Gute Nachricht für Niedriglöhner

Ihr Mindestlohn wird armutsfest, bleibt aber nachhaltig wettbewerbsfähig!

Frisch im Amt macht sich die Ampel unter Führung der sozialen SPD ans Werk und setzt das normale Prozedere der Anpassung des Mindestlohns außer Kraft, um den um sensationelle 1,55 € auf 12,– € zu erhöhen. Schon ist er „armutsfest“: Wer das Kunststück vollbringt, sein gesamtes Berufsleben lang zu diesem Stundenlohn in Vollzeit zu arbeiten, genießt nicht bloß in seiner aktiven Zeit „Leistungsgerechtigkeit und Respekt vor ehrlicher Arbeit“ (Heil), sondern erreicht womöglich sogar mit der selbstverdienten Rente das soziokulturelle Existenzminimum, zu dem der soziale Staat sonst würderaubend aufstocken müsste. Wahlversprechen eingelöst.

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Gute Nachricht für Niedriglöhner
Ihr Mindestlohn wird armutsfest, bleibt aber nachhaltig wettbewerbsfähig!

Frisch im Amt macht sich die Ampel unter Führung der sozialen SPD ans Werk und setzt das normale Prozedere der Anpassung des Mindestlohns außer Kraft, um den um sensationelle 1,55 € auf 12 € zu erhöhen. Schon ist er „armutsfest“: Wer das Kunststück vollbringt, sein gesamtes Berufsleben lang zu diesem Stundenlohn in Vollzeit zu arbeiten, genießt nicht bloß in seiner aktiven Zeit „Leistungsgerechtigkeit und Respekt vor ehrlicher Arbeit“ (Heil), sondern erreicht womöglich sogar mit der selbstverdienten Rente das soziokulturelle Existenzminimum, zu dem der soziale Staat sonst würderaubend aufstocken müsste. Wahlversprechen eingelöst.

Für die weitere Anpassung ist dann wieder die Mindestlohnkommission zuständig, waltet ihres Amtes gleich für die Jahre 2024 und 2025 und beschließt eine Erhöhung um jeweils 41 Cent. Das ist das sachverständig ermittelte Maß gemäß der Doppelaufgabe, „die Lohnkostensteigerungen für die betroffenen Betriebe vor dem Hintergrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage tragfähig zu halten und zugleich die Verdienste der Beschäftigten zu stabilisieren“ (aus dem „Beschluss der Mindestlohnkommission nach § 9 MiLoG“, daraus auch alle folgenden Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet). Das mit dem Stabilisieren ist angesichts der Inflationsrate zwar ein schlechter Witz, dennoch erfüllt die Kommission den Teilauftrag, „zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen“, auf jeden Fall. Sie „orientiert“ sich nämlich „nachlaufend an der Tarifentwicklung“ und damit am Konsens der Sozialpartner. Mit diesem Orientierungsanker vollzieht sie ganz unparteiisch das Werk der Sozialpartner nach, die „im Rahmen der abgeschlossenen Tarifverträge auch die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Wettbewerbsbedingungen sowie Beschäftigungsaspekte berücksichtigen“. Gemäß den einschlägigen Sprachregelungen haben die also bereits dem Vorrang des Interesses an rentablen Lohnkosten vor den „Belangen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ Rechnung getragen. So sind die im Sinne der Konzertierten Aktion beschlossenen Reallohnsenkungen eine passende Vorgabe auch für den zweiten Teilauftrag der Kommission, mit der Fixierung des Niedriglohnniveaus „Beschäftigung nicht zu gefährden“, die die Arbeiterschaft braucht und für die die Unternehmerseite zuständig ist.

Den Auftrag übererfüllt sie, indem sie die mageren Prozentzahlen der Tarifentwicklung auf 10,45 € als den eigentlichen Mindestlohn – also ohne übergriffigen Staatseingriff – bezieht und so den sozialen Überschwang der Politik im Sinne der „gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage“ bis Ende 2025 korrigiert.

Gut finden die Gewerkschaftsvertreter in der Kommission das nicht. Sie hatten ausgerechnet, dass der Mindestlohn für einen Mindestschutz eigentlich mindestens auf 13,50 € steigen müsste; sie „können dem Vermittlungsvorschlag der Vorsitzenden“ daher „nicht zustimmen“ und hängen als Kommissionsmitglieder eine folgenlose abweichende Stellungnahme an den Kommissionsbeschluss an. Der Arbeitsminister wiederum zeigt als soziales Aushängeschild seiner Partei volles Verständnis für die gewerkschaftliche Beschwerde, sieht sich aber als praktisch Zuständiger für die legislative Umsetzung des Kommissionsvorschlags außerstande, ihr Rechnung zu tragen:

„Er wisse, dass sich die Arbeitnehmer und Gewerkschaften einen höheren Mindestlohn gewünscht hätten, sagte der SPD-Politiker. Doch nach dem Mindestlohngesetz könne die Bundesregierung nur den Vorschlag der Kommission umsetzen oder nicht. Keine Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar wäre angesichts der Inflationsentwicklung nicht verantwortbar, sagte Heil.“ (FAZ, 27.6.23)

Heil erklärt sich ohnmächtig gegenüber der Kommission, deren Prozedere er schon außer Kraft gesetzt hatte, und hält sich zugleich die beschlossene Verarmung als seine eigene soziale Tat zugute. Respekt.