Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Kampf der Linken gegen Rechts – heute
Die Betreuung der sozialen Unzufriedenheit nicht der AfD überlassen!

Dass der Linkspartei bei den Landtagswahlen im Osten viele ‚ihrer‘ linken Wähler zu den Rechten übergelaufen sind, hat ihr zu denken gegeben: Stehen ihre Werte und Ziele nicht für das gerade Gegenteil von Nationalismus und rechter Ausländerhetze; für internationale Solidarität mit Armen und Schwachen, Weltoffenheit und Aufklärung? Seitdem erklärt sich die Partei, wie es zu dem radikalen Umschlag politischer Orientierungen hat kommen können und wie sie diese, immer noch ‚ihre‘ Wähler wieder einfangen kann. Ihre ebenso verständnisvollen wie verständnislosen Erklärungen, wie soziale Beschwernisse und radikales nationalistisches Beschwerdewesen zusammenhängen, geben allerdings einige Auskunft darüber, warum für Wähler der Linkspartei die rechte Opposition ein Angebot sein kann.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung

Der Kampf der Linken gegen Rechts – heute
Die Betreuung der sozialen Unzufriedenheit nicht der AfD überlassen!

Das Entsetzen in der Linkspartei war groß nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern: Viele „ihrer“ linken Wähler sind zu den ganz Rechten übergelaufen. Was die Parteien und Medien der Mitte mit Häme quittieren – von wegen: Links gleich Rechts, das will der Linken nicht in den Kopf: Stehen ihre Werte und Ziele nicht für das gerade Gegenteil dessen, wofür die AfD steht? Für Aufklärung und Rationalität statt dumpfer Ressentiments, für internationale Solidarität mit Armen und Schwachen statt Nationalismus und Ausländerhass, für offene Grenzen statt Abschottung, für die freie Selbstbestimmung des Individuums statt Homophobie und miefige family values? Auf Parteitagen und Strategieseminaren erklärt sich seitdem die Partei, wie es zu dem radikalen Austausch politischer Werte und Orientierungen hat kommen können und was sie zu tun hat, um „ihre“ Wähler wieder einzufangen. Was ihr dazu einfällt, erklärt schon ein wenig, warum für diese Wähler rechtsradikale Positionen ein Angebot sein können.

Der Co-Vorsitzende Riexinger besichtigt einen Nährboden

Wenn er sich an die Erklärung der Wählerflucht macht, wehrt er zunächst einmal die in der besseren Hälfte der Deutschen gängige Verurteilung der AfD-Wähler als unverbesserliche Anhänger verabscheuungswürdiger Gesinnungen ab. Allein auf dem Feld der Werte und Unwerte will er den rechten Aufschwung nicht ansiedeln und allein mit der selbstgerechten und selbstzufriedenen Abgrenzung des hellen vom „Dunkel-Deutschland“ der Rassisten sieht er den „Kampf gegen rechts“ nicht erledigt.

„Es ist falsch, die Wahlerfolge der AfD allein durch Rassismus und Rechtspopulismus zu erklären. Ihr Aufstieg ist nicht denkbar ohne die soziale Polarisierung, die sich aufgrund der neoliberalen Politik in Deutschland, aber auch weltweit dramatisch verschärft hat. Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen und guten Jobs, die Reduktion der Demokratie auf die Verwaltung von Sachzwängen, ist der Nährboden, auf dem der rechte Kulturkampf gedeihen kann. Weil die Rechte die Flüchtlingskrise nutzt, um sie zu einem Konflikt zwischen drinnen und draußen zu machen, ist es Aufgabe der Linken zu zeigen, dass es ein Konflikt zwischen oben und unten ist.“ (Rede auf dem marx21-Kongress „Wohin steuert Deutschland?“, 6.5.16)

Mit seinem Nicht-denkbar-ohne-Argument besteht Riexinger darauf, dass seine abgewanderten Linkswähler allen Grund zu sozialer Unzufriedenheit haben – Mangel an guten Jobs und bezahlbarem Wohnraum sind die Stichworte – und dass sie ohne diese Bedingung wohl kaum empfänglich wären für die grundverkehrten Angebote der Rechten, die ihnen das Fernhalten und die Deportation von Migranten, nationalen Egoismus gegen die europäischen Nachbarn, Hass auf eine fremde Religion, kurz ein deutscheres Deutschland als Heilmittel gegen ihre Nöte anbieten.

Den Übergang, über den seine Partei so erschrocken ist, hat er damit allerdings noch gar nicht angesprochen: Wie kommen seine Wähler denn von hohen Mieten, niedrigen Löhnen und schlechten Aufstiegschancen zum Hass auf Ausländer? Riexinger gibt sich mit dem Bild vom Nährboden zufrieden, auf dem alles Mögliche wachsen kann, und spart es sich, zu erklären und erst recht sich anzulegen mit dem, was da wächst. Das hält er für überflüssig; und wenn es ihm in den Kopf käme, hielte er es für kontraproduktiv: Er will seinen verlorenen Wählern keine Vorwürfe machen, auch wenn er ihren Marsch nach rechts ganz und gar verkehrt findet. Er will sie nur von den rechten Rattenfängern trennen, denen sie auf den Leim gehen. Auf der Seite der Wähler sieht er nur eine unbestimmte, aber voll berechtigte Unzufriedenheit angesichts der sozialen Lage; den Nährboden eben, für den sie nichts können. Die rechte Wende selbst verbucht er als Missbrauch dieser Unzufriedenheit, der ganz aufs Konto der rechten Populisten geht; als Verführung enttäuschter Menschen, die das Vertrauen in den Staat verloren haben – womit er dem Urteilsvermögen der Verführbaren, die er nicht kritisieren will, auch kein gutes Zeugnis ausstellt. In diese Vertrauenslücke, die eigentlich der Linken gehört, stößt die AfD mit ihrem Kulturkampf – einer ideologischen Umpolung unserer humanistischen Werte, die mit realer Sozialpolitik, die die Probleme wirklich angeht, nichts zu tun hat.

Wie um extra klarzustellen, dass materielle Unzufriedenheit nichts anderes sein kann als Unzufriedenheit mit dem Staat – und eigentlich auch nicht mit ihm, sondern mit denen, die ihn gerade verwalten, legt er die Charakterisierung des Nährbodens gleich so an, dass aus ihm gar nichts anderes folgen kann als der Ruf nach besserer Politik: Die materiellen Nöte, auf die er anspielt, stehen bei ihm für „soziale Polarisierung“, d.h. nicht einfach für die Armut der Armen, sondern für die sehr staatspolitische Sorge vor einer Spaltung der Gesellschaft – was nicht gerade dasselbe ist. Die Spaltung hat niemand anders zu verantworten als eine ideologisch fehlgeleitete, einseitig die Reichen fördernde „neoliberale Politik“. Sie bringt die Demokratie, die Form politischer Herrschaft, die das Volk, vor allem das niedere, doch eigentlich endgültig mit dem Staat versöhnt, zu einer bloßen Verwaltung von – natürlich nur vermeintlichen – Sachzwängen herunter. Sie stellt die unschönen Konsequenzen ihres Missmanagements als alternativlos hin und verbannt berechtigte soziale Ansprüche sowie jede Hoffnung auf Besserung als unrealistisch aus der politischen Arena. Nicht Wirtschaft und Gesellschaft, die die Politik verwaltet, allein deren schlechte Verwaltung durch die Neoliberalen erzeugt im demokratischen Gemeinwesen den – ihm eigentlich fremden – Konflikt von Oben und Unten. Diesen hat die Linke anzuklagen, sie hat darauf zu bestehen, dass das deutsche Innen eben nicht in Ordnung ist, dass es wegen der politisch verursachten Spaltung keine intakte Gemeinschaft bildet; und dass es eben eine Lüge über diese verkorkste Gemeinschaft und eine Ablenkung von den wirklichen Problemen ist, wenn die Rechten die sozialen Wirkungen der neoliberalen Spaltung in einen Konflikt zwischen einem guten deutschen Innen und einem störenden, schwächenden, schmarotzenden Ausland und seinen Menschen verdrehen.

In Riexinger spricht eben der politische Konkurrent, der den Leuten eine bessere Verwaltung der Staatsmacht anbieten und dafür von ihnen das vertrauensvolle Sich-Regieren-Lassen abholen will. Die Parteien der großen Koalition stellt er seinem Publikum als fehlgeleitete Versager hin, die durch die Spaltung der Gesellschaft den Vertrauensverlust der Massen herbeiführen und verdienen. Die Rechten sieht er als Verführer des guten Volkes, die dessen Verzweiflung ausbeuten und für dessen Nöte in Wahrheit gar keine Abhilfe anbieten. Warum deren Rattenfängerei verfängt, thematisiert er gar nicht erst; dazu müsste er die gemeinsame Basis der Konkurrenz der linken und der rechten, der tatsächlichen und der Möchtegern-Staatenlenker kritisch in den Blick nehmen: das Vertrauen der Regierten in die für sie zuständige Staatsmacht, der sie gehorchen. Und das geht über seinen Horizont.

Frau Wagenknecht hat Verständnis für die nationalistischen Übergänge, die sie bekämpft

Weitere Stellungnahmen der Linken im Kampf gegen Rechts befassen sich ebenso wenig wie Riexinger mit dem nationalistischen Gegner und seinem politischen Angebot. Dass die Ursachen, die die Rechten für die sozialen Nöte angeben, verkehrt sind und noch mehr ihre Lösungen, ist den Linken so klar, dass sie darauf gar nicht eingehen. Bei Bedarf können sie ihrem Publikum selbstverständlich darlegen, dass an seiner Unfähigkeit, genug Geld zu verdienen und die geforderten Mieten zu zahlen, nicht die Flüchtlinge schuld sind. Aber, wie gesagt, die Korrektur des Adressaten ist nicht ihre Sache. Im Gegenteil: Wenn sich Sahra Wagenknecht daranmacht, den Einblick in den „Nährboden“ zu vertiefen, den ihr Kollege als Bedingung der Möglichkeit des Rechtsrucks ausfindig gemacht hat, geht sie verdammt weit im Verständnis für den nationalistischen Übergang.

„Wir haben heute einen großen Niedriglohnsektor mit Leiharbeit, Dauerbefristungen, Minijobs. Viele Flüchtlinge werden gerade in diesem Sektor Arbeit suchen und verstärken damit den Druck auf die Löhne. Ähnlich ist es bei den Wohnungen. Da suchen die Flüchtlinge vor allem in jenen Stadtvierteln, in denen die ohnehin schon Ärmeren leben. Wenn dann Mieten steigen, schürt das die Stimmung gegen Flüchtlinge. In Wahrheit ist das die Folge einer Politik, die den Arbeitsmarkt dereguliert und den sozialen Wohnungsbau weitgehend eingestellt hat.“ (Interview der FAS mit Wagenknecht und Petry, 2.10.)

Wenn im Niedriglohnsektor zusätzliche Konkurrenten um Arbeitsplätze und am Wohnungsmarkt zusätzliche Wohnungssuchende auftreten, dann „verstärkt das den Druck auf die Löhne“ nach unten und auf die Mieten nach oben. Das schürt die Stimmung gegen Flüchtlinge. Ihren fahnenflüchtigen Linkswählern lässt Frau Wagenknecht diese Stimmung als zwar verkehrten, aber irgendwie naheliegenden Schluss durchgehen: Sie leiden unter den Folgen der Konkurrenz auf verschiedenen Märkten, führen diese Folgen aber gar nicht auf das System der Konkurrenz zurück, in dem der eine eben nur dadurch für sich sorgen kann, dass er gleichgelagerte Anstrengungen anderer unwirksam und erfolglos macht. Diese Opfer der Konkurrenz wenden sich auch nicht gegen die besitzenden Interessengegner, die sie als Arbeits- und Wohnungssuchende in die Konkurrenz gegeneinander zwingen und daraus ihren Vorteil ziehen. Ihnen fällt nichts Besseres ein, als die Wirkungen der Konkurrenz, zu der sie genötigt sind und die sie selbst betreiben, den Konkurrenten anzulasten, die in der gleichen Not wie sie sind, Arbeitsplatz und Wohnung zu finden, die anderen gehören und die für diese anderen die Mittel ihrer Bereicherung sind. Und noch nicht einmal Konkurrenten überhaupt nimmt dieser Neid unter Gleichen aufs Korn – davon gäbe es ja genug unter den Einheimischen –, sondern ausschließlich neue Konkurrenten, die aus dem Ausland kommen. Die, nur die – so der ausländerfeindliche Schluss der rechten Wähler – könnte der Staat den Deutschen, die sich ja vieles bieten lassen, ersparen. Diese Leute kennen keinen anderen Anspruchstitel auf Schutz und Verschonung vor Elend mehr als ihre Zugehörigkeit zur Nation und keinen anderen Weg des Schutzes als Rücksichtslosigkeit gegen Menschen anderer Nationalität. Alles das findet Frau Wagenknecht natürlich verkehrt, sie schlägt es aber wie eine automatische Wirkung dem Nährboden zu, um auf ihr Thema zu sprechen zu kommen, nämlich auf dasjenige Subjekt, das „in Wahrheit“ schuld ist an diesem Nährboden: wie gehabt, die neoliberale Politik.

Für diesen Schuldbeweis deutet sie auf Wirkungen der kapitalistischen Konkurrenz, spricht an, dass Löhne das Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf einem Markt sind, auf dem Arbeitskräfte sich verkaufen müssen, dass Mieten einen großen Teil des Lohns verschlingen, weil Wohnraum Kapital ist, das Rendite verlangt. Sie kommt auf Tatbestände der Klassengesellschaft zu sprechen – und schuld an all dem, was sie da kritikwürdig findet, ist nicht das ökonomische System und auch nicht die Staatsgewalt, die es in Szene setzt und aufrechterhält, sondern allein die politische Verwaltung des Staates; und auch die nicht durch das, was sie tut, sondern durch etwas, was sie unterlässt: Sie verweigert die Abmilderung der Folgen des Kapitalismus, vergrößert die Freiheiten des Kapitals, anstatt sie zu beschränken. Wagenknecht drückt glatt die Unterlassung dessen, was sie wünscht, als Aktivität der neoliberalen Regierung aus: Die dereguliert Märkte, so als ob die erweiterten Freiheiten für Unternehmen und verminderte Ansprüche von Arbeitslosen und Rentnern die Folge von Nichtstun und Zulassen und nicht ihrerseits von gesetzlichen Regelungen wären; oder umgekehrt, als ob Regeln jenseits ihres Gehalts in jedem Fall den Minderbemittelten zugute kommen würden. Armut und Reichtum, die die Wirtschaftsweise erzeugt, sind für diese linke Politikerin nie für sich Thema, sie kennt sie nur als Auftrag an den Staat, der Schere von arm und reich mit Korrekturen hinterherzulaufen.

Auch in Wagenknecht spricht so die Politikerin, die ihr Publikum in genau der Rolle bestätigt und bestärkt, die ihm seine Nöte eintragen. Die Lohnabhängigen machen alles richtig, wenn sie weitermachen wie bisher, dabei auf bessere Politik hoffen und links wählen. Von der mit dieser Rolle einhergehenden Armut will Die Linke sich zur sozialeren Verwaltung der kapitalistischen Ordnung beauftragen lassen. Sie jedenfalls kennt, wenn es irgendetwas zu „gestalten“ gibt, nichts anderes als die Macht der politischen Herrschaft. Deshalb hält es Frau Wagenknecht nicht für eine Verarschung ihres Publikums, ja es fällt ihr gar nicht auf, dass sie ihm die mangelhafte staatliche Hilfe in seinem Elend als Grund dieses Elends verkauft.

Ramelow hat das beste Argument gegen Ausländerhass: Wir brauchen die!

„Der Aufstieg der AfD speist sich aus mehreren Quellen. Da ist, gerade in Ostdeutschland, das Sediment jener, die schon immer ihre rassistischen Vorurteile pflegten. Und da ist der Frust über die etablierte Politik, die zum Beispiel zulässt, dass ein großer Teil der Menschen, die jetzt hart arbeiten, aber zu wenig verdienen und deshalb irgendwann in Altersarmut landen werden – und die jetzt angesichts der Flüchtlinge annehmen, dass noch weniger für sie übrig bleibt. Dabei ist angesichts der demografischen Entwicklung diese Zuwanderung eine große Chance dafür, dass die Rente wieder sicherer wird. Genau das müssen wir den Menschen vermitteln, immer und immer wieder.“ (Bodo Ramelow, Thüringer Allgemeine, 8.4.)

Der thüringische Ministerpräsident wechselt vom agrarischen Bild zum hydrologischen: Sein Nährboden des Rechtsradikalismus ist eine Quelle – und davon kennt er mehrere: entweder eine unverbesserliche rassistische Gesinnung, über die er weiter kein Wort verliert, oder unschuldige, von unsozialer Politik enttäuschte Menschen – nichts dazwischen, ohne jeden Übergang von dem einen zum anderen. Die Letzteren, die zu Recht Altersarmut auf sich zukommen sehen, spricht der Realist im Staatsamt im Unterschied zu seinen Parteikollegen nur einerseits als Opfer schlechter Politik an. Andererseits anerkennt er, dass die Finanzierung der Renten in dieser Ordnung angesichts der Langlebigkeit der Alten und der relativ dazu abnehmenden Zahl der Deutschen im arbeitsfähigen Alter, aus deren Beiträgen die Renten bezahlt werden, auch für andere als unfähige Neoliberale ein Problem darstellt. Den Leuten, die fürchten, dass wegen der Flüchtlinge „noch weniger für sie übrig bleibt“, meint er nun das beste Argument gegen Ausländerfeindlichkeit bieten zu können: Die Zuwanderer sind schon eine Kost und eine Last für „uns“ – aber nur zu Anfang. Auf lange Sicht bezahlen deren Sozialbeiträge eure Renten! Das möchte der linke Landesvater den Anhängern des Standpunkts: Für Deutsche alles, für Fremde nichts! – immer und immer wieder sagen. Vielleicht akzeptieren sie ja aus nationalem Egoismus die Flüchtlinge als Auffüller deutscher Sozialtöpfe.

Wagenknecht weiß für den starken Staat einen guten Zweck

In ihrem Streitgespräch mit Frauke Petry von der AfD lässt Wagenknecht staatstheoretische Bekenntnisse vom Stapel:

„Aber wenn Sie, Frau Petry, sich in Ihrem Programm auf die Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft berufen, dann sollten Sie wissen: Diese Ökonomen wollten einen starken Staat, der unserer Wirtschaft Regeln setzt und soziale Sicherheit garantiert. Sie dagegen wollen einen schwachen Staat und mehr Privatisierung, im Ergebnis wachsende Marktmacht, Ausbeutung und Ungleichheit. Setzt man Ihr Programm um, Frau Petry, dann würde die gesellschaftliche Mitte weiter geschwächt und würden die Ärmeren noch ärmer.“ (Wagenknecht, Interview der FAS)

Ausgerechnet der AfD, die angesichts der Flüchtlingsmassen einen „totalen Kontrollverlust des Staates“ anprangert, für die sich überhaupt jedes Ärgernis, auch soziale Not, wo sie die gelten lässt, aus einer Schwäche des Staates erklärt, die nur durch mehr Gewalt, strengere Kontrolle und rücksichtslosere Selbstbehauptung des Staates nach außen zu heilen ist; ausgerechnet dieser Law & Order-Partei wirft die linke Frontfrau vor, den Staat schwächen zu wollen. Sie klaut den Rechten das Alleinstellungsmerkmal „Starker Staat“, das sie offenbar für ein sympathisches und werbendes Versprechen an ihre Wähler hält.

Als Politikerin hat sie eben eine gute Verwendung für den starken Staat. Sie weiß all die Wohltaten, die sie für ihre Wähler sehen will, abhängig von der unangefochtenen, auch finanziellen Souveränität der Staatsmacht. Die muss frei sein, vor allem gegenüber den mächtigen Wirtschaftsinteressen, damit sie leisten kann, was sie leisten soll: „unserer Wirtschaft Regeln setzen“, die Macht des Kapitals begrenzen, damit es nicht ungebremst machen kann, was es macht: ausbeuten, die eigene Macht vergrößern, Ungleichheit schaffen. Wagenknecht ist so versessen auf die Gewalt des Staates zur Beschränkung der Macht des Eigentums, dass sie keinen Gedanken darauf verschwendet, wo dieses private Verfügen, mit dem über das Leben der Gesellschaft und ihrer Mitglieder entschieden wird, seine Macht überhaupt her hat. Sie will nichts davon wissen, dass die Staatsgewalt, ehe sie dem Privateigentum vorsichtig Grenzen zieht, dessen Macht durch den verfassungsgemäßen Eigentumsschutz ins Werk setzt. Ohne starken Staat, meint sie, gäbe es gar keine Bremse gegen die Macht des Kapitals und die Ausbeutung der Arbeiter; dass es ohne ihn auch diese Macht und was sie anstellt, nicht gäbe, ist einer Linken fremd, für die die Begrenzung der Ausbeutung ihrer Schützlinge das höchste der Güter ist.

Mit dem Bekenntnis zum „Starken Staat“ als unverzichtbarem Mittel für sozialen Schutz nimmt Wagenknecht die Konkurrenz zu den Rechten auf deren Feld auf: Die nämlich wissen schon gleich, dass die Souveränität des Staates die Existenzbedingung des Gemeinwesens ist, in dem das Volk lebt. Sie zögern nicht, alles, was im Land nicht ist, wie es sein sollte, auf mangelnde Handlungsfähigkeit und Unfreiheit des Staats zurückzuführen, sei es wegen innerer Widerstände oder ausländischer Mächte. Sie ziehen daraus den radikalen Schluss, dass die Unangefochtenheit der Staatsmacht dann auch das erste Bedürfnis des Volkes ist, der Dienst an ihr daher dessen erste Aufgabe. Ohne jeden Berührungspunkt sind die politischen Welten der Linken und der Rechten (und der Demokraten der Mitte) also nicht. Was natürlich nichts daran ändert, dass die Kampfansage der Rechten an alle, denen sie nachsagen, dem Dienst am Staat nicht gerecht zu werden, gleich nach den Ausländern den Linken gilt.