Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Haiti: Erdbeben im „Armenhaus des Westens“
Eine öffentliche Lektion in Sachen humanitärer Imperialismus

Es muss schon etwas Außergewöhnliches passieren, wenn es irgendein Flecken der weltweit ja wirklich nicht außergewöhnlichen Hunger- und Elendsverhältnisse in die Schlagzeilen schafft. So wie jetzt in Haiti.

„Die Wurzeln des Elends“

Die Weltöffentlichkeit ist nach dem Beben prompt vor Ort in diesem „vergessenen Land“. Sie liefert ausgiebig erschütternde Bilder und Schreckensberichte der Zerstörung und des Leids, zeigt sich tief betroffen ob der ungeheuren Zahl der Opfer, beklagt die Ungerechtigkeit der Naturgewalt, die ausgerechnet die „Ärmsten der Armen“ trifft: „Haiti: Ein Land stirbt“ (Spiegel 18.1.09) Jetzt ist die Welt aufgerufen, zu helfen; denn das ist klar: Dieses Land, das Opfer der Naturgewalten geworden ist, diese vom Schicksal getroffene Bevölkerung kann sich nicht selber helfen.

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Haiti: Erdbeben im „Armenhaus des Westens“
Eine öffentliche Lektion in Sachen humanitärer Imperialismus

Es muss schon etwas Außergewöhnliches passieren, wenn es irgendein Flecken der weltweit ja wirklich nicht außergewöhnlichen Hunger- und Elendsverhältnisse in die Schlagzeilen schafft. So wie jetzt in Haiti.

Die Wurzeln des Elends

Die Weltöffentlichkeit ist nach dem Beben prompt vor Ort in diesem vergessenen Land. Sie liefert ausgiebig erschütternde Bilder und Schreckensberichte der Zerstörung und des Leids, zeigt sich tief betroffen ob der ungeheuren Zahl der Opfer, beklagt die Ungerechtigkeit der Naturgewalt, die ausgerechnet die Ärmsten der Armen trifft: Haiti: Ein Land stirbt (Spiegel 18.1.09) Jetzt ist die Welt aufgerufen, zu helfen; denn das ist klar: Dieses Land, das Opfer der Naturgewalten geworden ist, diese vom Schicksal getroffene Bevölkerung kann sich nicht selber helfen.

Allerdings! Bei den Auskünften, wie es um Haiti bestellt ist, die den ersten Schreckensberichten folgen, kommt ja ausführlich zur Sprache, dass die Naturkatastrophe nur ein Chaos und ein Elend vermehrt, das zuvor schon in Haiti geherrscht hat. Da erfährt man von der alltäglich grassierenden Armut und Gewalt im Land: Der Großteil der Bevölkerung hat kein Auskommen; nicht einmal die Wasserversorgung ist gewährleistet, Hungerunruhen, Bandenwesen und Flucht in eine Pauperexistenz im gelobten Mutterland des Kapitalismus sind an der Tagesordnung. Nach der vollständigen Öffnung des Landes hat amerikanisches Reisgeschäft die heimische Landwirtschaft ruiniert und zugleich die Lebensmittel für die Bevölkerung unerschwinglich verteuert; ansonsten hat das internationale Kapital außer ein paar Billiglohnbetrieben und ein bisschen Luxustourismus geschäftlich so gut wie nichts für lohnend erachtet; usw. usw. Kurz: Da ist ein Land, längst bevor die Naturgewalten zugeschlagen haben, zu einem riesigen Elendsquartier verkommen, weil seine Rolle als US-Protektorat und Bastion gegen linke Regierungen und Bewegungen im ‚Hinterhof‘ der USA nicht die Grundlagen schafft für eine gefestigte Staatlichkeit – Kapital, das mit seiner Vermehrung auch die Herrschaft bereichert, eine geschäftlich genutzte Bevölkerung, die sich mit ihren Diensten wenigstens eine bescheidene Lohnarbeiterexistenz sichern kann, und eine funktionierende Macht, die sich darüber erhält und das Land im Griff hält. Die verheerenden Zustände werden im Übrigen – auch das wird ja mitgeteilt – auf Veranlassung von USA und Frankreich seit Jahren durch eine UN-Ordnungstruppe beaufsichtigt und mit ein paar Entwicklungshilfemillionen betreut. Da trifft eine Naturkatastrophe also einen der vielen ‚failed states‘, in denen die Grundrechenarten des Weltmarkts gelten, in denen auswärtige ökonomische und politische Interessen entscheiden, wie es um Land und Volk steht, die sich darüber zu ‚Armenhäusern‘ entwickelt haben – und die deswegen einem solchen Katastrophenfall hilflos gegenüberstehen.

Das alles wird aus gegebenem Anlass zur Kenntnis gebracht und – stellvertretend für viele – von der FAZ so erklärt:

„Haiti war ein Staat, den seine Machthaber nach allen Regeln der Despotie zugrunde gerichtet haben... Das ist die Lehre, die aus der Vernachlässigung fragiler Staaten selbst in der Nachbarschaft zu ziehen ist: Sie neigen dazu zu scheitern.“ (FAZ, 18.1.)

Damit sind die Schuldigen benannt: Untaugliche Herrschaftsfiguren im Land und infolgedessen eine quasi natürliche ‚Fragilität‘ der Herrschaft; und ein Westen, speziell die USA, die es versäumt haben, sich angesichts der Missstände vor Ort ausreichend um das Land zu kümmern. Das musste ja scheitern! So die Ursachenforschung derselben Journalisten, die ausgiebig schildern, wie es das Land mit US-Lebensmittelgeschäften, mit CIA-Unterstützung für seine vormaligen Diktatoren, mit ordnungspolitischen Eingriffen von USA und Frankreich nach deren Sturz zum Status des ärmsten Landes der westlichen Hemisphäre, also unter der Regie der führenden Nationen des weltweiten Kapitalismus gebracht hat. Das alles wird abgebucht unter Vernachlässigung: Da haben die Zuständigen ihre Verantwortung für ein besseres Vorankommen des notorisch anfälligen Landes einfach nicht ausreichend wahrgenommen.

Macht und Mildtätigkeit – vorwärts buchstabiert

Jetzt, angesichts der Katastrophe, so der öffentliche Tenor, ist es an der Zeit, das alles endlich besser- und wiedergutzumachen. Die potenten Staaten, dieselben, die mit ihren Macht- und Geschäftsinteressen Haiti zum Armenhaus gemacht haben, werden in die Pflicht genommen, jetzt den Hilflosen zu helfen. Jetzt können und sollen sie beweisen, was sie mit ihrer Macht und ihren Mitteln Positives zu leisten vermögen.

Die machen das auch und greifen helfend ein. Wer auch sonst; die allein haben ja die Mittel und die Macht dazu:

„Die USA entsandten einen Flugzeugträger, Frankreich, dessen Präsident Sarkozy eine Wiederaufbau-Konferenz für Haiti anregte, und Spanien schickten Flugzeuge.“ (SZ, 15.1.) „US-Militär übernimmt Schlüsselrolle in Haiti. Die US-Streitkräfte wollen die stockende Hilfe für die etwa drei Millionen Erdbebenopfer mit einem Großeinsatz beschleunigen. So übernahm das Militär mit dem Einverständnis der haitianischen Regierung die Kontrolle des Flughafens in der Hauptstadt Port-au-Prince.“ (Tagesschau-online, 16.1.)

Die Öffentlichkeit ist beeindruckt. Da wird – wie im Krieg – einmal nicht dem Geschäftssinn überlassen, was zustande kommt. Und das ist gut so, das wissen die Anhänger des freien Spiels des Marktes: Solche Nothilfe ist am besten dort aufgehoben, wo auch in der Welt der Marktwirtschaft nach Plan gewirtschaftet wird. Wer, wenn nicht die Militärmaschinerie, die sich ja qua Profession mit Zerstörungen und organisierten Großeinsätzen befasst, ist geeignet, das Heft in die Hand zu nehmen und Katastrophenhilfe zu leisten. Und wer, wenn nicht die Weltmacht Nr. 1, ist dafür besonders prädestiniert.

Für einen kurzen Augenblick mutiert die Staatenwelt für die Begutachter der machtvollen Hilfseinsätze zur echten Weltgemeinschaft: Die Welt hilft Haiti. (SZ ,15.1.) Statt der alltäglichen Konkurrenzaffären entdeckt man endlich einmal einen edlen Wettstreit zwischen Nationen, internationalen Organisationen und privaten Hilfsorganisationen, wer den Überlebenden zuerst und am besten zu Hilfe kommt. Die Solidarität … die nur die ganz großen Notlagen hervorzurufen imstande sind. (La Repubblica, 16.1.) Da gelten einmal nicht die sonst üblichen Rechnungen und Berechnungen, kalkulieren Mächte nicht eigensüchtig ständig Aufwand und Ertrag. Und die USA sind endlich einmal nicht die kriegführende, sondern die humanitäre Supermacht, die hier zum Besten der Opfer tut, was sie gut kann: Truppen in Bewegung gesetzt, bestehende Befehlsstrukturen genutzt, Geld mobilisiert – und als Erfinderin des Marshall-Plans einmal mehr gezeigt, dass Macht und Mildtätigkeit sich nicht widersprechen müssen. (SZ, 16.1.) Dafür, dass die Staaten ihre Verantwortung einmal so vorbildlich wahrnehmen, dass am guten Zweck nicht zu zweifeln ist, braucht es allerdings schon die Ausnahmesituation so eines kollektiven Schicksalsschlags. So mutiert die Erdbebenkatastrophe – für einen Moment – zu einer idealen Gelegenheit für eine Demonstration heilsamer Macht, der ihre Befürworter endlich einmal ungeteilten Respekt zollen können, der Weltmacht Nr. 1 an erster Stelle:

„Amerika nutzt Haitis Not zum Beweis seiner besten Tugenden.“ (SZ, 16.1.) „Amerika übernimmt. ‚Only we can do it, and we must do it‘... Die überlebenden Haitianer werden das nicht als Drohung verstehen, sondern als Wiedergutmachung für frühere Gleichgültigkeit.“ (FAZ, 18.1.)

Und wenn die das nicht verstehen sollten, dann jedenfalls die deutsche Öffentlichkeit. In deren Augen ist die Tatsache, dass das Erdbeben auch noch den letzten Rest von Staatlichkeit in Haiti weggefegt hat, geradezu ein Glücksfall, weil da einmal keine lokale Macht der humanitären Übermacht hinderlich in die Quere kommen kann:

„Was dem Land bisher geschadet hat, weil die demokratischen Pflänzchen nur zart blühen und die Wirtschaft noch immer danieder liegt, könnte sich nun als Vorteil erweisen. Denn ohne jeden Zynismus muss man feststellen: Ein gescheiterter Staat kann ausländischen Helfern keine Hindernisse in den Weg legen.“(FAZ, 15.1.)

Das wissen die Freunde machtvoller Hilfe also genau, dass die in der Staatenwelt immer den Charakter eines weitreichenden Eingriffs in das Innenleben einer geschwächten Herrschaft bedeutet.Das ist in diesem Fall freilich voll in Ordnung – jedenfalls was das betroffene Haiti angeht. Da ist die auswärtige Zuständigkeit so selbstverständlich, dass sich die lokale Herrschaft als eine einzige potentielle Störung und unbefugte Einmischung in das freie Schalten und Walten der befugten Verantwortlichen vor Ort ausnimmt. Die soll sich nicht einmischen in das ihm gewidmete Hilfswerk und kann es zum Glück ja auch nicht.

Macht und Mildtätigkeit – rückwärts buchstabiert

Ganz anderes gilt freilich für die befugten ausländischen Mächte, deren edlen Wettstreit die Öffentlichkeit einen verlogenen Augenblick lang beschwört. Dem Lob des humanitären Interventionismus und der mildtätigen Macht folgt die Umkehrung auf dem Fuß. Die Kommentatoren lesen die Gleichung von Mildtätigkeit und Macht, Humanität und Intervention rückwärts und bringen ausgiebig all die Gesichtspunkte zur Sprache, warum und wie da die einschlägigen Mächte unterwegs sind. Ebenso verständnisvoll wie national parteilich fühlen sie sich in die Berechnungen ein, mit denen Mächte zum Helfen schreiten, die USA an vorderster Front.

Die von ihnen ausgiebig bewunderten beeindruckenden humanitären Aktivitäten durchschauen die Weltblätter aus Deutschland und anderswo von daher unschwer als auf die Weltöffentlichkeit und die Staatenwelt berechnete Demonstration: Da wollen die USA, wie überall, sich ins rechte Licht rücken, ihren Weltführungsanspruch geltend machen, das Bild von der egoistischen und absteigenden Supermacht korrigieren, beweisen, dass Amerika in der Lage ist, seine Hegemonie nicht nur durch die Zurschaustellung und, schlimmer noch, durch den Gebrauch seiner Militärmacht auszudrücken, sondern in der Lage ist, breite internationale Koalitionen hinter sich zu vereinen. (La Repubblica, 16.1.) Solche Beweise ihrer Führungsstärke haben die USA nach Meinung europäischer Kommentatoren ja auch nötig. Man versteht die Nöte einer Weltmacht, der es mit ihren Kriegen nicht erfolgreich genug gelingt, die Konkurrenten auf Linie zu bringen – wittert deswegen aber darin zugleich die Anmaßung gegenüber den eigenen Nationen, die mithelfend unterwegs sind. Dass auch in dieser Ausnahmesituation um so schöne Dinge wie Sphären privilegierten Einflusses, internationale Führungsansprüche, Hegemonie gerungen wird, davon gehen die Begutachter der Hilfsaktionen also selbstverständlich aus, wenn sie Amerikas beste Tugenden kritisch vom Standpunkt der europäischen Konkurrenten würdigen. Da mutiert die Katastrophenhilfe der USA deswegen zur militärischen Großaktion, zur Übermacht des Humanitären, die auch Argwohn schürt (SZ, 16.1.) – bei den Sprachrohren europäischer Hilfsbereitschaft jedenfalls:

„Es ist eine Art Generalmobilmachung, mit der die Weltmacht auf das schreckliche Erdbeben gut 2000 Kilometer vor der Küste Floridas reagiert... Da bläst die Supermacht zur humanitären Aufrüstung.“ (SZ, 16.1.)

Das kann man ihr andererseits nicht verdenken; schließlich stehen hier ordnungspolitische Interessen der USA auf dem Spiel. Dass Washington nicht zuletzt die Sorge vor einer Massenflucht in Richtung USA (SZ, 26.1.) zum schnellen Eingreifen bewegt, deswegen zu allererst die Ordnung gesichert und die überlebenden Opfer in ihren Trümmern betreut werden müssen, damit sie nicht am falschen Ort zur Belastung werden – das ist selbstverständlich. Dass Amerika als Ordnungsmacht in seinem ‚Hinterhof‘ Flagge zeigen muss, Regionalmachtambitionen Brasiliens einen Riegel vorschieben will – das ist ebenso klar. Dass die USA vor allem „feindliche und (– das steht damit offensichtlich auch für die Beobachter der Szene fest –) nicht vertrauenswürdige Kräfte, die antiamerikanische Achse von Havanna und Caracas, daran hindern wollen, auf Haiti Fuß zu fassen“ (La Repubblica, 16.1.), das geht schon gleich in Ordnung. Hilfe steht nur den befugten Mächten zu und nicht ihren Gegnern; denn bei deren Hilfe handelt es sich bloß um das Ausnutzen der Notlage für eigene Einflusszwecke.

Einen solchen Eigennutz entdeckt man allerdings auch bei der amerikanischen Vormacht: Die reißt bei der helfenden Weltgemeinschaft schon wieder das Heft an sich. Was sich im Fall Venezuela unbedingt gehört, das ist gegenüber Europa und der internationalen Organisation, die Europas Mitreden garantiert, nämlich keinesfalls am Platz:

„Das Problem ist, dass die USA die Kriterien für ihre Einflussnahme stets allein festlegen. Diese Gründe sind mal imperialistische, mal patriarchalische, mal humanitäre.“ (SZ. 20.1.) „Schon regt sich international ein Murren, weil sich die Amerikaner in ihrer Machtstellung auf Dauer einrichten könnten. Der Sicherheitsrat tagte am Montag auch, um deutlich zu machen, dass der Einsatz für Haiti eine internationale Aufgabe bleiben muss, bei der die Weltgemeinschaft die Führung inne hat.“ (SZ, 19.1.)

Alles in allem müssen die journalistischen Auskenner in Sachen Konkurrenz der großen Mächte neidvoll anerkennen, welch einmalige Gelegenheit die unfassbare Katastrophe in Haiti für die Demonstration amerikanischer Führungsansprüche eröffnet hat:

„Unter diesem Aspekt ist Haiti der perfekte Fall: ein humanitäres Unternehmen mit planetarem Echo, angesiedelt im karibischen ‚Hinterhof‘ der USA, dort also, wo keine Mächte existieren, die in der Lage wären, mit dem Koloss mit dem Sternenbanner in Wettstreit zu treten.“ (La Repubblica, 16.1.)

Hilfe mit Perspektiven

Dass der Hilfseinsatz der „Weltgemeinschaft“ insoweit nichts ist als ein Unterfall des ständigen Ringens der einschlägigen Staaten um ihre Rolle als Weltaufsichtsmächte und um den jeweiligen Platz in der Staatenhierarchie, das denunziert die weltgemeinschaftliche Hilfe nicht. Da sind die Kenner realistisch, das ist eben die Art, wie Hilfe überhaupt bloß zustande kommt: „Hilfe ist ja fast nie nur selbstlos.“ (SZ. 23.1.) Deswegen ist allerdings Skepsis geboten, ob die weltgemeinschaftliche humanitäre Großaktion unter der Konkurrenz der helfenden Mächte nicht am Ende leidet. Kritik bleibt nicht aus: Nichts funktioniert so, wie es sollte. Selbst die, die offiziell zum internationalen Helfen beauftragt sind, kooperieren nicht ordentlich:

„Als hätten die internationalen (Hilfs-)Organisationen nichts Besseres zu tun, beginnt eine kleinkarierte, angesichts der Opferzahl eigentlich ungeheuerliche Rivalität um die Führung.“ (FAZ, 15.1.)

Da können sich die Beobachter ganz anderes vorstellen:

„Auch Haiti könnte sich aus den Trümmern heraus, mit internationaler Hilfe, neu erfinden. Die Gelegenheit ist da. Man müsste sie nur nützen.“ (SZ, 23.1.) „Den Haitianern würde man wünschen, dass sie zur Selbstachtung finden, und ein Mittel dazu wäre eine funktionierende Landwirtschaft, die dafür sorgt, dass sich das Land aus eigener Kraft mit dem Grundnahrungsmittel Reis ernähren kann.“ (FAZ, 25.1.)

Während vor Ort noch die Leichen aus den Trümmern gezogen werden und die Not der Überlebenden wächst, sinnieren Journalisten teilnahmsvoll über eine bessere Zukunft Haitis, so als wüssten sie nicht, was aus den Erdbebenopfern selbst in halbwegs geordneten Ländern geworden ist, und als wäre es ihnen viel zu bescheiden, wenn Haitianer im größten Elend gerade mal auf eine zeitweilige Versorgung mit dem Notdürftigsten hoffen dürfen. Wenn in diesem Elendsquartier des globalisierten Kapitalismus jetzt alles zerstört ist, dann wäre das doch die beste Voraussetzung für ein echtes Aufbauwerk durch die imperialistischen Mächte. Dem Irrealis folgt freilich der Realismus auf dem Fuße:

„In den wohlhabenden Ländern der Welt werden Überschüsse an Nahrungsmitteln produziert, die es loszuwerden gilt, und die Natur- und andere Katastrophen dieser Welt bieten die Möglichkeit dazu... Das Welternährungsprogramm wird weiter die Überschüsse der Reichen verteilen, und die USA wollen Haiti natürlich auch in Zukunft weiter ihren Reis verkaufen. Geschäft ist Geschäft, man wird es sich nicht verderben wollen, und deshalb dürfte in den Augen der Amerikaner der Wiederaufbau der haitianischen Reisproduktion keine hohe Priorität besitzen.“ (SZ, 23.1.)

So gibt das Weltblatt mit Herz für die Not der Haitianer abgeklärt zu Protokoll, dass auch die geschäftlichen Interessen beim Helfen selbstverständlich nicht aus den Augen verloren werden; nicht bei den Hilfsorganisationen, die ja nicht bloß hier, sondern rund um die Welt und immerzu mit dem Geschäft der Betreuung der Opfer befasst sind, und schon gleich nicht bei den Staaten, in deren Diensten sie unterwegs sind.

Damit sind die mitfühlenden Begutachter fertig mit dem Fall Haiti. Denn das wissen sie und darüber geben sie mit ihren Berichten über das Schicksal der Ärmsten der Armen und über die tatkräftige, doch nie richtig funktionierende weltgemeinschaftliche Hilfe des Westens hinreichend Auskunft: In diesem Fall sind zwar, wie immer, alle Konkurrenzgesichtspunkte imperialistischer Mächte im Spiel, aber keines ihrer – auch für ihre Öffentlichkeit – wirklich wichtigen Geld- und Machtinteressen steht ernstlich auf dem Spiel. Das zerstörte Haiti, da macht die Öffentlichkeit mit all ihrer Sensationslust und ihrer Beschwörung der katastrophalen Ausnahmesituation sich und ihrem Publikum am Ende nichts vor, das ist nur ein aktuell virulent gewordener Fall der alltäglichen Betreuung des weltweiten geschaffenen Elends; einer der Störfalle, die die zuständigen Staaten unter die lästigen Kosten ihrer weltweiten Verantwortung einsortieren. Ein Fall, für den sie ausnahmsweise einmal einen etwas größeren Aufwand treiben und etwas mehr Mittel einsetzen, als ihnen die Betreuung dieses ‚failed state‘ gewöhnlich wert ist, damit das in Trümmern liegende Land und die Bevölkerung mit ihren Überlebensnöten wieder unter Kontrolle sind.

Dazu dürfen die Bürger der reichen Nationen, die ansonsten bei den wichtigen Anliegen und Konkurrenzaffären ihrer Herrschaft in der Welt nichts zu bestellen haben, auch ihr Scherflein beitragen – aufgerufen und aufgerüttelt von ihrer Öffentlichkeit, animiert von ihren Vorbildern aus Showgeschäft und Sport. Mit ihrer privaten Mildtätigkeit sollen sie beim staatlichen Helfen mithelfen, als ideelle nationale Hilfsgemeinschaft ihren Oberen ein paar der lästigen Kosten abnehmen und deren humanitäre Zuständigkeit mit ihrem Spendenbeitrag unterstützen – diesmal für Haiti. Die Öffentlichkeit spendet ihnen dafür im Namen der Opfer ungeteiltes nationalistisches Lob:

„Haitis Kinder sagen: Danke Deutschland.“ (Bild)