Dabei wird ein Gewinn offeriert, bei dem man sicher sein kann, dass er dem Interesse der Leserschaft entspricht: ein neues Auto von VW, das der Bild-Leser wohl gerne fahren würde, sich aber, obwohl es sich dabei um einen Kleinwagen handelt, dann doch nicht so ohne Weiteres leisten kann. Darunter werden Leute vorgestellt, die sich auch ein großes Auto leisten könnten - Exklusiv. So leben die Lotto-Millionäre heute -, die mit Hilfe von Bildmit einem Bild-Superschein – reich geworden sind, aber vielleicht jenseits des Materiellen, da wo es um die wirklich wichtigen Werte geht, ganz andere Sorgen haben: ...hat das Geld sie auch glücklich gemacht? Bild schaut nach, für S.8 wird die Antwort versprochen, während das freundlich lächelnde Millionärspaar auf dem kleinen Ankündigungsfoto schon das Beste hoffen lässt: Dass sie trotz des vielen Geldes, das ja gerade kleine Leute oft übermütig werden lässt, glücklich geworden sind, dass sie vernünftig mit dem Gewinn umgegangen sind und sich als Gewinner aus der Mitte der Bild-Leserschaft auch moralisch als die erwiesen haben, die den Treffer verdient haben. Dem nachzugehen und ihren Lesern von solchen nicht alltäglichen moralischen Bewährungsproben zu berichten, wie sie aber dennoch jedem lottospielenden Bildleser begegnen können, ist Bild eine Herzensangelegenheit.

Rechts oben wird eines der ganz wichtigen Bild-Themen angerissen: Der Bereich Liebe & Familie, Ehe & Konflikt, durchgeführt am Fall eines bekannten Paares: Til & Dana Schweiger über Familie. Wie hält man die Familie zusammen, wenn die Liebe geht? Deutschlands beliebtester Schauspieler und seine Ex Dana – Seite 6. Die Bild-Zeitung verschafft – Exklusiv, also nur bei Bild zu haben – Teilnahme am Privatleben von Prominenten, was das Thema erfahrungsgemäß für die Lesergemeinde in mehrfacher Weise interessant macht: Einerseits wissen auch Bild-Leser, dass ihnen da der Blick in ein Leben gewährt wird, das mit ihrem Alltag weder hinsichtlich der materiellen Umstände noch hinsichtlich des Paarungsverhaltens der Beteiligten etwas zu tun hat, was die Sache außergewöhnlich und ein wenig exotisch macht; andererseits reißen die Schweigers freiwillig ihre Schlafzimmertüren auf und erzählen den Bild-Lesern irgendwie von gleich zu gleich, in vertraulichem Ton vom Privatesten. Das wird von Bild für das Publikum in einen moralischen, familiären Konflikt- und Verantwortungszusammenhang einsortiert, der ihm nur allzu vertraut ist: Dass die Liebe geht, das kennt man doch; und dass es dann mit der Familie Probleme gibt – da könnte einem fast jeder Sachen erzählen ...! So stiftet die Fiktion einer elementaren Gemeinsamkeit der Gewöhnlichen mit Menschen aus den fernen Kreisen der Schönen und Reichen zusammen mit der redaktionsseitig arrangierten Bereitschaft von Prominenten, ihre privaten Probleme mit den Lesern der Bild-Zeitung zu teilen, eine zwar nur eingebildete, aber moralisch höchst erbauliche Zusammengehörigkeit: Bei allen Unterschieden arbeiten „wir alle“, die wichtigen Deutschen ebenso wie die normalen, uns letztlich doch gleichermaßen am Menschlich-Allzumenschlichen ab und versuchen, das Beste daraus zu machen, also so gut es eben geht, auch im Konflikt anständig zu bleiben. Und Bild begleitet uns dabei und liefert den Stoff und die moralische Einordnung dieses allseitigen Bemühens.

Wer, wie vom Chefredakteur vorgeschlagen, angefangen hat, sich ein Bild von Bild zu machen, erfährt, immer noch auf der ersten Seite, gleich unter der Ankündigung des Schweiger-Interviews, dass man als Leser dieses besonderen Blattes auf allen interessanten Gebieten mit den einschlägigen Prominenten auf vertrautem Fuße steht. Auch die Sportprominenz lässt Bild stellvertretend für die Leser ganz nah an sich heran – Jürgen Klopps privates Fotoalbum. Borussia Dortmunds Kult-Trainer privat wie noch nie – und zeigt, dass einem wie Kloppi seine Erfolge nicht zu Kopfe gestiegen sind, dass er trotzdem immer noch einer von uns ist: Würde er uns sonst seine privaten Fotos zeigen?

Ganz unten rechts dann noch eine vielversprechende Nachricht vom Sport. Auch wenn man gar nicht mehr so genau weiß, worum es damals ging, klingt das doch schon mal ganz gut: Axel Schulz bekommt WM-Gürtel. Box-Sensation! 17 Jahre nach dem Skandal-Kampf liefert Botha bei Axel Schulz den WM-Gürtel ab. Da hat man doch einem mittelmäßigen Boxer, der viel auf die Nuss bekommen hat – dem kleinen ziemlich verschwollenen Foto bei der Ankündigung ist das gut anzusehen – der aber immerhin damals unsere Hoffnung war, vor Jahren ganz ungerecht seinen Titel ... Und jetzt liefert dieser Botha – war’s nicht so ein unsympathischer Südafrikaner? – den Gürtel ab? Das ist doch in Ordnung! Wurde ja auch Zeit, dass unserem Axel und damit dem deutschen Boxen endlich die verdiente Gerechtigkeit widerfährt, besser spät als nie ... Manchmal gehen eben auch Skandale gut aus, und wenn das ausgerechnet an einem Geburtstag wie dem von Bild passiert – um so schöner!

*

Soviel steht nach der Titelseite fest: So richtig viel Informatives über das, was in der Welt passiert, hat man nicht erfahren. Aber Bild geht es offensichtlich um etwas anderes. Die Einladung zur gemeinsamen Feier und die Offerten materieller und moralischer Lebensperspektiven, deren Maßstäbe als allgemeingültig innerhalb der Leserschaft unterstellt sind; die Vereinnahmung für die verantwortungsvolle Erörterung fraglos anerkannter hoher Güter wie Glück, Familie und Liebe anhand exklusiver Privat-Offenbarungen „unserer“ VIPs; die Darstellung des Sports als Ehrenveranstaltung, in der es auf Anstand und Anerkennung herausragender Leistungen deutscher Sportler ankommt: Das alles zielt offenkundig auf die Eingemeindung der Leser in ein großes Kollektiv von Normalmenschen, Promis und überhaupt anständigen Landsleuten, ohne dass diese Art der Vergemeinschaftung überhaupt zum Gegenstand gemacht werden müsste. Die ist in der Art des journalistischen Umgangs mit den aufgegriffenen Gegenständen unterstellt. Das Interesse der Leser wird dabei nicht vom Standpunkt ihrer wirklichen sozialen Identität angesprochen, sondern von dem einer fiktiven, aber kreuzvernünftigen und moralisch grundguten Einverständnisgemeinschaft. Deren Interessen werden von Bild wohlwollend bestätigt, ganz so wie sie täglich redaktionsseitig zurechtdefiniert werden. Dementsprechend wird dieses Kollektiv, das grundsätzlich mit der Gemeinde der Bild-Leser zusammen fällt, aber nicht auf diese beschränkt ist, von den Machern des Blattes mit einem am Gemeinwohl des Landes orientierten Blick auf die Welt ausgestattet, in der es sich selbst mal als Ente und mal als Papst, immer aber als Wir erleben kann, als ein kollektives Subjekt mit gemeinsamer Sittlichkeit. Dieser Leserschaft macht die Redaktion die von ihr sortierte Welt bekannt und legt sie ihr zur ideellen Befassung vor, um die Gleichgesinnten mit dem Stoff ihres gleichen Sinnes zu bedienen. Da ist es dann auch kein Wunder, wie gut die Bild-Zeitung ihre Leser versteht, die sie selbst als Gemeinschaft kreiert, denen sie ihre Gemeininteressen vorbuchstabiert und deren gemeinen Sinn sie mit ihrer Berichterstattung munitioniert; und wie gut sie sich auch von ihnen verstanden weiß, manchmal eben auch mit einem Zwinkern...

Bild und die Mächtigen – selbstbewusst auf Augenhöhe

Zu dem Bild, das man sich von Bild machen soll, gehört offenbar nach dem Verständnis der Redaktion ganz prominent eine Vorstellung des Lesers vom Verhältnis der Zeitung zu den Mächtigen der Welt. Für dieses Thema sind gleich die Seiten 2 und 3 der Sonderausgabe vorgesehen. Abgewickelt wird das wichtige Thema anhand eines Interviews mit dem Altkanzler Schröder. Der wird halbseitengroß ins Bild gerückt, vor einer übermannshohen, mit alten Bild-Titelseiten zum Thema „Kanzler Schröder“ tapezierten Wand, freundlich grinsend, mit der ersten Frage des Interviews als Überschrift zu seinen Füßen, die den ganzen Inhalt des Gesprächs, auf den es hier ankommt, zusammenfasst: Warum braucht man zum Regieren Bild, BamS und Glotze Herr Schröder?

Und der fett gedruckte und zusätzlich unterstrichene Vorspann legt gleich noch mal im gleichen Sinne nach: Er war der erste rot-grüne Kanzler. Er erfand die Agenda 2010 und verlor am Ende über diese wichtigen Reformen sein Amt: Gerhard Schröder (SPD), Regierungschef von 1998 bis 2005. Keiner seiner Vorgänger rieb sich so kämpferisch an Bild wie er. Ein Gespräch über Macht, Schlagzeilen und Bild.

Die Bild-Zeitung nimmt sich selbstverständlich auch der Sphäre der Politik an – und redet mit denen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen und deren Politik dem regierten Bevölkerungsteil, zu dem ja auch die Masse der Bild-Leser zählt, die Bedingungen seiner Existenz diktiert. Und wie reden sie mit denen? Was soll an diesem exemplarischen Jubiläums-Interview für den Leser rüberkommen? Wenn z.B. an der Agenda 2010 das Wesentliche ist, dass ER sie erfand, wird bei der Befassung mit dem politischen Geschäft offensichtlich die Persönlichkeit groß geschrieben, die es exekutiert. Reformen mögen ja alle möglichen Inhalte haben, wirklich wichtig sind aber die Figuren, die sie durchsetzen – und vor allem, wie sie sich dabei mit Bild auseinandersetzen und Bild sich mit ihnen. Mit Schröder ging es kämpferisch zu: Bild war ja immer gegen mich“, es waren die Kampagnen, die Bild gegen meine Politik gefahren hat, weshalb Schröder so sauer auf Bild war, dass er sogar einmal einen Bild-Boykott betrieb. Das ist also, ganz ungeachtet dessen, was sie alles den Leuten antut, das wirklich Wichtige an der Politik, wie es Bild am Geburtstag vermitteln will: Man kann das ganze Geschäft der Staatsführung, einschließlich aller politischen Inhalte, mit denen es die Geführten zu tun bekommen, exemplarisch als ein kritisches persönliches Verhältnis, hier zwischen Schröder und Bild, allgemein und überhaupt zwischen den Führern der Nation und dem guten Bild-Volk verstehen, welch letzterem Bild eine lautstarke Stimme im Dialog mit den Großen des Landes auf Augenhöhe verleiht, die sich niemals, auch nicht von einem noch so kämpferischen Regierungschef, einschüchtern lässt.

Die andere wichtige Lehre lautet: So sehr die Staatsführung und das Kampfblatt des gesunden deutschen Menschenverstandes auch aneinander geraten mögen, keine zynische Schlagzeile, keine kanzlerfeindliche Kampagne, kein Populismus zur Förderung der politischen Konkurrenz und kein Interview-Boykott können und dürfen jemals zu einer ernsthaften Entzweiung zwischen dem kritischen Standpunkt des volkstümlichen nationalen Gerechtigkeitsempfindens und der politischen Leitung der Nation führen:

„Am Ende hat die Bild-Zeitung, der Sie nie wieder ein Interview geben wollten, sogar Ihre Memoiren gedruckt. Ist da zusammengewachsen, was zusammengehört? Schröder: ‚Ich würde eher mit der Volksweisheit antworten: Gegensätze ziehen sich an. Da ist wirklich was dran. Es ist angenehmer, sich ein bisschen zu streiten, ohne in Feindschaft zu verfallen, als wenn das Verhältnis so dahinplätschert. Mein Verhältnis zu Bild war als Kanzler immer ambivalent. (...) Kurzum: Ich habe meinen Frieden mit Bild gemacht.‘“

So landen die alten Streithähne am Ende bei einer Verbrüderung im Geiste gemeinsamer Verantwortung, um deren korrekte politische Wahrnehmung sie sich letztlich so heftig gefetzt haben wollen. So sollen im nachhinein und beispielhaft all die wirklichen oder fingierten Streitereien zu verstehen sein: als Gegensätze, die keine sind, weil sie sich anziehen, deretwegen man nicht in Feindschaft verfallen muss, weil man als Leitmedium der Regierten und gewählter Regierender am Ende im gleichen Bemühen vereint ist. Die einen, indem sie immer wieder einmal eine herbe Agenda 2010 erfinden müssen, die anderen, indem sie die politischen Erfinder stets aufs Neue veranlassen, wg. ihrer Erfindungen dem Volk in Gestalt von Millionen Bild-Lesern offen Rede und Antwort zu stehen, um ihm den Schaden, den es hinnimmt, verständlich zu erklären.

Den Kontakt zwischen ihren Lesermassen und der Regierung zu halten, das hält Bild auf dem Feld der Politik für seine Kernkompetenz und allen Bundeskanzlern in der Geschichte der Republik besonders zugute, dass sie dabei immer mitgemacht haben. Die Geburtstagsausgabe würdigt das in einem eigenen Bild- und Textkasten, mit Bildern aller bisherigen Bundeskanzler im Gespräch mit Bild-Redakteuren, neben dem Schröder-Interview:

„Die Kanzler bei Bild. Sie waren so verschieden, doch in einem waren sie alle gleich: Die deutschen Bundeskanzler standen alle immer wieder den Millionen Bild-Lesern offen Rede und Antwort.“

Auf diese Klarstellung zum Verhältnis von Bild & Macht kommt es dem Jubiläumsblatt an: Mit Bild als Leitmedium kommunizieren die Massen mit ihren Mächtigen von gleich zu gleich und zwar im Geiste grundsätzlichen gegenseitigen Verständnisses. Wenn nicht einmal der hart angegangene Ex-Kanzler Schröder der Bild-Zeitung so richtig böse sein kann, dann nimmt Bild ihm und all den anderen Regierenden auch die Härten nicht übel, die sie ab und an ihren Lesern auferlegen müssen. Im Dialog zwischen Politikern und Bild-Zeitung wird vielmehr die Einverständnisgemeinschaft der Bild-Gemeinde auf die Regierenden erweitert, denen, solange sie nur offen und ehrlich mit den Lesern reden, die Zugehörigkeit zum großen Wir, um das es dieser Zeitung so zu tun ist, nicht verwehrt werden kann.

Dabei muss Bild sich weder Anbiederung an die Mächtigen noch populistischen Opportunismus gegenüber der Leserstimmung vorwerfen lassen. Die Kritik des Ex-Kanzlers Schröder im Interview –

Bild hat beim Thema Griechenland keine gute Rolle gespielt! Natürlich war da in der Bevölkerung ein Hang zum Draufhauen auf Griechenland. Und wenn man das aufgreift und verstärkt, macht man sich zum Leitmedium (...) Die Griechenland-Berichterstattung von Bild war aus der Sicht des Boulevards professionell, aber dass die Politik darauf gehört hat, war falsch.“ –,

lassen die Vertreter der Redaktion nicht auf sich sitzen, sondern verwandeln sie in ein Kompliment an die eigene Adresse:

„Ausgerechnet für unsere Griechenland-Berichterstattung haben wir einen der renommiertesten Journalistenpreise, nämlich den Herbert Quandt Medien-Preis, erhalten. Dann allerdings auch die Silberne Distel für einen angeblichen Fehltritt. Das zeigt doch, dass Bild da ist, wo Journalismus hingehört: nämlich auf den Platz zwischen den Stühlen“.

Erstens entscheidet Bild ganz eigenständig, wo sich der Nationalismus der Redaktion zum Draufhauen auf die Griechen im Namen der Bild lesenden Bevölkerung genötigt sieht. Und zweitens belegt die öffentliche Reaktion in Gestalt lobender und tadelnder Medienpreise, wie professionell die Griechenland-Berichterstattung der Zeitung ist. Gerade Bild hätte nach Meinung von Bild mit seiner Hetze gegen Griechenland nicht Tadel, sondern Komplimente als unbequeme, unabhängige Instanz und begrüßenswertes Ferment der öffentlichen Debatte verdient, und – wenn es sonst niemand tut – dann muss die Bild-Zeitung sich eben selber dafür loben, wie mutig sie, mit nichts als ein paar Millionen eigenhändig aufgehetzten Lesern und geschätzten 60 Millionen Sympathisanten in der Bevölkerung im Rücken, zwischen allen Stühlen als unbequemer Stachel der Politik wirkt.

Bild macht prominent

Wenn schon die politischen Spitzen des Gemeinwesens durch regelmäßigen Kontakt mit Bild ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des Bild lesenden Volkes zeigen, Bild werden sich auch alle anderen Prominenten, zumal die, die bekannt sind aus Film, Funk & Fernsehen, nicht zieren. Das können sie auch schlecht, denn prominent ist man nicht einfach. Prominenz ist ein Verhältnis zur Bild-Zeitung: Sie approbiert die Prominenz von Film-, Sport- und Schlageraffen mit ihren Schlagzeilen –

„Prominente erinnern sich. Hilfe, wir waren Bild-Schlagzeile! Manchmal waren sie bitter, manchmal zuckersüß. Manchmal taten sie weh, manchmal gut. Sie waren traurig oder lustig. Sieg oder Niederlage. Streicheleinheit oder Strafe. Nur eines waren sie nie: gleichgültig. Prominente erinnern sich an ihre ganz persönliche Bild-Schlagzeile.“ –,

macht sie fertig oder bejubelt sie, und lässt sie dann auf einer ganzen Seite, mit Foto und der jeweiligen Balkenüberschrift in der Hand, mehr oder weniger gute Miene dazu machen, wie sie von Bild – schließlich auch das Leitmedium des nationalen Unterhaltungspublikums – hochgelobt, lächerlich gemacht oder diffamiert wurden, was natürlich nie böse gemeint war. Da können sie sich dann bedanken oder sich süßsauer erinnern und Humor zeigen – den Humor, den es braucht, wenn man sich nicht aus der Bild-Gemeinde ausgrenzen will, in der es eben – da ist schon wieder ein wenig Augenzwinkern angesagt – manchmal rau, aber immer herzlich zugeht... Und wer möchte da nicht dazu gehören, wenn, per Stellvertretung auf Erden durch unseren deutschen Papst, sogar der Liebe Gott dabei ist: Für den ist rechts unten eigens ein kleiner Extraplatz, außerhalb der Steckbriefe der anderen Prominenten mit ihren teils zweifelhaften Ratings, frei gemacht – soviel Respekt muss sein –, damit Bild noch einmal seinen alten Geniestreich Wir sind Papst! hochleben lassen kann: Der Heilige Vater soll darüber geschmunzelt haben, teilt sein Privatsekretär der Bild-Zeitung zum Geburtstag mit, die damit einmal mehr der nationalen Öffentlichkeit die im Prinzip unbegrenzte Spannweite – vom singenden Heino und der gattenmordenden Ingrid van Bergen bis zum Pontifex – ihrer gemeinschaftsstiftenden journalistischen Umarmung unter Beweis stellt.

Bild-Briefe mit ziemlich gewöhnlichen Gedanken

Mit dem hauseigenen Knallkopf Franz Josef Wagner präsentiert die Bild-Zeitung ihren langjährigen Boulevard-Intellektuellen, der in aller dichterischen Freiheit fortwährend die reaktionärsten, antikritischsten und affirmativsten Standpunkte des gesunden nationalistischen Bild-Empfindens zu hochsubjektivem Sprach-Kunsthandwerk verarbeiten darf. In diesem hochgeachteten Mitglied der Redaktion lobt sich Bild einmal mehr selbst in den höchsten Tönen:

Seine Sätze sind Ohrfeigen und Streicheleinheiten. Seit 11 Jahren schreibt Franz Josef Wagner, der berühmteste Briefeschreiber Deutschlands, in Bild an Menschen und über Themen, die uns bewegen.

Zum Jubelfest bietet Bild auf Seite 6 eine kleine Blütenlese seiner Ergüsse, die zeigen, dass beim massenhaften alltäglichen Dichten zwar nicht immer alles gut gehen kann, was aber nichts macht, wenn ein bekannter und gut wiedererkennbarer Standpunkt beim Herausfinden des Gemeinten hilfreich ist. Z.B.:

‚22,3 % wollen nicht wählen – jeder Fünfte. Stellen wir uns Deutschland als Restaurant vor. Jeder 5. Gast sagt dem Kellner nicht, was er essen will – und hinterher beschwert er sich über den Fraß.‘ An die Nichtwähler.

Will F.J.W. uns sagen, dass, wenn die Nichtwähler im Restaurant D gewählt hätten, sie dann genau das Bestellte bekommen hätten? Dass derlei gemeinwohlfeindlicher Partikularismus in der Demokratie gar nicht geht, weiß Wagner bestimmt. Auch wenn man bestellen würde, was einem schmeckt, bekäme man dann nicht demokratisch-korrekterweise immer den Fraß, den die Mehrheit bestellt hat? Warum sollte man dann aber wählen, wenn einem der nicht schmeckt? Und darf man sich denn überhaupt ernsthaft beschweren, wenn die Mehrheitsentscheidung über das demokratische Menü ein so wichtiges Prinzip des Ladens ist? Das Bild ist so schräg, dass ihm der von Wagner angepeilte Inhalt nicht ohne Weiteres zu entnehmen ist. Die Botschaft, die er lancieren will, lässt trotzdem an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Nur wer wählt, hat das Recht zur Beschwerde. Oder: Nichtwähler sollen gefälligst hinterher die Schnauze halten, wenn ihnen was nicht passt!

Einfacher zu fassen ist ein anderer außergewöhnlicher Gedanke, in einem Brief an die im Iran inhaftierten BamS-Reporter, der in aller Kürze eine außenpolitische Frage mit solchen der inneren Herrschaftsordnung auf dem Feld der freien Berichterstattung verbindet: „Der Beruf eines Reporters ist kein Partyservice. Ein Reporter serviert keine Pizzas, ein Reporter serviert die Wahrheit...“

Dass Reporter die Wahrheit servieren ist ihr Beruf, also gut. Dass die Mullahs bei Reportern lieber Pizza statt der Wahrheit bestellen würden, sieht ihnen ähnlich, ist also schlecht. Da kommen sie aber bei den tapferen BamS-Reportern an die Falschen: Die servieren auch Mullahs die Wahrheit und lassen sich lieber inhaftieren als Pizza zu liefern. Am Umgang von persischen Mullahs mit wahrheitsliebenden Reportern könnte man also dank Wagnerscher Prägnanz schon das Wesentliche über das gleichnamige Regime erfahren, das man als Bild-Leser wissen muss, wenn man es nicht schon lange wüsste: Dieses Mullah-Regime ist grundfalsch und sehr sehr schlecht, und eigentlich müsste man, schon wegen Israel... Aber dazu gibt es vielleicht demnächst einen aktuelleren Wagner-Brief.

Erbauliches I – wie man sich im Unglück Glück verdient

Neben den Ergüssen von Wagner wird die Ankündigung von Seite 1 eingelöst, betr. das Exklusiv-Interview mit Til Schweiger und seiner Ex Dana. Noch einmal, diesmal ein sehr großes Foto des Paares, gelöst lächelnd, und eine sehr große Überschrift, die den kleinen Text von der Titelseite wiederholt, und die Bild – also allgemein – interessierende moralische Konstellation des Falles beschreibt: Wenn die Liebe geht und es gibt Kinder, dann muss „man die Familie zusammenhalten. Frage ist also, wie man das macht. Dazu sollen die beiden Prominenten Auskunft geben. Die Kernbotschaften lauten so ungefähr:

Dana: ‚Wenn Liebe stirbt, dann fühlt sich das so an, wie wenn jemand stirbt. Da ist Wut, Trauer, Schuld. Aber wer Kinder hat, kann eben nicht sagen: Das war’s, wir sehen uns nie wieder. Dann musst du über dich hinauswachsen. (...) Trennung ist nicht schön. Für keinen der Beteiligten. Aber wir versuchen, das Beste daraus zu machen und vor allen Dingen gemeinsam für unsere Kinder da zu sein. Und je länger wir dabei sind, desto mehr lernen wir und desto besser werden wir darin.‘
Til: ‚Wenn ich das sehe, wie andere Eltern sich gegenseitig zerfleischen, wie Mütter nach einer Trennung ihre Kinder benutzen, um den Vater zu bestrafen, wie am Schluss es dann nur Verlierer und gebrochene Herzen gibt, dann habe ich ganz viel Glück im Unglück gehabt. Weil, das ist bei uns nicht passiert. Dana ist die Mutter unserer Kinder, die ich unendlich liebe und das wird immer so sein und deswegen werden wir sehen, wie wir das Ganze auch in Zukunft ‚schaukeln‘ werden und es im Idealfall auch noch optimieren können.‘
Dana: ‚Wir waren nicht oft einer Meinung, aber in diesem Falle stimme ich Til 100 % zu!‘“

Die Botschaft ist – dem Jubeltag des Geburtstagskindes angemessen, wo man sich nicht die Stimmung vermiesen, sondern auch mal das Positive sehen will – so klar wie erbaulich:

In diesen modernen Zeiten gibt es keine Garantie für dauerhaftes privates Glück, auch wenn die Familie natürlich das Wichtigste im Leben ist. Das kann trotzdem schon mal schief gehen, bei Promis wie bei gewöhnlichen Leuten, da ist die Bild-Zeitung ganz realistisch. Davon berichtet sie an gewöhnlichen Tagen ja ausführlich und regelmäßig: Von hochinteressanten Rosenkriegen der Show-Größen ebenso wie von allfälligen Familientragödien, bei denen regelmäßig Familienväter ungetreue Ehefrauen, Kinder und Nebenbuhler umbringen. Darum ist es schön, wenn ein prominentes Paar mitten im gescheiterten Glück so exemplarisch Haltung und Anstand bewahrt, über sich hinauswächst, also Werte lebt, sich nicht zerfleischt, die eigenen und die Nerven der Kinder schont und sich mitten im Unglück das Glück verdient! So kann auch eine Trennung gut ausgehen, kann man mit einem familiären Unheil fertig werden und dadurch die Welt wieder ein Stück weit heil machen.

Erbauliches II – wie man sich unverdienten Reichtum verdient

Auf Seite 8 wird den Lesern die Antwort auf die Frage von Seite 1 nachgeliefert, ob ihre Bild-Lotto-Millionäre mit ihren 15 Millionen nicht nur reich, sondern auch glücklich geworden sind. Und tatsächlich, die Hoffnungen, die man sich da schon machen konnte, erfüllen sich komplett:

„Am liebsten haben sie es, wen man es ihnen nicht ansieht, das Geld. Deshalb tragen sie Jeans vom Discounter, dazu Poloshirts für 14,99 Euro. So fallen sie nicht auf, in ihrer Lieblingsbucht auf Mallorca, zwischen all den Touristen und Rentnern. So merkt niemand, dass sie Geld haben – sehr viel Geld. (...) ‚Es dauerte Wochen, bis uns klar war, dass wir uns nie wieder Gedanken über die Gasrechnung machen müssen‘, sagt Petra. (...) Das Paar sah sich große Villen, herrschaftliche Anwesen an. ‚Eins war dabei, da hätte unser ganzes Haus aus Deutschland in die Vorhalle gepasst. Wir sind gleich wieder gegangen. Wir wissen, wo wir herkommen. Mehr als 300 000 Euro wollten wir nicht anlegen.‘ Sie entschieden sich für ihre kleine Finca. 120 Quadratmeter, kein Meerblick. Eingerichtet mit Mallorca-Möbeln, Sitzgruppe für 450 Euro, Wohnzimmer für 2500 Euro. Die Küche war das Teuerste: 12 000 Euro. Das ganze Geld auf den Kopf hauen, das kam Petra und Fritz nie in den Sinn. ‚Das meiste ist noch da, wir haben es konservativ angelegt‘, sagt Petra. ‚So können wir entspannt von den Zinsen leben.‘ Und zwar gut. (...) Früher lagen sie nachts wach und sorgten sich um die Rente, um die Zukunft. Heute schlafen sie durch. (...) Gespart wird trotz achtstelliger Summe auf dem Konto. Wenn etwas im Angebot ist, fahren die beiden immer noch zum Discounter, der weiter weg ist. (...) Hat sie das Geld glücklich gemacht? Petra und Fritz lächeln, dann sagt er: ‚Es ist ein schönes Gefühl, keine Geldsorgen mehr zu haben, sich etwas gönnen zu können. Aber Glück ist etwas anderes. Das größte Glück ist, dass wir immer noch zusammen sind. Im August feiern wir unseren 35. Hochzeitstag.‘“

Noch eine schöne Geschichte also, in die sich der lesende Normalverdiener einfühlen soll. Geldsorgen, die ihn nachts wach liegen lassen und am Ende des Monats seine Einteilungskünste herausfordern, kennt er nur zu gut. Aus der Not die Tugend der Bescheidenheit zu machen und auf die eigene Genügsamkeit stolz zu sein, das gehört zu dem moralischen Repertoire, das er mit Millionen anderen Bild-Lesern teilt. Die Lotto-Gewinner von Seite 8 halten mitten im plötzlichen Reichtum an diesen Werten der kleinen Leute und – angeblich – an ihren Konsumgewohnheiten fest, jedenfalls wenn man von Eigenheim, Finca, zwei VW Touaregs und monatlichem Aufenthalt in Mallorca absieht. Sie geben an, zu wissen, wo sie herkommen, sind also bescheiden und anständig geblieben und beweisen damit nachträglich, dass sie ihr Lotto-Glück, ihren eigentlich unverdienten Reichtum, eben doch moralisch verdient haben: Sie haben zwar materiell, nicht aber ideell die Gemeinschaft der Bild-Leser verlassen und antworten auf die dumme antimaterialistische Frage, ob das viele Geld sie glücklich gemacht habe, wie es sich gehört: Sie erklären ihren materiellen Geldreichtum, sich diesbezüglich keine Sorgen mehr machen zu müssen, also die Sache, um die sich praktisch das Leben nicht nur der Bild-Gemeinde tagtäglich dreht, zu einer Art schönster Nebensache der Welt – „ein schönes Gefühl ...“ – die dem wirklichen Glück, den gelebten Werten der sittlichen Privatperson – Liebe, Treue, Hochzeitstag! – einfach nicht das Wasser reichen kann. Da trifft es sich gut, dass die Masse der gewöhnlichen Landsleute sich schon hier und heute und ohne Ablenkung durch hohe Zinseinkünfte auf das Wesentliche im Leben konzentrieren kann. Dass Geld alleine nicht glücklich macht, hat man ja schon oft gehört. Petra und Fritz, die Millionäre aus der Bild-Zeitung, die die seltene Gelegenheit hatten, das Glücklichsein mal ohne und mal mit Geld auszuprobieren, bestätigen die alte Weisheit jetzt auf ihre bescheiden-glaubwürdige Art. Bild hat sich das bestimmt schon vorher gedacht.

Bild-Selbstlob kann gar nicht stinken

Bisher schon hat Bild anlässlich des Geburtstages eigentlich hauptsächlich über sich selbst gesprochen, wenn auch auf dem kleinen Umweg über die Rolle und Bedeutung der Zeitung im politischen, moralischen und massenkulturellen Leben der Nation und ihrer mehr oder weniger prominenten Akteure. Auf Seite 8, neben der schönen Millionärsgeschichte, lässt Bild es eine ganze Spalte lang so richtig krachen: Da gibt die Redaktion mal so richtig und ohne Umschweife einfach nur an, mit dem was ihr Blatt alles Einmaliges ist und kann: Bild ist einfach

„die Zeitung der Rekorde: Bild in Superlativen. Eine Zeitung in 3D. Eine Ausgabe aus New York. Ein Hochhaus-großes Papst-Plakat: Es gibt Dinge, die schafft nur Bild! Lesen Sie mal, welche Rekorde Bild schon knackte, welche Superlative Bild zu bieten hat – und was Deutschlands größte Zeitung so einzigartig macht.“ „Titel und Preise für Bild. ‚Die größte Zeitung der Welt‘ – seit 2011 steht Bild sogar im ‚Guinnessbuch der Rekorde‘. Aber in 60 Jahren Bild gab es noch viel mehr Auszeichnungen.“

Mit neunzehn Superlativen und dem Verweis auf noch viel mehr Auszeichnungen beweihräuchert Bild sich hemmungslos selbst und lässt keinerlei Befürchtung erkennen, das Selbstlob könnte ihr übel genommen werden. Und das zu recht: Da Bild größten Wert darauf legt, dass zwischen sie und ihre Leserschaft kein Blatt Zeitungspapier passt, ist letztere beim Selbstlob immer mit gelobt. Die Bild-Gemeinde ist so großartig wie ihr Leitmedium, weshalb man dem nicht auf die Schulter klopfen kann, ohne eigentlich die Bild-Leser zu meinen. Verdient haben schließlich beide die von der Redaktion entfachte Begeisterung – gemeinsam!

Bild, der Antifaschismus und die politische Ausgewogenheit

Auf Seite 9 wird es dann, der Feierstimmung zum Trotz, doch noch mal richtig ernst, auf höchstem politmoralischem Niveau. Auch in 60 Jahren hat Bild das antifaschistische Erbe von Axel Springer nicht vergessen und lässt da gar nichts anbrennen, auch nicht auf vermeintlichen Nebenschauplätzen. Für Bild ist es eben wichtig, auch den Sport gegen die bösen Nazis zu verteidigen, wenn es nötig ist, denen auch ihre Schweinereien vorzurechnen und beim Verurteilen nicht locker zu lassen. Die Führungsposition dabei lässt Bild sich von niemand streitig machen. Das ist ganz aktuell, denn Bild hat da neulich wieder eine Machenschaft aufgedeckt, von der sonst bisher kaum jemand etwas wusste: Bild findet die Olympia-Kette der Nazi-Spiele (Schlagzeile). Weil dem Publikum diese Kette unbekannt und vielleicht ziemlich egal ist, macht Bild die Sache bekannt, einschließlich der allgemeinen Bedeutung dieses trüben Kapitels für den nationalen Moralhaushalt auf dem Feld des olympischen Sports:

„Nach dem von Hitler entfachten Zweiten Weltkrieg und den furchtbaren Verbrechen an der Menschheit waren auch die Erinnerungen des IOC an die Berliner Spiele schmerzhaft. Hatten sie doch Hitler internationales Renommee verschafft. Daher wurde die Kette fortan nicht mehr an spätere IOC-Mitglieder weitergegeben. (...) So ist diese Kette nicht nur ein Symbol für die Tragik des Olympia-Funktionärs. Sie ist auch eine Erinnerung daran, wie sogar die olympische Idee von den Nazis für ihre Zwecke missbraucht wurde.“

Also: Als anständiger Bild-Deutscher muss man in Fragen des Missbrauchs schöner Ideen durch die Falschen sehr aufpassen. Bild erledigt das für seine Kundschaft und hält sie diesbezüglich auf dem Laufenden. Auch sonst entdeckt die Redaktion bei ihren rastlosen Aktivitäten immer wieder wichtige Zeugnisse unserer Vergangenheit. Gerade hat sie außer der ominösen Olympia-Kette auch noch Baupläne des Vernichtungslagers Ausschwitz gefunden und gleich dem israelischen Premierminister Netanjahu übergeben. Das beweist, dass Bild sich von niemandem beim Vergangenheitsbewältigen übertreffen lässt; und dass es sich auch von einem radikalislamischen Terrorstaat unseren deutschen Holocaust nicht wegrelativieren lässt: Bild hat die Auschwitz-Pläne Netanjahu übergeben, damit er sie vor der UN-Vollversammlung in New York als Beleg für den von Iran geleugneten Holocaust zeigen kann. Im Geiste der politischen Ausgewogenheit, zur Vermeidung des Vorwurfs, auf dem linken Auge blind zu sein, berichtet Bild in der Spalte „ ... und andere Entdeckungen“ dann auch noch über eine alte sowjetische Machenschaft: Bild-Redakteure spürten in Sofia im Juni 1997 einen Funkspruch des Sowjet-Geheimdienstes auf, der eine große Desinformations-Kampagne nach dem Papst-Attentat einleiten sollte, um vom Osten als möglichem Anschlags-Urheber abzulenken. Mit Bildern von der eigenen alten Schlagzeile zum Papst-Attentat – Was wussten Honecker und Mielke? – und der heute nochmal aufgewärmten Frage nach den Hintermännern des Attentats legt Bild nahe, dass die Kommunisten damit wohl etwas zu tun hatten. Dann ist das wohl naheliegend.

Die perfekten Vermittler

Usw. usf.: Politik und Preisausschreiben, Familie, Geschichte, Sport, Kunst, Geldsorgen und Krankheit – alles Mögliche dient die Bild-Zeitung dem von ihr selbst definierten Interesse der Leser als Stoff zur Herstellung und Bestätigung ihrer ideellen und praktischen Gemeinschaft an. Die dafür hilfreiche Leistung des angelieferten Materials ist da durchaus wichtiger als der Nachrichtenstoff selbst, weshalb eine gelegentliche Falschmeldung überhaupt nicht schadet, wenn sie der agitatorischen Wahrheitsfindung dient. Bild arbeitet an seinem Leserkollektiv, das als Bild von einem Volk über sich hinausweist: Es gibt jeden Tag der ganzen Nation ein Beispiel, wie gut sie beraten ist, sich von dem gesunden Menschenverstand und dem bodenständigen sittlichen Empfinden des Bild-Volkes leiten zu lassen, das mustergültig alles Gute, d.h. Gemeinschaftsdienliche, in sich vereint und nur das Böse ausschließt. Als Massenblatt hat Bild die Gelegenheit, sein Ideal des guten Volkes jeden Tag wahr werden zu lassen, sich als das Sprachrohr seiner anständigen Bedürfnisse zu gerieren und zugleich auf die nationalmoralisch verseuchten Gemüter der Leser und ihre Willensbildung einzuwirken. Auf dieser Grundlage beansprucht Bild, die von ihr jeden Tag auf Papier und online vorgeführte Welt sei selbstverständlich nicht anders als die wirkliche Welt und die Bild-Gemeinde das einzig wahre Volk: Dieses gute Volk mit seinem von Bild erfundenen und realistisch beschriebenen, gewürdigten und betreuten Leben; mit seinem von der Redaktion realitätsnah fingierten Verhältnis zu den Führern der Nation, zu den auferlegten Opfern und Zumutungen und allen materiellen und moralischen Herausforderungen der bescheidenen Existenz; dieses Volk repräsentiert als die selbstbewusste Basis seiner Führung den Inbegriff der echt wahren Wirklichkeit, jenseits all dessen, was Herrschaft und Kapital an entzweienden Lebensumständen in Staat und Gesellschaft stiften. Deren Kreationen erscheinen in der Bild-Welt als vorausgesetzte Bedingungen der praktischen und ideellen Bewährung, als Gegenstände des moralischen Urteilens, der Erbauung oder entschiedener Zurückweisung, anhand von Maßstäben, die Bild für seine Leser jeden Tag aktuell aus dem Bestand der nationalen Sittlichkeit fallweise und bedarfsgerecht herausdestilliert und stellvertretend für das Volk zur Anwendung bringt. Darin, in der journalistischen Vermittlung von politischen und ökonomischen Gegensätzen als bunt-interessante Lebenswelt der verschworenen Bild-Gemeinde, im agitatorischen Wirken für die Hinnahme ihrer lebensfeindlichen Existenzbedingungen durch die niederen Stände als persönliche Herausforderung ebenso wie als verantwortungsvolle Gemeinschaftsaufgabe für Volk und Führung, also in der Integration ständig geschädigter Individuen und nationaler Subkollektive in die sittliche Verantwortung des nationalen Wir, liegt die Leistung der Bild-Zeitung als das perfekte Medium der bürgerlichen Öffentlichkeit für die armen Massen in Deutschland. Gegen diese wuchtige antikritische, deutschnationale Agitationsleistung wirkt die Idee der intellektuellen Bild-Macher, mit der Jubiläumsausgabe einmal neben die alltägliche nationalistische Gemeinschaftshetze an die Adresse ihrer minderbemittelten Adressaten zu treten und die Methode ihrer Gemeinheit vorzuführen, wie eine zynische Fußnote.