Der Staatshaushalt durch die Brille der FAZ

Schuldenfinanzierte Herrschaft – ein Sachzwang, am ‚richtigen‘ Ende zu sparen

Jahr um Jahr stellt die amtierende Regierung in einem Haushaltsplan vor, wie viel Geld für welches staatliche Vorhaben veranschlagt werden soll. In bürgerlichen Gemeinwesen wie dem deutschen ist das ein wichtiges Ereignis, schließlich wird mit der Finanzierung einzelner Posten über die politische Ausrichtung und Ausübung der Staatsgewalt für das anstehende Haushaltsjahr entschieden. Diesem Gewicht trägt die FAZ auch in diesem Jahr wieder Rechnung, indem sie der Haushaltsplanung etliche Artikel und Kommentare widmet, die auf ihre Weise sowohl von einer Sachkenntnis als auch davon zeugen, wie die FAZ die Sache verstanden wissen will.

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Der Staatshaushalt durch die Brille der FAZ: 
Schuldenfinanzierte Herrschaft – ein Sachzwang, am ‚richtigen‘ Ende zu sparen

Jahr um Jahr stellt die amtierende Regierung in einem Haushaltsplan vor, wie viel Geld für welches staatliche Vorhaben veranschlagt werden soll. In bürgerlichen Gemeinwesen wie dem deutschen ist das ein wichtiges Ereignis, schließlich wird mit der Finanzierung einzelner Posten über die politische Ausrichtung und Ausübung der Staatsgewalt für das anstehende Haushaltsjahr entschieden. Diesem Gewicht trägt die FAZ auch in diesem Jahr wieder Rechnung, indem sie der Haushaltsplanung etliche Artikel und Kommentare widmet, die auf ihre Weise sowohl von einer Sachkenntnis als auch davon zeugen, wie die FAZ die Sache verstanden wissen will.

Das formelle Prinzip seriöser Urteilsbildung

Nichts selbstverständlicher als das: Die Auskünfte über den Haushaltsentwurf der Regierung fallen damit zusammen, erst einmal diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die in der betreffenden Angelegenheit das Sagen haben. In diesem Fall der Bundesfinanzminister:

„Finanzminister Lindner warnt vor haushaltspolitischen Risiken. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hält den von ihm eingeleiteten haushaltspolitischen Kurswechsel für unvermeidlich. ‚Wer den Ausstieg aus der Krisenpolitik nicht findet, der gefährdet dauerhaft die Stabilität unseres Gemeinwesens‘, sagte Lindner, als er am Dienstag den Haushaltsentwurf für das Jahr 2024 in den Bundestag einbrachte. Der FDP-Politiker verwies auf deutlich gestiegene Zinsen. ‚Befanden wir uns im vergangenen Jahr noch vor einer Steilwand, so sind wir nun auf dem Hochplateau angekommen.‘ ... Lindner verwies auf weiteren ‚Handlungsbedarf‘ in seinem Finanzplan. In den Jahren 2025 bis 2027 müsse jedes Jahr eine Lücke von fünf Milliarden Euro zwischen erwarteten Einnahmen und geplanten Ausgaben geschlossen werden. Grundsätzlich müssten die Prioritäten neu fokussiert werden. Die Entwicklung des Sozialstaats müsse gebremst werden – nicht durch die Streichung von Leistungen, sondern durch mehr Erwerbsanreize. Die Konsolidierung der Bundesfinanzen sei auch wichtig für die junge Generation, sagte Lindner: ‚Vererbt der arme Onkel Schulden, kann man das Erbe ausschlagen, beim Bundeshaushalt kann man das nicht.‘“ [1]

Bei alledem, was die FAZ an der Planung des Haushalts wichtig findet und ihren Lesern im Einzelnen präsentiert, steht eins schon mal fest: Die neutrale und sachliche Art und Weise der Berichterstattung, regierende Politiker den Sachverhalt schildern zu lassen, den sie kraft ihrer Amtsgewalt herstellen, und deren Auskünfte bzw. Verfügungen unkommentiert als den Lagebericht aus erster Hand abzudrucken, übernimmt den hoheitlichen Standpunkt, von dem aus in diesem Fall der Bundesfinanzminister seinen „Handlungsbedarf“ erklärt. So schlicht schließt das Frankfurter Blatt seine Perspektive auf den nächsten Staatshaushalt, also die Perspektive seiner Leser, mit dem Standpunkt eines maßgeblichen Funktionärs der Herrschaft über sie zusammen. Unter der Prämisse, also in der Rolle des ideellen staatlichen Haushälters, informiert die FAZ über den Bundeshaushalt und bedient sich dabei der Erklärungen Lindners. Das zeitigt freilich auch Konsequenzen für die Inhalte, die sie am neuerlichen Finanzplan bemerkenswert findet und zur Kenntnis bringt.

Der Widerspruch schuldenfinanzierter Herrschaft – einseitig aufgelöst

Die Wiedergabe von Finanzminister Lindners Warnungen „vor haushaltspolitischen Risiken“ als sachkundige Information zum „Haushaltsentwurf für das Jahr 2024“ lebt davon, dass die FAZ die politische Ökonomie der deutschen Staatsgewalt als verantwortlich zu bewirtschaftenden Sorgegegenstand behandelt, der nach den immanenten Kriterien staatlicher Haushaltsplanung zu betrachten sei. Dafür werden neben der allgemeinen Warnung des Finanzministers vor „deutlich gestiegenen Zinsen“ und dem Dringen auf einen „haushaltspolitischen Kurswechsel“ – raus „aus der Krisenpolitik“ und rein in eine „Konsolidierung der Bundesfinanzen“ – auch die einzelnen Begründungen des Haushaltentwurfs im Detail rekapituliert. Unter anderem so:

„Der Regierungsentwurf sieht nächstes Jahr Ausgaben von 445,7 Milliarden Euro vor, das sind 30 Milliarden weniger als in diesem Jahr. Die Neuverschuldung soll ähnlich stark sinken, auf 16,6 Milliarden Euro. Damit der Bund die Schuldenregel im Grundgesetz einhält, mussten alle Ressorts mit Ausnahme des Verteidigungsministeriums 2024 und 2025 zusammen 3,5 Milliarden Euro einsparen.“

„Die mittelfristige Planung der Bundesregierung schließt nach seinen Worten die finanzpolitische Zeitenwende nicht ab, sie nimmt eher Fahrt auf. In den Jahren 2025 bis 2027 sei jeweils eine Lücke von fünf Milliarden Euro zwischen erwarteten Einnahmen und geplanten Ausgaben zu schließen. Danach beginne die Tilgung der Krisenkredite mit voraussichtlich zwölf Milliarden Euro. 2028 werde das Sondervermögen Bundeswehr erschöpft sein, sodass erheblich mehr Mittel im Kernhaushalt für das Verteidigungsministerium eingeplant werden müssten, um das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen. Allein das erfordert nach seinen Angaben einen ‚zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag‘. Im Jahr 2032 steige der Tilgungsaufwand, weil Schulden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie abgebaut werden müssten... Der unabhängige Bundesrechnungshof kommt unter Einschluss der Sondervermögen für das nächste Jahr auf Gesamtausgaben von 539 Milliarden Euro. Gegenüber diesem Jahr ist das ein Rückgang um 108 Milliarden Euro, aber gegenüber dem Vorkrisenjahr 2019 ein Plus von rund 177 Milliarden Euro, wie es im Bericht kritisch heißt. Die im Haushalt ausgewiesene Neuverschuldung zeigt für den Rechnungshof nicht die wahre Verschuldung, da Entnahmen aus der Rücklage oder aus Sondervermögen mit einem Gang an den Finanzmarkt verbunden sind. Die in Bonn sitzende Behörde kommt unter Einbeziehung der Sonderrechnungen auf eine ‚echte‘ Nettokreditaufnahme von 85,7 Milliarden Euro.“

Das ist in mehrerlei Hinsicht lehrreich, den Staatshaushalt, aber auch das Bild betreffend, das die FAZ von ihm vermittelt:

  • Worüber der Finanzminister Auskunft gibt, weil es das ist, was er praktisch handhabt, ist ein Haushalt, über den der Staat die Funktionen seiner Gewalt in der Form bestreitet, einzelnen Aufgabenbereichen Gelder zur Verfügung zu stellen, die sich seinem hoheitlichen Zugriff auf das Steueraufkommen seiner Gesellschaft und einer nicht unerheblichen Verschuldung verdanken. So kommt auch mit sinkender „Neuverschuldung“ nebst diversen „Sondervermögen“ eine ziemliche Summe zusammen, die der Finanzminister den Ministerien zuteilt. Insoweit zeugen die beschworenen Zinslasten von dem immensen Geldreichtum, den der deutsche Staat durch seine Verschuldung verfügbar gemacht hat und fortwährend verfügbar macht. An jedem Posten, den die Ampel-Regierung sich leisten will, und nicht zuletzt an der „Krisenpolitik“, mit der an außerordentliche finanzielle Aufwendungen erinnert wird, die die Regierung erstens anlässlich einer Pandemie, zweitens zur Kompensation ihres Wirtschaftskriegs und drittens zur Aufrüstung der Bundeswehr für notwendig befunden und beschlossen hat, wird ersichtlich: Schulden sind der Inbegriff der finanziellen Freiheit, also der Handlungsfreiheit der Staatsgewalt.

    Die hat allerdings, darauf wird ausgiebig hingewiesen, eine widersprüchliche Konsequenz, die zur staatlichen Haushaltsplanung ebenso dazugehört: Ein Teil der finanziellen Verfügungsmacht des Staates geht gänzlich unproduktiv für den „Tilgungsaufwand“ drauf. Worüber Lindner und die FAZ Auskunft geben, wenn sie von „Milliarden“ für „Ressorts“ und „Zinsen“ berichten, ist die widersprüchliche Doppelnatur staatlicher Verschuldung als Instrument der Herrschaft, das sie einerseits zur erweiterten Ausübung ihrer Ambitionen freisetzt und andererseits zum Schuldendienst verpflichtet.

    Wovon die Erklärungen zum „haushaltspolitischen Kurswechsel“, der „Handlungsbedarf“, die „Planung der Bundesregierung“, die „Prioritätensetzung“ oder der Umstand, dass „die Bundesregierung ... intensiv um den Etatentwurf gerungen“ hat, ebenfalls zeugen: Notwendiger Bestandteil nicht nur der aktuellen, sondern jeder Haushaltsplanung ist die souveräne Abwägung zwischen der Verschuldungsfreiheit, deren kostspieligen Verpflichtungen und den Prioritäten der zu finanzierenden Aufgaben, um nach Maßgabe politischer Kriterien zu einer Entscheidung zu kommen. Die stellt zwangsläufig niemals alle Politiker zufrieden, schließlich wird von unterschiedlichen politischen Standpunkten aus darum gerungen, wie der Widerspruch der schuldenfinanzierten politischen Ökonomie des deutschen Staates fürs nächste Jahr auszugestalten ist.

  • Dass man all das den Schilderungen der FAZ entnehmen kann, ist das eine; wie sie das von Anfang an verstanden wissen will, das andere. Dass die deutsche Herrschaft mit ihrem weltmeisterlich potenten Kapitalstandort kraft ihrer Verschuldungsfreiheit auf einen enormen Geldreichtum zugreifen kann, stellt die FAZ bei der Begutachtung des Haushaltsplans hinter den Imperativ der Beschränkung zurück, als wäre der Staatshaushalt nichts als eine politische Ökonomie der Zinslasten, hinter denen alles andere zurückstehen müsste. Es bestünden „Risiken“ für den staatlichen Haushalt, infolgedessen für „die Stabilität unseres Gemeinwesens“ und am Ende für die „Freiheit zukünftiger Generationen“ – all das wegen eines steigenden „Tilgungsaufwands“, der umgekehrt nach einem ebenso allgemeinen „haushaltspolitischen Kurswechsel“ verlange. Die Kehrseite der hoheitlichen Handlungsfreiheit – die Zinsen und ihre Tilgungsnotwendigkeiten – wird von der FAZ gleich in den Kontext einer hoheitlichen Unfreiheit gerückt, der die Ampel-Regierung Rechnung zu tragen, von der sie sich schleunigst zu befreien habe. Die Doppelnatur staatlicher Verschuldung als Instrument der im Haushalt organisierten Herrschaftsausübung einerseits und die damit einhergehende Verpflichtung auf den Schuldendienst andererseits wird so im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister ganz zur zweiten Seite hin vereinseitigt und zur riskanten Belastung künftiger Handlungsfreiheit verfremdet.

Das Ergebnis ist allerdings mehr als ein Appell zur dringlichen Umsetzung einer haushaltspolitischen Abwägung, für die der so vorbildliche Christian Lindner ausführlich zu Wort kommt.

Der Idealismus sachgerechter Herrschaftsausübung

Wenn die FAZ ihre Leserschaft dazu einlädt, für die Finanzierung des deutschen Staates gemäß dessen Kriterien geistig Sorge zu tragen, nimmt sie keineswegs den wirklichen Standpunkt der Politik ein. Auch dafür kann sie sich an den Begründungen des zuständigen Finanzministers bedienen:

  • Verwiesen wird auf „eine Lücke von fünf Milliarden Euro zwischen erwarteten Einnahmen und geplanten Ausgaben“, die „deutlich gestiegene Zinsen ... in den Jahren 2025 bis 2027“ in den deutschen Haushalt reißen. Weil von vornherein kategorisch ausgeschlossen wird, diese „Lücke“ anders zu „schließen“ als durch eine einschränkende Priorisierung von Haushaltsposten, ist die Forderung danach keine parteipolitische Ermessensfrage neben anderen, sondern ein Muss, und die Beschwörung der „Lücke“ schon das schlagende ‚Argument‘ für diese Alternativlosigkeit.
  • Die „Schuldenregel“ bzw. „Schuldenbremse“, die bekanntermaßen ein rechtsverbindlicher Rahmen ist, den deutsche Regierungen sich bei der staatlichen Neuverschuldung auferlegen und in Kombination mit offiziellen und inoffiziellen Ausnahmen von dieser Regel bei ihrer Haushaltsplanung berücksichtigen, „verlangt Prioritätensetzung“: Sie wird hier als ein unwidersprechliches Sachgesetz der Einteilung von Finanzen beschworen, das fast alle Ressorts zu Einsparungen zwingt.
  • Die Ermahnung, „was verteilt wird, muss erwirtschaftet werden“, scheint nur auf den ersten Blick absurd bei einem Haushälter, der Reichtum nicht „erwirtschaftet“, sondern abgreift und sich mit Schulden finanziert. Sie passt einfach zu gut, um der verlangten „Prioritätensetzung“ den Anschein einer ökonomischen Sachnotwendigkeit zu verleihen.
  • „Vieles, was üblich war, kann er nicht mehr leisten. Der Bund hat viel mehr Schulden als vor der Krise, die Zinsen sind gestiegen, und Ende des Jahrzehnts beginnt die Zeit, in der Kredite getilgt werden müssen.“ Von einer politischen Abwägung – zwischen Schulden für das, „was üblich war“, und einer wachsenden Zinstilgung – mit dem Resultat, dass der Bund sich das „nicht mehr leisten“ will, kann überhaupt keine Rede sein. Der hat die Mittel definitiv nicht, er „kann“ sich was auch immer „nicht mehr leisten“, also muss er unbedingt neue Prioritäten setzen.
  • Christian Lindner „sah künftige Regierungen auf hoher See vor vielen gefährlichen Eisbergen. Was anderes sollte das heißen als: Wir sind auf der Titanic unterwegs, wenn wir nicht schnell und gründlich korrigieren.“ „Wir“ kennen sie, die Geschichte, die nicht gut ausging. Auch mit anschaulichen Narrativen, die an die naturgegebene Gefahr von Eisbergen für die Seefahrt von gestern erinnern, lässt sich die Gefahr ‚unsolider‘ Haushaltspolitik als unwidersprechliche Sachlage beschwören, die nur einen einzigen logischen Ausweg zulässt: „Deswegen müssen wir unseren Kurs ändern, denn der Eisberg wird seinen nicht ändern.“

Die FAZ und der Finanzminister kennen unzählige Varianten, immer wieder ein und dasselbe auszudrücken: Gepflegt wird eine Idealisierung staatlicher Haushaltspolitik, die schlicht die Vorstellung von Sachlichkeit bedient. Die Ausübung staatlicher Gewalt ist demnach nichts als der Vollzug von Sachnotwendigkeiten; an Stelle der haushaltspolitischen Abwägung des Widerspruchs schuldenfinanzierter Herrschaft tritt die sachlich verbürgte, absolut zwingende Vernunft ‚soliden‘ Haushaltens, der verantwortungsbewusste Politik unbedingt Folge zu leisten hat.

Priorisierung von Ressorts – (k)eine politische Entscheidung

Das Prinzip sachnotwendiger Herrschaft hält die FAZ selbst dort hoch, wo sie konkret auf eine ihr genehme „Prioritätensetzung“ zu sprechen kommt:

„Die Entwicklung des Sozialstaats müsse gebremst werden – nicht durch die Streichung von Leistungen, sondern durch mehr Erwerbsanreize.“

„Sozialausgaben, Zinsen, Personal machen zwei Drittel der Ausgaben aus – Tendenz steigend. Übernächstes Jahr kommt die Kindergrundsicherung hinzu, zunächst mit einem überschaubaren Beitrag, aber möglicherweise mit großer Kostendynamik. In der Rentenpolitik bereitet die Regierung eine teure Neuregelung zugunsten der Rentner und zulasten der Beitragszahler und des Bundes vor. Der geplante schuldenfinanzierte Ausbau der Aktienrente kann diese Mehrbelastung nicht auffangen. Eine solche Politik irritiert in einer Zeit, in der die Sozialversicherungen ohnehin vor großen Herausforderungen stehen. Die Mittel, die so gebunden werden, fehlen, um das Land digital und klimafreundlich zu machen. Außerdem muss bröckelnder Beton erneuert werden.“

„Mit Abstand größter Einzeletat ist der von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der 2024 mit 171,7 Milliarden Euro rechnen kann. Es folgt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit 51,8 Milliarden Euro, sein Plus von 1,7 Milliarden Euro dient nach Lindners Worten dazu, die Tariferhöhung der Soldaten zu finanzieren. Bei den übrigen Ministerien läuft das anders, da sorgt das Finanzministerium dafür mithilfe eines allgemeinen Einzelplans. Das spezielle Vorgehen hilft, den Verteidigungsetat optisch zu stärken, ohne dass dies zu einer größeren Schlagkraft führt.“

„Wumms und Doppelwumms waren grundsätzlich richtig, galt es, in der Pandemie im Kern gesunde Unternehmen am Leben zu erhalten. Später wirbelte Russlands Überfall auf die Ukraine die Energiemärkte durcheinander, was Bürger wie Betriebe vor enorme Probleme stellte. Der Krieg ist eine Zeitenwende oder sollte eine sein. Doch im Bundeshaushalt ist davon wenig zu sehen. Der Ansatz für die Bundeswehr stagniert. Ihre nun im Eiltempo nachzuholende Ausstattung mit überall fehlendem Material soll vor allem aus einem ‚Sondervermögen‘ mit Extrakrediten finanziert werden. Das kostet nicht nur Zinsen und verursacht Tilgungslasten, sondern geht auch auf Kosten der Transparenz.“

„2028 werde das Sondervermögen Bundeswehr erschöpft sein, sodass erheblich mehr Mittel im Kernhaushalt für das Verteidigungsministerium eingeplant werden müssten, um das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erreichen. Allein das erfordert nach seinen Angaben einen ‚zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag‘.“

Auf das Gebot zur „Konsolidierung der Bundesfinanzen“ folgt eine Unterscheidung, welche Haushaltsposten zu streichen sind und welche nicht. Der Formalismus, ein „Kurswechsel“ hin zu einer restriktiveren Haushaltspolitik sei „unvermeidlich“, ist dafür naturgemäß untauglich. Deswegen muss auch die FAZ für die Beurteilung der Frage, welche Haushaltsposten Ausgaben und gegebenenfalls Schulden rechtfertigen und welche nicht, auf selbige reflektieren und an denen nach ihren politischen Vorstellungen und Vorbehalten entscheiden, welche Prioritäten der deutsche Staat setzen soll. Nur so sind die Urteile überhaupt zu haben, dass die „Deutschen“, insbesondere die, die auf die Abteilung Soziales angewiesen sind, sich „auf härtere Zeiten“ einstimmen sollten und dass für die militärische „Schlagkraft“ des deutschen Staates noch viel mehr zu leisten sei. Damit steht das Blatt – um es nochmal zu sagen – in bester haushaltspolitischer Tradition, denn welches Moment des schuldenfinanzierten Haushalts gerade betont wird, sei es die Freiheit des Verschuldens, um bestimmte Ausgaben zu fordern, oder die als Gefahr beschworene Schranke der Zinspflichten, um bestimmte Ausgaben zu kritisieren, ist und bleibt nun mal eine Sache der politischen Abwägung zwischen dem Bedarf an einzelnen Posten und dem Widerspruch ihrer Finanzierung.

Zugleich sieht die FAZ die Sache gänzlich anders:

  • Als Begründung, warum „die Entwicklung des Sozialstaats ... gebremst werden [müsse], hält dann doch die absolute Höhe der finanziellen Belastung her. Über das Warum und Wozu der „Sozialausgaben“ muss man nichts weiter wissen, um vor der Summe zu erschrecken, die sich durch das lockere Aufsummieren mit „Zinsen“ und „Personal“ auf – man höre und staune: „zwei Drittel der Ausgaben“ beläuft. Alleine das gebietet schon Kürzungen an diesem Posten.
  • Außerdem: „Die Mittel, die so gebunden werden, fehlen“ an Stellen, wo sie unbedingt benötigt werden. Der Haushaltsstreit und die Haushaltsplanung sind also eigentlich ein Aufteilungsproblem, dessen einzig vernünftige Lösung durch die knappen Mittel vorgegeben wird. Die Priorität von ‚Digitalisierung‘ und ‚Klima‘ steht ja eh außer Frage. Genauso wie die Aufrüstung der Bundeswehr. Der wird nicht etwa ein „Sondervermögen“ im Zuge dessen gewidmet, dass der Kanzler eine „Zeitenwende“ verordnet, vielmehr vollzieht die Politik damit nur nach, was „der Krieg“ vorgibt. Der „ist eine Zeitenwende oder sollte eine sein“; die gilt also auch als gesetzt. Für die FAZ versteht es sich von selbst, welche Priorisierung deswegen ein solider Haushaltsplan gebietet, der sowohl „Transparenz“ großschreibt als auch die Gefahr von „Zinsen“ und „Tilgungslasten“ bekämpft.

Auf die Tour präsentiert die FAZ ihre parteiliche Diskriminierung der Posten, deren Finanzierung durch den Schuldenhaushalt der deutsche Staat beschränken sollte, und dementiert zugleich, dass es sich dabei um das Resultat ihrer politischen Stellung zum Bundeshaushalt handelt. Ausgehend von der Prämisse, dass es Staatsaufgaben gibt, an denen kein vernunftbegabtes Wesen jemals rütteln würde, besteht sie in ihren Begründungen darauf, dass die haushaltspolitische Verteilung der staatlichen Finanzmacht eigentlich dem Finanzierungsinstrument selber und dessen sachlichen, unabwendbaren Notwendigkeiten einbeschrieben sei. Als wäre die Priorisierung der Herrschaftsfunktionen, die aus der politischen Gewichtung von staatlichen Interessen, der interessierten Handhabung des schuldenfinanzierten Haushaltsaufkommens und der Abwägung gegenüber den Konsequenzen akkumulierter Schulden resultiert, umgekehrt eine sachzwanghafte Vorgabe des widersprüchlichen Mittels hoheitlicher Handlungsfreiheit, das deren haushaltspolitischer Auslegung und Nutzung unverrückbare Vorgaben macht; jedenfalls machen sollte.

Kritik der wirklichen Regierung im Lichte vorgestellter Verantwortung

Die Parteinahme für den Standpunkt einer idealen, weil den Sachgesetzen von Schulden folgenden, ‚soliden‘ Herrschaftsausübung wird als einzig vernünftige politische Verantwortung außer Frage gestellt – und damit zugleich der Maßstab etabliert, an dem die wirkliche Regierung sich messen lassen muss:

„Der Bundeshaushalt ist ein einziges Missverständnis. Da wird nichts gewendet, da fehlt Fortschritt. Finanzminister Christian Lindner mag zum Auftakt der Haushaltswoche noch so oft das Gegenteil behaupten. Trotz des harten innerkoalitionären Konflikts, der erst die Vorlage von Eckwerten verhinderte und dann den Kabinettsbeschluss verzögerte, ist das Zahlenwerk mehr von Kontinuität geprägt denn von Umbruch.“

Die Abstraktionen „Kontinuität“ und „Umbruch“ sprechen heute mal nicht für ‚Stabilität‘ und gegen ‚Unordnung‘, sondern unmittelbar dafür, dass die parteiliche Stellung der FAZ zum Bundeshaushalt diesem selbst als „ein einziges Missverständnis“ zur Last zu legen ist. Welchen „Konflikt“ die Koalitionäre auch immer ausgetragen und was sie dabei hin und her erwogen haben, spielt keine Rolle, wenn sie „trotz“ der von der FAZ und ihrem Vorzeigefinanzminister proklamierten Sachnotwendigkeiten nicht für „Fortschritt“ sorgen. Dann ist die Ampel-Regierung objektiv ein einziger Fehler.

Die leuchtende Ausnahme, Christian Lindner, „spielt ... die erste Geige in einem Orchester, das dem Dampfer bis zum bitteren Ende die Treue hielt“. Dieser steuert wider besseres Wissen auf einen „Eisberg“ zu – ein Bild, das für gar nichts anderes steht als die Gleichsetzung der politischen Abwägungen, welche die regierenden Parteien in ihrem „innerkoalitionären Konflikt“ vornehmen, mit einer einzigen Fehlanzeige, der Abweichung von dem, was die FAZ in Koalition mit dem Finanzminister zum unwidersprechlichen Inbegriff haushaltspolitischer Verantwortung erklärt hat. Schlagend soll das insbesondere am Verteidigungshaushalt sein:

„Sonderhaushalt“ hin, „Extrakredite“ her, „trotzdem wird es die Ampel mit ihren Finanzplänen kaum schaffen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung zu reservieren, um damit die staatliche Souveränität abzusichern. Was für eine Blamage.“

Wenn die Regierung die haushaltspolitische Wende schuldig bleibt, die den patriotischen Wunsch nach mehr „Souveränität“ – Handlungsfreiheit staatlicher Gewalt über Land und Leute und die restliche Staatenwelt – zur Normalität der Haushaltsplanung macht, dann blamiert sie eindeutig sich. Dass die FAZ das peinlich findet, ersetzt die Begründung, warum und wozu es all das unbedingt braucht – durch das Selbstverständnis nämlich, dass ‚es‘ einfach sein muss und ‚wir‘ so eine ‚Wende‘ von ordentlichen Regenten erwarten können. Aber was machen die Zuständigen aus der Ampel-Regierung? „Trotz alledem“ – obwohl die FAZ ihnen die ‚korrekte‘ Haushaltsplanung als einzig vernünftige Gesetzmäßigkeit ihrer hoheitlichen Verantwortung vorrechnet – „ist nicht zu erwarten, dass die Klagen leiser werden, wie unsozial alles ist“. Dass die Politiker von SPD und Grünen mit ihrem ‚unverantwortlichen‘ Hang zum Sozialen womöglich irgendein Argument auf ihrer Seite haben könnten, das die FAZ würdigen, geschweige denn anerkennen müsste, wenn die „wie zu erwarten“ unnachgiebig klagten – das ist von vornherein ausgeschlossen. Das Urteil über diese Politikerriege steht fest: „Das Anspruchsdenken gegenüber dem Staat ist zu hoch“; die kriegen den Hals einfach nicht voll. So lässt sich selbst noch die Antizipation der ‚Unverbesserlichkeit‘ von ungeliebten Ampel-Politikern, also die üble Nachrede der FAZ, als Ausweis benutzen, wie recht sie damit hat, dass das sozialstaatliche „Anspruchsdenken“ von SPD und Grünen ein einziger Fehler ist.

So wird also dieselbe Sache auch noch demokratisch aufbereitet: die Entstellung des Widerspruchs schuldenfinanzierter Haushaltspolitik zu dem unumgänglichen Sachzwang, die ‚falschen‘ Ausgaben zu beschränken – dargestellt als Widerspruch zwischen der einen vernünftigen und den unverbesserlichen zwei anderen Ampel-Parteien.

[1] Dieses und alle folgenden Zitate aus: FAZ, 6.9.23