Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Papst Wojtyla seliggesprochen – zu früh, zu schnell? Jenseits und andrerseits

Fast zeitgleich mit der englischen Hochzeit findet eine andere weltöffentliche Großveranstaltung große Beachtung. Im Beisein einer Million Gläubiger vor Ort in Rom und stundenlang von Fernsehsendern global verbreitet, macht in einem pompösen Glaubensakt der 2005 verstorbene polnische Papst Wojtyla, zu Lebzeiten in Doppelfunktion immerhin schon der oberste geistliche Chef aller Katholiken und Anführer „der größten Institution der Welt“ (SZ, 2.5.2011), posthum einen weiteren rasanten Karriereschritt: Er wird mit „fast an ein Wunder grenzender Eile“ (SZ, 30.4.) in den ziemlich exklusiven Zirkel der katholischen Seligen aufgenommen. Die haben im Himmel, wo nach Auskunft geistlicher Fachleute die Hierarchien nicht gerade flach sind, immerhin direkten Zugang zum Herrn, vermögen irdische Gebetsanträge zu protegieren und IHM bisweilen Teile seiner Gnade für einen frommen Erdenwurm abzuringen. Diese Beförderung hält die Gemeinde für einen Anlass zu einem gewaltigen Fest und für einen schönen Erfolg ihres alleinseligmachenden Vereins: Seit dem Ableben dieses Papstes, der Arm in Arm mit der Madonna von Tschenstochau den Kommunismus bezwungen, dem gottlosen Materialismus auf der Welt wuchtige Schläge versetzt hat und lange Jahre in schöner Glaubensstärke demonstrativ krank war, haben viele Gläubige diese Beförderung verlangt – und zwar ein bisschen subito – und rechnen damit, dass der nächste Schritt zur Heiligkeit bald folgen wird. Da steht dann die nächste Sause auf dem Petersplatz an!

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Papst Wojtyla seliggesprochen – zu früh, zu schnell?
Jenseits und andrerseits

Fast zeitgleich mit der englischen Hochzeit findet eine andere weltöffentliche Großveranstaltung große Beachtung. Im Beisein einer Million Gläubiger vor Ort in Rom und stundenlang von Fernsehsendern global verbreitet, macht in einem pompösen Glaubensakt der 2005 verstorbene polnische Papst Wojtyla, zu Lebzeiten in Doppelfunktion immerhin schon der oberste geistliche Chef aller Katholiken und Anführer der größten Institution der Welt (SZ, 2.5.2011), posthum einen weiteren rasanten Karriereschritt: Er wird mit fast an ein Wunder grenzender Eile (SZ, 30.4.) in den ziemlich exklusiven Zirkel der katholischen Seligen aufgenommen. Die haben im Himmel, wo nach Auskunft geistlicher Fachleute die Hierarchien nicht gerade flach sind, immerhin direkten Zugang zum Herrn, vermögen irdische Gebetsanträge zu protegieren und IHM bisweilen Teile seiner Gnade für einen frommen Erdenwurm abzuringen. Diese Beförderung hält die Gemeinde für einen Anlass zu einem gewaltigen Fest und für einen schönen Erfolg ihres alleinseligmachenden Vereins: Seit dem Ableben dieses Papstes, der Arm in Arm mit der Madonna von Tschenstochau den Kommunismus bezwungen, dem gottlosen Materialismus auf der Welt wuchtige Schläge versetzt hat und lange Jahre in schöner Glaubensstärke demonstrativ krank war, haben viele Gläubige diese Beförderung verlangt – und zwar ein bisschen subito – und rechnen damit, dass der nächste Schritt zur Heiligkeit bald folgen wird. Da steht dann die nächste Sause auf dem Petersplatz an!

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Wer sich angesichts einer solchen esoterischen Massenveranstaltung an die Stirn tippt, hat ja nicht so ganz unrecht. Bloß: Dass die spinnen, die Katholiken, ist ja eine eher magere Auskunft über die diesbezüglichen Angebote der Kirche und die message, die sie mit dem Abschluss ihres Seligsprechungsverfahrens durch die Seligsprechungskommission – trotz der Eile alles streng nach Vorschrift (SZ, ebd.) – und der zugehörigen Großfestivität lancieren will.

Das wissen die kirchlichen Hierarchen auch: dass die Welt außerhalb der Kirche viele andere Drangsale am Hals hat in Zeiten, in denen die christlich-abendländischen Weltmächte ihre diversen Kriege führen, zeitgleich von tiefgreifenden Krisen des schnöden Mammons gebeutelt werden und ihre weltlichen Führer nicht müde werden, auf dem Kampffeld der Sittlichkeit abweichenden Glaubensbekenntnissen, insbesondere den Muselmanen, die Aufgabe ihres religiösen Fundamentalismus und den Eintritt in unsere aufgeklärte Moderne dringend nahezulegen. Dass die Kirche angesichts dessen selber mit der Seligsprechung ihres Wojtyla ein Riesenevent des katholischen Fundamentalismus anzettelt, inklusive Wunderwirtschaft, Reliquienkult und buntem Pomp, wird dann schon kein zufälliges Zusammentreffen, sondern selbst die Botschaft an die zeitgenössische Welt und ihre modernen Menschen gewesen sein:

Mit der Wucht eines global anerkannten Großvereins tritt die katholische Kirche als radikale Alternative neben die praktisch herrschenden Standpunkte der politischen Gemeinwesen, ihres kapitalistischen Wirtschaftslebens und die von diesen weltlichen Mächten lancierten Deutungsangebote für Lebenssinn und -zweck der ihnen ausgelieferten Menschen, welcher irgendwo auf dem weiten Feld zwischen persönlicher Erfüllung in der Konkurrenz und gemeinschaftsdienlicher Sittlichkeit im Schoße von Familie und Nation zu finden sein soll.

Dagegen bietet die Kirche ihren Irrationalismus auf, als konkurrierendes Sinnangebot neben Nation, demokratischem Menschenrecht und Geldverdienen, das auf ein jenseitiges Reich höherer Gerechtigkeit verweisen und durch die Autorität der Kirche im Diesseits verbürgt sein soll. Sie führt mit Weihrauch, Prunk und gemeinschaftlichem Gebet für Sinne und Gemüt eindrucksvoll fassbar vor, dass, wenn wir nur wollen und auf die Kirche hören, wir in dieser modernen Welt auch ganz anders können: Nämlich die Irrationalität des Glaubens als Angebot betrachten, das die Drangsale der Welt gar nicht einfach leugnet, sondern sie im Hinblick auf ein besseres Jenseits sinnreich ordnet und für jede mit katholischem Anstand durchlittene Prüfung hienieden ewigen Lohn im Reich Gottes garantiert. Das spricht nicht nur Aug und Nase und die Stimmung an, sondern auch den Verstand, der ja durchaus betätigt sein will, wenn er als religiöse Tat für den Glauben sich selbst wegwirft. So wird der ganze Mensch beansprucht von seinem Glauben, und die Kirche pflegt dabei durchaus das Selbstbild, dass sie mit dem Bestehen auf ihrem eigenen höchsten Sinn den Heutigen nicht nur ein individuelles Angebot in Sachen Jenseits zu machen, sondern gerade damit der ganzen gottlosen modernen Welt auch eine Wegweisung für ein besseres Diesseits anzudienen habe.

Der umfassende Dienst der Kirche am sinnvollen Erdenwandeln der Gläubigen und an ihrer Orientierung aufs Transzendente erfordert die ständige Pflege der Gemeinde. Weil der Glaube nur vermittels seiner Betätigung durch sie und in ihr lebt und dergestalt – selbstverständlich unter fachkundiger theologischer Anleitung – fortwährend neu bestätigt wird, tun ihm die kirchenjährlichen Feste und erst recht großmaßstäbliche Sonderveranstaltungen wie Papstwahlen, -beerdigungen, Kirchentage incl. Bischofs- und Papstmesse und eben auch Selig- und Heiligsprechungen ausgesprochen gut: Da wird öffentlich und offensiv der eigene Fundamentalismus bezeugt und das Selbstbewusstsein eines Vereins demonstriert, der auf zwei Jahrtausende erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung verweisen kann und sich nicht von Modernisierungsempfehlungen, psychologischen Moden oder Kritik an sittlichen Verfehlungen seines Personals anfechten lassen muss. Letzteres mag peinlich sein, allein, was ist das im Angesicht der Ewigkeit und des Seelenheils der Gläubigen, die der Sorgegegenstand der heiligen Kirche sind. Die möbliert lieber die Glaubenswelt ihrer Schafe mit Weihrauch, Gold und Myrrhe und kirchenseitigen Deutungen des Weltgeschehens; und ab und an eben mit einem säuberlich kanonisch-rechtlich durchgeprüften Wunder, das, auch wenn es im Falle Wojtylas – wegen der Eilbedürftigkeit des Seligsprechungsvorgangs – auf dringliche Bestellung geschah, zugleich die Allmacht Gottes und die Begrenztheit des Menschenverstandes dermaßen gründlich vorführt, dass sich die Gemeinde begeistert flachlegt.

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In der öffentlichen Kommentierung des Ereignisses sind allerdings kritische Stimmen nicht zu überhören: Manche beschleicht nach dem feierlichen Sonntag in Rom ... ein Unbehagen, und sie fragen sich, ob die Seligsprechung nicht zu früh und zu schnell stattgefunden habe. Der polnische Kirchenmonarch habe zwar unbestreitbar seine Verdienste gehabt, v.a. bei der Überwindung kommunistischer Diktaturen, als Chef der Katholiken habe er aber – amtsbedingt – auch an der ethischen Ambivalenz (getragen), die Führungsämtern zu eigen ist. (SZ, 2.5.) Diese vorsichtig-respektvolle Kritik betrifft Wojtylas autoritäres Kirchenregiment, seine schützende Hand über kirchlichen Hurenböcken und Kinderschändern und seine Missachtung gegenüber kritischen Theologen und innerkirchlichen Karrierewünschen von Frauen. Das alles, zusammen mit der ungebührlichen Eile bei der Promotion, soll der Seligsprechung von Rom ein immanentes Glaubwürdigkeitsproblem beschert haben.

Das ist ein hübscher Witz und ein schönes Beispiel für den Fundamentalismus des demokratischen Gemeinwesens, den sich seine ideellen Sachwalter im Medienwesen zu eigen machen, und mit dem sie jede individuelle oder kollektive Lebensregung in ihrem weit gespannten Zuständigkeitsbereich auf ihre geschuldete Funktionalität abklopfen, selbst dann noch, wenn derlei Regungen gar nicht auf die geforderte Dienstbarkeit berechnet sind:

Die Kirche, ihrer Doppelfunktion stets wohl bewusst als fromme Sinngebungs- und Weltdeutungsgemeinschaft einerseits und anerkannte, religiös und politisch wirkende Körperschaft im demokratischen Rechtsstaat andererseits, hat in Rom mit ihrem Wojtyla-Festival offenkundig einen groß angelegten Termin der Gemeindepflege abgewickelt. Bei dem hat sie mit Botschaften der jenseitigsten Art an sich selbst als Glaubensgemeinschaft und jeden, der sie hören will, die ideologische Wucht ihrer religiösen Weltsicht gemeinschaftlich betätigt und bestätigt, und ihr Recht und ihre Bedeutung auf dem Feld der religiösen Sinnwirtschaft bekräftigt.

Die demokratische Öffentlichkeit, gewöhnt an das symbiotische Zusammenwirken von weltlicher Gewalt und organisierten Gotteskindern, und darauf pochend, dass die Kirche für die Anerkennung und Hilfestellung, die ihr von staatlichen Stellen zuteil wird, ihre moralischen Dienste am Volksgeist zuverlässig abliefert, ist sich in ihrem fordernden Eifer nicht zu blöde, auch noch den Seligkeits-Hokuspokus der vatikanischen Pfaffen auf seine weltliche Funktionalität für das demokratische Seelenleben moderner Staatsbürger zu prüfen. Unter diesem Gesichtspunkt wird ausgerechnet eine Seligsprechung als unglaubwürdig abgetan, nicht bedenkend, dass im Reich Gottes nicht mit der Elle staatsbürgerlicher Dienlichkeit gemessen wird. Dort gilt: Wer’s glaubt wird selig, und erst recht jeder, an den geglaubt wird. Und wer den Missbrauch der Sehnsucht nach dem Heiligen (SZ, ebd.) beklagt, der gibt einmal mehr zu Protokoll, dass diese aufgeklärte Gesellschaft bereit ist, jeden irrationalen Mist und eben auch noch erzkatholischen Heiligenkult – selbstredend richtig ge- und nicht missbraucht –, mit einem herzhaften demokratischen Amen zu begrüßen, wenn er nur in einer vieldeutigen, ambivalenten Welt die richtige staatsbürgerliche Orientierung schafft.